Band 7: Die Lehre von den Zyklen
- Theosophische Perspektiven
Mensch und Natur – verbunden in zyklischem Fortschritt
Es liegt ein Zweck in jeder Handlung der Natur, deren Handlungen alle periodisch und zyklisch sind.
– The Secret Doctrine, I : 640
Die Natur wiederholt sich überall. Sie folgt dem eingefahrenen Geleise der Tätigkeit, das bereits vorher gelegt wurde; sie folgt immer und überall dem Weg des geringsten Widerstandes. Und auf dieser Methode der Wiederholung unserer großen Mutter, der Universalen Natur, gründet das Gesetz von den Zyklen, also dem Geschehen von Ereignissen, die es früher gab, wenngleich jede solche Wiederholung, wie gesagt, bei jeder neuen Manifestation auf einer höheren Ebene stattfindet und ein größeres Tätigkeitsfeld umfasst.
– G. DE PURUCKER, Man in Evolution, S. 158
Die Natur bewegt sich wie ein großes, ständig kreisendes Rad, auf dessen Reise durch Zeit und Raum jede seiner Speichen regelmäßig an die Reihe kommt – aufwärts und vorwärts, abwärts und rückwärts. Während das Rad des Universums weiterrollt, kommt jedes seiner Atome voran, gewinnt Erfahrung und fügt dem allgemeinen Vorwärtsdrängen seinen Impuls hinzu. Im Menschen wird dieser evolutionäre Drang mehr oder weniger durch den Verstand und das Selbstbewusstsein natürlich verstärkt. Deshalb kann er den unterhalb von ihm stehenden Wesenheiten helfen, so wie ihm seinerseit von weiseren und größeren Wesen geholfen wurde.
Auf den ersten Blick scheint dieses großartige Bild des Fortschritts vielleicht zu unbestimmt und zu wenig vertraut, um uns zu interessieren oder zu berühren, selbst wenn wir es verstehen könnten. Natürlich übersteigen die Einzelheiten des Universums unser menschliches Fassungsvermögen. Dennoch zeigt sich das Gesetz der Zyklen in seinen universalen Auswirkungen so überdeutlich, dass es die Einheit von Mensch und Natur beweist, die sich mit einem gemeinsamen Ziel entwickeln. Es gibt viele vertraute Dinge in unserem täglichen Leben, die diese in der Natur wirkende Periodizität deutlich zeigen. Wir müssen nur den Ablauf des zyklischen Gesetzes, das sich vor unseren Augen abspielt, erkennen, um zu verstehen, dass es hinter dem Horizont unseres Gesichtskreises genauso wirksam ist. Für die periodische Wiederkehr von Tag und Nacht – eine Zeit des Wachens und Schlafens – braucht es keinen Beweis. Dieses vertraute und für uns so einfache Beispiel findet seinen Ursprung in der Umdrehung der Erde um ihre Achse – eine gewaltige Bewegung, die minutengenau abläuft. Es ist klar, dass niemand übersehen kann, was diese eine Umdrehung der Erde für alles, was sich darauf befindet, bedeutet. Für Land und Wasser, für alle Pflanzen, Tiere und Menschen ist nach jeder Umdrehung nichts mehr genau so, wie es am vorigen Tag war. Der springende Punkt ist, dass sich alle gemeinsam weiterbewegt haben, jedes der unzähligen Dinge hat seinen eigenen Erfahrungszyklus innerhalb der einen Umdrehung des irdischen Rades durchlaufen. Durch Anwendung der Analogie wird der Universalprozess der spiralförmigen Bahnen im Prinzip genau so einfach und verständlich wie das ABC und das Einmaleins aus unserer Kindheit. Dieselben Buchstaben, die wir in der ersten Klasse erlernen, werden von den Weisen gebraucht, um die tiefsinnigsten Wahrheiten zum Ausdruck zu bringen; und die einfachen Zahlen, die wir für unser Kassenbuch benutzen, werden ebenso genau in wissenschaftlichen Berechnungen verwendet.
Die Wissenschaft von heute bewegt sich mit dem Strom des neuen Zyklus und studiert die wiederkehrenden Bedingungen nicht nur in den verschiedenen Gebieten der Naturkräfte und -phänomene, sondern auch im Ablauf des menschlichen Daseins. Die Wissenschaft beginnt sich sehr wohl der engen Beziehungen zwischen ihren eigenen Untersuchungen, dem täglichen Leben und dem allgemeinen Wohlergehen der Menschheit jetzt und in Zukunft bewusst zu werden. Außerdem gibt es eine wachsende Tendenz, die Resultate der Untersuchung der Periodizität des einen Wissensgebietes mit den Ergebnissen ähnlicher Forschungen auf anderen Gebieten zu vergleichen. Je weiter diese Untersuchungen sich erstrecken, um so deutlicher zeigt sich die fundamentale Einheit von Mensch und Natur. Um ein Beispiel zu geben: Man untersucht den Zusammenhang zwischen den Aktivitäten der Sonnenflecken und dem Wetter, dem Wachstum der Pflanzen, Kriegen, Schwankungen im Geschäftsleben, dem Radioempfang und so weiter.
Periodizität wird wahrgenommen und im Auftreten von Überschwemmungen, Trockenzeiten, Hungersnöten, Krankheiten, Katastrophen, magnetischen Stürmen, dem Polarlicht und Erdbeben aufgezeichnet; und ebenso beim Erscheinen großer Menschen und dem Fortschritt und Rückschritt auf dem Gebiet der Kunst und Wissenschaft; beim Aufstieg und Niedergang von Nationen und ganzen Zivilisationen; bei den Veränderungen der kontinentalen Küstenlinien und von Bergen, die sich langsam heben oder senken; bei Eiszeiten, die kamen und gingen, und Beweise für frühere tropische Klimate in nördlichen Gebieten hinterließen; bei den auf die Jahreszeiten abgestimmten Gewohnheiten von Tieren und vieles mehr. Dieses wissenschaftliche Interesse spiegelt sich in der Tagespresse wieder. Das eröffnet den Weg zu mehr Kenntnissen über das alte Gesetz der Zyklen, das den Schlüssel zu allen Bewegungen in der Natur bildet.
Weder wissenschaftliche Ausbildung noch eine besondere Vorstellungskraft sind erforderlich, um zu erkennen, dass sich die wiederkehrenden irdischen Veränderungen unvermeidlich im Leben der Bewohner widerspiegeln. Das ist an sich eine bemerkenswerte Tatsache. Und der Beweis, dass Mensch und Natur miteinander verbunden sind und unter denselben Gesetzen evolvieren, ist genauso einfach wie verständlich. Der Wirkungsweise des Gesetzes der Periodizität kann man auf zwei Arten folgen – vom Kleinen zum Großen und umgekehrt.
Betrachten Sie die wiederkehrenden ‘Ereignisse’ von Zeit, Materie und bewusstem Leben. Nehmen Sie zunächst die kreisenden Atome, welche Moleküle formen und sich zu Zellen vereinigen, die ihrerseits die Organe des menschlichen Körpers aufbauen, der ein Menschenleben lang existiert. Beim Tod zerstreuen sich die Atome, um ihren Weg durch andere Formen irdischer Materie fortzusetzen. Wenn der Mensch an den Punkt gelangt, eine neue Inkarnations-Runde zu beginnen, vereinigen sich die Atome wieder, um beim Aufbau seines neuen Körpers zu helfen. Nehmen Sie als nächstes den bewussten Lebensfunken –den inneren Menschen –, der sich durch den heranwachsenden Körper des Embryos, des Säuglings, des Kleinkindes, des Jungen oder Mädchens und des Erwachsenen entfaltet, dann den alt gewordenen Körper verlässt und von seiner hiesigen Existenz in einen Zyklus in etherischeren Reichen übergeht. Die vorübergehenden Augenblicke werden mittlerweile zu Stunden, Tagen, Wochen, Monaten, Jahren, die ihrerseits zu Jahrhunderten, Sonnenperioden und vollständigen Runden eines Universums werden und so weiter.
Diese winzigen Zyklen von ‘Atomen’ der Zeit, von bewusstem, sich entfaltendem Leben und von Materie sind die Wirkung dessen im Kleinen, was wissenschaftlich als das Raum-Zeit-Kontinuum zusammengefasst wird. Am Ausgangspunkt eines Universalzyklus beginnen diese Teile sich aus der Einheit heraus zu trennen und zyklisch nach unten zu bewegen – durch die aufeinander folgenden Reiche hindurch, bis hinein in die allerkleinsten Zyklen. Ob man das Große oder das Kleine betrachtet – alles folgt dem einen Plan des Fortschritts: Substanz wird vollkommenere Materie, kurze Zyklen werden zu längeren Perioden; und der sich wiederverkörpernde Mensch bringt mehr von seinem wahren, seinem unsterblichen Selbst, hervor. Eine lebendige, überall zirkulierende Kraft spornt alles dazu an, ‘sich selbst’ mehr zu verwirklichen.
Es ist das Eine Leben selbst, das in all den verschiedenen Formen der Substanz immer wieder kommt und geht. Es hat seine Bestimmung in einem endlosen Zyklus von Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung seiner Formen. In der Erkenntnis dieser Tatsache haben einige große Denker die Geheimnisse der Natur mit dem Wort Bewegung zusammengefasst. Die Theosophie fügt dem hinzu, dass diese universale Bewegung eine Antwort auf den Rhythmus eines kosmischen Herzschlags ist. Die Antwort jedes Wesens auf diesen vitalen und zentralen Impuls ist sein eigenes, charakteristisches Schwingungsmuster. Alle inneren und äußeren Lebenssphären über, unter, um und in uns werden von einer bestimmten Schwingungszahl gekennzeichnet. Die Wissenschaft definiert die subtilen Kräfte der Röntgenstrahlen, des infraroten und Ultravioletten Lichts, die Radiowellen und so weiter durch die ihnen eigenen Frequenzen. Wir wissen alle, dass die verschiedenen Wellenlängen von Licht die prismatischen Farben verursachen und dass wir in einer Tonleiter eine Reihe verschiedener Schallwellen hören. Haben nicht auch wir eine eigene Schwingungszahl, die abwechselnd in Harmonie und dann wieder nicht in Harmonie mit den Bedingungen und Menschen um uns ist?
Die Natur hat ein erhabenes Ziel; dahinter steht eine kosmische Intelligenz, die das menschliche Schicksal auf das der universalen Mutter Natur einstimmt. Die alten Weisen verstanden diese mystische Wahrheit, sowohl in ihren einfachen wie auch in ihren erweiterten Bedeutungen. Sie erkannten in allem und in jedem Lebewesen das Wirken eines Universalgesetzes. Von alters her wurde gelehrt, dass der Mensch von allen natürlichen Vorgängen betroffen und an ihnen beteiligt ist, weil er einen untrennbaren Teil des Universums bildet. Diese Kenntnis ‘der Dinge, wie sie sind’ befreite die Menschen von der Angst vor dem Tod und von aller Furcht vor einem Jenseits des Leidens oder einem endgültigen Vergessen. Sie fürchteten nicht länger das Unbekannte, da sie ihre Einheit mit der Sonne, den Sternen und mit dem ganzen sich entfaltenden Panorama ihrer irdischen Heimat fühlten. Diese sorglose Zeit existierte im Goldenen Zeitalter, als die Erde jung war. Jetzt klingt das wie ein Märchen. Nun, die Märchen und Legenden, die unsere Kinder so gerne hören, beruhen auf Wirklichkeiten, in denen wir als junge Rasse existierten. Wenn diese Ideale niemals für uns real gewesen wären, wie könnten wir dann so spontan darauf reagieren, wie das der Fall ist, und sie durch die Jahrhunderte in Mythen und Legenden lebendig erhalten?
Einige unserer intuitiven Philosophen und Wissenschaftler erkennen allmählich, dass es eine Einheit geben muss, sogar eine bewusste Einheit, die allen Dingen zugrunde liegt. Diese Erkenntnis einer Naturwahrheit wurde schon vor rund einem Jahrhundert vorausgesehen, als H. P. Blavatsky in ihrem Werk Die Geheimlehre die vergessene Geschichte über den Ursprung und die Bestimmung des Menschen, des Planeten und des Universums wiederholte. Sie kam, weil die Zeit für uns reif war, etwas von unserem vergessenen Geburtsrecht der größeren Wahrheit zurückzugewinnen. In der gegenwärtigen Periode – dem Eisernen Zeitalter – haben wir ein wertvolles Erbe aus einer fernen Vergangenheit aus den Augen verloren und uns von der Natur gelöst. Das hemmte unser inneres Wachstum und trübte unsere Sichtweise des Lebens. Der Mensch hat sich von der Rolle, welche er in diesem Planeten-Drama spielen sollte, mental zurückgezogen. Er steht anscheinend abseits der nicht-menschlichen Dinge, die er als etwas für ihn Fremdes, wenn nicht sogar Feindliches, betrachtet. Und doch ist alles auf der Lebensleiter unter ihm auf dem Weg, Mensch zu werden, so wie er selbst schließlich dem menschlichen Stadium entwachsen wird, um die Ebene der Menschen-Götter zu erreichen, die ihm vorausgingen. Alles was ist, bewegt sich vorwärts – entlang einer der Windungen einer gewaltigen Spirale. Alle haben am gemeinsamen Wohlergehen anteil und allen wird geholfen, so dass allen – durch die Bewegung in Einklang mit dem Ganzen – geholfen wird. Das Universum ist in seinem Herzen freundlich.
Dem ursprünglichen Plan gemäß standen der Mensch und sein irdisches Zuhause anfangs unter der Obhut göttlicher Lehrer. Es handelte sich dabei um eine spirituelle Elternschaft, die der jugendlichen Menschheit einen guten Anfang bot. Später, als der Mensch selbstbewusst wurde und Kenntnis von Gut und Böse erlangt hatte, wurde er in moralischer Hinsicht für den Einfluss, den er auf sein irdisches Zuhause ausübte, verantwortlich. Die Sorge für alles wurde ihm übertragen, denn nur in ihm war das Feuer des Denkens entzündet, das ihm Einsicht und Vernunft verleiht. Sein Körper wurde aus demselben Stoff gemacht wie der von Mutter Erde, die ihn immer ernähren, kleiden und beschützen musste. Auch die elektromagnetischen und andere Naturkräfte wirkten in ihm und brachten ihn innerlich mit allem in Berührung.
Es war die Aufgabe der Natur, alle Formen aufzubauen, die nützlich und schön und notwendig waren, um dem durch alle Reiche zirkulierenden, unsichtbaren Lebensstrom Körper zu verleihen. Allmählich sorgten die Urkräfte und Stoffe für die Verdichtung und die Entstehung von etherischen Modellformen, die ihrerseits Urbilder von höheren schöpferischen Ebenen darstellten. Diese Astralmodelle aller Wesen und Dinge waren – und sind es heute noch – die Bindeglieder zwischen den spirituellen und materiellen Ebenen und verursachten Reaktionen zwischen den beiden Reichen. So wurde der Stoff der Erde auf subtile Art von den kräftigen Energien bewussten menschlichen Denkens, Wollens und Fühlens beeinflusst.
Durch die enge Verbindung des Menschen mit den unter ihm stehenden Reichen und seine Herrschaft über sie hat die Natur notwendigerweise auf den Einfluss und die Art seiner Führung reagiert. Das frühe kindliche Stadium des Menschen spiegelte sich in einer glücklichen ‘Garten Eden’-Atmosphäre wider. Später, als er seinen selbstsüchtigen Gedanken und Begierden freien Lauf ließ, reicherte sich die ihn umgebende Atmosphäre mit den ungeordneten Kräften von Stürmen, Krankheiten und Feindschaft an. Die Existenz dieser in Vergessenheit geratenen Verwandtschaft zwischen dem menschlichen Meister und den submenschlichen Reichen hat in der Geschichte der gewaltigen Zyklen von Runden und Rassen auf den verschiedenen Kontinenten immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch unsere eigene Geschichte weist Beispiele dafür auf. War nicht der wenig reinliche Umgang mit dem Körper und seiner Umgebung der Auslöser der Pest im Mittelalter? Ist nicht die Zunahme von Geistes- und Nervenkranheiten in unserer Zeit die typische Reaktion unseres komplizierten Gehirn- und Nervengewebes auf die kräfteraubenden Spannungen des modernen Lebens? Werden nicht die heutigen Umbrüche in der Weltpolitik und so weiter in einem ungewöhnlichen Durcheinander der Naturkräfte widergespiegelt?
Jede neue Wurzelrasse (siehe Kapitel ‘Runden und Rassen’) begann mit einer verjüngten Erde, unter günstigem Klima, mit Frieden unter den Menschen und zwischen Mensch und Tier. Wurde eine Rasse massenhaft selbstsüchtig, grausam und kriegerisch, wurde das Klima hart, fruchtbares Land verkam zur Wüste und die Tiere wurden feindselig. Alle Wurzelrassen, die der Reihe nach in das materielle Leben abstiegen, prägten die Erde ihrer Art entsprechend. Die dominierende Eigenschaft der ersten Rasse war die des Goldenen Zeitalters, die der zweiten wies die dominierende Eigenschaft des Silbernen Zeitalters auf, die des Bronzenen Zeitalters war der dritten eigen, und die vierte schließlich wies die dominierenden Merkmale des Eisernen Zeitalters auf; aber jede Wurzelrasse durchlief individuell eine Entwicklung durch die komplette Reihe dieser vier Perioden.
Die Wissenschaft, welche die auffallenden klimatischen und geologischen Veränderungen der Vergangenheit untersucht, sieht darin selbstverständlich Faktoren, die den Menschen zu Veränderung und Anpassung zwangen. Die größere Wahrheit ist, dass – ob die Veränderung nun in einem auf- oder absteigenden Zyklus stattfand – die davon betroffenen Menschen die Folgen dessen ernteten, was sie selbst einmal in ihren Beziehungen zueinander und zur Natur gesät hatten. Es ist möglich, dass man dazu viele, viele Leben zurückgehen muss. Das karmische Gesetz, das die irdischen Naturkräfte benutzte, verursachte eine Periode mehr oder weniger günstiger Umstände. Desgleichen ist es die Ursache dafür, dass der Mensch zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort inkarniert, wo er hingehört. Die Egos wurden zu einer passenden Zeit und an einer geeigneten Stelle geboren, ob es sich nun um eine aufkommende oder eine zu Ende gehende Eiszeit oder andere geologische Auf- und Abstiege handelte. Der Mensch ist kein hilfloses Werkzeug der Elemente. Er ist verhältnismäßig frei, die Dinge nach den Wünschen des Verstandes und des Herzens zu gestalten; und ganz allgemein gesagt ist er es, der seine Welt zu dem macht, was sie ist. Deshalb geben ihm seine Schöpfungen, die karmisch seinen allgemeinen Charakter widerspiegeln, einen Schlüssel zu Selbstkenntnis, der auch der Schlüssel zu den Geheimnissen der Natur ist.
Auch wenn diese wunderbare Wahrheit, dass der Mensch zusammen mit allem anderen Teil einer kosmischen Einheit ist, das Auffassungsvermögen des Verstandes übersteigt, liegt diese Wahrheit nicht außerhalb des Bereichs der Intuition. Der innere Mensch erinnert sich an alles, was in seinen früheren Leben vorgefallen ist. Das ist die Schatzkammer des Wissens, von der ein bildender Künstler oder ein Dichter von Zeit zu Zeit einen Schimmer erhascht und die nicht nur ein Produkt seiner Fantasie ist. Im Gegenteil, es geht darum, dass der Mensch sich dessen bewusst wird, dass in ihm – in nicht-menschlichen Formen verborgen – ein alles durchdringendes Element einer Verwandtschaft mit etwas Stillem und Namenlosem vorhanden ist.
Der Dichter sucht nach Worten, die für andere ein Zeugnis seines Einsseins mit einer Wirklichkeit ablegen, welche sowohl die Erde als auch den Himmel durchdringt. Aber Worte reichen nicht aus. Es ist ein inneres Gefühl der Einheit, das nur von einem Menschenkind erfahren werden kann, das mit Mutter Natur in harmonischem Einklang steht, mit der es die Zeitalter hindurch die Zyklen auf der Erde miterlebt hat. Diese Liebe für die Natur wurzelt in grauer Vorzeit – eine spirituelle Erinnerung an ein Ur-Bündnis.
Die meisten von uns sind jedoch weder Dichter noch Mystiker. Das logische Denken verlangt nach grundlegenden Beweisen dafür, dass überall Zyklen wirken. Wenn wir vertraute Dinge zu beobachten beginnen, stellt sich heraus, dass wir diese Periodizität überall wahrnehmen können. Nehmen wir zuerst das Wasser: Der Ozean bringt mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks überall auf der Welt Ebbe und Flut mit sich, wie ein riesiges Atemschöpfen. Die Wellen brechen sich an der Küste ungefähr in dem Tempo, in dem wir atmen; diesen Rhythmus kann keine menschliche Kraft ändern. Das Regenwasser, das die Erde durchtränkt, von Bäumen und Pflanzen aufgenommen wird und als Dampf aufsteigt, verdichtet sich zu Wolken, Regen und Schnee und kehrt so wieder auf seinem Pfad zurück, um damit den heranwachsenden Dingen zu helfen, die uns ernähren, kleiden und schützen. Die Säfte der Pflanzen steigen aus ihren allzeit tätigen Wurzeln empor und arbeiten zur Förderung des Wachstumsprozesses mit dem Sonnenlicht zusammen, um dann wieder direkt oder nach Vollendung des Zyklus ihren Weg zur Erde zurückzufinden. Der Lebenssaft der Bäume arbeitet in Einklang mit den Jahreszeiten an der jährlichen Feier von neuen Blättern, Blüten und Früchten; und dann zieht er sich wieder zurück um zu ruhen, bevor eine neue Periode der Aktivität beginnt. Nur die Einheit, der ein gemeinsames Ziel zugrunde liegt, kann diesen harmonischen und stetigen Strom von Lebenskräften gewährleisten. Der kleine Grashalm hat – genauso wie der riesige Baum – seinen eigenen Pulsschlag. Diese tagtäglichen Mysterien sind so allgemein, dass wir das Wunder übersehen.
Sogar eine verhältnismäßig niedrige Lebensform, die sich vorübergehend in einer Raupe verkörpert, beendet nach kurzer Zeit ihre Periode des Kriechens. Dann baut sie sich einen kleinen Kokon und löst sich in etwas auf, das nicht mehr ist als ein protoplasmisches Gelee. Aus dieser formlosen Masse nimmt sie die Form eines zierlichen Schmetterlings an, um als Bewohner der Lüfte, vom Honig der Blumen nippend, eine neue Lebensrunde zu beginnen. Seine kleinen Eier legt er zu einem Zeitpunkt, der den dreifältigen Zyklus der Formveränderung ermöglicht. Der rhythmische Lebenslauf dieses winzigen Insekts ist auf seine Weise ebenso wunderbar wie der von Passatwinden und Strömungen des Ozeans, die stets ihren eigenen Wegen folgen.
Wir finden es selbstverständlich, dass sich der irdische Film im Laufe der Jahreszeiten regelmäßig abspult – von der Winterkälte, die in das Frühjahr übergeht, vom Erwachen der Dinge, die im Sommer reifen und im Herbst geerntet werden, um den jährlichen Kreislauf von Erfahrung und Fortschritt zu vollenden. Inzwischen hat das große Rad der Erde seine eigene Bahn beschrieben, die so abgestimmt ist, dass beim Passieren des Frühlingspunktes genau fünfzig Sekunden gewonnen sind. Dieses winzige Zeitteilchen ist sozusagen der Same des platonischen großen Jahres, eines Zyklus von 25.920 unserer Jahre. Die natürliche Bewegung von kleinen Rädern innerhalb mächtiger Räder erinnert uns an das alte hermetische Sprichwort: „Nichts ist groß, nichts ist klein in der göttlichen Ökonomie.“ Die Astronomen sprechen von ‘pulsierenden Sternen’, die unsere Sonne in Bezug auf Größe und Glanz ganz und gar in den Schatten stellen. Alle Himmelskörper sind auf das kosmische Uhrwerk abgestimmt, welches das kreisende Universum reguliert.
Die sogenannten ‘Naturgesetze’ sind rhythmische Auswirkungen von gemeinsamen Willensäußerungen großer himmlicher Wesen, die in Harmonie mit dem göttlichen Willen tätig sind. Wir sind buchstäblich lebende Zellen im Organismus eines großen Wesens, so wie wir die Leiter und das Gesetz für Trillionen von in unserem Körper evolvierenden Zellen sind. Überall findet man das gleiche Muster und das gleiche Ziel.
Diese unsichtbare, aber intelligente Führung, die in der Natur mit so großer Regelmäßigkeit wirkt, liegt allen Phänomenen zugrunde, die nicht durch ‘reinen Zufall’, durch ‘natürliche Zuchtwahl’ oder durch aktive chemische Verbindungen erklärt werden können. Nehmen wir zum Beispiel den Zug der Vögel. Wie wissen die Vögel, wann sie mit ihrer Reise beginnen sollen oder wohin sie fliegen müssen? Wie können sie ihren Weg über enorme Distanzen finden, ohne zu rasten, und dann noch überleben? Manchmal zieht die jüngste Generation, selbst auf ihrer ersten Reise, von den anderen getrennt und auf einer anderen Strecke zu ihren fernen Brutstätten. Dass diese Vogelzyklen durch ‘Instinkt’ geregelt werden, erklärt etwas derartig Zweckmäßiges nicht. Diese nicht selbstbewussten Wesen reagieren instinktiv auf einen alten Impuls, der dieser Art stark eingeprägt wurde.
Die Idee, das Polargebiet wäre das ursprüngliche Zuhause von dort brütenden Vögeln, hat man mit der präglazialen Periode in Zusammenhang gebracht, als der hohe Norden ein frühlingshaftes Klima aufwies. Diese Theorie bezieht sich auf die Vor- und Rückwärtsbewegungen der letzten großen Eiszeiten, die ihre Spuren auf dem Körper der Erde zurückgelassen haben. Den Beweis für die radikalen Veränderungen findet man in den Fossilien von Pflanzen und Tieren. Natürlich veränderte sich mit den Bewegungen der trostlosen Eiswüsten auch das menschliche Leben. Vielleicht ist die merkwürdige Anziehungskraft des ‘hohen weißen Nordens’, die manche arktische Entdeckungsreisenden verspüren, das Erwachen einer alten Erinnerung an ihr ‘Zuhause’, als die Rasse noch jung war. So wie bei den Zugvögeln, die einer alten Naturgewohnheit folgen, schlummert tief in manchem von uns menschlichen Zugvögeln etwas Ähnliches.
Ein anderes Beispiel für unterhalb des menschlichen Reiches stehende Wesen, die mit der Flut schöpferischer Lebensströme mitschwimmen, finden wir in der Wanderung mancher Fische und anderer Tiere. Die Lachse, die tausende Kilometer stromaufwärts schwimmen, kommen mager und erschöpft an den Laichplätzen an. Sie scheinen von einer Gewohnheit angetrieben zu werden, die ihrer Art am Anfang eingeprägt wurde. Offensichtlich behalten sie den Eindruck einer früheren natürlichen Heimat, der so alt ist, dass die Erde seitdem ihr Aussehen geändert hat.
Der Zug der nordeuropäischen Lemminge ist ebenfalls ein solches Naturrätsel. Mit unregelmäßigen Unterbrechungen strömen diese kleinen Nagetiere massenweise aus den Bergen in die Ebenen herunter und fressen dabei alle Pflanzen auf ihrem Weg. Ungeheure Mengen von ihnen schwimmen ins Meer, wo sie umkommen. Dieses zum natürlichen Selbsterhaltungstrieb in Widerspruch stehende Verhalten wird von H. P. Blavatsky erklärt, indem sie Folgendes darüber sagt:
Tatsächlich kommen sie aus allen Teilen Norwegens, und ein mächtiger Instinkt, der durch die Zeitalter als ein Erbe ihrer Vorfahren fortbesteht, treibt sie an, einen Kontinent zu suchen, der einst existierte, aber jetzt unter den Ozean versunken ist, und ein wässriges Grab zu huldigen.
– The Secret Doctrine, II: 782
Diese Geschehnisse in der Tierwelt zeigen Spuren früherer ‘Pfade der Vergangenheit’, die dem Körper der Erde eingeprägt sind. Untersuchungen des Meeresbodens habe viele alte Flussbetten nachgewiesen. Auch unsere eigenen Körper weisen Überreste von Organen auf, die wir nicht mehr benötigen. Sie sind der biologische Beweis für vollkommen andere Zustände im menschlichen Körper bei alten Rassen. Die Natur um uns erzählt die Geschichte einer wunderbaren Vergangenheit, die tief in uns mit der Gegenwart verbunden ist – wie Inseln, die unter dem Meeresspiegel mit dem Festland verbunden sind.