Band 3: Karma
- Theosophische Perspektiven
Das Karma der Nationen und Rassen
Wir haben festgestellt, daß das Leben eine Einheit ist, daß es einen gemeinsamen Ursprung hat, mit anderen Worten, daß das Universum ein großer Organismus ist, worin sich unzählbare kleinere Organismen in einem unendlich aufteilbaren Reich befinden. Sie alle haben ihre Wurzeln in der unbekannten Quelle und steigen daraus empor wie Kinder aus ihren Eltern. So existieren Herrscher über den Kosmos, über das Sonnensystem, über Planeten; es gibt Götter, Halb-Götter, große Seher und Weise. Absteigend erkennen wir, daß Menschen in Ländern, Städten, Familien und so weiter vereinigt sind. Daraus ergibt sich, daß Karma sowohl kollektiv als auch individuell wirken muß. Große Zyklen werden ihren Einfluß auf die Rassen in ihrer Gesamtheit haben, kleinere Zyklen werden die unterschiedlichen Unterteilungen beeinflussen. Manche sehen dies als Fatalismus, als ein unvermeidbares Schicksal, aber davon ist ebensowenig die Rede wie bei den individuellen Zyklen. Diese Gruppierungen sind nicht willkürlicher als jene, die der Chemiker unter den Elementen findet. Alle sind dort, wohin sie gehören. Und alle haben sie ihre eigenen Anziehungskräfte gebildet.
Die Wahl der Umgebung fängt beim Individuum an. Die reinkarnierenden Egos bringen bei ihrer Rückkehr zur Erde ihren eigenen Charakter mit, ein Axiom, das selbstverständlich zu sein scheint. Da die Egos bestimmte Neigungen haben, werden sie notwendigerweise zu den Eltern hingezogen, die in der Lage sind, ihnen einen Körper zu geben, der am besten mit ihren Charakterzügen übereinstimmt. Diese Lehre wirft ein neues Licht auf die Frage der Vererbung und stimmt mit der essentiellen Gerechtigkeit vollkommen überein. Von diesem Standpunkt aus gesehen können Kinder die Verantwortung für ihre eigenen schlechten Neigungen nicht ihren Eltern anlasten, oder für ihre Geburt und Umgebung dem Schicksal oder dem Zufall die Schuld anlasten.
So wie ein Mensch seine Familie wählt, so wählt die Familie ihre Nation und ihre Rasse, d. h. sie wird dort geboren, wo sie gemäß ihrer inneren Natur zu Hause ist. Persönliche Menschen sind am nationalen Karma beteiligt, weil sie geholfen haben, es zu gestalten. Ein engstirniger und intensiver Nationalismus kann jemanden in einer bestimmten Weise an eine Nation binden. Auf eine ganz andere Weise kann dies ebenso der Fall sein, nämlich durch ein starkes Pflichtgefühl dieser Nation gegenüber oder den Wunsch ihr zu helfen.
Die alten Azteken und andere alte Völker Amerikas starben aus, weil ihr eigenes Karma – das Resultat ihres eigenen nationalen Verhaltens in der fernen Vergangenheit – auf sie zurückfiel und sie vernichtete. Bei den Nationen zeigt sich diese vernichtende Wirkung Karmas in Hungersnöten, Kriegen, Naturkatastrophen und in der Sterilität der Frauen. Letztere Wirkung tritt gegen Ende ein und fegt alle Überreste der Nation hinweg. Die einzelnen Menschen in solchen Rassen oder Nationen mögen durch diese erhabene Lehre gewarnt sein, auf daß sie sich nicht durch achtlose Gedanken und Taten in das allgemeine Nationalkarma verstricken, weil sie sonst von dem nationalen oder Rassenkarma dem allgemeinen Schicksal zugeführt werden. Deshalb haben die alten Lehrer gefordert: „Darum gehet aus von ihnen und sondert euch ab.“
Zusammen mit der Reinkarnation macht diese Lehre von Karma das Elend und die Leiden der Welt verständlich. Die Natur kann dafür nicht verantwortlich gemacht werden.
Das Elend einer Nation oder Rasse ist das direkte Resultat der Gedanken und Handlungen der Egos, die diese Nation oder Rasse bilden. In der fernen Vergangenheit handelten sie übel. Nun müssen sie leiden. Sie verletzten die Gesetze der Harmonie. Das unverbrüchliche Gesetz verlangt die Wiederherstellung der Harmonie, wenn diese gestört wurde. Daher bedeuten die Leiden dieser Egos eine Wiedergutmachung und Wiederherstellung des Gleichgewichts des okkulten Kosmos. Die ganze Menge der Egos muß in der Rasse oder Nation so lange reinkarnieren, bis sich die erzeugten Ursachen ganz ausgewirkt haben. Die Nation mag als physisches Gebilde zwar eine Zeitlang verschwinden, die zu ihr gehörenden Egos verlassen jedoch die Erde nicht; sie kommen vielmehr als die Erbauer einer neuen Nation zurück, in der sie mit ihrem Werk fortfahren müssen und je nach ihrem Karma Bestrafung oder Belohnung erfahren. Für dieses Gesetz sind die alten Ägypter ein Beispiel. Sie erreichten gewiß eine sehr hohe Entwicklungsstufe, aber ebenso gewiß wurden sie als eine Nation ausgelöscht. Aber die Seelen – die alten Egos – wirken weiter und erleben jetzt ihr selbstgeschaffenes Schicksal als eine andere Nation in unserer Zeit. …
Dieser Vorgang ist vollkommen gerecht. Nehmen wir zum Beispiel die Vereinigten Staaten und die Indianer. Letztere wurden von dieser Nation ganz schamlos behandelt. Nun werden die Indianer-Egos in einem neuen Eroberervolk geboren und als Mitglieder dieser großen Familie werden sie selbst die Werkzeuge sein, die die entsprechenden Resultate für die Handlungen zeitigen, die ihnen angetan wurden, als sie noch in den Indianer-Körpern lebten. So geschah es zuvor, und ebenso wird es wieder geschehen.
– W. Q. JUDGE, Das Meer der Theosophie, S. 122-3
Aus der Geschichte geht jedoch hervor, daß bei nationalen Katastrophen oftmals nicht alle Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden. Wir fragen uns, warum der Zyklon in seinem anscheinend irrsinnigen Dahinfegen seine Opfer so sonderbar auswählt; warum bestimmte Gebiete von einem Erdbeben betroffen werden und andere nicht; warum einige Menschen zufällig (?) irgendwo anders waren, als die Flutwelle die Stadt vernichtete. Diese bemerkenswerte Tatsache zeigt sich sogar im Falle von Katastrophen, die eine ganze Rasse treffen. Dies wird in der Geheimlehre anschaulich in der Darstellung des Versinkens des bedeutenden Kontinents Atlantis erklärt. Vor dem Ende der glänzenden und intellektuellen Atlantischen Zivilisation entfalteten sich viele spirituelle und höhere psychische Kräfte der Rasse. Viele Atlantier gebrauchten diese Kräfte auf selbstsüchtige Weise und wurden Zauberer und Schwarzmagier. Auf der anderen Seite gab es viele Völker und Stämme, die dem Pfad der rechten Hand folgten, wie dies esoterisch genannt wird, und weiße Magier wurden, die ihre Kräfte unpersönlich nutzten. Letztere wurden von den Großen, die ewig über die Menschenrassen wachen, vor der kommenden allgemeinen Katastrophe gewarnt. In der Geheimlehre, Teil II, Seite 445 – 446, wird eine treffende Beschreibung dieser Periode in der alten Geschichte gegeben. Auf diesen Seiten spielt H. P. B. darauf an, daß die Geschichte des Exodus im Alten Testament auf den Legenden dieses fernen Ereignisses beruht. Sie berichtet, wie der ‘große König mit dem glänzenden Gesicht’ seine Luftschiffe zu den Häuptlingen des ganzen Landes sandte, und wie die großen Adepten und ihre Anhänger in Vimanas oder Luftschiffen, welche die unseren weit übertreffen, in sichere Gegenden dieser Erde entkamen und die Gründer der fünften Wurzelrasse wurden. Die Beschreibung schließt folgendermaßen:
… die davongeführten Völker waren so zahlreich wie die Sterne der Milchstraße … Wie eine Drachenschlange langsam ihren Körper aufrollt, so trennten sie die Söhne der Menschen, angeführt von den Söhnen der Weisheit, ihre Gewirre und breiteten sich aus, ausgegossen wie ein rinnender Strom süßen Wassers … viele der Schwachherzigen unter ihnen gingen auf ihrem Wege zugrunde. Aber die meisten wurden gerettet.
– Die Geheimlehre, II, S. 446
Man kann hier das wohltätige Wirken der Natur erkennen. Wenn es auch die Bestimmung der bösartigen Atlantier war, in der fünften Rasse zu reinkarnieren, so wurden sie doch in neuen, unberührten Ländern geboren, wo die Nachfolger des Gesetzes die Herrschaft bereits übernommen hatten und wo die Möglichkeiten, sich zu bessern, größer waren. Wie dem auch sei, sie sind ein Teil von uns selbst, und man sagt, daß wir noch immer unter dem Atlantischen Karma leiden. Da wir wissen, daß enge Bande die menschliche Familie zusammenhalten, müssen wir daraus schließen, daß die Verantwortung für die störenden Elemente nicht enden wird, bevor alle abgegolten sind. Sollte man das nicht erkennen, dann wird das Leiden, welches sie den weiter Fortgeschrittenen unter uns zufügen, eine Erinnerung an unser unglückliches Atlantisches Erbe bleiben und uns zum Handeln zwingen.
Karma ist, wie gesagt, universal. Es vollzieht sich von Welt zu Welt. Planeten werden aus ihrem Elter-Planeten geboren, und das gilt auch für Sonnensysteme und Universen. Alles ist die Folge einer vorausgehenden Ursache. Nichts geschieht zufällig. Die Völker unserer Erde gestalten in der Tat ihre eigene Geschichte, sie erwecken Kräfte, die sich an einem bestimmten Punkt vereinigen werden, so daß die großen Seher die Zukunft voraussehen können, auf welche die Vergangenheit und die Gegenwart so deutlich hinweisen. Sie wissen, weshalb und wann eine Rasse ihren Lebensweg gehen muß, wann Katastrophen stattfinden werden, wann Zivilisationen ihre Höhe- und Tiefpunkte erreichen und deshalb wissen sie genau, wie und wann sie ihre Energie einsetzen müssen, um das schwere Karma der Welt etwas zu erleichtern, sofern es möglich ist.
Warum erfaßt diese (karmische) Unfruchtbarkeit gewisse Rassen zu ihrer „bestimmten Stunde“ und rottet sie aus? Die Antwort, daß dies eine Folge des „mentalen Mißverhältnisses“ zwischen der kolonisierenden und der eingeborenen Rasse ist, ist offenbar eine Ausflucht, da sie nicht die plötzlichen „Unterbrechungen der Unfruchtbarkeit“ erklärt, welche so häufig unvermutet eintreten. … Die Ethnologie wird früher oder später mit den Okkultisten übereinstimmen, daß die wahre Lösung in einem Verständnis Karmas gesucht werden muß. Wie Lefévre bemerkt: „Die Zeit naht heran, wo nur mehr drei große Menschentypen übrig bleiben werden.“ Wir stehen vor dem Aufdämmern der Sechsten Wurzelrasse; die drei Typen sind der weiße (arische fünfte Wurzelrasse), der gelbe sowie der afrikanische Negertypus – mit ihren Kreuzungen (atlanto-europäische Abteilungen). … Jene, welche begreifen, daß eine jede Wurzelrasse durch eine Stufenleiter von sieben Unterrassen mit je sieben Zweigen und so weiter hindurchläuft, werden das „Warum“ verstehen. Die Flutwelle der inkarnierten Egos ist über sie hinausgerollt, um in entwickelteren und weniger greisenhaften Stämmen Erfahrungen zu ernten; und ihr Verlöschen ist daher eine karmische Notwendigkeit.
– H. P. BLAVATSKY, Die Geheimlehre, II, S. 824-5
Doch ist in der Vorhersage zum mindesten solcher zukünftiger Ereignisse, welche alle auf Grund der zyklischen Wiederkehr vorausgesagt werden, kein physisches Phänomen enthalten. Sie ist weder Vorahnung, noch Prophezeihung; nicht mehr als die Ankündigung eines Kometen oder Sternes viele Jahre vor seinem Erscheinen. Einfach Kenntnis und mathematisch richtige Berechnungen befähigen die weisen Männer des Ostens vorauszusagen, daß zum Beispiel England am Vorabend dieser oder jener Katastrophe steht; daß Frankreich sich einem solchen Punkte in seinem Zyklus nähert; und daß Europa im allgemeinen von einer verheerenden Umwälzung bedroht ist, oder vielmehr am Vorabende derselben steht, zu welcher sein eigener Zyklus von Rassenkarma es geführt hat. Unsere Anschauung von der Verläßlichkeit der Mitteilung hängt natürlich von unserer Annahme oder Verwerfung der Behauptung einer ungeheuren Periode historischer Beobachtung ab. Östliche Initiierte behaupten, daß sie Aufzeichnungen über die Entwicklung der Rassen und über Ereignisse von universaler Bedeutung beständig seit dem Beginne der vierten Runde aufbewahrt haben – während ihre Kenntnis von den diese Epoche vorausgehenden Ereignissen auf Überlieferung beruht.
– ebenda, I, S. 708