Band 3: Karma
- Theosophische Perspektiven
Wir sind unser eigenes Karma
Säe eine Tat, und du wirst eine Gewohnheit ernten. Säe eine Gewohnheit, und du wirst ein Schicksal ernten, weil Gewohnheiten den Charakter aufbauen. Dies ist die Reihenfolge: eine Tat, eine Gewohnheit, ein Charakter, ein Schicksal. Du bist der Schöpfer deiner selbst. Wozu du dich jetzt machst, das wirst du in der Zukunft sein. Was du jetzt bist, eben dazu hast du dich in der Vergangenheit gemacht. Was du säst, das wirst du ernten.
– G. DE PURUCKER, Goldene Regeln der Esoterik, S. 114
Es ist eine der Lehren der Weisheitsreligion, daß jedes Atom, da es ein untrennbarer Teil des Universums ist, in sich selbst alle Entwicklungsmöglichkeiten dieses Universums birgt, ebenso wie im Samenkorn der zukünftige Baum eingeschlossen ist. Daher wird jedes Atom mit der Zeit ein Mensch werden, danach ein Gott, dann wird es noch höhere Stufen des göttlichen Lebens erreichen.
Es ist klar, daß im Falle des Menschen diese Möglichkeiten bis zum menschlichen Stadium entwickelt sind, wo die Verantwortung für das Schaffen des persönlichen Karmas beginnt. Von diesem Punkt an wird der mit Verstand begabte Mensch sein eigenes Schicksal bestimmen. In jener frühen Phase, bevor die Menschheit die lange Pilgerfahrt zu einer höheren Ebene begonnen hatte, wurde sie über das Ziel des Lebens von großen Lehrern unterrichtet. Seitdem hat der Mensch viele Male in unterschiedlichen Rassen und Zivilisationen gelebt. Niemals fehlten ihm Hilfe oder Licht, um den Weg zu finden. Er kann auf die Stimme seines Gewissens hören; die Folgen seiner guten und schlechten Taten sind die Lektionen für die Zukunft; er besitzt Verstand, um die Dinge zu interpretieren und einen freien Willen, um zu wählen. Deshalb kann man sagen, daß der Mensch sich selbst geschaffen hat und sein eigenes Karma ist.
Das zuletzt Gesagte beinhaltet, daß jede Tat und jeder Gedanke den Charakter verändert. Wir verändern uns fortwährend. Nichts bleibt auch nur für einen Moment gleich, so daß der Mensch deshalb fortwährend das Resultat, die Frucht von all seinen Gedanken, Emotionen und Handlungen ist, je nachdem, ob er seinen Willen gebraucht oder nicht. Er ist stets sein eigener Biograph, er ist der große Künstler, der die Werkzeuge für das Schmieden seiner Zukunft in seinen eigenen Händen hält, und er muß diese gerade so lange gebrauchen, bis das Äußere zu einem würdevollen Tempel für den inneren Gott wird. Das Leben ist in der Tat eine große Kunst.
Jeder Augenblick kann daher als ein neuer Anfang betrachtet werden, und es ist klar, daß man sich nur von dem Punkt an, den man erreicht hat, weiterentwickeln oder wachsen kann. Ganz gleich, welche Kraft oder Anschauung wir erworben haben, sie kann uns nicht mehr genommen werden, und was wir uns an überflüssigem Ballast, verkehrten Gewohnheiten oder minderwertigen Eigenschaften anerzogen haben, kann nur durch den Einsatz des Willens wieder verschwinden. Diese Eigenschaften wurden zu einem Teil von uns und keine von außen kommende Kraft kann sie durch magische Mittel aus dem Charakter verbannen. Aber die Helfer der Menschheit versuchten in jedem Zeitalter, den Kämpfer im Herzen eines jeden vom Weg abgekommenen Pilgers zu erwecken. Wenn dieses Erwachen stattfindet, ändert sich der Einfluß von Karma. Man lenkt seine Aufmerksamkeit auf ein anderes Lebensziel, so daß sich allmählich konstruktive Kräfte entwickeln, welche die alten zerstörerischen Kräfte verwandeln.
Wir müssen den bereits erweckten Kräften entgegentreten, aber wir sind dann in der Lage, dies mit Mut und Verständnis zu tun, ausgestattet mit einer neuen Rüstung, welche sie nicht durchdringen können, und die vielleicht eine gleich starke, entgegengesetzt gerichtete Kraft besitzt, welche die negativen Kräfte neutralisiert. Labile Charaktere bieten Karma einen schwachen Brennpunkt. Sie nehmen die Dinge leicht, lassen sich auf dem Lebensstrom treiben, genießen und leiden, ohne nach dem Warum zu fragen und verlassen ihren Körper ebenso, wie sie in ihn eintraten.
Aber das geht nicht immer so weiter. In jedem Menschenleben ereignen sich Dinge, manchmal nur kleine Ereignisse, die wachrütteln, meistens Dinge, die Kummer und Schmerz verursachen und die wir zur dunklen Seite des Lebens rechnen. Wenn wir sie nicht allein als etwas Negatives erdulden, sondern sie so akzeptieren wie sie sich ereignen und versuchen, aus allen Umständen das Beste zu machen, werden wir lernen und wachsen. Anstatt die Dinge passiv zu betrachten, erachten wir dann alles, was uns widerfährt, als ein Mittel, um auf dem Weg, den wir alle gehen müssen, einen Schritt vorwärts zu tun. Es reizt uns zur Aktivität, und wenn wir uns nicht wehren oder uns willenlos führen lassen, sondern mit der Natur zusammenarbeiten, die versucht, uns zur Entwicklung anzuspornen, dann geben wir unserem Leben eine Wendung, die Aussicht auf eine größere Zukunft bietet. Die Vergangenheit entscheidet über zukünftige Ereignisse. Möglicherweise werden sie uns ein Gefühl der Freiheit bringen, tiefere Sympathien, neue Freunde und neue Gelegenheiten; vielleicht aber werden Unglück, Leiden oder Feinde aus der geheimnisvollen Vergangenheit hervorgerufen; denn keiner von uns konnte Zusammenstöße mit dem Gesetz vermeiden. Doch das alles dient nur dazu, den Weg frei zu machen. Eines Tages wird diese selbstgeleitete Evolution zu großer Freiheit, zu wunderbaren Möglichkeiten und der Freundschaft mit jenen Großen führen, die gesiegt haben.
Wir stehen fortwährend am Rande großer Möglichkeiten und entscheidender Momente; aber anstatt diese Gelegenheiten zu ergreifen und zu einer tieferen Einsicht und zu einem erweiterten spirituellen Leben voranzuschreiten, schrecken wir zurück, zögern wir aus Scheu – und so verlieren wir sie alle. Die Gegenwart ist ein außergewöhnlicher Zyklus, und wir werden den gegenwärtigen Gelegenheiten in diesem Leben niemals wieder begegnen …
Fürchten Sie nichts, denn jeder erneute Versuch erhebt alle früheren Fehlschläge zu Lektionen, alle Sünden zu Erfahrungen. Verstehen Sie mich richtig, wenn ich sage, daß sich im Lichte eines erneuten Versuchs das Karma Ihrer ganzen Vergangenheit ändert; es stellt keine Bedrohung mehr dar. Vor dem Auge der Seele ist es der Übergang von der Ebene der Buße zu der des Lernens. Es steht da als ein Denkmal, als Erinnerung an frühere Schwächen und als Warnung vor künftigem Versagen.
Fürchten Sie daher nichts für sich selbst; Sie stehen hinter dem Schild Ihres erneuten Bestrebens, auch wenn Sie hundertmal versagten. Versuchen Sie allmählich treu zu werden, mit keinem anderen Motiv, als daß auch andere treu sein werden. Fürchten Sie nur, in Ihrer Pflicht gegenüber anderen zu versagen, und selbst dann soll Ihre Sorge den anderen gelten, und nicht Ihnen selbst.
– KATHERINE TINGLEY, Theosophy, The Path of the Mystic, S. 68/9, überarbeitete Auflage 1977.
Manchmal offenbart früheres Karma sich in physischen Krankheiten. Es äußert sich sogar bei Kindern, die mit einer bestimmten Krankheit oder körperlichen Gebrechen zur Welt kommen. Die Verfasser des Neuen Testaments haben diese Tatsache erkannt, was man aus der Frage im Johannesevangelium (Joh. IX, 2) entnehmen kann: ‘Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, daß er blind geboren ist?’
G. de Purucker sagte folgendes, als er über Krankheit sprach:
Sowohl Gesundheit als auch Krankheit sind die karmischen Folgen der Wesenszüge und der Neigungen, die wir den Lebensatomen aufgeprägt haben, welche die verschiedenen Hüllen zusammensetzen, in denen wir, die menschlichen Egos, während des Erdenlebens eingekleidet sind. Sie sind ihnen durch unsere Gedanken, unsere Gefühle, unsere Wünsche und unsere Gewohnheiten eingeprägt.
Zu behaupten, daß Selbstsucht die Ursache aller Krankheit sei, ist eine zu allgemeine Feststellung. Genauer gesagt ist es jene Form der Selbstsucht, die man Leidenschaft nennt – unbesiegte heftige Leidenschaft, wie Haß, Zorn, Lust, etc –, welche die sich auswirkende Ursache der Krankheit ist, ob bewußt oder unbewußt. Jede derartige mentale oder physische Leidenschaft erschüttert die niedrige Konstitution des Menschen. Sie entschlüpft der führenden Kontrolle seines höheren Wesensteils, ändert die Richtung der prānischen Lebensströme, indem sie sie hier und da verdichtet oder verdünnt. Sie stört daher das normale ruhige Wirken der Natur, das in diesem Zusammenhang Gesundheit bedeutet. Selbstsucht ist in der Tat nicht nur die Wurzel der meisten Krankheiten, sondern auch der meisten üblen Taten, und beide werden ursprünglich nicht durch unbesiegbare, sondern durch unbesiegte Leidenschaften verursacht.
Die Symptome der Krankheit, die nur zu häufig für die Krankheit selbst gehalten werden, sind nicht selten die Bemühungen der Gesundheitskräfte, das Gift aus dem Körper hinauszuschaffen. Eine Krankheit sollte als ein Reinigungsprozeß verstanden werden, weil das Ende eine Reinigung sein wird. Sie sollte ruhig und mit Verständnis für die Situation willkommen geheißen werden, ohne jegliche Furcht oder einen Versuch, den Vorgang zu komplizieren oder zu hindern. Aber viele Leute glauben, daß man eine Krankheit heilt, indem man sie zurückdämmt und die Tore gegen ihren Ausbruch aus dem System verschließt. Ein solches Zurückdämmen erlaubt es jedoch den Wurzeln der Krankheit, festeren Halt zu finden, sich auszubreiten und Energie zu sammeln, so daß, wenn sie wiedererscheint – sie wird dies unvermeidlich tun, denn ihre Wurzeln sind noch nicht entfernt worden –, ihre Reaktion auf den Körper weit heftiger sein wird, als es der Fall wäre, wenn man der Krankheit erlaubt hätte, ihren natürlichen Lauf zu nehmen.
Dies alles hat eine ethische Seite, die noch nicht genügend berührt worden ist. In vielen Fällen können Krankheiten eine vom Himmel gesandte Wohltat sein: sie heilen Egoismus, sie lehren Geduld und führen zu der Erkenntnis, daß es wichtig ist, richtig zu leben. Wenn wir mit unseren unbeherrschten Emotionen Körper besäßen, die nicht krank werden könnten, dann wäre es sehr wohl möglich, daß sie durch Exzesse geschwächt und getötet werden könnten. Krankheiten sind eigentlich Warnungen, damit wir unsere Gedanken verbessern und in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen leben.
In der Medizin begann weltweit in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein neuer Zyklus: Man verabreichte den Menschen nicht mehr länger Arzneien, bis sie mit einem kräftigen Schluck von diesem oder jenem Trunk starben. Die Doktoren begannen zu erkennen, daß es die Natur ist, die heilt, und daß der weise Arzt viel eher führend und ausgleichend wirken sollte, als Arzneien zu verteilen. Trotzdem sind Krankheiten im akuten Stadium oft tödlich, weil das Wissen der Ärzte immer noch unvollkommen ist. Die Krankheiten verlaufen für das menschliche System zu rasch, um der Belastung widerstehen zu können, aber andererseits werden die medizinischen Fachleute der fernen Zukunft sehr gut verstehen, was Krankheiten sind, und die Methoden kennen, sie zu heilen – und wie sie zu verhüten sind. Sie werden eine Krankheit derart behutsam herausleiten, daß sie zu verschwinden scheint, während sie sich in Wirklichkeit manifestiert, geradeso, wie der Körper sich heute oftmals von einer Krankheit durch seine eigenen, nicht unterstützten Kräfte befreit.
Wir müssen im Gedächtnis behalten, daß alles, was einem Menschen geschieht, das Wirken Karmas ist, und daß Krankheiten die Folge von disharmonischen Gedanken und Emotionen in diesem oder in einem vergangenen Leben sind, die sich jetzt durch den Körper auswirken. Genauer ausgedrückt, alle Krankheiten werden durch die Mitwirkung von Elementalen herbeigeführt. Dies ist die alte Lehre und daran glaubte die ganze Welt, bis der Westen in seiner erhabenen Weisheit begann, diese allgemein übereinstimmende Ansicht der menschlichen Rasse als Aberglauben zu betrachten.
Im Neuen Testament werden Krankheiten der Tätigkeit von Teufeln oder Dämonen zugeschrieben – ein grotesker Übersetzungsfehler. Es sind fehlerhafte Übersetzungen, die aus einem Mißverständnis dessen entstanden, was die frühen christlichen Schreiber sagen wollten, als sie diese Traktate schrieben. Diese Daimonia, wie das griechische Wort lautet, stellen lediglich die niedrigste Ordnung belebter und empfindender Kreaturen dar – in der Theosophie gewöhnlich Elementale genannt –, welche die unterste Stufe der hierarchischen Leiter bilden. Ihre höchste Stufe ist der Zustand sowohl der spirituellen Existenz als auch einer wirklichen, von den Göttern bewohnten Welt. Zwischen einem Elemental und einem Gott besteht ein großer Unterschied im evolutionären Fortschritt. Im innersten Wesen oder Ursprung gibt es jedoch keinen Unterschied. Der Mensch nimmt auf dieser Lebensleiter eine Zwischenstufe ein.
Alle Krankheiten, von der Epilepsie oder dem Krebs bis zu einer gewöhnlichen Erkältung, von der Tuberkulose bis zu Zahnschmerzen, vom Rheumatismus bis zu einer anderen physischen Unpäßlichkeit, werden daher durch Elementale herbeigeführt, die als Instrumente des karmischen Gesetzes wirken. Dasselbe gilt auch für Geisteskrankheiten: ein Wutausbruch, eine üble Laune, eine anhaltende Melancholie und die Manien verschiedenster Art sind dem Ursprung nach alle elemental. Die Mordlust ist ein passendes Beispiel: Ihrem Wesen nach ist sie so grausam wie unmenschlich – sie ist elemental. In diesem Fall besitzt ein Elemental die Herrschaft über den menschlichen Tempel und hat für den Augenblick seinen rechtmäßigen menschlichen Bewohner verdrängt. Ein derartiger Zustand tritt durch Schwäche und Nachgiebigkeit sich selbst gegenüber ein.
Es gibt aber ein sicheres Schutzmittel gegen alle Krankheiten, das sowohl physiologische als auch psychologische Eigenschaften besitzt, und das ist die Ausübung der uralten Tugenden …
Da die Krankheiten die karmische Auswirkung vergangener Irrtümer der Lebensführung, des unharmonischen Arbeitens mit der Natur sind, ist der Weg zur Gesundung das Arbeiten mit der Natur. Und dies ist möglich, weil wir ein wesentlicher Teil von ihr sind. Alle Weisen und Seher haben diesen Weg gelehrt. Die Methode wurde in jeder großen Religion und Philosophie immer wieder zum Ausdruck gebracht. Aber kein wahrer Weiser oder Adept greift jemals in das karmische Gesetz ein, denn sie sind die Diener dieses Gesetzes und offenbaren es durch ihr Handeln unter den Menschen. In gewissem Sinne sind sie auch diejenigen, welche das karmische Gesetz ans Licht bringen, denn dadurch wird ein natürliches Gleichgewicht erreicht und die Evolution beschleunigt. Daher sind sie Heiler der Menschenseelen. Heile die Seele und du heilst den Körper …
– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, Bd. 2, S.215-223
Jede Disharmonie sucht sich gemäß den normalen Prozessen der Natur ihren Weg nach außen, an die Oberfläche. Manchmal beobachten wir bei uns selbst oder bei anderen eine Reihe größerer oder kleinerer Unglücke, die gewöhnlich dem Mißgeschick zugeschrieben werden. Ein anderes Mal ändert Fortuna ihre Taktik, und alles was wir unternehmen, gelingt uns. Das kann bedeuten, daß das, was wir schlechtes Karma nennen, aufgearbeitet ist. Aber im Grunde ist es nur dann schlecht, wenn wir die Lektion nicht gelernt haben und unser Leben weiterhin ziellos und inkonsequent führen, so daß ‘Mißgeschick’ und ‘Glück’ sich abwechseln. Wenn wir uns darüber im Klaren wären, daß wir selbst das Resultat dessen sind, was wir dachten, fühlten oder taten, sowohl in diesem als auch in früheren Leben, daß wir durch unsere Gedanken und Taten das Gewebe des Charakters selbst veränderen – ein Charakter, der oft Unglück herausforderte – würden wir Selbstbeherrschung, Freundlichkeit und Zusammenarbeit erlernen und zu einer wohltätigen Kraft in der Natur werden.
Die menschliche Natur ist sehr komplex, und die Folgen von Disharmonie werden natürlich durch die Kanäle zum Ausdruck kommen, in denen die Störung entstand. Das ganze Thema ist in seiner Auswirkung sehr kompliziert, doch im Prinzip einfach, es wäre im heutigen Stadium unserer Evolution sinnlos, den Details nachzugehen. Manchmal erkennen wir bei ein und derselben Person einen mißgebildeten Körper, dazu einen feinen Geist und einen sonnigen Charakter; oder einen robusten Körper, der einen verworrenen Geist und einen selbstsüchtigen Charakter beherbergt. Im ersten Fall sind die Krankheitserreger dabei, sich auszuwirken, während sie im zweiten Beispiel eingepflanzt werden, auch wenn die physischen Kräfte in dieser Inkarnation stark genug sind, ihnen zu widerstehen. Oft sehen wir, daß jemand mit einem guten, reinen und sympathischen Charakter angestrengt für andere arbeitet, seinen Körper aber vernachlässigt. In einem solchen Fall scheint es so, daß Karma auf der physischen Ebene beginnt und endet, wenn es auch immer eine Reaktion von der einen zur anderen Ebene geben muß. Es ist auch möglich, daß man seine Energie so stark auf die eigene Gesundheit konzentriert, daß man die Leiden der Mitmenschen übersieht. Solche Menschen haben vielleicht zeitweilig einen sehr kräftigen Körper, aber um welchen Preis! Überall herrscht Gesetzmäßigkeit. Wir erhalten das, wonach wir uns sehnen. Die unendlichen Möglichkeiten des Universums liegen vor uns, aber nur der, dessen Ton mit dem über alles herrschenden Gesetz des Mitleids harmonisch ist, kann den Sieg davontragen.
Wenn am Ende dieses große Ziel erreicht ist, dann, so heißt es, erhebt sich der Mensch über Karma. Karma wirkt immer und überall, aber wenn wir uns nicht länger gegen die großen Strömungen des Universums wehren, empfinden wir keine Reibung mehr und erlangen Fortschritte leichter und schneller.
Ja, „unser Schicksal steht in den Sternen geschrieben!“ Nur, je enger die Vereinigung zwischen dem sterblichen Wiederschein MENSCH und seinem himmlischen VORBILD ist, desto weniger gefährlich sind die äußeren Bedingungen und die folgenden Wiederverkörperungen – denen weder Buddhas noch Christusse entgehen können. Das ist kein Aberglaube, am wenigsten ist es Fatalismus. Der letztere schließt in sich ein blindes Ablaufen einer noch blinderen Kraft ein, aber der Mensch handelt während seines Verweilens auf der Erde frei. Er kann seinem beherrschenden Schicksal nicht entrinnen, aber er hat die Wahl zwischen zwei Pfaden, die ihn in dieser Richtung führen, und er kann das Endziel des Elends – wenn ihm ein solches bestimmt ist – entweder in den schneeweißen Gewändern des Märtyrers erreichen, oder in den beschmutzten Kleidern eines Freiwilligen auf dem bösen Wege; denn es gibt äußere und innere Bedingungen, welche die Bestimmung unseres Willens auf unsere Handlungen beeinflussen, und es liegt in unserer Macht, dem einen oder dem anderen von beiden zu folgen. Jene, die an Karma glauben, müssen an das Schicksal glauben, daß von der Geburt bis zum Tode ein jeder Mensch Faden um Faden um sich selbst webt, wie eine Spinne ihr Netz; und dieses Schicksal ist gelenkt, entweder von der himmlischen Stimme des unsichtbaren Vorbildes außerhalb von uns, oder von unserem mehr vertrauten astralen oder inneren Menschen, der nur zu oft der böse Genius der verkörperten Wesenheit, genannt Mensch, ist. Diese beiden führen den äußeren Menschen voran, aber einer von ihnen muß vorherrschen; und von dem ersten Anfange des unsichtbaren Aufruhrs an setzt das strenge und unerbittliche Gesetz der Vergeltung ein und nimmt seinen Lauf, getreulich dem Hinundherwogen des Kampfes folgend. Wenn der letzte Faden gesponnen und der Mensch anscheinend in das Netzwerk seines eigenen Handelns verwickelt ist, dann findet er sich vollständig unter der Herrschaft seines selbstgeschaffenen Geschickes. Dasselbe heftet ihn dann entweder wie die schwerfällige Muschel an den unbeweglichen Felsen, oder es trägt ihn wie eine Feder hinweg in dem durch seine eigenen Handlungen erregten Wirbelwind, und das ist – KARMA.
– H. P. BLAVATSKY, Die Geheimlehre, Bd.I, S. 700-701