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Quelle des Okkultismus

I – Die ursprüngliche Weisheitslehre

Die Weitergabe des Lichts

Es gibt nur einen Okkultismus, eine Wahrheit. Die Quelle der Weisheit ist auf dieser Erde die Bruderschaft der Adepten, das spirituelle Herz der Welt, aus dem ein unaufhörlicher Strom der Inspiration und Erleuchtung fließt. Sie ist der eine höchste Ursprung, aus dem sich alle Facetten der Wahrheit ableiten, die in den religiösen und philosophischen Systemen der Welt enthalten sind. Von dorther kommen nicht nur von Zeit zu Zeit die großen Weisen und Lehrer als Führer und Erzieher der Menschen, sondern auch Botschafter oder Boten, die, erkannt oder unerkannt, für das Wohl der Menschheit in der Welt wirken.

Diese Quelle der Weisheit wird von den edelsten spirituellen und intellektuellen Titanen gebildet, welche die Menschheit je hervorgebracht hat – Menschen, die mit dem inneren Gott eins geworden sind. Sie kennen sich gegenseitig, verbünden sich und bilden so die große Schule des Lichts und der Wahrheit, die große Bruderschaft. In den verschiedenen Zeitaltern wurden die Höheren unter ihnen mit unterschiedlichen Namen bezeichnet. In den buddhistischen Ländern sind sie als Dhyāni-Chohans bekannt; die alten Perser nannten die Mitglieder dieser solaren Hierarchie Amshaspends. Jüdische Mystiker und Kabbalisten sprachen von ihnen als Bnēi ’Elohīm, Söhne der Götter; und in anderen Ländern, wie im alten Ägypten, wurden sie Söhne des Lichts oder Söhne der Sonne genannt.

Unzählige Schulen des Okkultismus, die alle ihren Ursprung in der Mutter­schule hatten, haben in der Vergangenheit existiert, existieren gegenwärtig und werden in der Zukunft existieren. Die Mysterien Griechenlands und auch die persischen und ägyptischen Mysterien waren solche Schulen. Die einst in den beiden Amerika praktizierten Mysterien (wie die der Peru­aner und Mayas) waren ebenfalls Schulen mit der gleichen heiligen Tradition. Sowohl der Lamaismus in Tibet als auch der Vedānta Hindustans sind im Grunde Schulen des Okkultismus, obwohl sie auch exoterische Philosophiesysteme sind. Die Rosenkreuzer des Mittelalters waren ursprünglich eine mystisch-theosophische und quasi-esoterische Körperschaft. Auch die Martinisten Frankreichs, die sogar heute noch existieren, bilden eine der „okkultis­tischen“ Schulen. Daneben gibt es in Indien, in Kleinasien oder in Europa noch die sogenannten alchimistischen Körperschaften, deren Anhänger mehr nach Kräften oder Phänomenen streben.

Es gibt im Orient außerdem noch eine Anzahl größerer und kleinerer quasi-okkulter Gruppen, die auf ihre Weise die verschiedenen spärlichen Reste der mystischen Literatur studieren, die jene Länder in vergangenen Epochen hervorbrachten. In Persien, Ägypten, Syrien und in Teilen der Türkei existieren ähnliche, oft sich selbst sehr abschottende Gruppen, von denen man gewöhnlich nichts erfährt.

Jede derartige Vereinigung leistet in dem jeweiligen Land und Zeitalter auf ihre Weise eine gewisse wertvolle Arbeit, je nachdem, wie viel von der alten Weisheit ihre Lehren enthalten. Die von ihnen dargebotene Wahrheit wird jedoch allzuoft durch das verzerrende mentale Prisma jener gesehen, die sich von der Quelle entfernt haben. Als Schulen des Okkultismus können sie aber nur dann zu Recht bezeichnet werden, wenn sie die Herrlichkeit der großartigen Lehren, die sie ursprünglich von der Mutter­schule empfingen, getreulich weiterreichen. Es muss noch hinzugefügt werden, dass in der Welt gegenwärtig auf jedem großen Kontinent einige wenige, ja, nur ganz wenige echte esoterische Schulen mit der Bruderschaft verbunden sind.

Einige intuitive Gelehrte haben vermutet, dass die archaischen Mysterien­schulen im Besitz esoterischer Lehren waren. Diese wurden jedoch bis jetzt noch nie in zusammenhängender Form gefunden. In den verschiedenen Schriften des Altertums finden wir eine Andeutung hier, eine Bezugnahme dort, aber eine begründete und zusammenhängende Darstellung solcher Lehren, die etwas aussagen, gibt es nur an Orten, zu welchen bisher kein unein­geweihter Forscher bewusst vorgedrungen ist.

Zur Aufzeichnung der tieferen Wahrheiten für spätere Generationen verwendeten die alten Weisen und Seher Metaphern und Sprachbilder, oft in Form phantastischer und seltsamer Geschichten: Legenden, Märchen­erzählungen, mythologische Abenteuergeschichten. Platon zum Beispiel gab mit Hilfe von Mythen manchen versteckten Hinweis auf Dinge, die in den Mysterien gelehrt wurden. Da er wusste, was er tat, und dazu eine Erlaubnis erhalten hatte und den Mantel der Metapher verwendete, bedeutete dies keine Verletzung seines Eides, weder dem Buchstaben noch dem Geiste nach.

Tatsächlich ermöglichte die Anwendung esoterischer Ausdrücke in dieser Weise den großen Lehrern der Vergangenheit, sich gegenseitig Briefe zu schreiben, ihre Bücher zusammenzustellen und diese von Hand zu Hand weiter­zureichen. Die Eingeweihten konnten das, was sie lasen, verstehen – für sie war es verständlich und klar, aber für jemanden, der nicht innerhalb der „Tempelmauern“ empfangen worden war, waren die Lehren lediglich spekulative Philosophie oder vielleicht sinnloses Kauderwelsch.

Seit die Mysterien in den späten lemurischen und atlantischen Zeiten erstmals unter den Menschen eingeführt wurden, sind diese Weisheits­lehren in direkter Folge von einem Weisen zum anderen weitergereicht worden. Dieser Schritt war lebensnotwendig geworden, weil die Menschheit die Fähigkeit der direkten und bewussten Verbindung mit ihren göttlichen Vorfahren verloren hatte. Die Menschen wurden daher gelehrt, die Seele durch Willensanstrengung, verbunden mit intensivem Höherstreben, zu erheben, damit sie in direkte spirituelle und intellektuelle Verbindung mit ihrem eigenen inneren Gott oder mit einer anderen Gottheit gebracht werden konnten. Auf diese Weise sind die edelsten Wahrheiten über den Menschen und das Universum ursprünglich erkannt und später „gesungen“ worden (um den Ausdruck des Veda zu gebrauchen), das heißt: in menschlicher Sprache formuliert worden.

Aus welchem Grund wurde fast in der gesamten alten Literatur die spirituelle Lehre in die Form der Handlung auf einem Schlachtfeld gekleidet? Die Bhagavad-Gītā zum Beispiel berichtet vom Konflikt zwischen den geg­nerischen Armeen der Kurus und Pāṇḍavas. ln den germanischen und skandinavischen Mythologien findet ein ständiger Kampf zwischen Göttern und Helden statt, ebenso in den griechischen, ägyptischen, persischen und babylonischen Mythologien – alle sind sich in dieser Hinsicht gleich.

Die Frage ist leicht zu beantworten: Kleinen Kindern gibt man Märchenbücher; jenen, die nicht verstehen können, welchen Sinn der Friede und die Ruhe und die enorme Stärke haben, die in diesen Märchen beschrieben sind, erzählt man von Schlachten und Kämpfen, weil es dort immer einen Sieger und einen Besiegten gibt. Daher wurden in den alten Schriften geheime mystische Wahrheiten in epischer Form niedergeschrieben, um der geistigen Einstellung jener Epochen zu entsprechen. Hinter alledem standen jedoch die esoterischen Schulen1, die die Wahrheit und das Mitleid direkter lehrten, wie Laotse in China sagte: „Der Weg des Tao ist, sich nicht zu mühen.“ Das ist das Gegenteil von Quietismus, denn Quietismus ist normalerweise spirituelle Betäubung, wohingegen die gesamte Anstrengung darauf gerichtet sein sollte, in unserem Leben und mit jeder Faser unseres Wesens eine aktive Einstellung des Mitleids für die gesamte Menschheit zum Ausdruck zu bringen.

So wie aus den ursprünglich esoterischen Körperschaften die großen religi­ösen und philosophischen Schulen der Vergangenheit entstanden, genauso sollte die gegenwärtige theosophische Bewegung die spirituell-intellektuelle Pflanzschule sein, aus der die großen philosophischen, religiösen und wissenschaftlichen Systeme zukünftiger Epochen geboren werden – das Herz der Zivilisationen der kommenden Zyklen.

In jedem bedeutenden Zeitalter sind theosophische Bewegungen in verschiedenen Gegenden des Globus gebildet worden. Einige wenige hatten Erfolg; die meisten existierten eine Zeitlang, taten viel Gutes, erfüllten einen bestimmten Teil der Arbeit, die ausgeführt werden sollte, und scheiterten dann, wurden zu einer Kirche, zu einer Sekte, zu einer Reihe dogmatischer Glaubenssätze. Solche periodischen Anstrengungen, die zeitlosen Wahr­heiten in die Herzen der Menschen einzupflanzen, werden sich in alle Zukunft fortsetzen, bis sich die Menschen so weit entwickelt haben, dass sie das Licht, wenn es erscheint, willkommen heißen und es als ihre köstlichste Gabe schätzen werden.

So kam es, dass im Jahre 1875 zwei Menschen mit buddhagleicher Seele die Herausforderung annahmen, in gewissem Sinne selbst die Verantwortung für die Aussendung einer neuen Botschaft zu übernehmen, die durch die Macht der ihr innewohnenden Stärke und durch die überzeugende Kraft der Wahrheit die Menschen zum Denken anregen sollte. Von da an wurde die Wissenschaft durch neue Ideen bewegt; frische Impulse wurden in die Gedankenatmosphäre der Welt eingeflößt, und nicht zuletzt bekam das Ideal, für eine zukünftige universale Bruderschaft unter allen Völkern zu arbeiten, festen Halt. Das Hauptziel war: Diese alten spirituellen Prinzipien sollten in den religiösen und philosophischen Schichten und schließlich in der sozialen Struktur selbst wie Sauerteig im menschlichen Denken wirken. H. P. Blavatsky wurde zur Niederschrift ihrer Meisterwerke Isis entschleiert und Die Geheimlehre in­spi­riert – nicht mit dem Ziel, eine weitere Religion zu gründen, sondern um wieder einmal und in größerem Umfang die archaische Weisheitstradition der Menschheit in ihren esoterischeren Aspekten darzustellen. Somit war sie eines der Glieder in der Reihenfolge von Lehrern, die zu bestimmten festgesetzten Perioden zur Weitergabe esoterischen Lichts und esoterischer Wahrheit auftreten. Sie kam zu Beginn eines neuen messianischen Zyklus und am Ende eines alten und war daher Botschafterin für das kommende Zeitalter.

Die erwähnte Abfolge von Lehrern, in der einer dem anderen nachfolgt, findet seit unzähligen Jahrhunderten statt. Daran ist nichts Erstaunliches; es ist lediglich die Illustration für eines der Naturgesetze: So wie Generation auf Generation folgt und wie im evolutionären Plan eine Art nach der anderen Art erscheint, genauso gibt es auch hier eine Kette von weisen Menschen, die den Strom der Wahrheit durch die Zeitalter fortsetzt. In Sanskrit-Schriften wird diese Kette Guruparamparā genannt; dort werden zwei Erscheinungsformen unterschieden: erstens jene Weisen, einer erhabener als der andere, sozusagen von zunehmend größerer Weisheit und größerem spirituellen Rang; und zweitens jene, die einander zeitlich in einer ununterbrochenen Kette in der äußeren Welt der Menschen folgen.

Das gleiche Muster war auch den griechischen Dichtern und Philosophen bekannt, Homer und Hesiod sprachen beide von der Goldenen Kette, die Olymp und Erde verbindet, und spätere griechische mystische Schriftsteller sprachen von ihr als der Hermetischen Kette. Die Fackel des Lichts ist immer von Hand zu Hand weitergegeben worden und wird immer weitergegeben werden – solange der Ruf aus den Herzen der Menschen erschallt. Wenn dieser Ruf stirbt, bleibt zwar die Kette der Nachfolger intakt, aber die Lehrer arbeiten dann nicht mehr öffentlich.

Die Wächter der Menschheit – man nenne sie, wie man will: Meister, Mahatmas, Adepten oder ältere Brüder der Rasse – arbeiten, wo immer sie die kleinste Gelegenheit sehen, Gutes zu tun und die spirituelle Natur ihrer Mitmenschen zu fördern. Offensichtlich wird jede Gesellschaft oder Gruppe von Menschen oder jedes Individuum, das einem edlen Pfad im Leben zu folgen versucht, ihre Hilfe empfangen, wenn sie ihrer würdig sind. Würdigkeit ist der Prüfstein, der einzige Prüfstein. Wo immer der richtige Ruf erfolgt, wird er beantwortet. Aber jeder Ruf, der nur dem Eigenwohl dient, ist ganz bestimmt nicht der „richtige Ruf“. Der einzige von ihnen anerkannte Ruf ist der, welcher von jenen ausgeht, deren Herzen nach Licht streben, deren Geist Weisheit sucht und deren Seele von Mitleid erfüllt ist. Außerdem darf der Ruf nur zu dem Zweck erfolgen, diese Weisheit und das Licht, so wie sie empfangen werden, auf dem Altar des Dienstes für die Menschheit niederzulegen. Es gibt keine einzige ernsthafte Gefühlsregung, die unbeantwortet bleibt, keine einzige seelische Bestrebung, helfen zu wollen, die nicht gewissenhaft registriert wird.

Von dieser Art ist die Bruderschaft der Adepten, der Wächter und Hüter der ursprünglichen Weisheit. Ihre Mitglieder sind eidlich gebunden, sie im Geheimen und in der Stille zu bewahren, bis jemand an den Toren richtig anklopft. Sie selbst empfangen wiederum Licht von anderen, die höher stehen als sie; und so, immer weiter, wird diese theosophia – die Weisheit der Götter – entlang der Goldenen Kette Merkurs, des Erklärers, an die Menschen weiter­gegeben.

Spirituelle Erleuchtung wider psychische Illusion

Spirituelle und astrale Kräfte sind ständig am Werk, und das waren sie seit den frühesten Epochen der Erde. In der menschlichen Geschichte kommen jedoch bestimmte Zeiten, in denen die Tore zwischen unserer physischen Welt und den inneren Reichen teilweise geöffnet sind, sodass der Mensch für diese feinen Einflüsse empfänglicher wird. Wir verlassen gerade eine Ära materialistischen Lebens und Denkens und betreten eine spirituellere. Gleichzeitig ist die Welt voller Anzeichen, dass psychische Einflüsse überhandnehmen, und diese sind immer trügerisch, immer gefährlich, weil die astralen Reiche zu einem niederen Bereich der materiellen Existenz gehören und mit üblen mensch­lichen und anderen Emanationen angefüllt sind.

Das gilt natürlich auch für die gegenwärtige Periode, in der die spirituellen und astralen Energien zwar nicht besonders angeregt werden, in der wir aber am Kreuzungspunkt zweier großer Zyklen stehen, am Ende des einen Zyklus und am Beginn eines anderen. In Übereinstimmung mit diesem Übergang zyklischer Perioden ändert sich das Bewusstsein der Menschen schnell, es wird psychisch sensitiver. Darin liegt eine große Gefahr, aber auch eine größere Gelegenheit zu schnellerem Fortschritt, sofern das menschliche Bewusstsein auf höhere Dinge gerichtet wird, denn diese beschleunigte Veränderung wirkt besonders stark auf spirituelle Kräfte.

Das ist nichts Einmaliges; es geschah auch in der Vergangenheit. Eine ungeheure Anstrengung wurde zur Zeit des Niederganges der atlantischen Rasse unternommen – eine Anstrengung, deren Höhepunkt die Errichtung von Mysterienschulen war, die noch lange Zeitalter danach in den verschiedenen mystischen, religiösen und philosophischen Zentren der alten Welt ihren Ausdruck fanden. Wenn wir die heiligen Schriften der Welt prüfen, dann entdecken wir, dass die ältesten das größte Maß an archaischen esoterischen Lehren enthalten. Der Grund dafür liegt darin, dass von der Zeit des Untergangs der letzten Insel des atlantischen Kontinentalsystems an – der nach der Aufzeichnung Platons ungefähr 9000 Jahre vor seiner Zeit stattgefunden hat – der Materialismus in der Welt ständig zunahm und damit in gleichem Ausmaß eine stetige Abnahme spiritueller Impulse einherging. Dieser Zyklus ist jedoch, wie gesagt, kürzlich abgelaufen. Der Zyklus, den wir nun beginnen, ist sehr ungewöhnlich, weil er nicht zu der sogenannten messianischen Ära zählt, die 2160 Jahre dauert, sondern eine Zeitspanne von etwa zehn- bis zwölftausend Jahren umfasst.

Große Ereignisse bereiten sich vor, denn die gesamte zivilisierte Welt nähert sich einem kritischen Punkt ihrer Geschichte. Es ist buchstäblich ein Kampf zwischen den Kräften des Lichts und den Kräften der Finsternis im Gange und es steht auf des Messers Schneide, auf welche Seite der Scheidelinie zwischen spiritueller Sicherheit und spirituellem Rückschritt sich die Waagschalen des Schicksals neigen werden.

In einem kurz vor ihrem Tod geschriebenen Brief warnte H. P. Blavatsky:

Das Psychische mit all seinen Verlockungen und Gefahren entwickelt sich notwendigerweise unter Ihnen, und Sie müssen sich davor hüten, dass die psychische nicht der manasischen und der spirituellen Entwicklung voraus­eilt. Vollkommen unter Kontrolle gehaltene psychische Fähigkeiten, die vom Manas-Prinzip überprüft und geleitet werden, sind wertvolle Hilfen in der Entwicklung. Wenn aber diese Fähigkeiten wild wuchern und die Herrschaft übernehmen, statt kontrolliert zu werden, und wenn sie uns benützen, statt benützt zu werden, dann führen sie den Schüler in die gefährlichste Verblendung und in den sicheren moralischen Untergang. Beobachten Sie deshalb diese in Ihrer Rasse und Evolutionsperiode unvermeidliche Entwicklung sorgfältig, damit sie sich schließlich zum Guten und nicht zum Üblen auswirken möge.2

Unglücklicherweise, wie es immer der Fall ist in einem Zeitalter, das den Kontakt zum Spirituellen verloren hat, streben die Menschen heute nach Kräften, nach der Entwicklung der vermuteten, aber selten allgemein anerkannten höheren Fähigkeiten; und in ihrer Blindheit suchen sie außerhalb ihrer selbst. Ihre Herzen hungern nach Antworten auf die Lebensrätsel und deshalb holen sie sich so viel wie möglich von sich selbst anpreisenden Lehrern, die dafür werben, wie man psychische Kräfte erlangen und anwenden könne; und diese „Lehren“ sind stets mit dem Köder persönlichen Nutzens verbunden. Es ist schwer, über diese Dinge zu sprechen, ohne viele vertrauensvolle Seelen zu verletzen, die, da sie die Wahrheit nicht kennen, Dingen folgen, die ihnen als Anzeichen eines erfolgreicheren Lebens, als sie es haben, erscheinen. Das ist der Grund für die vielen sogenannten psychischen und quasi-mystischen Bewegungen3, die gegenwärtig existieren und in vielen Fällen die Menschen von dem Licht, das ihrem eigenen inneren Gott entströmt, wegführen, anstatt zu ihm hin. Wir müssen in diesen Dingen immer wachsam sein. Die Wellen des Astrallichts sind äußerst unzuverlässig, und Tausende und Abertausende folgen den Irrlichtern des psychischen Lichts statt dem stetig leuchtenden Glanz der Gottheit im Inneren.

Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass der Westen durch psychische Lehren, die an sich nichts Dauerhaftes aufweisen, in die Irre geführt wird. Die Anwender dieser Praktiken sind in neunundneunzig von hundert Fällen Menschen mit einer spirituell und psychisch ungeschulten Charakterveranlagung. Sie werden daher leicht von den psychischen Māyās gefesselt. Das bedeutet nicht, dass solche Fähigkeiten und Kräfte böse oder unnatürliche Bestandteile der menschlichen Konstitution sind, und auch nicht, dass sie nutzlos sind. Gemeint ist vielmehr, dass sie sehr gefährlich sind für jemand, der nicht die spirituelle Vision, die intellektuelle Kraft und den spirituellen Willen besitzt, um die psychische Natur, der diese Eigenschaften angehören, zu lenken und zu kontrollieren.

Gefährlich sind auch die Hatha-Yoga-Praktiken von psycho-astraler Art, die gewöhnlich mit Körperhaltungen verbunden sind, denen sich bestimmte Menschen unterziehen, indem sie versuchen, für sich selbst Kräfte niederer Art zu gewinnen. Diese Praktiken können nicht nur das Bewusstsein beeinflussen und es sogar von seinem normalen Platz verdrängen und dadurch Wahnsinn hervorrufen, sie können auch die normalen prāṇischen Kreisläufe des Körpers störend beeinflussen. Religiöse Fanatiker werden oftmals wahnsinnig, und in bestimmten sensitiven Zuständen werden die sogenannten Entrückten von den Unwissenden sogar als Vorbilder heiligen Lebens angesehen, nur weil vielleicht ihre Haut blutet und ihre Hände oder Füße Wundmale zeigen, von denen man annimmt, sie repräsentierten die Nägel des Kreuzes. Dasselbe kann von den Fakiren und einer niederen Art orientalischer Yogis gesagt werden. Es können Wirkungen erzeugt werden, die das Bewusstsein, die Gesundheit und auch das Leben selbst bedrohen. In all diesen Praktiken ist nicht ein Hauch von Spiritualität enthalten.

Wer den Pfad in der Hoffnung betritt, Kräfte irgendeiner Art zu erlangen, und sie als etwas von allergrößter Bedeutung ansieht, ist zum Misserfolg verurteilt. Er begibt sich auf einen sehr gefährlichen und fragwürdigen Weg, der schlimmstenfalls zu Zauberei und schwarzer Magie führt und ihm bestenfalls enttäuschende hohle Nüsse einbringt. Die spirituellen, intellektuellen oder psychischen Kräfte als solche werden sich zur rechten Zeit und in einer vollkommen natürlichen Weise im Laufe unseres Fortschritts entwickeln, voraus­gesetzt, dass wir den unbeugsamen Entschluss gefasst haben, ans Ziel zu gelangen, und vor allem, dass unser Herz stets von mitleidsvoller Liebe erhellt und erfüllt ist, von einer Liebe, die schon jetzt ein charakteristisches Kenn­zeichen der spirituellen Seele im Inneren ist.

Es liegt eine ungeheure Hoffnung und spirituelle Schönheit in den Lehren der esoterischen Tradition. Sie zeigen den Weg, auf dem wir evolvieren können, aber es hängt von dem Einzelnen ab, ob er an dem Strahl, der in ihm lebt und wirkt, aufsteigt oder nicht. Es ist zwar richtig, dass ein volles Verständnis der tieferen Bereiche der Philosophie hohe intellektuelle Kraft und spirituellen Weitblick erfordert; oft sind es aber sehr einfache Menschen, die ein großes Licht erkennen, denn das Licht scheint überall. Wir brauchen nur die geschlossenen Tore unserer Persönlichkeit zu öffnen und das Licht wird von allein hereinkommen; und wir werden dann instinktiv die verborgensten Geheimnisse der Natur erkennen.

Jesus, der Avatāra, im Westen so wenig verstanden, lehrte die gleichen Wahrheiten: Suchet zuerst die Schätze des Geistes, des Königreichs des Himmels, und alle anderen Dinge werden hinzugefügt, all die psychischen Kräfte, Energien und Fähigkeiten werden auf natürliche und sichere Weise sich einfinden, erhellt und geleitet durch die spirituelle Sonne im Inneren.

Was sind nun diese Schätze des Geistes? Nichts anderes, als jene spirituellen und intellektuellen Fähigkeiten und Energien, die uns im Denken und Handeln gottgleich machen: Willenskraft, Vision, Intuition, unmittelbare Sympathie mit allem Lebenden. Es gibt keinen Grund, weshalb wir Menschen nicht sofort mit der Nutzung unseres Erbes beginnen sollten. Alle Kräfte und Qualitäten und Eigenschaften liegen in uns, selbst jetzt, aber sie sind zum größten Teil latent, weil wir noch nicht gelernt haben, sie hervorzubringen. In Wirklichkeit sind wir es selbst, mit unserem gewöhnlichen niederen Bewusstsein und unseren Gefühlen, die „schlafen“, wohingegen unsere höhere Natur nicht im mindesten schläft, sondern intensiv aktiv ist.

Wenn zum Beispiel in einem Menschen der spirituelle Wille erweckt und aktiv ist, dann gewinnt dieser Mensch Macht über sich selbst, sodass er unter absoluter Selbstkontrolle steht, und sogar die Bewohner der astralen Welten können ihn in keiner Weise beherrschen. Der tätige Wille ist ein Energiestrom, das heißt, ein substanzieller Strom, genauso wie die Elektrizität Energie und Materie ist. Hinter dem Willen steht der Wunsch. Wenn der Wunsch rein ist, ist der Wille rein. Wenn der Wunsch böse ist, ist der Wille böse. Hinter dem Verlangen liegt das Bewusstsein. Deshalb entsteht durch das Verlangen der Wille im Bewusstsein. Wir wünschen etwas und sofort erweckt der Wille Intelligenz, die dann diesen Willen leitet, und wir handeln – oder enthalten uns der Handlung, was manchmal noch besser ist.

Es gibt ein göttliches Verlangen4, das im Menschen spirituelles Streben genannt wird; davon gibt es auch die materielle Reflexion. Wie viele von uns lassen es zu, dass ihr Wille von den egoistischen und selbstischen Impulsen des niedrigeren Aspekts unserer Wunschnatur, dem Kāma-Prinzip, geleitet wird! Da der menschliche Wille in Buddhi-Manas wurzelt, sollten aber konsequenterweise die Intuition und das höhere manasische Prinzip unseren menschlichen Willen zu den edleren Taten anleiten, denn es gehört zu unserer Aufgabe, diese auszuführen: Taten der Bruderschaft und der unpersönlichen Dienstleistung; das ist die wirkliche Natur und Eigenschaft des spirituellen Ego, des buddhi-manasischen Prinzips im Menschen.

Intuition bringt sich als sofortige Vision, als sofortiges Wissen zum Ausdruck. Es besteht aber ein großer Unterschied zwischen Weisheit und Wissen. Weisheit kann als das Wissen des höheren Ego, der spirituellen Seele, bezeichnet werden und Wissen als die Weisheit der Persönlichkeit. In beiden Fällen ist es die Einlagerung des Gelernten und Wiedervergessenen in die Schatzkammer der Erfahrungen – ein Speicher, der nicht aus einer großen oder kleinen Kammer besteht, sondern der wir selbst sind. Jede Erfahrung ist eine Modifikation des verstehenden Selbst; und der Speicher der Erinnerung ist mit den Aufzeichnungen aus langen Zeiträumen angefüllt, genauso wie die Persönlichkeit von der karmischen Aufzeichnung aller vorhergehenden Persönlichkeiten geprägt und geformt ist, die sie erzeugt haben. Weisheit, Wissen und innere Kraft sind Fähigkeiten des Geistes. Sie sind die Früchte der evolutionären Entfaltung der inhärenten Kraft der Geist-Seele. Intuition an sich ist spirituelle Weisheit und erworbenes Wissen, das in vergangenen Leben im Schatzhaus der Geist-Seele gesammelt wurde. Andererseits kann Instinkt als der passive Aspekt der Intuition bezeichnet werden. Die Intuition selbst ist die tatkräftige, die Willensseite, der wache und aktive Aspekt. Instinkt kommt in allen Wesen der Natur zum Ausdruck: Die Atome bewegen sich und singen vermöge des Instinkts, wie es auch der Mensch unter Anwendung seines Bewusstseins und seines Willens tun kann; aber der Gesang und die Bewegung der Intuition sind unvergleichlich erhabener als der Gesang und die Bewegung des Instinkts. Beide sind Funktionen des Bewusstseins, die eine ist vegetativ, automatisch, die andere tatkräftig und wach.

Der Geist ist alldurchdringend, überall lebendig und sich bewegend, denn er ist universal. Spirituelles Hellsehen, wovon das psychische Hellsehen nur ein tanzender Schatten ist, befähigt den Menschen, hinter alle Schleier der Illusion zu sehen, zu erfahren, was auf jedem noch so weit entfernten Stern in den Gefilden des Raumes vor sich geht. Es ist die Kraft, die Wahrheit der Dinge auf einen Blick zu erfassen, die Herzen der Menschen zu erkennen und ihr Denken zu verstehen. Es ist die Fähigkeit, mit dem inneren Auge zu sehen. Es ist nicht so sehr ein Sehen von Formen als ein Erlangen von Wissen, und weil dieser Wissenszuwachs auf eine Art erfolgt, die dem Sehen mit dem physischen Auge fast gleicht, nennt man es direkte Vision.

So ist es auch beim spirituellen Hellhören. Es ist keine Hörfähigkeit des physischen Ohres (oder des Sehens, denn manchmal werden Töne gesehen und Farben gehört, da eine Wechselbeziehung zwischen den Sinnen besteht), sondern das Hören mit dem geistigen Ohr. Die Töne, die mit dem geistigen Ohr vernommen werden, werden in der Stille gehört, wenn alle Sinne schweigen. Solches spirituelles Hellhören befähigt den Menschen dazu, die Bewegungen der Atome zu hören, während sie ihre individuellen Hymnen singen; das Wachsen des Grases zu hören, das Entfalten der Rose – alles wie eine Symphonie zu hören.

Sokrates pflegte zu seinen Mitmenschen zu sagen, dass sein Daimónion, sein innerer Mahner, ihm nie sage, was er tun solle, sondern immer, was er nicht tun solle.5 Dieses Daimónion war die „Stimme“ des höheren Ego, die bei hervorragenden Menschen oft eine sehr starke Energie aufweist – und bei einigen übersensiblen Naturen kann sie wie eine „Stimme“ gehört werden. Es ist keine wirkliche Stimme (obwohl sie manchmal dem physischen Gehirn als solche erscheint), es ist vielmehr ein innerer Drang, der sich möglicherweise auch in Form von Lichtblitzen und innerer Vision manifestiert.

Wir können weder uns selbst noch andere verstehen, ehe wir nicht das verstehende Herz entwickelt haben. Der Schlüssel ist Sympathie, und der Weg besteht in der Betrachtung des göttlichen Wesens im Inneren. Wenn wir danach streben, ihm in jedem Augenblick unseres Lebens in höherem Maße gleich zu werden, wird das Licht kommen und wir werden die Wahrheit erkennen, wo wir sie finden. Wir werden mitleidsvoll und stark werden – Eigenschaften, die die wahren Insignien des selbsterleuchteten Menschen sind. Die erste Lektion ist also, das Licht unseres eigenen inneren Gottes zu suchen und ihm allein zu vertrauen. Wenn wir diesem Licht folgen und von seinen gewaltigen und lebenspendenden Strahlen erwärmt werden, dann werden wir das gleiche Gotteslicht in anderen sehen.

Wenn wir zur ursprünglichen Quelle gehen, finden wir das klarste Wasser, warum sollten wir also von dem schmutzigen Wasser Hunderte von Kilometern vom Ursprung entfernt trinken? Wenn ein Mensch sich selbst und die wunderbaren Kräfte und Fähigkeiten, die sein eigen sind, kennenlernen möchte, dann möge er sich selbst überall im Universum erkennen und jenes Universum studieren, als wäre er es selbst. Ein Epigramm? Vielleicht; aber ein wirklicher Meisterschlüssel zur Weisheit, der nicht nur die Essenz jeder Initiation enthält, sondern die Essenz allen künftigen Wachstums.

Der stille, schmale Pfad

Alle exoterischen Schulen lehrten als Hauptgrundlage ihrer Existenz: „Mensch, erkenne dich selbst!“ Das war schon immer so, und der Schlüssel dazu liegt in vielen Dingen. Er liegt im Studium der Leiden, die die komplexe Persönlichkeit durchmachen muss, bevor ihr verschlungenes Labyrinth der Selbstsucht überwunden ist; und er liegt auch auf einer mehr exo­terischen Ebene, im sorgfältigen Studium der erhabenen Schriften ver­gangener Zeit­alter: in der Verstandesarbeit, in der Herzensarbeit, in der Arbeit der Seele und in der Arbeit der Seher und Weisen aller Zeiten. Den wichtigsten Schlüssel von allem findet man aber im Bemühen um Liebe für andere, im äußersten Vergessen des eigenen Ich. Darin liegt das Mysterium der Buddhaschaft, das Geheimnis der Sendung Christi: sich selbst vergessen, aufgehen in allumfassender, selbstloser, grenzenloser Liebe für alles, was ist.

Manche Menschen glauben, der Pfad, auf dem man das spirituelle Ziel erreicht, sei weit weg hinter den Bergen der Zukunft, fast unerreichbar, während in Wirklichkeit nur eine verhältnismäßig schmale Grenze das gewöhnliche Leben von dem Leben trennt, das der Neophyt oder Chela führt. Der wesentliche Unterschied liegt in der Lebenseinstellung und nicht im metaphysischen Abstand. Es ist derselbe Unterschied, der zwischen dem Menschen besteht, der der Macht der Versuchung unterliegt und ihr Sklave wird, und jenem Menschen, der der Versuchung erfolgreich widersteht und ihr Meister wird.

Jeder kann den Pfad betreten, wenn sein Wille, seine Hingabe und sein Streben darauf gerichtet sind, für andere eine größere Hilfe zu sein. Das Einzige, was ihn daran hindert, diesen so wunderbaren Schritt zu tun, sind seine Überzeugungen, seine psychologischen und mentalen Vorurteile, die ihm ein verzerrtes Bild vermitteln. Wir alle sind Lernende, wir alle haben Illusionen. Selbst die Mahatmas und Adepten haben Illusionen, wenn auch von außerordentlich subtiler und erhabener Art, die sie daran hindern, noch höher zu steigen, und das ist einer der Gründe, warum sie so mitleidsvoll zu jenen sind, die sich bemühen, denselben erhabenen Pfad zu beschreiten, den sie selbst in früheren Zeiten erfolgreich vorangegangen sind.

Der schnellste Weg, diese Illusionen zu überwinden, ist der, sie an der Wurzel zu packen, und diese Wurzel ist die Selbstsucht in ihren tausend­fachen Formen. Sogar das Verlangen nach Fortschritt, wenn es nur das eigene Ich betrifft, beruht auf Selbstsucht, und diese bringt wiederum ihre eigenen feinen und mächtigen Māyās hervor. Deshalb wird jegliches Erfolgsstreben sich unweigerlich selbst zunichte machen, solange es nicht frei von allem Persönlichen ist, denn der Weg des inneren Wachstums ist Selbstvergessenheit. Er bedeutet, persönlichen Ehrgeiz und Sehnsüchte jeglicher Art aufzugeben und ein selbstloser und unpersönlicher Diener für alles zu werden, was lebt.

Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der Zweck des echten Okkultismus nicht darin besteht, „Schüler zu produzieren“ oder widerspenstiges „Menschenmaterial“ in Individuen umzuwandeln, die nur nach eigenem Fortschritt streben. Unsere unvollkommene menschliche Natur soll vielmehr gebessert werden, damit wir zuerst edle Menschen und schließlich gottgleich werden – im Sinne der überlieferten archaischen Methoden der Unterweisung und der Schulung, wie sie seit Jahrtausenden erkannt und angewandt werden.

Chelaschaft ist eine Vision, aus der Überzeugung und eindeutiges Handeln entstehen. Alle moralischen Verhaltensregeln, die man sowohl in den großen Werken alter Philosophien als auch im theosophischen Schrifttum finden kann, sind für den Suchenden nur großartige Hilfen beim Versuch, sich von der Selbstsucht zu befreien. Die wahren Regeln der Ethik sind ein ungeschriebenes Gesetz, sie unterliegen daher keinem Dogmatismus und können nur schwerlich durch konventionelle Vorstellungen oder Missdeutungen von Menschen, die über bloße Worte debattieren und streiten, unterdrückt werden. Ihr Kern ist sehr einfach, denn die erhabensten und tiefsten Wahrheiten sind immer die einfachsten. Es gibt manchmal Augenblicke, in denen ich meinen Schreibstift weglege und zu mir selbst sage: „Nehmen wir doch die einfachen Wahrheiten, damit auch die Kinder in ihrer unverdorbenen Art, mit ihrem schnellen und klaren Auffassungsvermögen, sie begreifen können.“ Es ist schwer, ein Kind ständig zu hintergehen. Wenn aber gesagt wird, der Neophyt müsse erst wieder wie ein Kind werden, so ist damit nicht gemeint: kindlich oder einfältig! Wir brauchen das Herz eines Kindes – vertrauensvoll, intuitiv und aufgeweckt.

Intellektuelle Schulung ist sehr wertvoll und hilfreich, aber es ist für die Menschen die am schwierigsten zu lernende Aufgabe, wie ein „Kind“ zu werden. Der Gehirn-Verstand ist ein gutes Instrument, wenn er gelenkt und geschult wird. Wenn er aber seinen eigenen Neigungen und Impulsen überlassen wird, ist er eher wie ein Tyrann, denn er ist immer selbstsüchtig. Sein Vorstellungsvermögen ist zwangsläufig auf die Wirbel der unteren und begrenzten Bewusstseinsebenen der manasischen Verbindung zur Persön­lichkeit beschränkt. Die höher entwickelte Erkenntnis liegt in der höheren Natur, und nur diese kann die innere Bedeutung der Lehren begreifen. Der Verstand allein kann die Lehren intellektuell wohl einigermaßen gut erfassen, aber nur dann, wenn er von der inneren Erkenntniskraft unterstützt wird. Jemand kann wirklich aufrichtig lernen wollen und völlig bereit sein, zu erproben und zu erforschen, aber der buddhische Glanz kann dennoch fehlen. Den einzigen Tauglichkeitsbeweis liefert der Mensch selbst, denn wenn das buddhische Licht auch noch so schwach leuchtet, so genügt es d­ennoch. Dieser Mensch hat dann das esoterische Recht zu wissen.

Selbstüberwindung ist der Weg des Wachstums. Die ganze Wahrheit ist in diesen einfachen Worten enthalten. Es ist ein langsames Wachstum, wie bei allen großen Dingen, und wenn es Erfolg haben soll, muss der Mensch sich selbst entfalten. Es gibt keinen anderen Weg als den der inneren Entwicklung; das ist kein leichter Weg. Wenn jemand sich in den alltäglichen Dingen des Lebens nicht beherrschen kann und nicht weiß, wer oder was er ist, dann hat er auch keine Kontrolle über die Ereignisse und Erfahrungen, die unweigerlich mit jedem noch so kleinen Schritt auf dem Wege zum „engsten aller Tore“ auftauchen werden.

Es liegt ein seltsamer Widerspruch darin, dass jemand, der Herr seiner selbst werden möchte, völlig selbstlos werden und doch durchaus er selbst sein muss. Das niedere Selbst muss ausgeschaltet werden – nicht getötet, sondern ausgelöscht, was bedeutet: Es muss von dem Höheren Selbst eingesogen und absorbiert werden, denn das Höhere Selbst ist unser essenzielles oder wirk­liches Wesen und das niedere Selbst ist lediglich ein Strahl davon – sozusagen beschmutzt, verunreinigt, weil es von dieser Welt der tausendfachen Illusionen angezogen wird.

Der Mensch, der am leichtesten getäuscht wird, ist der Mensch, der am tiefsten in der Māyā verstrickt ist; oft sind das die sogenannten Weltklugen. Einen Adepten kann man nicht täuschen, denn er würde den Versuch der Irreführung augenblicklich erkennen, weil man ihn mit persönlichen Neigungen seines Wesens nicht fangen kann. Was man auch tun und sagen mag, er wird davon nicht beeinflusst. Er wird auch von den Gedanken und Vorstellungen nicht angezogen, solange diese noch die geringsten Spuren der Selbstsucht zeigen und nicht universal sind. Er steht über jenen Illusionen, er hat sich durch sie hindurchgekämpft, sie erkannt und verworfen. Noch bevor wir es selbst erkennen, spüren die Meister die zarteste Regung des wahren Chela-Geistes. Der Ruf, der an sie ergeht, ist gewaltig, und unverzüglich entsteht eine anziehende Sympathie.

Folgen wir diesem Gedanken noch weiter: Trifft ein Neophyt mit all seiner Kraft eine wohl durchdachte, wirkliche Entscheidung, so entzündet er damit ein inneres Licht. Das ist der buddhische Glanz, der, wie bereits erwähnt, von den Lehrern verständnisvoll wahrgenommen, beobachtet und betreut wird; und damit ist der Neophyt ein „angenommener Chela“. Wie lange wird dieser Zustand dauern? Niemand wird von in der Welt umher­reisenden Magiern ausgewählt, die von ihm glauben mögen, er sei geeignetes Material. Die Dinge liegen ganz anders. Der Mensch selbst hat die Freiheit der Wahl: Er wählt seinen Weg; er trifft seinen Entschluss; und wenn das buddhische Licht gesehen wird, und sei es auch nur ein Funke, so ist er bereits angenommen, obgleich dieser Umstand dem einzelnen Menschen zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt sein mag. Danach hängt alles von ihm selbst ab, ob er erfolgreich ist oder ob er auf der Strecke bleibt.

In den seltensten Fällen weiß der Schüler sofort, dass er angenommen ist, denn im Allgemeinen wird er auf hunderttausend verschiedene Arten geprüft, die sich aus den gewöhnlichen Begebenheiten des Lebens und den darauf folgenden Reaktionen des Aspiranten ergeben. Sobald der Schüler jedoch seinen Lehrer erkennt, wird der Pfad sowohl leichter als auch schwieriger – leichter, aufgrund der neuen Überzeugung, zumindest einen gewissen Erfolg erzielt zu haben, und auch, weil daraus frischer Mut und Selbstvertrauen erwachsen; ungemein schwieriger jedoch, weil er von nun an einer direkteren Schulung und Führung untersteht und geringe Ausrutscher und Rückfälle, die am Anfang mit großer Milde geduldet wurden, fortan sehr ernste Konsequenzen nach sich ziehen.

Überdies gibt kein Lehrer sich seinem Schüler zu erkennen, bevor dieser nicht viele belehrende Warnungen aus seinem eigenen Inneren erhalten hat. Der Grund ist offensichtlich: Niemand wird jemals angenommen, solange er nicht von seiner eigenen inneren Gottheit angenommen worden ist, d. h. bevor er sich nicht der inneren Regung eines wunderbaren Mysteriums mehr oder weniger bewusst geworden ist.

Um eine solche Wahl treffen zu können, ist natürlich eine gewisse Stufe des Fortschritts notwendig. Jeder normale Mensch kann jedoch diese Wahl treffen, denn Geist und Materie haben in ihm bereits ein mehr oder weniger stabiles Gleichgewicht erreicht. Mit anderen Worten, jeder Mensch, der das Christus-Licht in seiner Seele und in seinem Herzen zu erwecken vermag, kann auf jeder Stufe den Weg der Chelaschaft beginnen. Was zählt, ist das Opfer seines niederen Selbst auf dem Altar. Kein menschlicher Hilferuf verhallt jemals ungehört, wenn dieser Ruf nach mehr Licht unpersönlich ist. Der Prüfstein ist Unpersönlichkeit.

Wir dürfen jedoch nicht annehmen, dass Entsagung und Opfer – weil diese Worte so oft gebraucht werden – den Verlust von irgendetwas Wertvollem bedeuten. Im Gegenteil. Entsagung und Opfer sind kein Verlust, sondern ein unbeschreiblicher Gewinn. Die Dinge aufzugeben, die uns herabwürdigen, die einen Menschen erniedrigen, unbedeutend und kleinlich machen, das bedeutet, dass wir unsere Fesseln abwerfen und die Freiheit und den Reichtum des inneren Lebens gewinnen, und vor allem, dass wir selbstbewusst unsere essenzielle Einheit mit dem All erkennen.

Es sollte klar verstanden werden, dass diese Schulung, die aus Lernen und Selbstdisziplin besteht, aus den spirituellen und intellektuellen Regungen der eigenen Seele des Schülers kommt. Niemals waren und werden damit die familiären Rechte und Pflichten beeinträchtigt oder verletzt. Chelaschaft ist nichts Überirdisches, Exzentrisches oder Sonderbares. Wenn es sich so verhielte, dann wäre es keine Chelaschaft. Sie ist der natürlichste Pfad für uns und wir sollten uns bemühen, ihm zu folgen, denn indem wir uns mit dem Edelsten in uns verbinden, verbinden wir uns mit den spirituellen Kräften, die das Universum lenken und regieren. Bereits in diesem Gedanken liegt Inspiration.

Das Leben eines Neophyten ist wirklich schön und wird immer noch schöner, je mehr die Selbstvergessenheit in seinem Leben zunimmt. Zuweilen kann es aber auch sehr traurig sein; das kommt daher, weil es ihm unmöglich ist, sich selbst zu vergessen. Er sieht seine große Einsamkeit und sein Herz sehnt sich nach Gefährten. Anders gesagt: Seine menschliche Natur sucht nach einem Rückhalt. Doch gerade durch die Überwindung dieser Schwächen wird er zum Meister des Lebens, mit der Fähigkeit, in jeder Situation aufrecht, stark und allein zu stehen. Man darf jedoch keinesfalls annehmen, die Mahatmas seien ausgetrocknete Exemplare von Menschen, ohne menschliche Gefühle und ohne menschliches Mitleid. Im Gegenteil: In ihrem Inneren sind sie weitaus lebendiger als wir. In ihnen fließt ein weitaus kräftigerer und stärker pulsierender vitaler Strom. Ihr Mitgefühl ist so weitherzig, dass wir sie noch nicht verstehen können, doch eines Tages werden wir sie verstehen. Ihre Liebe schließt alles ein; sie sind unpersönlich, und daher werden sie universal.

Chelaschaft bedeutet: zu versuchen, den in uns wohnenden Meister hervorzubringen, denn er ist bereits dort gegenwärtig.

Wenn man jedoch weit genug voranschreitet, dann kommt einmal der Zeitpunkt, an dem sogar die Pflichten gegenüber der Familie aufgegeben werden müssen. Die Umstände werden dann aber so sein, dass dieses Auf­geben der Pflichten sowohl dem Betroffenen als auch seinen Angehörigen zum Segen gereichen wird. Es sollte sich jedoch niemand von der gefähr­lichen Theorie täuschen lassen, dass sich ein Mensch, je höher er steigt, um so weniger an das Gesetz der Moral zu halten brauche. Genau das Gegenteil ist wahr. Einem anderen Unrecht zuzufügen, ist niemals recht.

Bei keinem einzigen Schritt auf diesem erhabenen Pfad gibt es jemals irgendeinen äußeren Zwang. Es gibt nur das edle Begehren – das aus der sehnsuchtsvollen Seele des Aspiranten aufsteigt – immer weiter und weiter nach innen und nach oben vorwärts zu schreiten. Am Anfang wird jeder Schritt dadurch gekennzeichnet, dass man etwas überwunden hat, dass man einen Teil der persönlichen Fesseln und Unvollkommenheiten, die uns an diese materiellen Bereiche ketten, fallen gelassen hat. Immer wieder wird uns mit Nachdruck gesagt, dass die erhabenste Lebensregel darin besteht, in uns selbst unsterbliches Mitleid mit allem, was lebt, zu hegen. Dadurch wird man selbstlos und die wandernde Monade ist schließlich imstande, das Selbst des kosmischen Geistes zu werden, ohne dass die Monade ihre Individualität verliert.

In dem soeben Dargestellten liegt das Geheimnis des Fortschreitens: Um größer zu sein, muss man größer werden; um größer zu werden, muss man das Geringere aufgeben; um ein Sonnensystem im eigenen Denken und Leben zu erfassen, muss man die Grenzen der Persönlichkeit, das, was nur menschlich ist, aufgeben, was bedeutet, sie zu überwinden und darüber hinauszuwachsen. Indem wir die Bereiche des niederen Selbst aufgeben, gehen wir in die Bereiche des größeren Selbst, in die Selbstlosigkeit ein. Niemand wird einen einzigen Schritt dem größeren Selbst, das bereits seine eigene höhere Natur ist, entgegengehen, ehe er nicht lernt, dass „für sich selbst zu leben“ das Hinab­gehen in noch dichtere und begrenztere Sphären bedeutet und dass „zu leben für alles, was ist“ bedeutet, dass sich die eigene Seele für dieses größere Leben erweitert. Alle Mysterien des Universums liegen latent in uns, alle seine Geheimnisse sind dort zu finden, und jeder Fortschritt in esoterischer Erkenntnis und Weisheit ist nur ein Entfalten dessen, was schon im Inneren vorhanden ist.

Wie unbedeutend erscheinen uns die menschlichen Probleme, die uns so sehr quälen, diese große Sorgenlast, wenn wir gelegentlich über diese unendlich trostvollen Tatsachen nachdenken. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn einer der Autoren der Bibel erklärt, dass nicht einmal ein Sperling vom Himmel fällt, ohne dass der HERR es weiß; dass es kein einziges Haar auf unserem Haupte gibt, das nicht gezählt und für das nicht gesorgt würde. Und weitaus mehr noch wird für uns getan. Auch diese Welt der Wahngebilde und der Schatten ist ein wirklicher und untrennbarer Bestandteil des Grenzen­losen, aus dem wir hervorgegangen sind und zu dessen göttlichem Herzen wir eines Tages auf den Schwingen unserer gesammelten Erfahrungen zurück­kehren werden, auf Flügeln, die uns über die Täler hinweg zu den fernen Berg­gipfeln des Geistes tragen werden.

Gelöbnisfieber und spiritueller Wille

Es kann zuzeiten vorkommen, dass sehr sensitive Menschen bei ihrer ersten Berührung mit dem Chela-Pfad aufs Tiefste erschüttert werden und dass ihr Herz und ihr Verstand stark darunter leiden. Das ist ganz natürlich. Es ist in Wirklichkeit die innere Stimme der Seele, die einen vagen Schimmer des spirituellen Lichts erhascht hat. Da das Gehirn das aber weder fassen noch begreifen kann, ergibt sich daraus eine seelische Qual. Manchmal kommt als Zwillingsschwester des inneren Leidens und des Schmerzes aber auch eine übergroße Freude, eine derart lebhafte Hochstimmung, die zu ertragen sogar noch schwieriger sein kann.

Die meisten Fälle, in denen der Aspirant emotionale oder mentale Qualen und Spannungen durchmacht, sind typisch für das, was H. P. Blavatsky Gelöbnisfieber nannte. Zwar erleben viele es unbewusst oder lediglich halbbewusst, doch verstehen bedauerlicherweise nur wenige, um was es sich in Wirklichkeit handelt. Am treffendsten kann man es als fiebrigen Zustand des Denkens und der Gefühle beschreiben. Oft ist es mit schädlichen Auswirkungen auf den Körper verbunden. Es entsteht aus dem aufgewühlten inneren Wesen, gewöhnlich aus dem kāma-manasischen Teil der menschlichen Konstitution.

Das Gelöbnisfieber kann sowohl von edler als auch unedler Natur sein. Wie schon HPB6 darlegte, treten „gewisse okkulte Wirkungen in Erscheinung“, sobald man gelobt, sein Leben in den Dienst für andere zu stellen. „Die erste Folge ist, dass alles, was in der Natur des Menschen verborgen liegt, äußerlich in Erscheinung tritt: seine Fehler, Gewohnheiten, Eigenschaften oder die unterdrückten Wünsche guter, böser oder indifferenter Art. … Wir alle kennen unsere irdische Herkunft, wer aber hat schon jemals alle astralen, psychischen und spirituellen Bindungen der Abstammung zurückverfolgt, die das ausmachen, was wir heute sind?“

In seinen Kommentaren über das, was HPB gesagt hat, und über die Wirkung des Gelöbnisfiebers auf den ernsten Schüler schrieb William Q. Judge:7

… Es ist eine Art Hitze in der gesamten Natur, die wie die Luft im Treibhaus alle guten und bösen Samen plötzlich aufgehen lässt, die sich dann im Menschen zeigen. …

Das Fieber ergreift die gesamte Wesenheit und schließt daher auch unsere verborgenen und unbekannten Charakterzüge mit ein, die für gewöhnlich ruhen und auf andere Inkarnationen und andere Bedingungen warten, um in späteren Jahrhunderten und in neuen Zivilisationen hervorzutreten.

In einem weiteren, im Jahre 1890 veröffentlichten Rundbrief fügte er hinzu:

Es darf auch nicht vergessen werden, dass jenes Gelöbnis8 sowohl hilf­reiche als auch oppositionelle Kräfte herausfordert. Wenn man das Höhere Selbst aufrichtig und ernst anruft, öffnet sich ein Kanal, durch welchen alle segensreichen Einflüsse aus den höheren Ebenen einströmen. Jede erneute Anstrengung wird durch neue Stärke belohnt, mit jedem Schritt vorwärts kommt neuer Mut. …

Habe also Mut, Schüler, und gehe deinen Weg beharrlich weiter durch die Entmutigungen und Erfolge hindurch, die deine ersten Schritte auf dem Pfad der Prüfung begleiten. Verweile nicht, um deine Fehler zu bedauern; erkenne sie und suche aus einem jeden seine Lektion zu lernen. Zweifle nicht an deinem Erfolg. So erlangst du allmählich Selbsterkenntnis, und aus Selbsterkenntnis wird sich Selbstbeherrschung entwickeln.

Das Gelöbnisfieber tritt in zahlreichen Formen in Erscheinung, die jedoch meistens dieselbe Ursache haben. Ein übersteigerter und unkluger Enthu­siasmus ohne entsprechendes mentales und emotionales Gleichgewicht ist zum Beispiel eine eindeutige Form eines psycho-mentalen Fiebers. Energieausbrüche, auf die schwere Reaktionen folgen; Gemütszustände, in denen der Schüler alles außer dem einen Ziel aufgeben, in denen er alles als total wertlos wegwerfen möchte, auch jene Dinge, die er als Mensch eigentlich schätzen sollte; die unbegründete Überzeugung, dass jeder andere, nur er selbst nicht, schuld daran sei, wenn Probleme auftauchen – alles das sind Erscheinungs­formen des Gelöbnisfiebers, eines Fiebers, das vom Über­enthusiasmus kommt, der das Herz erfüllt, und von dem lebhaften Gefühl der Verantwortung, die man ernsthaft auf sich genommen hat.

Gelöbnisfieber ist ein Zeichen von Ehrlichkeit; es ist auch ein Zeichen dafür, dass das Herz zutiefst berührt ist und dass wir im Inneren nachhaltig beeindruckt worden sind. Das bedeutet in Wirklichkeit, dass der Schüler seine Lebensumstände, wie auch immer diese beschaffen sein mögen, aus einer grundsätzlich anderen Perspektive zu überblicken beginnt und dass er auch bemüht ist, die alten Fesseln seines Ichs zu sprengen. So betrachtet ist es ein positives Anzeichen, erkennt man doch, dass die innere Natur aufgewühlt worden ist, dass der Aspirant Fortschritte macht; und alles ist besser als völlige, kaltherzige Gleichgültigkeit, die einem spirituellen und intellektuellen Schlaf gleichkommt.

Das hoffnungslose Gefühl der Entmutigung und der „totalen Erschöpfung“, das manchmal verspürt wird, ist einfach eine Reaktion, ein Teil des Gelöbnisfieber-Zyklus; genauso wie der Körper eines Patienten nach einem Fieberanfall eine Zeitlang schwach, erschöpft und teilnahmslos ist. Allerdings ist das Gelöbnisfieber auch ebenso gefährlich wie das Fieber, das entsteht, wenn die Natur bemüht ist, Giftstoffe aus dem Körper zu entfernen, um ihn zu heilen und zu reinigen. Es wäre viel besser, wenn es dem Schüler gelänge, durch Anstrengung und festen Willen das dringend erforderliche Gleich­gewicht und die ruhige Zuversicht der unbesiegbaren Stärke wiederher­zustellen. Dabei soll an die Worte von Horaz in einer seiner Oden (3. Buch, III) erinnert werden: Justum et tenacem propositi virum. …, „ein aufrichtiger Mann, beharrlich in seinem Ziel“ – einer, dessen unbeugsamer Wille weder durch Drohungen der Tyrannen noch durch die Blitze des Zeus, weder durch das Geschrei des Mobs noch durch die Wogen der stürmischen See erschüttert werden kann. Nichts dergleichen vermag einen solchen Menschen zu erschüttern.

In diesen Situationen muss man einen sicheren Mittelweg zwischen den beiden folgenden Verhaltensweisen finden und einhalten: Einerseits darf man nicht ungesunde Gefühlsregungen züchten und andererseits sollte man nicht kaltherzig und mitleidlos gegenüber jenen sein, die die fieberhaften Versuche der strebenden, nach Licht suchenden Seele durchmachen, aber noch in die verblendenden Schleier der Gefühle eingehüllt sind und sich deshalb in jedem Augenblick in echter Gefahr befinden, vom Pfad abzukommen.

Haben wir erst einmal den Pfad betreten, können wir nicht mehr zurück. Es ist unmöglich; die Türen haben sich hinter uns geschlossen. Wir können zwar versagen und in Schlaf versinken oder sterben, danach müssen wir aber weitergehen. Wenn innere Verwirrung den Schüler überkommt und die fiebrigen Zustände verstärkt auftreten, sollte er seinen spirituellen Willen gebrauchen und die göttliche Weisheit der höheren Ebenen seines Wesens in Anspruch nehmen; denn Wille ist Energie und arbeitet wie alle Formen der Energie sowohl aktiv als auch passiv. Der aktive Wille wird von der richtunggebenden Intelligenz und der innewohnenden Seele bewusst in Gang gesetzt. Der passive Wille ist der vegetative Wille, es sind jene Aspekte, die die automatischen Abläufe des Körpers und der Handlungen regeln.9 Jeder Mensch kann den spirituellen Willen entwickeln. Wie W. Q. Judge schrieb:

Spiritueller Wille wird durch wahre Selbstlosigkeit entwickelt, durch den aufrichtigen und starken Wunsch, vom Höheren Selbst geführt, geleitet und unterstützt zu werden, und durch Schulung und Erfahrung das zu tun, zu erleiden und sich daran zu erfreuen, was das Höhere Selbst für uns beabsichtigt; und dabei das rein persönliche Selbst möglichst auszuschalten, und das tagaus, tagein, Schritt für Schritt.10

In gewissem Sinne ist das Leben selbst der große Lehrmeister und der Lernende ist derjenige, der jeden Tag mit seinen wechselvollen Erlebnissen, Versuchungen, Attraktionen, dem Auf und Ab der mentalen Aktivitäten und der emotionalen Empfindungen lebt. Diese Prüfungen meistert man durch Gleichmut und durch die Standhaftigkeit der Seele und des Geistes, die durch nichts erschüttert werden kann, aber auch durch Großmut, unbeugsamen Mut, und indem man sich im Falle eines Scheiterns keinesfalls entmutigen lässt.

Wann immer das Gefühl eines unkontrollierten, launischen Enthusiasmus oder auch einer völligen Verzweiflung sich ausbreitet, sollte der Schüler ganz einfach innehalten und sein Möglichstes tun, um das ruhige Bewusstsein wiederzuerlangen, dass er in seinem Innersten ein spirituelles Wesen ist. Wer weiß, ob nicht sein vergangenes Karma so vortrefflich war, dass er, so wie die Sonne aus dunklen Wolken hervorbricht, eines Tages plötzlich erleuchtet wird und erkennt, dass er sich auf dem Pfad befindet.

Es ist ein eigenartiges Paradoxon, dass der äußere Lehrer in völliger Harmonie und in strenger Übereinstimmung mit den Anzeichen arbeitet, die aus dem eigenen Bewusstsein des Neophyten durch die Gegenwart des inneren Lehrers entstehen – des größten aller Lehrer für ihn, den Neophyten selbst. Gelegentlich sind diese Anzeichen wie Blitze blendenden Lichtes, die in sein Bewusstsein eindringen und das scheinbare Dunkel der Unwissenheit seines Wesens erhellen. In solchen Augenblicken besitzt der Neophyt die Erkenntnis, auf dem Pfad zu sein, mit einer solchen Intensität und Realität, dass es beinahe schmerzt. Dieses Aufleuchten der inneren Erkenntnis des eigenen steten Fortschrittes sollte jedoch und kann auch niemals mit dem Flimmern des Gehirnverstandes verwechselt werden, welches der Achtlose und Un­vorbereitete – weil er zu zuversichtlich, persönlich und egoistisch ist – oft als Anzeichen dafür sieht, dass er sich schon auf dem Pfad befindet. In Wirklichkeit ist dieser Möchtegern-Chela noch weit von diesem Pfad entfernt, denn er hat seine innere Natur noch nicht so weit entwickelt, dass er den Versuchungen des täglichen Lebens widerstehen könnte.

Möglicherweise glaubt jemand, dass man mit der Natur spielen kann, nur weil die Vorgänge des Universums in aller Stille ablaufen und keine direkten und sichtbaren Eindrücke hinterlassen. Die Natur lässt nicht mit sich spielen. Wenn auch anfangs den menschlichen Schwächen noch große Toleranz entgegengebracht wird – und das ist genau der richtige Ausdruck –, so werden die Regeln immer strenger und härter, je weiter man voranschreitet, denn der Anwärter hat seinem Höheren Selbst einen heiligen Eid des Gehorsams geleistet. In den weiter fortgeschrittenen Phasen kommt dieser Gehorsam aus dem willigen Herzen und aus dem verstehenden Denken, weil der Neophyt bald spürt, dass, je mehr er den Göttern ähnlich wird, es immer notwendiger ist, in Harmonie mit den Naturgesetzen zu handeln, was nicht heißt, den eigenen Vorstellungen zu gehorchen, sondern den Dingen selbst, so wie sie sind. Das ist die Bedeutung, wenn gesagt wird, dass die Mahatmas niemals in das Karma eingreifen werden und es auch nicht tun dürfen. Sie sind die Diener des Gesetzes, die gehorsamen Instrumente des höchsten spirituellen Lehrers unseres Globus – des Stillen Wächters der Menschheit –, und je höher der Mahatma steht, desto williger und freudiger gehorcht er.

Es ist falsches Mitleid, aber auch ein esoterisches Verbrechen, wenn ein sogenannter Lehrer strebende Schüler dadurch verleitet, indem er ihnen etwas verspricht, was nicht uralte Wahrheit ist. Es gibt keinen kurzen Pfad, keinen leichten Weg. Inneres Wachstum, innere Entfaltung und innere Entwicklung sind eine Frage der Zeit und vor allem eine Frage der eigenen Anstrengung. Es gibt Augenblicke, in denen die Wahrheit hart und unannehmbar erscheint, das ist jedoch ein Irrtum des Neophyten und nicht des Lehrers und beweist nur, dass der Schüler noch nicht genügend erwacht ist, um das Wahre vom Falschen und den rechten vom linken Pfad unterscheiden zu können.

Es sollte einleuchten, dass kein Meister dieser Welt aus „unchelahaftem“ Material einen Chela machen kann, denn das würde heißen, man könnte ein Feuer mit Wasser anzünden. Selbst wenn man einen Durchschnittsmenschen durch Zauberei in einen erfolgreichen Chela verwandeln könnte, so wäre das nur ein Akt schlimmster schwarzer Magie, denn es würde dem Betroffenen in keiner Weise helfen, sondern nur einen künstlich geschaffenen Mechanismus aus ihm machen, ohne innere Stärke, ohne inneres Licht und ohne die innere Fähigkeit, dem Pfad weiter zu folgen. Es gibt keine Fähigkeiten, es sei denn, der einzelne Mensch hat sie selbst erworben. Deshalb greifen die Mahatmas auch nicht in die langsame Entfaltung der inneren Fähigkeiten der Konsti­tution des Chelas ein. Wenn sie es täten, würde das einen Eingriff in das Wachstum bedeuten und hätte eine Verkrüppelung und Schwächung des Chelas zur Folge. Das wäre das genaue Gegenteil des Gewünschten.11

Das Beschreiten des Pfades führt zu jenen höheren spirituellen und intellektuellen Ebenen des Bewusstseins, wo die Meister wohnen. Doch es ist absolut unmöglich, sich ihnen zu nähern, wenn man nicht tatsächlich die gleiche ungewöhnlich spirituelle und stärkende intellektuelle Luft atmet wie sie. Wer andere führen will, sollte immer daran denken, denn man schadet ihren Seelen, wenn sie irgendwann entweder durch falsche Hoffnungen oder durch die Sirenenklänge des persönlichen Ehrgeizes oder durch die irrige Meinung, man könne dem Pfad durch Anlehnung folgen, verführt werden. Wenn jemand glaubt, er könne die Verantwortung für die eigenen Gedanken und Taten auf einen anderen abwälzen, so beginnt er, auch wenn dieser andere ein vermeintlicher Gott oder Dämon, ein Mensch oder ein Engel ist, dem abwärtsführenden Pfad zu folgen. Er gibt den eigenen Willen zur Errettung, seinen eigenen Willen, zu vollbringen und zu überwinden, auf.

Wie wurden die Meister zu den überragenden und edlen Menschen, die sie sind? Durch selbstgeleitete Evolution über viele Zeitalter hinweg. Keiner wird erfolgreich sein, niemand vermag dem Pfad zu folgen, bevor er seine eigene Stärke entwickelt hat, bevor seine eigenen inneren Kräfte und Fähigkeiten evolviert sind und bevor er selbst die Schleier der Illusion durchbricht, die sein Bewusstsein umhüllen. Das ist ein langer, aber glorreicher Prozess.

Einige Schüler rätselten über eine Äußerung, die W. Q. Judge in Bezug auf eine Altersgrenze gemacht hat. Er meinte, dass es jenseits des vierundvierzigsten Lebensjahres „schwierig wird, das Tor der inneren Welt zu durchschreiten“12, und dass es für diejenigen, die sich noch später mit diesen Dingen beschäftigen, unmöglich wird. Die Begründung hierfür liegt darin, dass im „mittleren Alter“ die Schleier der Selbstsucht das innere Wesen bereits dermaßen verhüllt haben, dass das innere Licht nur schwer das Gehirn­bewusstsein durchdringen kann. Derjenige, der das Studium der Esoterik in diesem Alter beginnt, findet es schwieriger, als wenn er sich bereits in seiner Jugend, oder noch besser in seiner Kindheit, diesen Gedanken zugewandt hätte. Es gibt jedoch auch von dieser Regel zahlreiche Ausnahmen.

Tatsächlich braucht niemand anzunehmen, dass es für ihn künftig keinen Fortschritt geben könne, weil er den Pfad erst im späteren Leben betritt. Nichts kann der zwingenden Energie des spirituellen Willens widerstehen; und allein die Tatsache, dass jemand im mittleren oder sogar fortgeschrittenen Alter den Pfad des hellen Glanzes betreten möchte, ist für sich selbst der Beweis, dass Wille, Entschlossenheit, Enthusiasmus und Intuition in ihm wirken und ihrerseits zeigen, dass es möglich, ja nahezu sicher ist, das Licht zu empfangen. Kommende Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, und so ist es auch hier, weil das Licht durchbricht, weil es hinter den künftigen Ereignissen steht und ihr Kommen ankündigt.

Chelaschaft verwandelt die Dunkelheit des Persönlichen in das glorreiche Sonnenlicht des Unpersönlichen. Sie bewirkt, dass man aus dem Sumpf der materiellen Existenz mit ihren Trugbildern der Gedanken und der Gefühle zum klaren Glanz der inneren spirituellen Sonne aufsteigt und am Ende zum Einssein mit der Seele des Universums geführt wird. Dieser uralte Pfad wird den Aspiranten zu einem Einssein mit seiner eigenen spirituellen Essenz führen, was bedeutet, einen ungeheuer erweiterten Bereich des Bewusstseins und des Lebens zu gewinnen. Da unsere spirituelle Natur in einer gewissen Hinsicht universal ist, erkennt man sofort, dass Chelaschaft ein stetes Wachsen zu universalem Denken und Fühlen ist, ein Vorwärtsdrängen auf dem wunderbaren Pfad zu den äußersten Schleiern der inneren Grenzen des Universums.

Ein herrlicher Gedanke: Wir reisen, ohne voranzugehen; wir gehen weiter, ohne uns zu bewegen. Wir erreichen das Herz des Universums, indem wir uns selbst verlieren, um dabei das kosmische Selbst zu gewinnen, welches in unserem innersten Wesen ruht. Unser Weg ist lang und mag mühsam sein, doch er ist auch voller Freude und von den Feuern des Geistes erleuchtet. Die „Reise“ ist in Wirklichkeit ein Ändern des Bewusstseins, eine spirituelle Alchimie. Das Herz des Universums liegt in unendlicher Ferne und ist doch näher als unsere eigene Seele, denn es ist unser Selbst.


Fußnoten

1. Jedes System religiös-philosophischen Denkens hatte eine eigene Bezeichnung für diese universale esoterische Lehre. In den Hindu-Schriften der vorbuddhistischen Zeit wird darauf mit Brahma-Vidyā, Ātma-Vidyā und Gupta-Vidyā hingewiesen, in der jeweiligen Bedeutung von Kenntnis des Höchsten, Kenntnis des Selbst und Geheime Kenntnis; ebenfalls mit Rahasya, ein Wort, das Mysterium bedeutet und den gleichen Sinn hat wie das „Mysterion“ der Griechen oder die „Gnosis“ des Neuplatonismus und der gnostischen Schulen. Im Buddhismus war und ist sie noch bekannt unter Begriffen wie Āryajñāna, edles oder erhabenes Wissen, und Bodhidharma, Weisheitsgesetz oder -pfad. [back]

2.  Aus einem Brief, datiert London, 15. April 1891, an den Fünften Jahreskonvent der Theosophischen Gesellschaft, Amerikanische Abteilung, abgehalten in Boston, Mass., am 26.–27. April. Siehe H. P. Blavatsky an die Amerikanischen Konvente, 1888–1891, Theosophical University Press, S. 44. [back]

3.  Mit sehr, sehr wenigen Ausnahmen streben alle diese Gruppen mehr oder weniger nach den niederen Siddhis, über die HPB unter Verwendung des Paliwortes Iddhis in The Voice of the Silence (S. 73), Die Stimme der Stille (S. 97), spricht. In Indien werden diese durch die verschiedenen Schulen der Yogapraktik vertreten. Siddhi, von der Sanskrit-Verbwurzel sidh, erfüllt sein, ein Ziel erreichen, bedeutet „vollkommene Erlangung“. Es gibt zwei Klassen von Siddhis: jene, die zu den niederen psychischen und mentalen Energien zählen, und jene, die zu den intellektuellen, spirituellen und göttlichen Kräften gehören. Der spirituell Eingeweihte besitzt beide Arten, er wendet sie jedoch nur zum Wohle der Menschheit an, nie für sich selbst. Der Eigenname von Gautama, dem Buddha, Siddhārtha, bedeutet „einer, der sein Ziel erreicht hat“. [back]

4. Der Spruch in dem alten Veda: „Der Wunsch (Kāma) entstand zuerst im ES“, und dann kamen die Welten ins Dasein, bedeutet, dass Brahman, seit Äonen in Pralaya schlafend, im Anfang eine Erregung in sich fühlte, die Samen göttlichen Verlangens zur Entfaltung zu bringen. Bewusstsein stand hinter dem Wunsch; der Wunsch entstand und brachte den Willen ins Dasein und der Wille wirkte auf die schlafenden Atome ein und rief die Welten hervor. [back]

5. Siddhi, von der Sanskrit-Verbwurzel sidh, erfüllt sein, ein Ziel erreichen, bedeutet „vollkommene Erlangung“. Es gibt zwei Klassen von Siddhis: jene, die zu den niederen psychischen und mentalen Energien zählen, und jene, die zu den intellektuellen, spirituellen und göttlichen Kräften gehören. Der spirituell Eingeweihte besitzt beide Arten, er wendet sie jedoch nur zum Wohle der Menschheit an, nie für sich selbst. Der Eigenname von Gautama, dem Buddha, Siddhārtha, bedeutet „einer, der sein Ziel erreicht hat“. [back]

6. E. S. Instructions, I. [back]

7. E. S. Suggestions and Aids. [back]

8. Es muss daran erinnert werden, dass jeder Schwur, jedes Gelöbnis vor dem eigenen Höheren Selbst, dem inneren spirituellen Meister, abgelegt wird und dass Ermahnungen aus dieser Quelle Vorrang vor allem anderen haben. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass wenige, sehr wenige von uns behaupten können, dass sie stündlich mit dem Gott im Innern in Verbindung, geschweige denn für längere Zeit unter seiner erhabenen Inspiration stehen. [back]

9.  Zumindest teilweise ist der Schlaf auf die automatische Aktion des Willens zurück­zuführen. Die Blutzirkulation, der Herzschlag, der Lidschlag der Augen, ja sogar das Wachstum werden letztlich vom automatischen oder vegetativen Teil des Willens, der passiven Seite, hervorgerufen. Diese Prozesse laufen nicht nur im Menschen ab, sondern auch in allen niederen Dingen. Desgleichen ist es auch der Wille, der durch unzählige Wieder­holungen gelernt hat, korrekt und mühelos im alten Gleis zu bleiben – uns selbst normalerweise unbewusst. [back]

10. Subsidiary Papers, September 1894. [back]

11. Alles ist karmisch. Was auch immer geschieht, ist die Folge der zahlreichen karmischen Energien, die in einem Leben zum Ausdruck kommen. Die stärksten dieser Energien manifestieren sich zuerst, während die schwächeren nicht beiseite gelegt, sondern zurückgehalten werden, bis sie an der Reihe sind. Unter bestimmten, äußerst ungewöhnlichen Umständen ist es einem Adepten oder Lehrer mit der uneingeschränkten Zustimmung seines Schülers möglich zu verhindern, dass sich die stärksten karmischen Energien zuerst auswirken, oder ihr Wirken so abzuschwächen, dass andere karmische Energien oder Elemente fast gleichzeitig erscheinen können. Diese seltenen Ausnahmefälle dienen immer dem Wohle des Schülers oder einem großen, unpersönlichen Werk für die Menschheit. Sie können nur für Umstände und Bedingungen gelten, die tatsächlich zu dem gehören, was man ein höheres Karma des Betroffenen nennen kann, der sich in dieser Weise dem so geänderten Schicksal unterwirft. Doch auch dann wirkt sich das Karma des Betreffenden mit genau derselben Wucht und mit den genau gleichen Ergebnissen aus.{footnote}Alles ist karmisch. Was auch immer geschieht, ist die Folge der zahlreichen karmischen Energien, die in einem Leben zum Ausdruck kommen. Die stärksten dieser Energien manifestieren sich zuerst, während die schwächeren nicht beiseite gelegt, sondern zurückgehalten werden, bis sie an der Reihe sind. Unter bestimmten, äußerst ungewöhnlichen Umständen ist es einem Adepten oder Lehrer mit der uneingeschränkten Zustimmung seines Schülers möglich zu verhindern, dass sich die stärksten karmischen Energien zuerst auswirken, oder ihr Wirken so abzuschwächen, dass andere karmische Energien oder Elemente fast gleichzeitig erscheinen können. Diese seltenen Ausnahmefälle dienen immer dem Wohle des Schülers oder einem großen, unpersönlichen Werk für die Menschheit. Sie können nur für Umstände und Bedingungen gelten, die tatsächlich zu dem gehören, was man ein höheres Karma des Betroffenen nennen kann, der sich in dieser Weise dem so geänderten Schicksal unterwirft. Doch auch dann wirkt sich das Karma des Betreffenden mit genau derselben Wucht und mit den genau gleichen Ergebnissen aus. [back]

12.  Subsidiary Papers, Oktober 1895. [back]