Band 7: Die Lehre von den Zyklen
- Theosophische Perspektiven
Schluss
Abschließend müssen wir erwähnen, dass die Lehre von den Zyklen, wie sie in diesem kleinen Buch für Interessenten erklärt wird, keineswegs vollständig abgehandelt ist. Ein weiteres theosophisches Studium, das auf unterschiedlichen Aspekten dieses Themas in den verschiedenen Kapiteln beruht, ist von Interesse, weil die Lehre von den Zyklen die wissenschaftliche, philosophische und religiöse Basis für eine allumfassende Lebensphilosophie bildet. Je tiefer man eindringt, um so deutlicher zeigt sich die mystische und vitale Einheit von Mensch und Natur. In den periodisch wiederkehrenden Verkörperungen wird der Mensch seine inneren Kräfte entwickeln. Schließlich wird er ein Stadium erreichen, das über das menschliche Stadium hinausgeht. Er wird dazu angespornt, weil er Leben um Leben die Folgen seiner früheren Gedanken und Taten erntet, wodurch er seine Kräfte und Möglichkeiten besser anwenden wird.
Jeder Mensch befindet sich als selbstbewusste Einheit an seinem eigenen Platz im allgemeinen Strom der menschlichen Rasse, die sich mit Durchschnittsgeschwindigkeit vorwärts bewegt, um ihr Dasein auf diesem Planeten während der sieben Zeitalter des Erdenlebens zu erfüllen. Aber jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich selbst so zu schulen, dass er dem Durchschnittstempo vorauseilt. Das Ergebnis dieser selbstgeleiteten Versuche sehen wir rund um uns, in verschiedenen Abstufungen. Es sind alle diejenigen, die sich über den Durchschnitt erheben, auf welchem Gebiet auch immer – wie Genies, Meister und Heilande. Irgendwann in der Zukunft werden wir in dieser Rasse den ‘Augenblick der Wahl’ erreichen, dessen Ergebnis bestimmen wird, ob wir fortschreiten und die große Planetenrunde auf dem aufsteigenden Bogen vollenden können. Wenn wir ungenügend vorbereitet sind, um mit den Aufwärtssteigenden Schritt halten zu können, werden wir zurückbleiben und auf einer Sandbank der Zeit stranden. Dort müssen wir auf ein nächstes Manvantara warten, um die Evolution mit der langsamen Entfaltung einer neuen Rasse fortzusetzen. Die Sache ist die, dass die göttliche treibende Kraft, die sich überall im Kosmos manifestiert, auf Fortschritt eingestellt ist. Der Mensch als integraler Teil des Universums muss mitgehen, wie lange er auch zögert und sich selbst dadurch Schaden zufügt. Der ‘Zyklus der Notwendigkeit’ ist unvermeidbar. Der Ursprung der Ethik ist also keine von Menschen aufgestellte Regel, sondern eine Wirklichkeit, die mit dem Gewebe des Universums verwoben ist.
Um dem Naturgesetz gerecht zu werden, ist der schließliche ‘Augenblick der Wahl’ nur die Aufrechnung und das Ausgleichen der täglichen Wahl des Menschen zwischen Gut und Böse während seiner vielen Leben, in denen er seinen freien Willen als ein selbstbewusstes Wesen gebraucht hat. Im jetzigen Evolutionsstadium ist der Mensch der Kampfplatz seiner eigenen dualen Natur, die einerseits für selbstsüchtige, persönliche Ambitionen und Wünsche und andererseits für spirituelles Denken und unpersönliches Handeln kämpft. Wir haben alle unsere kleinen Schwächen, die unserer guten Eigenschaften eigentlich unwürdig sind. Der allgemeine Trend unserer dualen Gedanken und Impulse scheint eine automatische Wirkungen auf unser Denken und Empfinden zu haben, weil jeder eine zyklische Wiederholung eigener Art darstellt. Es sind die Elemente unseres selbstgemachten Charakters. Jeder Gedanke und Impuls schöpft aus unserer eigenen Lebenskraft und gewinnt jedesmal an Stärke, wenn er zurückkehrt und ihm freie Hand gewährt wird. Wenn unsere Gedanken und Gefühle kleinmütig und egoistisch sind, wird unsere Reaktion ihre Qualität von Eifersucht, Neid, Wut, Hass, Argwohn, Betrug und so weiter sowohl unsere neuen als auch alten Assoziationen und Zustände färben. Instinktiv bringen wir unseren Charakter zum Ausdruck.
Wenn wir die entgegengesetzten Eigenschaften von Großherzigkeit, Freundlichkeit, Sympathie, Liebe, Vertrauen, Aufrichtigkeit und dergleichen mehr verstärkt haben, kehren auch diese auf ihrer zyklischen Runde zu uns zurück. Unsere dualen Impulse benützen beide den Verstand, um im inneren Streit zwischen dem Gewissen und unseren Wünschen über Gut und Böse zu urteilen. Wenn wir die richtige Entscheidung treffen, verliert unsere niedere Natur an Kraft und die bessere Seite wird gestärkt. Wenn wir diese Möglichkeit erkennen, dass wir – Stufe um Stufe – einen edleren Charakter formen können, ergeben sich auch die Gelegenheiten, die es uns tagtäglich ermöglichen, einen kleinen Schritt vorwärts zu kommen. Diese scheinbar so kleinen Siege vereinen ihre Kraft und bewirken, dass wir den Problemen, die unsere Seele auf eine harte Probe stellen, gewachsen sind. Sogar ein Versagen kann mitunter als Erfolg gelten, denn wenn wir weiterkämpfen, bauen wir an unserer moralischen Kraft und können so zu einer helfenden Kraft werden.
Jeder Tag ist für alle ein Neubeginn, was auch immer in der Vergangenheit geschehen sei. Entfaltung, Fortschritt, ‘Werden’ ist in allem und in jedem ein lebendiger Impuls. Ein äußerlich mühseliges und schwieriges Leben kann ein Zyklus der Gelegenheiten für den inneren Menschen sein, der damit seinen Mut und seine unpersönliche Kraft beweisen kann.
Die Seele kennt nur die Seele; das Netz der Geschehnisse ist die fließende Tracht, in welche sie gekleidet ist.
– Emerson