Band 7: Die Lehre von den Zyklen
- Theosophische Perspektiven
Zyklen der Sprache
… So wie Sprachen ihre zyklische Entwicklung haben, ihre Kindheit, Reinheit, ihr Wachstum, ihren Fall in die Materie, ihre Vermischung mit anderen Sprachen, ihre Reife, ihren Verfall und schließlichen Tod, so verfiel die ursprüngliche Sprache der höchstzivilisierten atlantischen Rassen – jene Sprache, welche in alten Sanskritwerken als „Rākshasi-bhāshā“ bezeichnet wird – und starb fast aus. Während die „Auslese“ der vierten Rasse immer mehr dem Höhepunkt physischer und intellektueller Evolution zustrebte und so der entstehenden fünften (arischen) Rasse die flektierenden, hochentwickelten Sprachen als Erbe hinterließ, verfielen die agglutinierenden und blieben als ein bruchstückhaftes fossiles Idiom zurück, das jetzt zerstreut und nahezu auf die eingeborenen Stämme Amerikas beschränkt ist.
– The Secret Doctrine, II: 199
… Aber eine Sprache, die zyklisch fortschreitet, ist nicht immer geeigent, spirituelle Gedanken zum Ausdruck zu bringen.
– Ebenda, Fußnote
Das Gehör war der erste der fünf Sinne der Menschheit, die sich entwickeln sollten. Die Sprache war dazu bestimmt, ihre wichtige Rolle in den immer wiederkehrenden ‘Ereignissen’ des sich auf der Erde entfaltenden Lebens zu spielen. Da Sprache gleichrangig mit dem Verstand ist, ähnelten die Laute, welche die ersten Rassen hervorbrachten, bevor das Feuer des Denkens von den Sonnengöttern entzündet wurde, mehr Naturlauten als einer artikulierten Sprache. Die letzten Unterrassen der dritten Rasse, die unter der Leitung ihrer göttlichen Lehrer ganze Städte bauten und Zivilisationen entstehen ließen, benutzten nur eine einsilbige Sprache.
Selbstverständlich hielt die Entwicklung der Stimme als Mittel zum Ausdruck menschlicher Gedanken und Gefühle mit der zyklischen Ausweitung des Bewusstseins Schritt. Während der Mensch seine menschliche Natur mehr und mehr entwickelte, eignete er sich allmählich die Mittel an, die ihn befähigten, seine Sprache zu erweitern. Zur Zeit der späten Vierten Rasse hatten sich die ersten flektierenden Sprachen entwickelt. Diese Sprachen – von der überlappenden frühen fünften Wurzelrasse übernommen – wurden die Wurzel des Sanskrit. Die Devanāgarī-Schrift wurde von den Kabiri erfunden (siehe The Secret Doctrine, II: 364).
H. P. Blavatsky sagt über ihr großes Werk Die Geheimlehre:
Der Versuch, in einer europäischen Sprache das große Panorama des ewig periodischen Gesetzes darzustellen – das dem plastischen Denkvermögen der ersten mit Bewusstsein begabten Rassen von jenen eingeprägt wurde, die es aus dem Universalen Denken reflektierten –, ist ein Wagnis, denn keine menschliche Sprache, ausgenommen Sanskrit – welches die Sprache der Götter ist –, vermag das auch nur annähernd.
– The Secret Doctrine, I: 269
Der antike Ursprung des Sanskrit wird in einem Artikel mit dem Titel „War das Schreiben vor Pānini bekannt?“ dargestellt, den man in Five Years of Theosophy finden kann (Ausgabe 1885, S. 419-20). In diesem von einem ‘Chela’ geschriebenen Artikel wird erklärt, dass das klassische Sanskrit nicht von dem berühmten Grammatiker Pānini erschaffen, sondern lediglich von ihm verbessert und möglicherweise vervollkommnet wurde. Diese Sprache hatte bereits seit vielen Zyklen existiert und würde auch weiterhin eine Rolle spielen. Der Autor fährt fort:
Jeder sieht – muss es einfach sehen und wissen –, dass eine Sprache, die so alt und so vollkommen ist wie das Sanskrit, um als einzige unter allen Sprachen zu überleben, Zyklen der Vervollkommnung und Zyklen des Verfalls durchlebt haben muss. Und mit ein wenig Intuition kann man erkennen, dass das, was man eine „tote Sprache“ nennt, als etwas Abnormales, etwas Unnützes, in der Natur nicht überlebt hätte, auch nicht als „tote“ Sprache, wenn sie nicht ihren bestimmten Zweck im Reich der unveränderlichen zyklischen Gesetze hätte. Das der Welt beinahe verloren gegangene Sanskrit breitet sich nur langsam wieder in Europa aus und wird eines Tages wieder dieselbe Verbreitung haben wie vor vielen Jahrtausenden – die einer universalen Sprache. Dasselbe gilt für Griechisch und Latein: Es kommt die Zeit, in der das Griechisch des Aischylos (und in seiner künftigen Form sogar perfekter als heute) in Südeuropa von allen gesprochen werden wird, während Sanskrit in seinem periodischen Pralaya ruhen wird; und die attische Sprache wird später vom Latein des Virgil gefolgt werden.
In Übereinstimmung mit den oben gegebenen Informationen sollte diese heilige Sprache – die aus dem nach innen gekehrten und philosophischen Osten gebracht wurde – erhalten bleiben und gemeinsam mit der Alten Weisheit einen neuen Aufstieg erleben. Als die Theosophische Gesellschaft im Jahr 1875 gegründet wurde, waren die Lehren für den prosaischen Westen so neu, dass man oft keine geeigneten Worte fand. So wurden zur Erklärung von tiefgehenderen oder universaleren Begriffen in der Literatur und in Vorträgen Sanskritworte gebraucht. Das Wort Karma (oder besser Karman, obwohl beide Wörter gebraucht werden) mit der Bedeutung ‘Handlung’, ‘Folge’ oder ‘Ursache und Wirkung’ wurde bald allgemein gebraucht, besonders in Zusammenhang mit dem menschlichen Leben. Dieses eine Wort beinhaltet die Bedeutung des biblischen Satzes: „Was der Mensch sät, das wird er ernten.“ Außerdem wurde der logische Vorgang des Erntens durch die periodische Aufeinanderfolge von Reinkarnationen erklärt, obwohl die Lehre von den Zyklen damals weniger betont wurde als heute, wo sie sowohl in der Wissenschaft als auch in der Philosophie anerkannt wird. Anfangs jedoch stießen die Fremdwörter auf viel Kritik, wie sich aus W.Q. Judges prophetischer Anwort an einen Reporter ersehen lässt:
Das Sanskrit wird einst wieder die Sprache sein, die von den Menschen auf der Erde angewendet wird – zunächst in der Wissenschaft und Metaphysik und später auch im täglichen Leben. Selbst der geistreiche Autor der Sun wird es noch erleben, wie die Ausdrücke, die jetzt in dieser edelsten der Sprachen erhalten sind, in die Literatur und Tagespresse Einzug halten, wie sie in Artikeln aufkreuzen und in verschiedenen Büchern und Vorträgen erscheinen. … So wird diese neue Sprache … eine Sprache sein, die in allem, was eine Sprache ausmacht, wissenschaftlich ist und die von Zeitaltern des Studiums der Metaphysik und wahrer Wissenschaften angereichert wurde.
– The Path, I, 58
Das Vertrauen, das William Quan Judge in die Aufnahme von Sanskrit-Begriffen in westliche Sprachen hatte, wurde ganz und gar gerechtfertigt. Sie treten nicht nur in der Presse und der heutigen Literatur auf, sondern an den Universitäten erfreuen sich Sanskrit-Lehrgänge einer wachsenden Popularität. Das bedeutet mehr als bloßes literarisches „Licht aus dem Osten“ zu erhalten. Es zeigt eine wachsende Notwendigkeit für Begriffe, um größeren Idealen und tieferen Gefühlen von Männern und Frauen, die nach Wahrheit und Licht suchen, Worte zu verleihen. Diese Suchenden sind es, die den Kern einer Unterrasse des neuen Zyklus mit seiner Unterströmung natürlicher Mystik bilden und dabei ihr eigenes, schlummmerndes Bewusstsein einer inneren Realität erwecken werden.
Die Wiederbelebung dieser alten Sprache bewirkt eine bessere Beziehung zwischen der denkenden Welt des mystischen, nach innen gewandten Ostens und dem praktischen, intellektuellen Westen. Beide Welten haben einander viel Wertvolles zu schenken und können gegenseitig davon profitieren. H. P. Blavatskys Verständnis für die inneren Schätze der Wahrheit, die im Besitz gelehrter indischer Pandits war, sicherte ihr und ihrer Arbeit die Unterstützung einiger der besten indischen Gelehrten und gebildetsten Bürger. Sie beteiligte sich schon bald an der Gründung von Schulen für indische Jungen und später für Mädchen, an denen Sanskrit unterrichtet wurde – zu jener Zeit etwas völlig Neues. Diese Arbeit, die in den frühen Ausgaben ihres Magazins The Theosophist beschrieben wird, ist typisch für ihre Methoden, einen Kern für eine universale Bruderschaft zu bilden. Anstatt den verschiedenen Völkern eine neue Religion oder eine fremdartige Philosophie zu bringen, richtete sie ihren Appell an jeden einzelnen, um sie alle auf die verborgenen und befreienden Wahrheiten in ihren eigenen Lehren zu verweisen. Die Vibrationen ihres Leitgedankens des internationalen Verständnisses sind seitdem lebendig geblieben und klingen heute stärker und klarer als je zuvor – ein hoffnungsvoller Beginn der Harmonie in einer chaotischen Welt.
Worte sind lebendige Dinge. Eine Sprache spiegelt die Zeit, die Ereignisse und den Charakter des Volkes wider, in dem sie als Mittel zum Austausch von Gedanken und Gefühlen gebraucht wird. Ein fast alltägliches Beispiel liefern neue Worte und Schlagworte, die auf typische Weise entstehen, eine Spiegelung des modernen Lebens mit seiner Unruhe und seinen Spannungen darstellen und nach einiger Zeit ihren Platz im offiziellen Sprachgebrauch einnehmen.
Die Sprache ist einer der wertvollen Schlüssel der Ethnologen. Manche von ihnen, die die Evolution als eine mehr oder weniger durchgehende Bewegung sehen, können nicht verstehen, dass bestimmte barbarische und wilde Stämme auftreten, die – wenn auch unvollkommen – sowohl dem Wortschatz als auch dem Satzbau nach eine komplizierte Sprache sprechen. Würden diese Völker einem affenartigen Urahnen näher stehen als einem Europäer, wäre ihre Sprache dementsprechend primitiv und einfach. Dieser scheinbare Widerspruch erweist sich jedoch als ein Paradoxon, das durch das Gesetz der Zyklen erklärt werden kann. Diese Fälle bilden einen deutlichen Beweis für den spiralförmigen Verlauf der Evolution, dem die großen Runden und Rassen folgen. Diese Völker befinden sich auf der letzten Umdrehung eines Rades von unsagbarem Alter.
Man weiß zum Beispiel, dass australische Ureinwohner „eine komplizierte Grammatik mit drei Geschlechtern gebrauchen“. Einige dort lebende Weiße, die Sympathie und Verständnis für die einheimischen Menschen haben, sind der Auffassung, dass ihre Natur Wesenszüge aufweist, die sie in die Lage versetzt, äußerst dürftigen äußeren Umständen die Stirn zu bieten und zu überleben. Jedem Menschen ist es bestimmt, letztendlich Vollkommenheit zu erreichen. Die Natur arbeitet getreu dem Universalplan, damit wir dieses Ziel selbstbewusst erreichen.
Dr. de Purucker schreibt über die Hinweise, die wir in den Sprachen gewisser Völker auf verlorene Zivilisationen finden, in The Esoteric Tradition (S. 403, Fußnote Nr. 177):
Der springende Punkt ist dabei nicht, dass der Wilde oder Barbar diese Begriffe seiner Sprache versteht, sondern dass er sie nicht versteht, da es Wörter oder Namen aus der Vorgeschichte seiner Sprache sind. Seiner Auffassung nach sind sie entweder völlig unerklärlich oder es handelt sich um Wörter, die bei mystischen Stammes-Zeremonien gebraucht wurden, oder bei Stammes-Einweihungen, oder die in der Mythologie der Stämme zur Bezeichnung ihrer Gottheiten oder der Kräfte, Werkzeuge oder Instrumente der Götter benutzt wurden. Die Wörter wurden überliefert, aber ihre wirkliche Bedeutung geriet völlig in Vergessenheit.
Man darf aber nicht übersehen, dass solche linguistischen Fossilien außergewöhnlich selten vorkommen, soweit es sich um Dinge oder Ereignisse rein physischen oder materiellen Charakters handelt. Sehr zahlreich sind aber jene Fossilien, die mehr von abstrakten Dingen handeln, von solchen, die der Philosophie, der Religion, der Mystik und dergleichen angehören. Der Grund dafür ist, dass Wörter, die physische Dinge betreffen, eher und wahrscheinlicher aussterben und zwar mit dem Verschwinden der Dinge selbst, wenn diese nicht mehr in Gebrauch sind; dagegen bleiben Wörter der Religion oder Mystik erhalten.
Diese unglücklichen Mitmenschen liefern unbewusst den Beweis, dass etwas anderes als das menschliche Gehirn sich tatsächlich an die vergangenen Leben erinnert. Keiner kann seinen Prozess des ‘Werdegangs des Selbst’ in der astralen Schrift auf dem Bildschirm der Zeit ausradieren. Ebenso wenig kann ein Mensch ‘rückgängig’ machen, was er aus sich gemacht hat. Nur eine primitive oder verarmte Phantasie kann sich keine Vorstellung von der Allgegenwärtigkeit einer mystischen Realität machen. Die kulturellen Echos im Leben dieser Völker datieren sowohl aus der Zeit ihrer früheren Erfahrungen in Zyklen, in denen die Weisheit zunahm, als auch aus Perioden, in denen man sich der üblen Magie hingab.