Band 3: Karma
- Theosophische Perspektiven
Die Lehre von Karma ist eine der Grundlehren der Theosophie. Sie lehrt uns, den Sinn des menschlichen Lebens mit seinen scheinbaren Ungerechtigkeiten zu erklären und reicht uns den Schlüssel zur Lösung vieler Lebensrätsel. Karma ist ein Sanskritwort, das ‘Handlung’ bedeutet. Es hat dieselbe Bedeutung wie das Gesetz von Ursache und Wirkung. Es ist das Gesetz der nimmer versagenden Gerechtigkeit, dessen Wirkung sich vom kleinsten denkbaren Teilchen bis hin zum unvorstellbaren, ausgedehnten kosmischen Raum erstreckt und schließt alles ein, was sich darin befindet.
Im Neuen Testament finden wir in den bekannten Worten des Paulus in seinem Brief an die Galater, VI, 7: ‘Denn was ein Mensch sät, das wird er auch ernten.’ Obschon dieser Gedanke des großen christlichen Apostels und Eingeweihten deutlich genug ist, hat man im allgemeinen die tiefe Bedeutung der Formulierung des Gesetzes der ethischen Gerechtigkeit übersehen und es nicht als Grundlage für menschliches Verhalten auf gedanklicher und spiritueller Ebene akzeptiert.
Auf der physischen Ebene dagegen erkennt man das Gesetz von Aktion und Reaktion als selbstverständlich an und betrachtet es unbewusst als unfehlbar. Das Leben würde unmöglich werden, wenn wir uns nicht darauf verlassen könnten, dass gewisse Handlungen die dazugehörigen Folgen hervorrufen. Überall sehen wir die Gesetzmäßigkeit und Ordnung sowie die fortwährende Wiederherstellung eines gestörten Gleichgewichts. Auf dem gesamten Gebiet der äußeren Natur ist dieses Gesetz wahrnehmbar, wie jede Handlung logische Folgen nach sich zieht, aber trotzdem hat ganz besonders die westliche Welt die universale Wirkung dieses Gesetzes nicht erkannt. Wir haben nicht verstanden, dass unser eigenes Leben von diesem Gesetz beherrscht wird.
Um ein umfassendes Bild vom Begriff Karma zu bekommen, ist es notwendig zu verstehen, dass der Kosmos, das Universum, eine Einheit ist, ein Organismus – der aus einer unendlichen Anzahl kleinerer Organismen zusammengesetzt ist. All die vielen Organismen existieren in einer unvorstellbaren Vielfalt von Bewusstseins- und Entwicklungsgraden, die alle von dem Einen Bewusstsein, das alles umfasst und in allem anwesend ist, zu einem Ganzen vereint werden.
Dass das Gesetz von Aktion und Reaktion, von Ursache und Wirkung, sich in dem begrenzten Bereich der lediglich materiellen Existenz so deutlich zeigt, ist nur ein oberflächlicher Beweis für das Wirken Karmas in den inneren, spirituellen und kausalen Bereichen. Normalerweise nehmen wir lediglich in der materiellen Welt wahr, dass Aktion und Reaktion dieselben Kräfte sind, aber das Auge des spirituellen Sehers erblickt hinter der materiellen Fassade dasselbe Gesetz, das dann eine viel dynamischere Wirkung hat. In ihrem Buch The Key to Theosophy [Der Schlüssel zur Theosophie] schreibt H. P. Blavatsky folgendermaßen über Karma:
“… das Grundgesetz im Universum, die Quelle, der Ursprung, die Basis aller anderen Gesetze, die in der Natur existieren. Karma ist das niemals irrende Gesetz, das auf den physischen, mentalen und spirituellen Ebenen des Seins die Wirkung der Ursache ausgleicht. Da vom Größten bis zum Kleinsten keine Ursache ohne entsprechende Wirkung bleibt, von einer kosmischen Störung bis hin zur Bewegung einer Hand, und da Gleiches Gleiches bewirkt, ist Karma das unsichtbare und unbekannte Gesetz, das jede Folge weise, intelligent und gerecht an ihre Ursache anpasst und zum Verursacher zurückführt.’
– Der Schlüssel zur Theosophie, S. 201
Theosophische Perspektiven
Band 3: Karma – Das Gesetz von Ursache und Wirkung
Frei überarbeitet nach Gertrude W. van Pelt
© 2000 Theosophischer Verlag der Stiftung der Theosophischen Gesellschaft Pasadena, Eberdingen
Der Weg des Wachstums ist kein schwieriger Weg. Er wird ein ‘steiler und dorniger Pfad’ genannt, der es aber nur so für den egoistischen, habgierigen, leidenschaftlichen, niederen Menschen ist. Der Weg des Geistes ist der Weg des Lichts, des Friedens, der Hoffnung. Er ist der Weg zur Sonne. Es ist ein wunderbares Gefühl, daß wir göttlichen Ursprungs sind und unsere Bestimmung in unseren Händen halten, daß im Herzen von uns allen ein Gott lebt, und daß wir die mystische Lebensleiter höher und höher klettern können. Dabei erweitern wir ständig unser Bewußtsein und das Gebiet unserer Tätigkeiten von einem Planeten zu einem Sonnensystem, von einem Sonnensystem zu einer Galaxie, von einer Galaxie zu einem Universum und von einem Universum zu anderen Kombinationen von Universen. Wir wachsen stets und erweitern endlos unser Bewußtsein, unsere Kraft, Weisheit und Liebe.
– Gottfried von Purucker, Quelle des Okkultismus, Band 3, S. 80 f.
Einleitung
Die Lehre von Karma ist eine der Grundlehren der Theosophie. Sie lehrt uns, den Sinn des menschlichen Lebens mit seinen scheinbaren Ungerechtigkeiten zu erklären und reicht uns den Schlüssel zur Lösung vieler Lebensrätsel. Karma ist ein Sanskritwort, das ‘Handlung’ bedeutet. Es hat dieselbe Bedeutung wie das Gesetz von Ursache und Wirkung. Es ist das Gesetz der nimmer versagenden Gerechtigkeit, dessen Wirkung sich vom kleinsten denkbaren Teilchen bis hin zum unvorstellbaren, ausgedehnten kosmischen Raum erstreckt und schließt alles ein, was sich darin befindet. Karma ist ein Begriff, dem wir heutzutage in der Literatur häufig begegnen; er wird oftmals in Filmen und Theaterstücken verwendet und nicht selten ist er Diskussionsgegenstand in Rundfunk und Fernsehen.
Im Neuen Testament finden wir in den bekannten Worten des Paulus in seinem Brief an die Galater, VI, 7: ‘Denn was ein Mensch sät, das wird er auch ernten.’ Obschon dieser Gedanke des großen christlichen Apostels und Eingeweihten deutlich genug ist, hat man im allgemeinen die tiefe Bedeutung der Formulierung des Gesetzes der ethischen Gerechtigkeit übersehen und es nicht als Grundlage für menschliches Verhalten auf gedanklicher und spiritueller Ebene akzeptiert. Auf der physischen Ebene dagegen erkennt man das Gesetz von Aktion und Reaktion als selbstverständlich an und betrachtet es unbewußt als unfehlbar. Das Leben würde unmöglich werden, wenn wir uns nicht darauf verlassen könnten, daß gewisse Handlungen die dazugehörigen Folgen hervorrufen. Überall sehen wir die Gesetzmäßigkeit und Ordnung sowie die fortwährende Wiederherstellung eines gestörten Gleichgewichts. Auf dem gesamten Gebiet der äußeren Natur ist dieses Gesetz wahrnehmbar, wie jede Handlung logische Folgen nach sich zieht, aber trotzdem hat ganz besonders die westliche Welt die universale Wirkung dieses Gesetzes nicht erkannt. Wir haben nicht verstanden, daß unser eigenes Leben von diesem Gesetz beherrscht wird.
Bei wissenschaftlichen Untersuchungen wurde auf der physischen Ebene der Zusammenhang von Ursache und Wirkung mit äußerster Sorgfalt erfaßt; das Studium dieser Gesetzmäßigkeit ermöglichte es, daß wir bestimmte Resultate voraussehen und uns unbedingt darauf verlassen können. Durch genaue Beobachtungen der Transformationen in der Natur, wobei über jedes, auch das kleinste Energieteilchen, Rechenschaft abgelegt werden mußte, kam man zu der Formulierung des ‘Energieerhaltungssatzes’. Wenn dieser auch nur teilweise richtig ist, bedeutet das, daß die materielle Welt von einem zuverlässigen Gesetz regiert wird. Aber jenseits der Grenzlinie, die von unseren normalen stofflichen Sinnen nicht überschritten werden kann, herrscht angeblich das Chaos, blinder Zufall, und man bedient sich für die Beschreibung dieser Zustände Begriffen wie ‘ein zufälliges Zusammentreffen von Atomen’. Schließlich kam man zu der sonderbaren Schlußfolgerung, daß der menschliche Verstand, der die materiellen Reaktionen so sorgfältig beobachtet und zu verstehen versucht, selbst nichts anderes ist als ein Produkt von dem, was er studiert!
Aber dieser Alptraum gehört zum größten Teil der Vergangenheit an, denn manche prominente Wissenschaftler haben bereits erklärt, daß das Grundprinzip im All eher ‘Geist-Substanz’ oder Bewußtsein ist und weniger Materie.1 Weil dem Menschen eine wirkliche Lebensphilosophie fehlt, wurden nur die Wirkungen untersucht, und man versuchte, mit ihrer Hilfe Rückschlüsse auf die Ursachen zu ziehen, was eine schwierige, ja fast unmögliche Aufgabe ist. Um die Wirkungen, die wir in der Welt auf allen Ebenen wahrnehmen, richtig interpretieren zu können, müssen wir die Ursachen kennenlernen.
Um ein richtiges Bild vom Begriff Karma zu bekommen, ist es notwendig zu verstehen, daß der Kosmos, das Universum, eine Einheit ist, ein Organismus – der aus einer unendlichen Anzahl kleinerer Organismen zusammengesetzt ist. All die vielen Organismen existieren in einer unvorstellbaren Vielfalt von Bewußtseins- und Entwicklungsgraden, die alle von dem Einen Bewußtsein, das alles umfaßt und in allem anwesend ist, zu einem Ganzen vereint werden. Dieser erhabene Gedanke wird durch den Menschen veranschaulicht, der selbst ein Universum darstellt, einen Kosmos im kleinen. Ist er nicht aus einer beinahe unendlich großen Zahl von Lebens- oder Bewußtseinszentren zusammengesetzt – Atomen, Molekülen, Zellen, Organen, Nervenknoten und so weiter – worüber das Bewußtsein des Menschen steht, das alle Teile durchdringt, vereint und leitet? Und so, wie eine Wunde am kleinen Finger vom ganzen Körper gespürt wird, so hat ein Gedanke des Hasses oder eine schmerzliche mentale Erfahrung ihre Wirkung auf den größeren kosmischen Organismus. Daß das Gesetz von Aktion und Reaktion, von Ursache und Wirkung, sich in dem begrenzten Bereich der lediglich materiellen Existenz so deutlich zeigt, ist nur ein oberflächlicher Beweis für das Wirken Karmas in den inneren, spirituellen und kausalen Bereichen. Normalerweise nehmen wir lediglich in der materiellen Welt wahr, daß Aktion und Reaktion dieselben Kräfte sind, aber das Auge des spirituellen Sehers erblickt hinter der materiellen Fassade dasselbe Gesetz, das dann eine viel dynamischere Wirkung hat. In ihrem Buch The Key to Theosophie [Der Schlüssel zur Theosophie] schreibt H. P. Blavatsky folgendermaßen über Karma:
“… das Grundgesetz im Universum, die Quelle, der Ursprung, die Basis aller anderen Gesetze, die in der Natur existieren. Karma ist das niemals irrende Gesetz, das auf den physischen, mentalen und spirituellen Ebenen des Seins die Wirkung der Ursache ausgleicht. Da vom Größten bis zum Kleinsten keine Ursache ohne entsprechende Wirkung bleibt, von einer kosmischen Störung bis hin zur Bewegung einer Hand, und da Gleiches Gleiches bewirkt, ist Karma das unsichtbare und unbekannte Gesetz, das jede Folge weise, intelligent und gerecht an ihre Ursache anpaßt und zum Verursacher zurückführt.’
–Der Schlüssel zur Theosophie, S. 201 [Übersetzung aus dem Englischen]
Hieraus geht deutlich hervor, daß Karma ein Grundgesetz des Universums ist, weil jedes Wesen ein Teil davon ist. Jeder Gedanke und jede Handlung beeinflussen jedes andere Wesen, je nach dem Ausmaß der verwendeten Energie, was unvermeidlich Rückwirkungen auf denjenigen hat, der den Gedanken aussandte oder die Handlung ausführte.
Auch eine Tat, die nur erwogen, aus einem beliebigen Grund aber nicht ausgeführt wird, hat ihre Wirkung, denn Gedanken und Begierden sind Energien, die um so realer und stärker werden, je näher sie der Verwirklichung kommen. Wenn jemand einem anderen Menschen gegenüber Gefühle des Hasses und böse Pläne hegt, und sie dann – aus welchem Grund auch immer – nicht ausführt, so wendet der dunkle Strom sich gegen seinen Erzeuger, welcher die auf das Böse gerichtete Energie erzeugt hat. Es ist klar, daß diese Kraft – zwar in materieller Hinsicht ohne Wirkung – jedoch in der Natur des Erzeugers wie ein Gift wirkt und seinen Charakter nachteilig beeinflußt. Der Prozeß, der dafür notwendig ist, den angerichteten Schaden wieder gutzumachen, wird gewiß schmerzhaft sein.
Die Lehre der Reinkarnation steht hiermit in engem Zusammenhang. Sie hat die Wiedergeburt des spirituellen Teils des Menschen auf der Erde zum Inhalt. Bei jeder neuen Geburt oder Reinkarnation bekommt der Mensch einen neuen Körper, der das karmische Resultat der Gedanken und Handlungen des vorausgegangenen Lebens ist.2 Das gleiche gilt für seine Umgebung und die Umstände, in welche er hineingeboren wird. Sie sind die unvermeidliche Folge von dem, wonach er sich sehnte, wofür er arbeitete und worin er versagte. Indem er in Leben um Leben auf der Erde die Folgen dessen erfährt, was er selbst in der Vergangenheit verursachte, lernt er allmählich seine Kräfte und Fähigkeiten zu beherrschen und zu entwickeln, und beginnt, sein eigenes Schicksal neu zu gestalten – er nimmt seine Evolution in die eigene Hand. Dieser Vorgang hat die selbstgesteuerte Evolution zur Folge. Sie wäre nicht vorstellbar, wenn wir, was unseren Charakter und unsere Umgebung anbelangt, nicht das ernten würden, was wir an Gedanken, Wünschen und Taten in vorigen Leben gesät haben. Man pflückt keine ‘Trauben von Dornen oder Feigen von Disteln’, und man sät auch nicht an der einen Stelle und erntet an einer anderen. In einem zukünftigen Leben auf der Erde werden diejenigen, die Bande der Liebe oder des Hasses miteinander geschmiedet haben, sich wieder begegnen und die Gelegenheit bekommen, wiedergutzumachen, was eventuell verbrochen wurde. Denn der Haß ist eine ebenso dynamische und magnetische Kraft wie auch die Liebe. Welche Energien auch immer in Bewegung gesetzt werden, eines Tages werden sie ihre Auswirkung haben und das Gleichgewicht oder die Harmonie wiederherstellen. Wir ahnen kaum, mit welchen dynamischen Kräften wir in diesem magnetischen Ozean des Lebens, worin wir uns befinden, spielen. Aktion und Reaktion, Ursache und Wirkung, Energie und was daraus hervorgeht, bringen nicht nur in der äußerlichen Welt der materiellen Wirkungen Gleichgewicht, sondern auch in den inneren, spirituellen und kausalen Welten, in welchen moralische und ethische Kräfte mit mathematischer Genauigkeit wirken. Diese majestätische Lehre von Karma, dieses barmherzige Gesetz, ist unser Lehrer, unser Freund und unser Retter.
Ist Karma eine blinde Kraft?
Es wurde bereits gesagt, daß wir das Universum als eine organische Einheit betrachten müssen, wenn wir Karma verstehen wollen. Wenn dies nicht der Fall wäre, dann könnten seine unterschiedlichen Bestandteile sich nicht gegenseitig beeinflussen. Nehmen wir als Beispiel wieder den menschlichen Körper. Darin zirkulieren durch ein System von Nerven, Blutgefäßen und anderen Wegen elektro-vitale Kräfte, welche jedes Organ, jede Zelle und jedes Atom miteinander verbinden. Ein Fuß rutscht aus, und sofort arbeiten die Muskeln, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Wenn etwas ins Auge gerät, schließt es sich sofort. Die Reaktion ist perfekt, weil der Körper ein gesamter Organismus ist. Es ist wichtig, sich dessen bewußt zu sein, daß jede Zelle in diesem Organismus ein individuelles Leben ist, das von einem höheren Zentrum beherrscht wird. Im Fall eines Muskels arbeiten beispielsweise seine sämtlichen Zellen zusammen, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzeugen, nämlich die Kontraktion oder die Muskelkraft, und das trifft auch für die Organe zu. So stehen die Zellen stufenweise unter der Kontrolle eines stets höher entwickelten Zentrums bis hinauf zum Gehirn und durch dieses Organ bis hin zu einem unsichtbaren Intelligenzzentrum, das alle Funktionen dieses wunderbaren Organismus vereint und koordiniert und zu einem Organismus macht. Der Körper selbst ist wieder Teil eines größeren Organismus, des Organismus, den alle Menschen gemeinsam bilden. Sie formen zusammen die Menschheit. Darüber befinden sich zahllose Scharen von Wesen in steigendem Entwicklungsgrad, die alle miteinander verbunden sind, die Verantwortung tragen für die unter ihnen stehenden Scharen und wiederum selbst von den höheren Graden unterstützt werden. Über dem Menschen befinden sich Wesen, die zu den Göttern hinaufreichen und noch höher, Super-Götter, Planetengeister, Herrscher über Sonnensysteme und darüber wieder andere, die Gruppen von Sonnensystemen zusammenhalten; immer höher bis zu einem Herrscher über das Universum und noch weiter aufwärts bis zu TAT, dem UNBEKANNTEN, das hinter allen Manifestationen steht. All diese unendlichen Abstufungen von Wesen sind durch Lebensströme verbunden, wie ein Nervensystem, wohindurch sich unentwegt die Lebenskräfte bewegen. Und dieses mächtige Wesen erfüllt den gesamten Raum, ist praktisch der Raum selbst. Wir können auch sagen, daß der Raum aus bewußten Wesen unendlicher Vielfalt besteht, die alle miteinander verwoben und voneinander abhängig sind.
Diese Gedanken werden vielleicht von vielen Menschen, die nicht damit vertraut sind, als fremd empfunden, aber wenn wir intensiv darüber nachdenken, wird uns allmählich klar, daß das Universum nie zusammenhalten könnte, wenn es keine organische Einheit wäre. Chaos würde unter den Himmelskörpern herrschen – die in einem Ozean von Ether zu treiben scheinen, gäbe es nicht die erhabene Ordnung und Harmonie, auf die wir uns verlassen und der wir vertrauen, Körper, welche tatsächlich göttliche Wesen sind. In der Tat ist das Universum das, was auch der Name besagt, eine Einheit – und genau das meinen wir, wenn wir sagen, daß Bruderschaft eine Tatsache in der Natur ist. Diese Identität von Ursprung und Charakter, dieses ‘Eine im Vielen’ und ‘das Viele im Einen’ macht die Wechselwirkung zwischen all den Teilen des großen Ganzen nicht nur möglich, sondern unvermeidlich.
G. de Purucker drückt dies in seinen Fundamentals of Esoteric Philosophy, S. 35 (engl.) folgendermaßen aus:
‘Wenn der Mensch erkennt, daß er mit allem eins ist, was ist, innerlich und äußerlich, hoch und niedrig; daß er eins mit ihnen ist, nicht nur wie die Mitglieder einer Gemeinschaft eins sind, nicht nur wie die Einzelwesen einer Armee eins sind, sondern wie die Moleküle unseres eigenen Fleisches, wie die Atome der Moleküle, wie die Elektronen der Atome eine Einheit bilden – nicht nur eine Verbindung, sondern eine spirituelle Einheit – dann sieht er die Wahrheit.’
Wir sehen, daß gegenseitige Abhängigkeit ein fundamentales Prinzip im Universum ist, und wir werden entdecken, daß dieses Grundprinzip in allen Einzelteilen des universalen Organismus wirksam ist. Wir haben dies am menschlichen Körper gezeigt. Das Atom, das Sonnensystem, die Milchstraße, alle zeigen in ihrer Struktur und ihren Wirkungen die fundamentale Wirklichkeit von Harmonie und gegenseitiger Abhängigkeit als dem zugrundeliegenden und regulierenden Prinzip in allem Leben auf. Jede Handlung, jede Anstrengung, sei diese physisch, mental oder moralisch, hat ihren gebührenden Einfluß auf diese fundamentale Harmonie, auf dieses Gleichgewicht und diese gegenseitige Abhängigkeit. Selbstsüchtige Gedanken oder Taten stören die Harmonie und verursachen Leiden in der nahen oder fernen Zukunft. Die Enttäuschungen, die wir im Leben erleiden und der Kampf, den wir führen müssen, und zwar oft unter ungünstigen Verhältnissen, sind die direkte Folge unseres Handelns in diesem oder einem vorigen Leben.
Über die Frage, warum es Leiden gibt, haben wir alle unterschiedliche Vorstellungen; die Natur kennt jedoch keine wohltätigere Methode, uns auf unsere Begrenzungen aufmerksam zu machen oder auf das Unrecht, das wir begehen, als daß sie uns ermöglicht, die genauen Wirkungen unserer törichten und selbstsüchtigen Handlungen zu erleiden – wie wir auch bis zum letzten Jota und i-Tüpfelchen aus den Resultaten jedes wirklich uneigennützigen Gedankens und jeder wirklich selbstlosen Tat Nutzen ziehen. Dieser ganze Regulierungsvorgang charakterisiert die selbstlose Seite der Natur, die ebenso unpersönlich handelt und reagiert wie Sonne und Regen.
Das unsterbliche Element in uns ist die Quelle unserer höchsten Inspiration und Stärke, denn es birgt die Weisheit und Erkenntnis unserer gesamten Vergangenheit in sich, die unzerstörbare Aufzeichnung unserer Leiden und Inspirationen, unserer Hoffnungen und Träume. Es registriert all unsere Gedanken und Handlungen – und diesen Ursachen, die heute, gestern und in vergangenen Leben erzeugt wurden, entspringen die Wirkungen.
Für das kosmische Buch des Schicksals existiert daher kein schriftführender Engel, der göttlichen Lohn oder höllische Bestrafung zuteilte. Der Mensch selbst ist es, der seine Vergangenheit eingeschrieben hat, der seine Gegenwart lesen und deuten muß und dabei seine Zukunft gestaltet.
– JAMES A. LONG, Bewußtsein ohne Grenzen, S. 18-19
Zwar wird über Karma gesprochen wie über ein Gesetz, es gibt aber keinen Gesetzgeber, kein beherrschendes Wesen, das dieses oder jenes Dekret erläßt. Vielmehr ist Karma eine Eigenschaft, welche der Natur der Dinge innewohnt. Die alte Lehre besagt, daß jede Handlung das Ergebnis einer früheren Ursache ist und selbst wieder die Ursache für eine zukünftige Handlung wird, und so weiter. Diese dauernde Bewegung ist nicht das Resultat von blinden Kräften, sondern ein lebendiger Strom von Veränderungen, die ihren Ursprung in Gedanken, Taten, Emotionen und Gefühlen haben, in Bestrebungen und Begierden aus all den Leben, die zusammen das Universum bilden und es sind.
Wir wiederholen, es gibt keinen Gesetzgeber und dennoch könnten wir sagen, daß es karmische Vermittler gibt. Wer sind sie? Es sind die großen und weisen Wesen, die bewußt ihren Platz im Universum gefunden haben; die so weit evolviert sind, daß man sie in Bezug auf eine bestimmte Stufe oder Ebene als vollkommen bezeichnen kann, und die darum auf dieser Ebene in Harmonie mit dem Universalgesetz arbeiten. Über ihnen gibt es wieder andere und so geht es weiter, ad infinitum.
Es ist selbstverständlich, daß es in diesem geordneten, komplizierten Universum einen Plan gibt, einen Sinn, und daß jede Einheit, die ihr Dasein im Universum hat, ein Teil des Planes ist. Wenn also die Harmonie irgendwo von unentwickelten, lernenden Wesen gestört wird, wirkt eine alles überragende Kraft, die sich der Wiederherstellung der Harmonie widmet. Die Wirkung Karmas ist immer darauf ausgerichtet, die Harmonie wiederherzustellen, aber weil jede Veränderung aus dem Bewußtsein hervorgeht und das Universum nichts anderes ist als verkörpertes Bewußtsein, werden die karmischen Begleichungen letzten Endes von bewußten Wesen hervorgebracht, die auf ihrer Tätigkeitsebene die Gerechtigkeit verkörpern. Der Herrscher über einen Planeten zum Beispiel erfüllt diese Rolle, weil er die Stufe in der Evolution erreicht hat, wo er absolute Kenntnis von allem besitzt, was zu diesem Planeten gehört. Verglichen mit einer höheren Ebene ist er ein Lehrling, aber für die Ebene unter ihm ist er vollkommen. Sein Wissen von dieser Ebene ist eine Art Intuition oder sofortige Einsicht und seine Führung muß mit der Gerechtigkeit und dem göttlichen Plan übereinstimmen. Man sagt, daß die Götter niemals in Karma eingreifen. Sie könnten es auch nicht. Lernende Wesen müssen die Freiheit haben, ihr eigenes Schicksal zu gestalten, was bedeutet, daß ihre Fehler auf sie selbst zurückfallen, denn nur auf diese Weise können sie lernen. Die Menschen bestimmen ihr Schicksal selbst, indem sie aus den verschiedenen Alternativen, die das Leben bietet, wählen, während karmische Vermittler das ausführen, wozu der Mensch sich entschieden hat.
Diejenigen aber, die zu einer höheren Ebene gehören, führen, beschützen und helfen ihren jüngeren Brüdern bei ihrer Evolution. Auf der langen Lebensleiter steht der Höhere zum Niedrigeren wie Eltern zu ihrem Kind. Sie leben, um zu inspirieren, um ihren Nachkömmlingen zu dienen, und in späteren höheren Stadien der Evolution der Menschheit wird diese Verwandtschaft erkannt werden. Selbst die Mahatmas, obgleich sie unterhalb der Ebene der Götter stehen und daher noch Menschen sind, sind im Vergleich zu uns vollkommen. Sie wenden sich nach uns um, um uns zu helfen, wir sind uns dessen ebensowenig bewußt, wie das Kleinkind der wachsamen Fürsorge der Mutter. So wird das Universum durch ein Netz des Mitleids zusammengehalten.
Könntest du göttliches MITLEID austilgen? Mitleid ist kein Attribut. ES ist das GESETZ der Gesetze – ist ewige Harmonie, ALAYAS SELBST; eine uferlose, universale Essenz, das Licht immerwährenden Rechts, die Folgerichtigkeit aller Dinge, das GESETZ ewiger Liebe. Je mehr du eins mit ihm wirst, je mehr du in seinem Sein aufgehst, je mehr sich deine Seele mit dem was ist vereinigt, desto mehr wirst du selbst ABSOLUTES MITLEID werden.
– H. P. BLAVATSKY, Die Stimme der Stille, S. 93
Wir sind unser eigenes Karma
Säe eine Tat, und du wirst eine Gewohnheit ernten. Säe eine Gewohnheit, und du wirst ein Schicksal ernten, weil Gewohnheiten den Charakter aufbauen. Dies ist die Reihenfolge: eine Tat, eine Gewohnheit, ein Charakter, ein Schicksal. Du bist der Schöpfer deiner selbst. Wozu du dich jetzt machst, das wirst du in der Zukunft sein. Was du jetzt bist, eben dazu hast du dich in der Vergangenheit gemacht. Was du säst, das wirst du ernten.
– G. DE PURUCKER, Goldene Regeln der Esoterik, S. 114
Es ist eine der Lehren der Weisheitsreligion, daß jedes Atom, da es ein untrennbarer Teil des Universums ist, in sich selbst alle Entwicklungsmöglichkeiten dieses Universums birgt, ebenso wie im Samenkorn der zukünftige Baum eingeschlossen ist. Daher wird jedes Atom mit der Zeit ein Mensch werden, danach ein Gott, dann wird es noch höhere Stufen des göttlichen Lebens erreichen.
Es ist klar, daß im Falle des Menschen diese Möglichkeiten bis zum menschlichen Stadium entwickelt sind, wo die Verantwortung für das Schaffen des persönlichen Karmas beginnt. Von diesem Punkt an wird der mit Verstand begabte Mensch sein eigenes Schicksal bestimmen. In jener frühen Phase, bevor die Menschheit die lange Pilgerfahrt zu einer höheren Ebene begonnen hatte, wurde sie über das Ziel des Lebens von großen Lehrern unterrichtet. Seitdem hat der Mensch viele Male in unterschiedlichen Rassen und Zivilisationen gelebt. Niemals fehlten ihm Hilfe oder Licht, um den Weg zu finden. Er kann auf die Stimme seines Gewissens hören; die Folgen seiner guten und schlechten Taten sind die Lektionen für die Zukunft; er besitzt Verstand, um die Dinge zu interpretieren und einen freien Willen, um zu wählen. Deshalb kann man sagen, daß der Mensch sich selbst geschaffen hat und sein eigenes Karma ist.
Das zuletzt Gesagte beinhaltet, daß jede Tat und jeder Gedanke den Charakter verändert. Wir verändern uns fortwährend. Nichts bleibt auch nur für einen Moment gleich, so daß der Mensch deshalb fortwährend das Resultat, die Frucht von all seinen Gedanken, Emotionen und Handlungen ist, je nachdem, ob er seinen Willen gebraucht oder nicht. Er ist stets sein eigener Biograph, er ist der große Künstler, der die Werkzeuge für das Schmieden seiner Zukunft in seinen eigenen Händen hält, und er muß diese gerade so lange gebrauchen, bis das Äußere zu einem würdevollen Tempel für den inneren Gott wird. Das Leben ist in der Tat eine große Kunst.
Jeder Augenblick kann daher als ein neuer Anfang betrachtet werden, und es ist klar, daß man sich nur von dem Punkt an, den man erreicht hat, weiterentwickeln oder wachsen kann. Ganz gleich, welche Kraft oder Anschauung wir erworben haben, sie kann uns nicht mehr genommen werden, und was wir uns an überflüssigem Ballast, verkehrten Gewohnheiten oder minderwertigen Eigenschaften anerzogen haben, kann nur durch den Einsatz des Willens wieder verschwinden. Diese Eigenschaften wurden zu einem Teil von uns und keine von außen kommende Kraft kann sie durch magische Mittel aus dem Charakter verbannen. Aber die Helfer der Menschheit versuchten in jedem Zeitalter, den Kämpfer im Herzen eines jeden vom Weg abgekommenen Pilgers zu erwecken. Wenn dieses Erwachen stattfindet, ändert sich der Einfluß von Karma. Man lenkt seine Aufmerksamkeit auf ein anderes Lebensziel, so daß sich allmählich konstruktive Kräfte entwickeln, welche die alten zerstörerischen Kräfte verwandeln.
Wir müssen den bereits erweckten Kräften entgegentreten, aber wir sind dann in der Lage, dies mit Mut und Verständnis zu tun, ausgestattet mit einer neuen Rüstung, welche sie nicht durchdringen können, und die vielleicht eine gleich starke, entgegengesetzt gerichtete Kraft besitzt, welche die negativen Kräfte neutralisiert. Labile Charaktere bieten Karma einen schwachen Brennpunkt. Sie nehmen die Dinge leicht, lassen sich auf dem Lebensstrom treiben, genießen und leiden, ohne nach dem Warum zu fragen und verlassen ihren Körper ebenso, wie sie in ihn eintraten.
Aber das geht nicht immer so weiter. In jedem Menschenleben ereignen sich Dinge, manchmal nur kleine Ereignisse, die wachrütteln, meistens Dinge, die Kummer und Schmerz verursachen und die wir zur dunklen Seite des Lebens rechnen. Wenn wir sie nicht allein als etwas Negatives erdulden, sondern sie so akzeptieren wie sie sich ereignen und versuchen, aus allen Umständen das Beste zu machen, werden wir lernen und wachsen. Anstatt die Dinge passiv zu betrachten, erachten wir dann alles, was uns widerfährt, als ein Mittel, um auf dem Weg, den wir alle gehen müssen, einen Schritt vorwärts zu tun. Es reizt uns zur Aktivität, und wenn wir uns nicht wehren oder uns willenlos führen lassen, sondern mit der Natur zusammenarbeiten, die versucht, uns zur Entwicklung anzuspornen, dann geben wir unserem Leben eine Wendung, die Aussicht auf eine größere Zukunft bietet. Die Vergangenheit entscheidet über zukünftige Ereignisse. Möglicherweise werden sie uns ein Gefühl der Freiheit bringen, tiefere Sympathien, neue Freunde und neue Gelegenheiten; vielleicht aber werden Unglück, Leiden oder Feinde aus der geheimnisvollen Vergangenheit hervorgerufen; denn keiner von uns konnte Zusammenstöße mit dem Gesetz vermeiden. Doch das alles dient nur dazu, den Weg frei zu machen. Eines Tages wird diese selbstgeleitete Evolution zu großer Freiheit, zu wunderbaren Möglichkeiten und der Freundschaft mit jenen Großen führen, die gesiegt haben.
Wir stehen fortwährend am Rande großer Möglichkeiten und entscheidender Momente; aber anstatt diese Gelegenheiten zu ergreifen und zu einer tieferen Einsicht und zu einem erweiterten spirituellen Leben voranzuschreiten, schrecken wir zurück, zögern wir aus Scheu – und so verlieren wir sie alle. Die Gegenwart ist ein außergewöhnlicher Zyklus, und wir werden den gegenwärtigen Gelegenheiten in diesem Leben niemals wieder begegnen …
Fürchten Sie nichts, denn jeder erneute Versuch erhebt alle früheren Fehlschläge zu Lektionen, alle Sünden zu Erfahrungen. Verstehen Sie mich richtig, wenn ich sage, daß sich im Lichte eines erneuten Versuchs das Karma Ihrer ganzen Vergangenheit ändert; es stellt keine Bedrohung mehr dar. Vor dem Auge der Seele ist es der Übergang von der Ebene der Buße zu der des Lernens. Es steht da als ein Denkmal, als Erinnerung an frühere Schwächen und als Warnung vor künftigem Versagen.
Fürchten Sie daher nichts für sich selbst; Sie stehen hinter dem Schild Ihres erneuten Bestrebens, auch wenn Sie hundertmal versagten. Versuchen Sie allmählich treu zu werden, mit keinem anderen Motiv, als daß auch andere treu sein werden. Fürchten Sie nur, in Ihrer Pflicht gegenüber anderen zu versagen, und selbst dann soll Ihre Sorge den anderen gelten, und nicht Ihnen selbst.
– KATHERINE TINGLEY, Theosophy, The Path of the Mystic, S. 68/9, überarbeitete Auflage 1977.
Manchmal offenbart früheres Karma sich in physischen Krankheiten. Es äußert sich sogar bei Kindern, die mit einer bestimmten Krankheit oder körperlichen Gebrechen zur Welt kommen. Die Verfasser des Neuen Testaments haben diese Tatsache erkannt, was man aus der Frage im Johannesevangelium (Joh. IX, 2) entnehmen kann: ‘Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, daß er blind geboren ist?’
G. de Purucker sagte folgendes, als er über Krankheit sprach:
Sowohl Gesundheit als auch Krankheit sind die karmischen Folgen der Wesenszüge und der Neigungen, die wir den Lebensatomen aufgeprägt haben, welche die verschiedenen Hüllen zusammensetzen, in denen wir, die menschlichen Egos, während des Erdenlebens eingekleidet sind. Sie sind ihnen durch unsere Gedanken, unsere Gefühle, unsere Wünsche und unsere Gewohnheiten eingeprägt.
Zu behaupten, daß Selbstsucht die Ursache aller Krankheit sei, ist eine zu allgemeine Feststellung. Genauer gesagt ist es jene Form der Selbstsucht, die man Leidenschaft nennt – unbesiegte heftige Leidenschaft, wie Haß, Zorn, Lust, etc –, welche die sich auswirkende Ursache der Krankheit ist, ob bewußt oder unbewußt. Jede derartige mentale oder physische Leidenschaft erschüttert die niedrige Konstitution des Menschen. Sie entschlüpft der führenden Kontrolle seines höheren Wesensteils, ändert die Richtung der prānischen Lebensströme, indem sie sie hier und da verdichtet oder verdünnt. Sie stört daher das normale ruhige Wirken der Natur, das in diesem Zusammenhang Gesundheit bedeutet. Selbstsucht ist in der Tat nicht nur die Wurzel der meisten Krankheiten, sondern auch der meisten üblen Taten, und beide werden ursprünglich nicht durch unbesiegbare, sondern durch unbesiegte Leidenschaften verursacht.
Die Symptome der Krankheit, die nur zu häufig für die Krankheit selbst gehalten werden, sind nicht selten die Bemühungen der Gesundheitskräfte, das Gift aus dem Körper hinauszuschaffen. Eine Krankheit sollte als ein Reinigungsprozeß verstanden werden, weil das Ende eine Reinigung sein wird. Sie sollte ruhig und mit Verständnis für die Situation willkommen geheißen werden, ohne jegliche Furcht oder einen Versuch, den Vorgang zu komplizieren oder zu hindern. Aber viele Leute glauben, daß man eine Krankheit heilt, indem man sie zurückdämmt und die Tore gegen ihren Ausbruch aus dem System verschließt. Ein solches Zurückdämmen erlaubt es jedoch den Wurzeln der Krankheit, festeren Halt zu finden, sich auszubreiten und Energie zu sammeln, so daß, wenn sie wiedererscheint – sie wird dies unvermeidlich tun, denn ihre Wurzeln sind noch nicht entfernt worden –, ihre Reaktion auf den Körper weit heftiger sein wird, als es der Fall wäre, wenn man der Krankheit erlaubt hätte, ihren natürlichen Lauf zu nehmen.
Dies alles hat eine ethische Seite, die noch nicht genügend berührt worden ist. In vielen Fällen können Krankheiten eine vom Himmel gesandte Wohltat sein: sie heilen Egoismus, sie lehren Geduld und führen zu der Erkenntnis, daß es wichtig ist, richtig zu leben. Wenn wir mit unseren unbeherrschten Emotionen Körper besäßen, die nicht krank werden könnten, dann wäre es sehr wohl möglich, daß sie durch Exzesse geschwächt und getötet werden könnten. Krankheiten sind eigentlich Warnungen, damit wir unsere Gedanken verbessern und in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen leben.
In der Medizin begann weltweit in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein neuer Zyklus: Man verabreichte den Menschen nicht mehr länger Arzneien, bis sie mit einem kräftigen Schluck von diesem oder jenem Trunk starben. Die Doktoren begannen zu erkennen, daß es die Natur ist, die heilt, und daß der weise Arzt viel eher führend und ausgleichend wirken sollte, als Arzneien zu verteilen. Trotzdem sind Krankheiten im akuten Stadium oft tödlich, weil das Wissen der Ärzte immer noch unvollkommen ist. Die Krankheiten verlaufen für das menschliche System zu rasch, um der Belastung widerstehen zu können, aber andererseits werden die medizinischen Fachleute der fernen Zukunft sehr gut verstehen, was Krankheiten sind, und die Methoden kennen, sie zu heilen – und wie sie zu verhüten sind. Sie werden eine Krankheit derart behutsam herausleiten, daß sie zu verschwinden scheint, während sie sich in Wirklichkeit manifestiert, geradeso, wie der Körper sich heute oftmals von einer Krankheit durch seine eigenen, nicht unterstützten Kräfte befreit.
Wir müssen im Gedächtnis behalten, daß alles, was einem Menschen geschieht, das Wirken Karmas ist, und daß Krankheiten die Folge von disharmonischen Gedanken und Emotionen in diesem oder in einem vergangenen Leben sind, die sich jetzt durch den Körper auswirken. Genauer ausgedrückt, alle Krankheiten werden durch die Mitwirkung von Elementalen herbeigeführt. Dies ist die alte Lehre und daran glaubte die ganze Welt, bis der Westen in seiner erhabenen Weisheit begann, diese allgemein übereinstimmende Ansicht der menschlichen Rasse als Aberglauben zu betrachten.
Im Neuen Testament werden Krankheiten der Tätigkeit von Teufeln oder Dämonen zugeschrieben – ein grotesker Übersetzungsfehler. Es sind fehlerhafte Übersetzungen, die aus einem Mißverständnis dessen entstanden, was die frühen christlichen Schreiber sagen wollten, als sie diese Traktate schrieben. Diese Daimonia, wie das griechische Wort lautet, stellen lediglich die niedrigste Ordnung belebter und empfindender Kreaturen dar – in der Theosophie gewöhnlich Elementale genannt –, welche die unterste Stufe der hierarchischen Leiter bilden. Ihre höchste Stufe ist der Zustand sowohl der spirituellen Existenz als auch einer wirklichen, von den Göttern bewohnten Welt. Zwischen einem Elemental und einem Gott besteht ein großer Unterschied im evolutionären Fortschritt. Im innersten Wesen oder Ursprung gibt es jedoch keinen Unterschied. Der Mensch nimmt auf dieser Lebensleiter eine Zwischenstufe ein.
Alle Krankheiten, von der Epilepsie oder dem Krebs bis zu einer gewöhnlichen Erkältung, von der Tuberkulose bis zu Zahnschmerzen, vom Rheumatismus bis zu einer anderen physischen Unpäßlichkeit, werden daher durch Elementale herbeigeführt, die als Instrumente des karmischen Gesetzes wirken. Dasselbe gilt auch für Geisteskrankheiten: ein Wutausbruch, eine üble Laune, eine anhaltende Melancholie und die Manien verschiedenster Art sind dem Ursprung nach alle elemental. Die Mordlust ist ein passendes Beispiel: Ihrem Wesen nach ist sie so grausam wie unmenschlich – sie ist elemental. In diesem Fall besitzt ein Elemental die Herrschaft über den menschlichen Tempel und hat für den Augenblick seinen rechtmäßigen menschlichen Bewohner verdrängt. Ein derartiger Zustand tritt durch Schwäche und Nachgiebigkeit sich selbst gegenüber ein.
Es gibt aber ein sicheres Schutzmittel gegen alle Krankheiten, das sowohl physiologische als auch psychologische Eigenschaften besitzt, und das ist die Ausübung der uralten Tugenden …
Da die Krankheiten die karmische Auswirkung vergangener Irrtümer der Lebensführung, des unharmonischen Arbeitens mit der Natur sind, ist der Weg zur Gesundung das Arbeiten mit der Natur. Und dies ist möglich, weil wir ein wesentlicher Teil von ihr sind. Alle Weisen und Seher haben diesen Weg gelehrt. Die Methode wurde in jeder großen Religion und Philosophie immer wieder zum Ausdruck gebracht. Aber kein wahrer Weiser oder Adept greift jemals in das karmische Gesetz ein, denn sie sind die Diener dieses Gesetzes und offenbaren es durch ihr Handeln unter den Menschen. In gewissem Sinne sind sie auch diejenigen, welche das karmische Gesetz ans Licht bringen, denn dadurch wird ein natürliches Gleichgewicht erreicht und die Evolution beschleunigt. Daher sind sie Heiler der Menschenseelen. Heile die Seele und du heilst den Körper …
– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, Bd. 2, S.215-223
Jede Disharmonie sucht sich gemäß den normalen Prozessen der Natur ihren Weg nach außen, an die Oberfläche. Manchmal beobachten wir bei uns selbst oder bei anderen eine Reihe größerer oder kleinerer Unglücke, die gewöhnlich dem Mißgeschick zugeschrieben werden. Ein anderes Mal ändert Fortuna ihre Taktik, und alles was wir unternehmen, gelingt uns. Das kann bedeuten, daß das, was wir schlechtes Karma nennen, aufgearbeitet ist. Aber im Grunde ist es nur dann schlecht, wenn wir die Lektion nicht gelernt haben und unser Leben weiterhin ziellos und inkonsequent führen, so daß ‘Mißgeschick’ und ‘Glück’ sich abwechseln. Wenn wir uns darüber im Klaren wären, daß wir selbst das Resultat dessen sind, was wir dachten, fühlten oder taten, sowohl in diesem als auch in früheren Leben, daß wir durch unsere Gedanken und Taten das Gewebe des Charakters selbst veränderen – ein Charakter, der oft Unglück herausforderte – würden wir Selbstbeherrschung, Freundlichkeit und Zusammenarbeit erlernen und zu einer wohltätigen Kraft in der Natur werden.
Die menschliche Natur ist sehr komplex, und die Folgen von Disharmonie werden natürlich durch die Kanäle zum Ausdruck kommen, in denen die Störung entstand. Das ganze Thema ist in seiner Auswirkung sehr kompliziert, doch im Prinzip einfach, es wäre im heutigen Stadium unserer Evolution sinnlos, den Details nachzugehen. Manchmal erkennen wir bei ein und derselben Person einen mißgebildeten Körper, dazu einen feinen Geist und einen sonnigen Charakter; oder einen robusten Körper, der einen verworrenen Geist und einen selbstsüchtigen Charakter beherbergt. Im ersten Fall sind die Krankheitserreger dabei, sich auszuwirken, während sie im zweiten Beispiel eingepflanzt werden, auch wenn die physischen Kräfte in dieser Inkarnation stark genug sind, ihnen zu widerstehen. Oft sehen wir, daß jemand mit einem guten, reinen und sympathischen Charakter angestrengt für andere arbeitet, seinen Körper aber vernachlässigt. In einem solchen Fall scheint es so, daß Karma auf der physischen Ebene beginnt und endet, wenn es auch immer eine Reaktion von der einen zur anderen Ebene geben muß. Es ist auch möglich, daß man seine Energie so stark auf die eigene Gesundheit konzentriert, daß man die Leiden der Mitmenschen übersieht. Solche Menschen haben vielleicht zeitweilig einen sehr kräftigen Körper, aber um welchen Preis! Überall herrscht Gesetzmäßigkeit. Wir erhalten das, wonach wir uns sehnen. Die unendlichen Möglichkeiten des Universums liegen vor uns, aber nur der, dessen Ton mit dem über alles herrschenden Gesetz des Mitleids harmonisch ist, kann den Sieg davontragen.
Wenn am Ende dieses große Ziel erreicht ist, dann, so heißt es, erhebt sich der Mensch über Karma. Karma wirkt immer und überall, aber wenn wir uns nicht länger gegen die großen Strömungen des Universums wehren, empfinden wir keine Reibung mehr und erlangen Fortschritte leichter und schneller.
Ja, „unser Schicksal steht in den Sternen geschrieben!“ Nur, je enger die Vereinigung zwischen dem sterblichen Wiederschein MENSCH und seinem himmlischen VORBILD ist, desto weniger gefährlich sind die äußeren Bedingungen und die folgenden Wiederverkörperungen – denen weder Buddhas noch Christusse entgehen können. Das ist kein Aberglaube, am wenigsten ist es Fatalismus. Der letztere schließt in sich ein blindes Ablaufen einer noch blinderen Kraft ein, aber der Mensch handelt während seines Verweilens auf der Erde frei. Er kann seinem beherrschenden Schicksal nicht entrinnen, aber er hat die Wahl zwischen zwei Pfaden, die ihn in dieser Richtung führen, und er kann das Endziel des Elends – wenn ihm ein solches bestimmt ist – entweder in den schneeweißen Gewändern des Märtyrers erreichen, oder in den beschmutzten Kleidern eines Freiwilligen auf dem bösen Wege; denn es gibt äußere und innere Bedingungen, welche die Bestimmung unseres Willens auf unsere Handlungen beeinflussen, und es liegt in unserer Macht, dem einen oder dem anderen von beiden zu folgen. Jene, die an Karma glauben, müssen an das Schicksal glauben, daß von der Geburt bis zum Tode ein jeder Mensch Faden um Faden um sich selbst webt, wie eine Spinne ihr Netz; und dieses Schicksal ist gelenkt, entweder von der himmlischen Stimme des unsichtbaren Vorbildes außerhalb von uns, oder von unserem mehr vertrauten astralen oder inneren Menschen, der nur zu oft der böse Genius der verkörperten Wesenheit, genannt Mensch, ist. Diese beiden führen den äußeren Menschen voran, aber einer von ihnen muß vorherrschen; und von dem ersten Anfange des unsichtbaren Aufruhrs an setzt das strenge und unerbittliche Gesetz der Vergeltung ein und nimmt seinen Lauf, getreulich dem Hinundherwogen des Kampfes folgend. Wenn der letzte Faden gesponnen und der Mensch anscheinend in das Netzwerk seines eigenen Handelns verwickelt ist, dann findet er sich vollständig unter der Herrschaft seines selbstgeschaffenen Geschickes. Dasselbe heftet ihn dann entweder wie die schwerfällige Muschel an den unbeweglichen Felsen, oder es trägt ihn wie eine Feder hinweg in dem durch seine eigenen Handlungen erregten Wirbelwind, und das ist – KARMA.
– H. P. BLAVATSKY, Die Geheimlehre, Bd.I, S. 700-701
Die Frage der Vererbung
Man könnte sich fragen: Wenn man sein eigenes Karma ist, wie können wir dann die Vererbung erklären? Die Theosophie gibt auf diese Frage folgende Antwort, die mit den zu beobachtenden Tatsachen übereinstimmt. Wir werden in eine bestimmte Familie geboren, weil wir in der Vergangenheit mit ihr verbunden waren und durch früher geknüpfte psychomagnetische Bande dort hingehören. Diese Bande bestehen aus vitalen Energien und müssen sich in der Sphäre auswirken, in der sie entstanden sind. Es ist deutlich, daß wir neben Karma auch die Lehre der Reinkarnation studieren müssen, weil die eine Lehre ohne die andere sinnlos erscheint. Wir werden unter bestimmten Menschen und bei bestimmten Eltern geboren, durch die Bande, die wir in vergangenen Leben mit ihnen knüpften. Wenn wir jemanden hassen oder lieben, sind wir mit diesem Menschen so lange verbunden, wie der Haß oder die Liebe existieren. Wir kommen gemeinsam auf diese Erde zurück, Freunde, Angehörige und Feinde, um unsere Freude und unser Leid, unsere Arbeit und unser Spiel, unsere Erfahrungen und unsere Lektionen im menschlichen Leben erneut aufzunehmen.
Wir können sagen, daß die Familie es ermöglicht, daß die individuelle Vererbung sich offenbart und wir wiederholen, was nicht oft genug gesagt werden kann: Karma gehört zum Wesen des Individuums und wird ihm nicht von außen auferlegt. Wenn wir das bedenken, sehen wir, daß die Vererbung eines reinkanierenden Wesens durch das bestimmt wird, was es selbst ist. Warum sind die Angehörigen einer Familie oft so verschieden, obwohl alle unter den gleichen Bedingungen und aus dem gleichen Vererbungsstrom geboren wurden?
Die unterschiedlichen Kombinationen erblicher Eigenschaften bei den einzelnen Menschen werden von den psychomagnetischen Anziehungen gesteuert, die zu den Skandhas des reinkarnierenden Wesens gehören. Das Sanskritwort Skandhas wird in der theosophischen Literatur verwendet, weil es in keiner anderen Sprache ein Wort gibt, welches die Qualitäten bezeichnet, die das essentielle Gefüge einer Wesenheit darstellt, ihre persönliche Natur. Sie beziehen sich auf die Eigenschaften, Neigungen, Merkmale, hohe und auch niedrige, wodurch sich die Menschen voneinander unterscheiden. Sie sind die Samen von Gedanken, Taten und Gefühlen, entweder von materieller Art, die dann helfen den nächsten Körper zu formen, oder sie sind von mentaler oder moralischer Art.
Die Art und Wirkung der Skandhas kann am besten verstanden werden, wenn wir zuerst die Lebensatome näher betrachten. Diese können als die Seele der Atome beschrieben werden, mit deren Hilfe das inkarnierende Wesen sich einen Körper erschaffen kann. Es sind die Bausteine, die alles gestalten. Sie existieren auf jeder Ebene der Natur, spirituell, mental, emotional, physisch und in jedem Stadium der Entwicklung oder Evolution innerhalb dieser Ebenen. Im menschlichen Leben formen sie den Körper mit seinen Zellen und Organen, sie gestalten seine mentale oder emotionale Zwischennatur und auch seine spirituelle Konstitution.
Die Lebensatome, die jetzt unseren physischen Körper und auch unsere psychologische und spirituelle Natur formen, werden in jedem Moment von all unseren Gedanken und Taten beeinflußt. Wenn wir liebevoll, rein und selbstlos sind, beeinflussen wir sie in dieser Weise; ebenso können wir sie aber auch mit Selbstsucht, Leidenschaft oder Haß, oder mit Schwingungen von Angst und Pessimismus durchdringen. Weil unser Körper und unsere innere Natur sich ständig durch Wachstum, Entwicklung und Verfall ändern, bleiben diese Lebensatome nicht bei uns, sondern strömen von uns aus, um sich zeitweilig mit Wesen und Substanzen zu verbinden, die mit den von uns empfangenen Eindrücken verwandt sind. Dies geschieht während des ganzen Lebens, aber noch vollständiger nach dem Tod. Denn dann findet eine Trennung der Prinzipien statt, die gemeinsam den Menschen bilden. Der spirituelle Teil geht in höheren Bereiche über, nachdem er alles, was zum persönlichen Menschen gehört, in gereinigter, essentieller Form in sich eingezogen hat; die leidenschaftliche, emotionale Natur bleibt für eine bestimmte Zeit auf ihrer eigenen Ebene, bervor sie sich auflöst und der physische Körper verfällt schnell, wie wir alle wissen. Dann finden die Lebensatome auf den Ebenen der Natur ihren natürlichen Wohnsitz, beladen mit den Eigenschaften und Neigungen, die sie im letzten Erdenleben empfingen. Aber sobald die Wiederverkörperung wieder eingeleitet wird, strömen sie unter dem Einfluß der natürlichen Anziehungskraft wieder zu dem Wesen zurück, das sie einst aussandte.
Diese Lebensatome sind die Träger der Skandhas, das Aroma unserer früheren Leben. Sie sind die Bausteine vieler Grade der Evolution, die auf diese Weise durch ihre eigenen Merkmale die Persönlichkeit formen, die im Begriff ist, geboren zu werden. G. de Purucker sagt in der Quelle des Okkultismus, Bd. 2, S. 205-208 folgendes über die Vererbung:
Jeder Mensch hat mehr als nur eine rein physische Vererbung. Er hat eine astrale, eine psychische, eine intellektuelle, eine spirituelle und in der Tat auch eine göttliche Vererbung. Da er das Kind seiner selbst und gegenwärtig der Vater all dessen ist, was er in der Zukunft sein wird, ist seine Vererbung lediglich das Ergebnis der Kette von Ursachen, die dem entstammt, was er zuvor auf irgendeiner Ebene war. Deshalb wird das, was er dachte oder empfand, ebenfalls notwendigerweise seine Konsequenzen haben und seinen Charakter entsprechend formen.
Vererbung ist nicht nur die Rückkehr der pranischen Atome aus früheren Leben, die die Merkmale des Egos jener Leben tragen, sondern sie ist auch das Charakteristikum eines von den Eltern auf das Kind durch die Lebensatome übertragenen Lebensstroms.
Ein großer Teil der Vererbung, des Stromes von Konsequenzen, wird von Generation zu Generation durch die Lebensatome übertragen. Der andere Teil der Vererbung ist der, den die Eltern in die Gleichung einbringen; aber kein Lebensatom geht jemals in eine ungeeignete Umgebung. Es geht nur in die Umgebung, zu der es psychomagnetisch hingezogen wird: Gleiches zu Gleichem, Leben nach Leben.
Eine ähnliche Folge von Ereignissen oder karmischen Wirkungen gibt es in jeder Rasse, ob tierisch, pflanzlich, menschlich oder anders. Diese Aufeinanderfolge von Ereignissen bildet die Glieder in der Kette von Ursachen, die wir Vererbung nennen. Wegen dieser Kette von Ursachen und den fast unbegrenzten Neigungen und Fähigkeiten, die latent in den Lebensatomen liegen, aus denen alle Dinge aufgebaut sind, können die Züchter von Tieren oder Pflanzen die interessanten Varianten züchten. So wurden zum Beispiel unsere Früchte und unser Getreide in den atlantischen und frühen arischen Zeiten aus Wildpflanzen entwickelt. Einige dieser Variationen bilden tatsächlich neue Arten, sie überdauern; sie bringen ihre eigene Art hervor. Dies kann man tun, weil es in jedem Lebensatom im Grunde genommen unendlich viele Möglichkeiten des Richtungswechsels gibt. Die Züchter liefern lediglich eine neue Umwelt, die es erlaubt, daß sich die bis dahin latenten Anlagen zum Ausdruck bringen können. Diese Energie- oder Lebensquelle innerhalb jedes Lebensatoms bringt die große Mannigfaltigkeit von Wesen um uns hervor.
Die Menschen liefern jedoch weit mehr als nur ein Heim oder die Lebensumstände für ihre Kinder. Das Leben ist keine Angelegenheit des Glücks oder des Zufalls – das sind nur Worte, die die menschliche Unkenntnis verdecken. Alles was ist, ist das Resultat einer Kette von Ursachen. Warum kommen gewisse Kinder zu gewissen Eltern? Jedes Kind wird zu der Umgebung und zu den Lebensströmen jener Eltern hingezogen, die dem Schwingungsgrad der hereinkommenden Seele am meisten entsprechen. Wir können dies eine Art von psychomagnetischer Anziehung an eine Umgebung nennen, die die größte Übereinstimmung mit den karmischen Bedürfnissen des Egos besitzt oder anders ausgedrückt, mit seinen eigenen charakteristischen Merkmalen. Die Konsequenz davon ist, daß die Eltern weit mehr als nur die Kanäle sind, durch die ein reinkarnierendes Ego diese Sphäre betritt, und weit mehr als nur menschliche Automaten, die ‘gute’ oder ‘schlechte’ Lebensumstände liefern.
Dies ist nur eine grobe Übersicht der Veränderungen, welche die scheinbare Kluft zwischen zwei Inkarnationen des menschlichen Egos auf der Erde überbrücken. Sie unterstützen die Erklärungen der theosophischen Lehren über die Vererbung. Sowohl Übereinstimmungen als auch Unterschiede werden solcherart auf eine Weise erklärt, die nicht nur logisch, sondern auch gerecht ist.
Fatalismus – oder Schicksal ?
‘Dieses Gesetz – sei es bewußt oder unbewußt – prädestiniert nichts und niemanden. Es existiert von und in Ewigkeit, fürwahr, denn es ist EWIGKEIT selbst; und als solches, da keine Handlung der Ewigkeit gleich sein kann, kann man von ihm nicht sagen, daß es handelt, denn es ist HANDLUNG selbst. Es ist nicht die Welle, die einen Menschen ertränkt, sondern die persönliche Handlung des Unglücklichen, der vorsätzlich hingeht und sich unter die unpersönliche Wirkung der Gesetze begibt, welche die Bewegung des Ozeans beherrschen.’
– H. P. BLAVATSKY, Die Geheimlehre, Bd. II, S. 319
Wahrscheinlich gibt es keine Wahrheit, die nicht so verdreht werden kann, daß sie etwas anderes darstellt, als sie wirklich ist. Wie schon erwähnt, ist Karma im Grunde die Lehre des freien Willens. Dennoch wird diese Lehre, welche die Wahl des Handelns beinhaltet, durch eine merkwürdige Verdrehung der Gedanken oft als Fatalismus ausgelegt. Welcher dunkle Geist hat irgendwann suggeriert, daß das Leben des Menschen – eines Gottes im Embryostadium und des Gestalters seines eigenen Schicksals – einem vorbestimmten Schicksal untergeordnet sei ? Aber was immer jemand in einer niedergeschlagenen Stimmung auch sagen möge, jeder Mensch weiß tief im Herzen, daß er frei ist im Denken und Handeln. Das zeigt sich in der Tatsache, daß er fortwährend in der Richtung arbeitet, von der er sich Erfolg verspricht. Wenn er günstige Resultate sich selbst zuschreibt, ist es wohl eine merkwürdige Logik, für andere, weniger gute Erfolge den Willen Gottes verantwortlich zu machen, es sei denn, man meint den Willen seines eigenen inneren Gottes. Dies wird im folgenden Zitat aus der Zeitschrift Lucifer, Teil VI, Nr. 9, März 1935, erläutert:
Im praktischen täglichen Leben besteht kein Zweifel, daß der Mensch einen freien Willen hat. Die Freiheit des Menschen innerhalb bestimmter natürlicher Grenzen ist offensichtlich. In der Beziehung zu seinen Mitmenschen hat er grundsätzlich die Freiheit, zu wählen und ist daher verantwortlich. Unsere gesamte gesellschaftliche Struktur und unsere Gesetze beruhen darauf. Die Idee der moralischen Verantwortung setzt den freien Willen voraus. Einen Menschen, der sich weigert, zu handeln oder die Verantwortung für seine Taten auf sich zu nehmen, mit der Begründung, er habe keinen freien Willen, wird man als einen Einfaltspinsel betrachten oder als jemanden, der durch unsinniges Nörgeln die Erfüllung der Pflicht und richtiges Handeln verhindert. Ein Mensch, dem es nicht möglich ist, seine Handlungen mit seinem Willen zu beherrschen, ist schwachsinnig, ein Hysteriker oder geisteskrank. Ein Richter würde ihn nicht in das Gefängnis, sondern in eine Pflegeanstalt einweisen. Wenn der freie Wille eines Menschen solcherart gehemmt ist, wird er nicht verurteilt.
Die Frage des freien Willens wird durch die übertriebene Vorstellung von dem, was Freiheit ist, sehr unklar. Unbewußt meint man vielleicht, daß es keine Freiheit gibt, wo einige Begrenzungen vorhanden sind.
Freiheit kann nur unter der Bedingung gewährt werden, daß sie nicht mißbraucht wird. Der Mensch hat innerhalb der sozialen Gesetze der Gesellschaft, welcher er angehört, persönliche Freiheit. Wenn er diese Gesetze übertritt, wird seine Freiheit durch Gefängnismauern beschränkt. Bezweifelt oder stellt es jemand in Frage, daß ein Mensch draußen, verglichen mit einem Gefangenen, Freiheit besitzt?
In einer Gesellschaft, wo Gesetz und Ordnung herrschen, sind alle Menschen, innerhalb der Grenzen des Gesetzes und solange sie sich an die soziale Ordnung halten, frei. Ein gesetzestreuer Bürger ist kein Sklave, weil er sich an die notwendigen Beschränkungen der gesellschaftlichen Ordnung hält.
Menschen, die das Gesetz brechen, müssen die Folgen davon in Kauf nehmen, erst recht, wenn es sich um die höheren Gesetze der Einheit, Zusammenarbeit und Mitleid handelt, welche das Universum zusammenhalten und den tiefsten Kern, die Essenz der Dinge, formen. Jede in Bewegung gesetzte Strömung erreicht ihr Ziel und wird mit der gleichen Kraft zurückgeworfen, mit der sie bewußt gegen das höhere Gesetz gerichtet war. Aber es ist immer möglich, diese Kraft durch eine Gegenströmung abzuschwächen oder zu neutralisieren. Angenommen, jemand ist in eine Familienfehde verstrickt, wie sie früher im mittelalterlischen Venedig vorkamen, die das Leben durch Konflikte vergifteten, sich ständig weiter aufschaukelten und durch jede Generation neu genährt wurden. Nehmen wir an, daß ein solcher Mensch dann beschließt, wie es in jenen Tagen vorkam, den Bann zu brechen, die Freundschaft anzubieten und den alten Streit beizulegen. Das könnte den Anfang eines neuen Karmas bedeuten, welches das alte neutralisiert und das schließlich Frieden bringt, wo Zwietracht herrschte.
Manchmal verdreht das selbstsüchtige menschliche Denken diese Lehre noch in einer anderen Weise. Wir alle kommen dann und wann in Kontakt mit den Leiden anderer Menschen, die durch Unglücksfälle oder Schicksalsschläge getroffen wurden, womit wir scheinbar nichts zu tun haben. Man stellt sich dann manchmal die Frage, ob man nicht in das Karma eingreift, wenn man den Betroffenen hilft und versucht, ihr Leiden zu mildern. Das ist mehr oder weniger eine theoretische Frage, weil die meisten Menschen in der Praxis des täglichen Lebens unmittelbar bereit sind, zu helfen, wo es möglich ist, und damit einem angeborenen Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Verantwortung Folge leisten. Womöglich haben wir mit den Beteiligten in der Vergangenheit Bande geknüpft und die Umstände mitverursacht, die sie nun trafen. Wir sollten daher stets im Auge behalten, daß ‘das Unterlassen einer barmherzigen Tat eine Todsünde ist’ (Die Stimme der Stille). In unserer Blindheit verwirren wir oft die Fäden dieses komplizierten Lebensgewebes, das uns alle verbindet. Hüten wir uns vor Gleichgültigkeit. Der Mensch, der ‘auf dem Weg liegen blieb’, auf dem wir uns gerade befinden, hat ein Recht auf unsere Hilfe. Wenn es sein Karma ist, vom Unglück heimgesucht zu werden, ist es auch sein Karma, daß jemand vorbeikommt, der ihm Hilfe leisten kann. Das ist selbstverständlich. Denn über dem Gesetz der Ursache und Wirkung, das uns dorthin brachte, steht das ‘Gesetz der Gesetze, das Mitleid.’ Es ist eindeutig unsere Pflicht, ihm zu helfen und Beistand zu leisten. Wir können es getrost den Gesetzen der göttlichen Gerechtigkeit überlassen, darauf zu vertrauen, daß ein Mensch bekommt, was er verdient, und wir brauchen dabei nicht nachzuhelfen.
Wir sind unseres Bruders Hüter. Wehe dem, der hartherzig an ihm vorbeigeht.
Es wäre besser, wenn man einen Mühlstein um seinen Hals hängte und würfe ihn ins Meer.
(Lukas, 17,2)
Manche Dinge sind in der Tat unvermeidlich. Wir alle befinden uns im Universum und wir müssen leben. Wir sind hier auf der Erde und werden solange zurückkehren müssen, bis wir unsere Lektionen gelernt haben, und bis zu diesem Tage werden wir mit ihr verbunden bleiben. Aber wir selbst lenken unser Schiff in vernünftiger oder unvernünftiger Weise durch den Strom. Wenn wir die Probleme dieser Erde und die unsrigen, die damit verbunden sind, überwunden haben, steht es uns frei, weiter zu gehen, tatsächlich bestimmen dann wir, daß wir weiter gehen. Wer Karma als Fatalismus bezeichnet, übersieht die grundlegende Tatsache, daß der Mensch im Innersten seines Wesens eins ist mit dem Herzen des Universums, worüber keine höhere Macht steht.
Jeden Tag schnitzen wir mit unseren eigenen Händen diese zahlreichen Windungen in unser Schicksal, indes bilden wir uns ein, daß wir der königlichen Heerstraße der Ehrbarkeit und Pflicht folgen, und beklagen uns dann, daß diese Windungen so dunkel und so verworren sind. Wir stehen verwirrt vor dem Geheimnis, das wir selbst erschufen, und vor den Rätseln des Lebens, die wir nicht lösen wollen, und dann klagen wir die große Sphinx an, daß sie uns verschlingt. Aber fürwahr, es gibt keinen Zufall in unserem Leben, keinen mißratenen Tag und kein Mißgeschick, die nicht auf unser eigenes Handeln in diesem oder in einem anderen Leben zurückgeführt werden könnten. Wenn man die Gesetze der Harmonie bricht, … so muß man darauf gefaßt sein, in das Chaos zu stürzen, das man selber bereitet hat. …
Wenn daher irgend jemand hilflos vor diesen unveränderlichen Gesetzen steht, so sind das nicht wir selbst, wir, die Schmiede unserer eigenen Geschicke, sondern jene Engel, die Hüter der Harmonie. Karma-Nemesis ist nichts weiter, als die spirituelle, dynamische Wirkung von Ursachen, hervorgebracht durch unsere eigenen Handlungen, und von Kräften, die von eben denselben zur Tätigkeit erweckt wurden. …
Dieser Zustand der Dinge wird andauern, bis die spirituellen Wahrnehmungsfähigkeiten der Menschen voll eröffnet sind, … Bis dahin sind die einzigen Abwehrmittel gegen die Übel des Lebens Einigkeit und Harmonie – eine Bruderschaft DER TAT, und Altruismus, der nicht bloß dem Namen nach besteht. Die Unterdrückung einer einzigen schlechten Ursache wird nicht eine, sondern viele schlechte Wirkungen unterdrücken.
– H. P. BLAVATSKY, Die Geheimlehre, Bd. I, S. 705-706
Warum Karma in Vergessenheit geriet
Die Frage scheint berechtigt, warum eine Lehre, die mit den Tatsachen und dem gesunden Menschenverstand übereinstimmt, im Westen lange Zeit nicht die Anerkennung fand, die sie im Osten hatte, wo die alte Weisheit nie vergessen wurde. Die Antwort braucht man nicht weit entfernt zu suchen. Im Westen wurde der Mensch gelehrt, an einen persönlichen Gott außerhalb von sich selbst zu glauben, einen Gott, der mit Gebeten beeinflußt werden kann und der tatsächlich eine Widerspiegelung der menschlichen Persönlichkeit im großen ist. Zugleich lehrte man ihn, daß er in Sünde geboren sei, und daß ein Zustand des ewigen Glücks oder ewiger Verdammnis diesem kurzen Leben auf Erden folgen werde, einem Leben, in dem es häufig ungleiche Chancen gibt.
Es ist verständlich, daß diese Ansichten die Entfaltung der unpersönlichen, erhabenen und göttlichen Aspekte der menschlichen Natur hemmen. Daß man ihn lehrte, seine Sünden könnten verziehen werden, und daß er glauben sollte, daß das Blut des Gottessohnes ihn retten werde, ließ sein Gefühl für Gerechtigkeit abstumpfen.
Trotzdem spielen Eigenschaften wie Mitleid, Freundlichkeit, Duldsamkeit und Barmherzigkeit noch immer eine bedeutende Rolle im Westen, was ein unverkennbarer Beweis für den göttlichen Kern im Herzen des Menschen ist.
Aber wenn wir uns außerhalb des kleinen Glaubenskreises begeben und das Universum als Ganzes betrachten, das durch die ausgezeichnete Anpassung seiner Teile ausbalanciert ist, wie empört sich alle gesunde Logik, wie der schwächste Flimmer eines Gerechtigkeitssinnes gegen diese stellvertretende Erlösung!
Wenn ein Verbrecher nur gegen sich selbst sündigte und niemand außer sich selbst Böses tat, wenn er durch ernsthafte Reue die Auslöschung vergangener Ereignisse nicht nur aus dem Gedächtnisse des Menschen, sondern auch aus dem unvergänglichen Verzeichnisse, das keine Gottheit – selbst nicht die Erhabenste der Erhabenen, verschwinden machen kann – verursachen könnte, dann würde dieses Dogma nicht unbegreiflich sein. Aber zu behaupten, daß man seinem Mitmenschen Unrecht tun dürfe, ihn erschlagen, das Gleichgewicht der Gesellschaft und die natürliche Ordnung stören dürfe und dann – ob aus Feigheit, Hoffnung oder Zwang, das ist gleichgültig – die Verzeihung erlangen könne durch den Glauben, daß das Verspritzen des Blutes des Einen das Blut des anderen abwäscht, das man verspritzt hat – das ist mehr als abgeschmackt! Kann das Resultat eines Verbrechens selbst dann, wenn das Verbrechen verziehen würde, aufgehoben werden? Die Wirkungen einer Ursache sind nie auf die Grenzen einer Ursache beschränkt, noch können die Folgen eines Verbrechens auf den Täter und sein Opfer beschränkt werden. Sowohl jede gute als auch jede üble Handlung haben ihre Wirkungen, so sicher wie der Stein, der in ein ruhiges Wasser geschleudert wird.
– H. P. BLAVATSKY, Die entschleierte Isis, Bd. II, S. 545
Es ist erstaunlich, daß Verdrehungen und unkorrekte Erklärungen der wahren Lehren jemals entstehen konnten; daß man Menschen fand, die sie lehrten oder selbst daran glaubten. Es gibt viele Rätsel, die bestimmt einst gelöst werden müssen. Es besteht kein Zweifel, daß der große Lehrer, bekannt als Jesus, einer der Avataras, die in bestimmten zyklischen Perioden erscheinen, niemals solche Dogmen lehrte. Ebenso wie alle anderen großen Lehrer kam er, um die alte Weisheit, die unerschöpfliche Quelle aller religiösen und philosophischen Systeme der Welt, zurückzubringen; denn anfänglich war das Christentum reine alte Weisheit. Dies kann durch ein eingehendes Studium jener Zeiten im Lichte der neopythagoräischen und neoplatonischen Systeme bewiesen werden. Seine Lehren behaupteten sich wahrscheinlich noch fünfzig Jahre über seinen Tod hinaus, aber selbst Jesus konnte nicht verhindern, daß die spirituelle Strömung jener Zeit verebbte. Etwa zur Zeit des Pythagoras begann ein dunkles Zeitalter, das sich während einiger kürzerer Perioden ein wenig aufhellte, aber allmählich düsterer wurde und die Intuition des Menschen verdunkelte. Schließlich wurden im fünften Jahrhundert die Mysterienschulen, welche die anerkannten Kanäle der Wahrheit waren und deren Licht nur noch schwach leuchtete oder schon fast erloschen war, auf Befehl des Kaisers Justitianus geschlossen.
Viele der alten Formen und Zeremonien wurden zwar von den christlichen Kirchen benutzt, aber das Leben und die Bedeutung gingen verloren, so daß neue Interpretationen ihren Platz einnahmen, wodurch die Träger der spirituellen Herrlichkeit zu Werkzeugen mentaler Betäubung wurden. Riten und Formen führten den Menschen von der Wirklichkeit weg und verschleierten seine Seele. Die breite Masse wurde von einer selbstsüchtigen Angst befallen, die von anderen ausgenutzt wurde, so daß allmählich eine dichte Wolke den Geist des Menschen zu umhüllen schien. Dadurch wurde jede Kenntnis der ruhmreichen Vergangenheit ausgelöscht, und der Mensch konnte selbst die erleuchteten Gebiete der Erde aus seiner eigenen Zeit nicht wahrnehmen, wie das Goldene Zeitalter Chinas, das mit Li-Shi-min begann, bis die Europäer sich schließlich im Dunkel des Mittelalters verloren und sich damit isolierten.
Man spricht über das Christentum, als würde es gänzlich vom Judentum abstammen. Das stimmt nur teilweise. Es ist, seine Theologie betreffend, fast ganz dem falsch verstandenen Griechischen Denken entlehnt, vornehmlich den neopythagoräischen und neoplatonischen Systemen. Das wird für jeden deutlich, der die Schriften derer liest, welche die großen Lehrer der christlichen Theologie genannt werden, wie Dionysius, der sogenannte Areopagita, dessen System wesentlich der neoplatonischen Philosophie entlehnt wurde. Hauptsächlich von ihm leiten sich wiederum die heutigen Standardwerke der Römischen Kirche ab. Ich meine die Schriften Thomas Aquins. Diese sind heute der Maßstab, nach dem sich die Theologie von Rom richtet und nach dem sie entscheidet, wenn Streitfragen gelöst werden müssen. Wenn dem auch so ist, und viel von dem, was die früheren Kirchenväter übernahmen, noch stets als Faktor und Wort in der christlichen Theologie aufrechterhalten wird, so hat diese Religion dennoch den Geist dieses frühen heidnischen Denkens völlig vergessen; und heute ist diese Religion fast ganz auf ein System der Formen und Zeremonien beschränkt.
– G. DE PURUCKER, Fundamentals of the Esoteric Philosophy, S. 487 (Ausgabe 1979)
… Praktisch beruhten alle staatlichen Institutionen des Altertums, unter anderem die Strafangelegenheiten, auf dem, was in den Mysterienschulen vor sich ging. So wurde zum Beispiel die Kreuzigung der Römer direkt aus einer Einweihungszeremonie übernommen, dem „Mystischen Tod“; übernommen, gestohlen und später, in degenerierten Zeiten, vom Staat als Instrument des legalen Mordes mißbraucht. Ein weiteres Beispiel, das aus der Zeremonie des „Mystischen Todes“ entnommen wurde, war der „Kelch“, in Indien der Soma-Trank. In Griechenland wird Sokrates damit bestraft, aus dem Schierlingsbecher zu trinken; und wir werden an Jesus erinnert, der darum bat, daß der „Kelch“ an ihm vorüberziehen möge. Es könnten noch zahlreiche Beispiele verschiedenster Art genannt werden. …
Ein weiteres erwähnenswertes Beispiel von ganz anderer Art ist, daß die weltlichen Herrscher eines Staates bei der formellen „Krönung“ eine Krone oder ein Diadem trugen – eine Zeremonie, die von den Mysterien übernommen wurde. Einige der frühesten Kronen, welche sie trugen, hatten Stacheln, die an die „Dornenkrone“ von Jesus erinnern.
– ebenda, S. 255
Es waren einzelne Weise, getrieben durch damalige politische Geschehnisse, belauert und verfolgt von den fanatischen Bischöfen des frühen Christentums – die damals weder ein festgelegtes Ritual noch Dogmen oder Kirchen hatten – es waren diese Heiden, welche die Kirchen gründeten. Indem sie die Wahrheiten der Weisheits-Religion äußerst genial mit den exoterischen Fiktionen, welche die breite Masse so sehr liebte, mischten, waren sie es, welche die ersten Grundsteine der ritualistischen Kirchen legten …
– H. P. Blavatsky: Lucifer, Vol. IV, März 1889
Andere auffällige Beispiele sind die Feste zur Weihnachts- und Osterzeit. Diese sind vermaterialisierte (verweltlichte) Widerspiegelungen der heiligen Einweihungszeremonien, wie sie damals existierten und in Symbolen beschrieben wurden, die aber die Kirche als materielle Vorgänge auslegte. Das alles unterstützt unsere Behauptung, daß das Christentum am Anfang die reine alte Weisheit vertrat. Glücklicherweise liegt das dunkle Mittelalter hinter uns. Es ist vorbei, und ein langer Zyklus voller Möglichkeiten liegt vor uns, aber die alten Dogmen hinterließen einen Makel, der bis heute noch nicht verschwunden ist. Zu den Lehren, die verdrängt wurden, die jedoch zum Verständnis des Lebens wesentlich sind, gehört die Reinkarnation. In den ersten Jahrhunderten des christlichen Zeitalters glaubte man daran, aber als die Kirche eine politische Macht wurde, setzte sie sich zur Wehr. Schließlich wurde die Reinkarnationslehre auf dem zweiten Konzil von Konstantinopel, 553 n. Chr., verbannt, wonach das Wissen über sie und von ihr allmählich in der dunklen Nacht erlosch, die dem Bann folgte.
Ohne die Tatsache der Reinkarnation wäre das Leben eine Absurdität, eine groteske, sinnlose Komödie. Die Ereignisse, Emotionen, Bestrebungen, das Glück oder Unglück in einer einzelnen Lebensperiode wären ebenso unlogisch, zusammenhanglos und durcheinander wie die eines bestimmten Tages, dessen Gestern und Morgen fehlen würden. Versuchen Sie einmal sich einen solchen verrückten, aus seinem Zusammenhang gerissenen Tag vorzustellen. Oberflächlich betrachtet könnte man sagen, daß wir von einem Tag zum nächsten denselben Körper, denselben Verstand und die gleiche Erinnerung besitzen. Das trifft nicht für die aufeinanderfolgenden Leben zu. Die vielumfassende archaische Philosophie, deren Aspekte alle ineinandergreifen und die alle Teile auf das Ganze bezieht, kennt jedoch keine unerklärbare Lücke, sondern zeigt die perfekte Analogie zwischen dem Tages- und dem Lebenszyklus. Alle Wesenheiten, welche die zusammengesetzte Natur des Menschen formen, trennen sich, wie bereits erwähnt, am Ende eines Lebens und kehren in ihre eigenen Bereiche zurück. Der Körper fängt an, sich zu zersetzen, und seine Lebensatome sammeln Erfahrungen, während sie durch die Naturreiche ziehen. Das menschliche oder reinkarnierende Ego, das in einen Bewußtseinszustand übergeht, der Devachan genannt wird, läßt die Eigenschaften oder Skandhas zurück, welche die Persönlichkeit formen. Diese lange Nacht ist für die menschliche Seele eine Zeit des absoluten Glücks und der völligen Ruhe. Alle Erfahrungen aus der Vergangenheit werden assimiliert, alle höheren Bestrebungen werden verwirklicht und im Charakter verwoben. Die Seele erwacht erfrischt und gestärkt aus dieser Nacht, um ihre noch nicht erledigten Pflichten wieder aufzunehmen. Eine auffallende Tatsache in der Analogie zwischen dem Schlaf und dem Tod ist, daß der vollständige Mensch in all seinen Bestandteilen als derselbe zurückkehrt. Die höheren Aspekte werden wieder zusammenwirken, die Skandhas werden wieder aktiv, und dieselben Lebensatome, welche den alten Körper bildeten, werden wieder magnetisch zu ihrer früheren Stelle zurückgezogen. Die Kulisse ist neu, aber der Schauspieler ist derselbe. Er hat dieselben Energien und Neigungen, dieselbe Fähigkeit oder Unfähigkeit, um die Probleme, die er selbst geschaffen hat, zu lösen und denen er deshalb die Stirn bieten muß. Ohne die Kenntnis dieser Tatsachen ist es für einen Menschen unmöglich zu begreifen, daß er ernten muß, was er einst säte. Der Faden der Kontinuität, der für die höhere Natur des Menschen ungebrochen und deutlich sichtbar ist, ist in jeder folgenden Geburt für das neue Bewußtsein nicht wahrnehmbar. Weil die Intuition durch falsche Dogmen verdunkelt wurde, ist das Leben zu einem Rätsel geworden. Unsere Zivilisation zeigt tatsächlich die traurigen Folgen des Verlustes eines wahren, tiefwurzelnden Sinns für Gerechtigkeit und Verantwortung.
Das Gesetz von KARMA ist unentwirrbar mit dem der Reinkarnation verwoben. Nur diese Lehre, sagen wir, kann uns das geheimnisvolle Problem von Gut und Böse erklären und den Menschen mit der schrecklichen und scheinbaren Ungerechtigkeit des Lebens aussöhnen. Nur eine solche Gewißheit kann unseren empörten Gerechtigkeitssinn beruhigen. Denn, wenn jemand, der mit der edlen Lehre nicht vertraut ist, um sich blickt und die Ungleichheiten von Geburt und Besitz, von Intellekt und Fähigkeiten beobachtet; wenn jemand sieht, daß Narren und Bösewichten Ehre erwiesen wird, auf die das Glück seine Gaben durch den bloßen Vorrang der Geburt angehäuft hat, und seinen nächsten Nachbarn mit all seinem Verstand und edlen Tugenden – der in jeder Beziehung viel mehr verdient – aus Not oder aus Mangel an Sympathie zugrunde gehen sieht; wenn jemand das alles sieht und sich abwenden muß, ohne Möglichkeit, das unverdiente Leiden zu lindern, wenn seine Ohren klingen und sein Herz von den Schmerzensschreien um ihn her blutet – dann bewahrt ihn allein jenes gesegnete Wissen von Karma davor, Leben und Menschen, sowie ihren vermuteten Schöpfer zu verfluchen …
Wahrhaftig, ein fester ‘Glaube’ ist erforderlich, um zu glauben, daß es ‘Vermessenheit’ ist, die Gerechtigkeit von jemand in Frage zu stellen, der den hilflosen schwachen Menschen nur dazu erschafft, um ihn zu ‘verwirren’, und einen ‘Glauben’ zu erproben, mit dem ihn zu begaben jene ‘Macht’ obendrein vergessen, wenn nicht unterlassen haben mag, wie es manchmal vorkommt. Man vergleiche dieses blinde Glaubensbekenntnis mit dem philosophischen Glauben, der auf jeglichem vernünftigen Beweise und auf Lebenserfahrung beruht, an Karma-Nemesis oder das Gesetz der Wiedervergeltung …
Karma schafft nichts, noch plant es. Der Mensch ist es, der plant und Ursachen schafft, und das karmische Gesetz gleicht die Wirkungen aus, dieser Ausgleich ist keine Handlung, sondern universale Harmonie, die immer danach strebt, ihre ursprüngliche Lage wieder einzunehmen, wie ein Bogen, der, zu gewaltsam niedergebogen, mit entsprechender Kraft zurückspringt. Wenn er zufällig den Arm, der versucht hatte, ihn aus seiner natürlichen Lage zu biegen, verrenkt, sollen wir da sagen, daß es der Bogen war, der unseren Arm gebrochen hat, oder daß unsere eigene Torheit uns hat Schaden nehmen lassen?
– H. P. BLAVATSKY, Die Geheimlehre, Bd. II, S. 317-19
Karma und Strafe
Nicht Zorn, noch Gnade kennt’s; es mißt sein Maß
Untrüglich, fehlerlos ist seine Waag’;
Zeit gilt ihm nichts: es richtet morgen wohl,
Vielleicht nach manchem Tag.
– EDWIN ARNOLD, Die Leuchte Asiens
Der Sinn für Gerechtigkeit ist im menschlichen Denken tief verwurzelt, denn sein Denkvermögen ist ein Teil des Kosmos, dessen Aktionen und Reaktionen alle auf Gerechtigkeit gründen. Es gibt nichts, was ein Kind mehr empört oder einen Erwachsenen mehr verbittert als das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Ein Mensch akzeptiert ein Unglück zumindest dann ohne Bitterkeit, wenn er weiß, daß er es verdient hat. Im Hinblick auf die herrschende Lebensauffassung, die allgemein herrschende Selbstsucht und den Grundsatz ‘jeder für sich allein’, schenkt man in der westlichen Welt dem Vertrauen in die Gerechtigkeit der Dinge wenig Beachtung. Wie könnte dies auch möglich sein, nach Jahrhunderten der falschen Lehre und der Gefühle der Rache, von denen nur wenige frei blieben? Nur eine wirkliche Lebensphilosophie kann den Menschen veranlassen, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Es muß eine erhabenere Sichtweise des Lebens geben, als es die Vorstellung von einem einzigen Leben bietet. Häufig sieht man, daß das Gute bestraft und das Schlechte belohnt wird. Solange man nicht erkennt, wie dies mit Gerechtigkeit in Einklang zu bringen ist, wird es nicht möglich sein, das Herz von Bitterkeit zu befreien, Mißtrauen in Vertrauen zu wandeln und den trügerischen Schein zu besiegen, durch welchen man in jedem anderen Menschen einen Feind sieht. Da die Theosophie Ordnung im menschlichen Denken schaffen kann und damit die Ordnung und die Harmonie enthüllt, die die Natur immer anstrebt, kann sie uns vor uns selbst beschützen.
Gerechtigkeit fordert keine Bestrafung und schon gar nicht durch unsere Hand. Karma wird dafür Sorge tragen und zwar effizienter als wir es tun könnten, indem es jedem genau das bringt, was er verdient. Warum sollte man dem noch etwas hinzufügen? Unsere einzige Sorge muß sich darauf beschränken, die Menschen zu lehren, dem, was sie verdienen, tapfer ins Auge zu sehen. Was könnten wir erreichen, wenn unsere Gefängnisse sich mehr auf Erziehung als auf eine Bestrafung richteten? Zum Glück setzt sich diese Erkenntnis allmählich durch, und wir sind uns in zunehmendem Maße bewußt, daß eine ‘Strafe’ keine Besserung zustande bringt. Eine der schlimmsten Formen der Pflichtverletzung gegenüber unseren Mitmenschen ist die leider noch in einigen Ländern angewandte Todesstrafe. Für jene, welche die Verantwortung dafür tragen, muß ein solcher der Natur entgegenarbeitender Eingriff ein schweres Karma zur Folge haben. Selbstverständlich muß die Gesellschaft vor Verbrechern geschützt werden, aber in einer solchen Weise, daß diese sich bessern und nicht noch schlechter werden.
Die Theosophie zeigt genau auf, welche Folgen es hat, jemandem das Leben zu nehmen, eine Widrigkeit gegen die Ordnung, die in gewissem Sinne noch schlimmer ist, wenn der Staat der Mörder ist, weil dann so viele Menschen an der Tat beteiligt sind. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, kann man sagen, daß jene, die auf gewaltsame Weise des Lebens beraubt werden, nicht wirklich sterben, d. h. die Erdatmosphäre nicht verlassen, sondern auf der astralen Ebene verweilen und hier in gewisser Weise freier als hinter den Gefängnisgittern sind, bis ihre natürliche Lebenszeit abgelaufen ist. Hier können sie schwache Naturen zu Verbrechen anspornen und ihre Gefühle des Hasses der Gesellschaft gegenüber, die sie so schlecht behandelte, in die Gedanken lebender Menschen übertragen. Bedenken Sie einmal das schreckliche Karma aller Beteiligten und vergleichen es mit dem Ergebnis eines überlegten und aufrichtigen Versuchs, den Übeltätern aus ihrer mißlichen Lage zu helfen. Es steht fest, daß durch falsche Methoden Verbrecher erschaffen werden können.
Widerstehe dem Übel nicht und vergelte Böses mit Gutem ist eine buddhistische Vorschrift, die ursprünglich im Hinblick auf das unerschütterliche karmische Gesetz gepredigt wurde. Auf jeden Fall ist es eine verwegene Entweihung, wenn der Mensch das Gesetz in seine eigene Hand nimmt. Menschliche Gesetze dürfen einschränkende Maßnahmen ergreifen, aber keine Strafmaßnahmen anwenden; ein Mensch aber, der an Karma glaubt und sich dennoch rächt und weigert, jedes Unrecht zu verzeihen und Böses mit Gutem zu vergelten, ist ein Übeltäter und schadet nur sich selbst. Da Karma den Menschen, der ihm Unrecht tat, sicher bestrafen wird, wird jener, der versucht, anstelle der Bestrafung durch das große Gesetz seinem Feind noch eine zusätzliche Strafe zuzufügen, nur die Grundlage für eine zukünftige Belohnung seines Feindes und eine Bestrafung seiner selbst schaffen.
– H. P. BLAVATSKY, The Key to Theosophy, S. 200
Es gibt noch einen weiteren Aspekt in Bezug auf das komplexe karmische Gesetz. Neben der Mehrheit der Menschen, die unwissend und ungefragt Mißgeschicke erleiden müssen gibt es Menschen, welche diese Mehrheit in der Lebensschule hinter sich gelassen haben. Manchmal nehmen deren Egos ganz bewußt sogenanntes schlechtes Karma auf sich, um sich darin zu üben, Schwächen zu besiegen und Kräfte zu stärken. Oder aber sie übernehmen eine mühevolle und wenig erfreuliche Aufgabe, indem sie freiwillig in Elendsvierteln oder Entwicklungsgebieten leben, ausschließlich um ihren Mitmenschen zu helfen. Zum Glück begegnen wir immer öfter derartigen Beispielen, die Lichtblicke vor dem dunklen Hintergrund unserer Zivilisation sind.
Daß unser Gefühl für Gerechtigkeit bis zu einem gewissen Grade verdunkelt ist, zeigt sich vielleicht auch in dem Glauben an das Gebet zu einem Gott ‘außerhalb von uns selbst’. Das hat nichts mit Streben zu tun oder dem Bemühen, den ‘Gott in uns’ zu erreichen – letzteres sollte immer im Hintergrund, oder besser im Vordergrund unseres Bewußtseins stehen –, sondern mit dem Bitten um persönliche Vorteile. H. P. Blavatsky nennt dies töricht und sinnlos, es sei denn, es ist mit Willenskraft verbunden; wenn dies geschieht, wird es zur schwarzen Magie. Stellen Sie sich zwei Armeen vor, deren Ziel es ist, einander umzubringen, und die beide Gottes Segen für den Sieg erflehen! Ein aufrichtiges Gebet für persönliche Vorteile wirkt schwächend und herabsetzend; wenn es nicht aufrichtig ist, ist es reine Heuchelei. Wieviel gesünder, stimulierender und erhabener ist die Lehre von Karma. Sie appelliert an die angeborene Würde des Menschen und lehrt ihn, daß er der Meister seines eigenen Schicksals ist; daß er ernten wird, was er gesät hat; daß es keinen Zufall im Universum gibt; daß es keine ‘bevorzugten’ Wesen gibt, sondern daß die unbegrenzten Schatzkammern der Natur all jenen offenstehen, welche die Bedingungen erfüllen. Es gibt für uns alle noch eine gütigere Seite der Gerechtigkeit, die wir nicht vergessen sollten. Nach einem Leben des Kampfes, der Übung, vielleicht des Schmerzes und der Enttäuschung, folgt Devachan, ein Ausgleich von Segen und Ruhe, eine Vorbereitung auf den neuen Tag.
Dies ist das Gesetz; es wirkt Gerechtigkeit,
Niemand entgeht ihm, keiner hemmt’s zuletzt;
Sein Urgrund ist die Liebe, und sein Ziel
Fried’ und Vollendung. Ihm gehorchet jetzt!
– EDWIN ARNOLD, Die Leuchte Asiens
Das Karma der Nationen und Rassen
Wir haben festgestellt, daß das Leben eine Einheit ist, daß es einen gemeinsamen Ursprung hat, mit anderen Worten, daß das Universum ein großer Organismus ist, worin sich unzählbare kleinere Organismen in einem unendlich aufteilbaren Reich befinden. Sie alle haben ihre Wurzeln in der unbekannten Quelle und steigen daraus empor wie Kinder aus ihren Eltern. So existieren Herrscher über den Kosmos, über das Sonnensystem, über Planeten; es gibt Götter, Halb-Götter, große Seher und Weise. Absteigend erkennen wir, daß Menschen in Ländern, Städten, Familien und so weiter vereinigt sind. Daraus ergibt sich, daß Karma sowohl kollektiv als auch individuell wirken muß. Große Zyklen werden ihren Einfluß auf die Rassen in ihrer Gesamtheit haben, kleinere Zyklen werden die unterschiedlichen Unterteilungen beeinflussen. Manche sehen dies als Fatalismus, als ein unvermeidbares Schicksal, aber davon ist ebensowenig die Rede wie bei den individuellen Zyklen. Diese Gruppierungen sind nicht willkürlicher als jene, die der Chemiker unter den Elementen findet. Alle sind dort, wohin sie gehören. Und alle haben sie ihre eigenen Anziehungskräfte gebildet.
Die Wahl der Umgebung fängt beim Individuum an. Die reinkarnierenden Egos bringen bei ihrer Rückkehr zur Erde ihren eigenen Charakter mit, ein Axiom, das selbstverständlich zu sein scheint. Da die Egos bestimmte Neigungen haben, werden sie notwendigerweise zu den Eltern hingezogen, die in der Lage sind, ihnen einen Körper zu geben, der am besten mit ihren Charakterzügen übereinstimmt. Diese Lehre wirft ein neues Licht auf die Frage der Vererbung und stimmt mit der essentiellen Gerechtigkeit vollkommen überein. Von diesem Standpunkt aus gesehen können Kinder die Verantwortung für ihre eigenen schlechten Neigungen nicht ihren Eltern anlasten, oder für ihre Geburt und Umgebung dem Schicksal oder dem Zufall die Schuld anlasten.
So wie ein Mensch seine Familie wählt, so wählt die Familie ihre Nation und ihre Rasse, d. h. sie wird dort geboren, wo sie gemäß ihrer inneren Natur zu Hause ist. Persönliche Menschen sind am nationalen Karma beteiligt, weil sie geholfen haben, es zu gestalten. Ein engstirniger und intensiver Nationalismus kann jemanden in einer bestimmten Weise an eine Nation binden. Auf eine ganz andere Weise kann dies ebenso der Fall sein, nämlich durch ein starkes Pflichtgefühl dieser Nation gegenüber oder den Wunsch ihr zu helfen.
Die alten Azteken und andere alte Völker Amerikas starben aus, weil ihr eigenes Karma – das Resultat ihres eigenen nationalen Verhaltens in der fernen Vergangenheit – auf sie zurückfiel und sie vernichtete. Bei den Nationen zeigt sich diese vernichtende Wirkung Karmas in Hungersnöten, Kriegen, Naturkatastrophen und in der Sterilität der Frauen. Letztere Wirkung tritt gegen Ende ein und fegt alle Überreste der Nation hinweg. Die einzelnen Menschen in solchen Rassen oder Nationen mögen durch diese erhabene Lehre gewarnt sein, auf daß sie sich nicht durch achtlose Gedanken und Taten in das allgemeine Nationalkarma verstricken, weil sie sonst von dem nationalen oder Rassenkarma dem allgemeinen Schicksal zugeführt werden. Deshalb haben die alten Lehrer gefordert: „Darum gehet aus von ihnen und sondert euch ab.“
Zusammen mit der Reinkarnation macht diese Lehre von Karma das Elend und die Leiden der Welt verständlich. Die Natur kann dafür nicht verantwortlich gemacht werden.
Das Elend einer Nation oder Rasse ist das direkte Resultat der Gedanken und Handlungen der Egos, die diese Nation oder Rasse bilden. In der fernen Vergangenheit handelten sie übel. Nun müssen sie leiden. Sie verletzten die Gesetze der Harmonie. Das unverbrüchliche Gesetz verlangt die Wiederherstellung der Harmonie, wenn diese gestört wurde. Daher bedeuten die Leiden dieser Egos eine Wiedergutmachung und Wiederherstellung des Gleichgewichts des okkulten Kosmos. Die ganze Menge der Egos muß in der Rasse oder Nation so lange reinkarnieren, bis sich die erzeugten Ursachen ganz ausgewirkt haben. Die Nation mag als physisches Gebilde zwar eine Zeitlang verschwinden, die zu ihr gehörenden Egos verlassen jedoch die Erde nicht; sie kommen vielmehr als die Erbauer einer neuen Nation zurück, in der sie mit ihrem Werk fortfahren müssen und je nach ihrem Karma Bestrafung oder Belohnung erfahren. Für dieses Gesetz sind die alten Ägypter ein Beispiel. Sie erreichten gewiß eine sehr hohe Entwicklungsstufe, aber ebenso gewiß wurden sie als eine Nation ausgelöscht. Aber die Seelen – die alten Egos – wirken weiter und erleben jetzt ihr selbstgeschaffenes Schicksal als eine andere Nation in unserer Zeit. …
Dieser Vorgang ist vollkommen gerecht. Nehmen wir zum Beispiel die Vereinigten Staaten und die Indianer. Letztere wurden von dieser Nation ganz schamlos behandelt. Nun werden die Indianer-Egos in einem neuen Eroberervolk geboren und als Mitglieder dieser großen Familie werden sie selbst die Werkzeuge sein, die die entsprechenden Resultate für die Handlungen zeitigen, die ihnen angetan wurden, als sie noch in den Indianer-Körpern lebten. So geschah es zuvor, und ebenso wird es wieder geschehen.
– W. Q. JUDGE, Das Meer der Theosophie, S. 122-3
Aus der Geschichte geht jedoch hervor, daß bei nationalen Katastrophen oftmals nicht alle Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden. Wir fragen uns, warum der Zyklon in seinem anscheinend irrsinnigen Dahinfegen seine Opfer so sonderbar auswählt; warum bestimmte Gebiete von einem Erdbeben betroffen werden und andere nicht; warum einige Menschen zufällig (?) irgendwo anders waren, als die Flutwelle die Stadt vernichtete. Diese bemerkenswerte Tatsache zeigt sich sogar im Falle von Katastrophen, die eine ganze Rasse treffen. Dies wird in der Geheimlehre anschaulich in der Darstellung des Versinkens des bedeutenden Kontinents Atlantis erklärt. Vor dem Ende der glänzenden und intellektuellen Atlantischen Zivilisation entfalteten sich viele spirituelle und höhere psychische Kräfte der Rasse. Viele Atlantier gebrauchten diese Kräfte auf selbstsüchtige Weise und wurden Zauberer und Schwarzmagier. Auf der anderen Seite gab es viele Völker und Stämme, die dem Pfad der rechten Hand folgten, wie dies esoterisch genannt wird, und weiße Magier wurden, die ihre Kräfte unpersönlich nutzten. Letztere wurden von den Großen, die ewig über die Menschenrassen wachen, vor der kommenden allgemeinen Katastrophe gewarnt. In der Geheimlehre, Teil II, Seite 445 – 446, wird eine treffende Beschreibung dieser Periode in der alten Geschichte gegeben. Auf diesen Seiten spielt H. P. B. darauf an, daß die Geschichte des Exodus im Alten Testament auf den Legenden dieses fernen Ereignisses beruht. Sie berichtet, wie der ‘große König mit dem glänzenden Gesicht’ seine Luftschiffe zu den Häuptlingen des ganzen Landes sandte, und wie die großen Adepten und ihre Anhänger in Vimanas oder Luftschiffen, welche die unseren weit übertreffen, in sichere Gegenden dieser Erde entkamen und die Gründer der fünften Wurzelrasse wurden. Die Beschreibung schließt folgendermaßen:
… die davongeführten Völker waren so zahlreich wie die Sterne der Milchstraße … Wie eine Drachenschlange langsam ihren Körper aufrollt, so trennten sie die Söhne der Menschen, angeführt von den Söhnen der Weisheit, ihre Gewirre und breiteten sich aus, ausgegossen wie ein rinnender Strom süßen Wassers … viele der Schwachherzigen unter ihnen gingen auf ihrem Wege zugrunde. Aber die meisten wurden gerettet.
– Die Geheimlehre, II, S. 446
Man kann hier das wohltätige Wirken der Natur erkennen. Wenn es auch die Bestimmung der bösartigen Atlantier war, in der fünften Rasse zu reinkarnieren, so wurden sie doch in neuen, unberührten Ländern geboren, wo die Nachfolger des Gesetzes die Herrschaft bereits übernommen hatten und wo die Möglichkeiten, sich zu bessern, größer waren. Wie dem auch sei, sie sind ein Teil von uns selbst, und man sagt, daß wir noch immer unter dem Atlantischen Karma leiden. Da wir wissen, daß enge Bande die menschliche Familie zusammenhalten, müssen wir daraus schließen, daß die Verantwortung für die störenden Elemente nicht enden wird, bevor alle abgegolten sind. Sollte man das nicht erkennen, dann wird das Leiden, welches sie den weiter Fortgeschrittenen unter uns zufügen, eine Erinnerung an unser unglückliches Atlantisches Erbe bleiben und uns zum Handeln zwingen.
Karma ist, wie gesagt, universal. Es vollzieht sich von Welt zu Welt. Planeten werden aus ihrem Elter-Planeten geboren, und das gilt auch für Sonnensysteme und Universen. Alles ist die Folge einer vorausgehenden Ursache. Nichts geschieht zufällig. Die Völker unserer Erde gestalten in der Tat ihre eigene Geschichte, sie erwecken Kräfte, die sich an einem bestimmten Punkt vereinigen werden, so daß die großen Seher die Zukunft voraussehen können, auf welche die Vergangenheit und die Gegenwart so deutlich hinweisen. Sie wissen, weshalb und wann eine Rasse ihren Lebensweg gehen muß, wann Katastrophen stattfinden werden, wann Zivilisationen ihre Höhe- und Tiefpunkte erreichen und deshalb wissen sie genau, wie und wann sie ihre Energie einsetzen müssen, um das schwere Karma der Welt etwas zu erleichtern, sofern es möglich ist.
Warum erfaßt diese (karmische) Unfruchtbarkeit gewisse Rassen zu ihrer „bestimmten Stunde“ und rottet sie aus? Die Antwort, daß dies eine Folge des „mentalen Mißverhältnisses“ zwischen der kolonisierenden und der eingeborenen Rasse ist, ist offenbar eine Ausflucht, da sie nicht die plötzlichen „Unterbrechungen der Unfruchtbarkeit“ erklärt, welche so häufig unvermutet eintreten. … Die Ethnologie wird früher oder später mit den Okkultisten übereinstimmen, daß die wahre Lösung in einem Verständnis Karmas gesucht werden muß. Wie Lefévre bemerkt: „Die Zeit naht heran, wo nur mehr drei große Menschentypen übrig bleiben werden.“ Wir stehen vor dem Aufdämmern der Sechsten Wurzelrasse; die drei Typen sind der weiße (arische fünfte Wurzelrasse), der gelbe sowie der afrikanische Negertypus – mit ihren Kreuzungen (atlanto-europäische Abteilungen). … Jene, welche begreifen, daß eine jede Wurzelrasse durch eine Stufenleiter von sieben Unterrassen mit je sieben Zweigen und so weiter hindurchläuft, werden das „Warum“ verstehen. Die Flutwelle der inkarnierten Egos ist über sie hinausgerollt, um in entwickelteren und weniger greisenhaften Stämmen Erfahrungen zu ernten; und ihr Verlöschen ist daher eine karmische Notwendigkeit.
– H. P. BLAVATSKY, Die Geheimlehre, II, S. 824-5
Doch ist in der Vorhersage zum mindesten solcher zukünftiger Ereignisse, welche alle auf Grund der zyklischen Wiederkehr vorausgesagt werden, kein physisches Phänomen enthalten. Sie ist weder Vorahnung, noch Prophezeihung; nicht mehr als die Ankündigung eines Kometen oder Sternes viele Jahre vor seinem Erscheinen. Einfach Kenntnis und mathematisch richtige Berechnungen befähigen die weisen Männer des Ostens vorauszusagen, daß zum Beispiel England am Vorabend dieser oder jener Katastrophe steht; daß Frankreich sich einem solchen Punkte in seinem Zyklus nähert; und daß Europa im allgemeinen von einer verheerenden Umwälzung bedroht ist, oder vielmehr am Vorabende derselben steht, zu welcher sein eigener Zyklus von Rassenkarma es geführt hat. Unsere Anschauung von der Verläßlichkeit der Mitteilung hängt natürlich von unserer Annahme oder Verwerfung der Behauptung einer ungeheuren Periode historischer Beobachtung ab. Östliche Initiierte behaupten, daß sie Aufzeichnungen über die Entwicklung der Rassen und über Ereignisse von universaler Bedeutung beständig seit dem Beginne der vierten Runde aufbewahrt haben – während ihre Kenntnis von den diese Epoche vorausgehenden Ereignissen auf Überlieferung beruht.
– ebenda, I, S. 708
Der praktische Wert von Karma
Die Zukunft ist für viele Menschen unsicher, und man fragt sich, wie man wieder zu normalen Zuständen gelangen kann. Viele sind sich darüber im Klaren, daß sich zuerst die Herzen der Menschen verändern müssen, damit radikale Umgestaltungen von Nutzen sein können.
Die großen Lehrer, von denen zwei die Theosophische Bewegung gründeten, und welche die schwierige Lage voraussahen, sandten ihren Boten, H. P. Blavatsky, damit sie einen Kern universaler Bruderschaft forme. Als notwendige Einleitung hierfür veröffentlichten die Lehrer durch H. P. B. die alten Weisheiten, welche die Grundlage der Ethik sind. Die gängigen Interpretationen der ursprünglichen religiösen Lehren, so wie jede Rasse sie einmal empfing, haben dem Sinn für Gerechtigkeit Gewalt angetan; das tastende Suchen nach der Wahrheit brachte eine große Vielfalt an Sekten hervor, manche gut, andere schlecht, welche die Babylonische Sprachverwirrung übertraf. Nur die alte Weisheitsreligion, die Quelle der großen Religionen und Philosophien aller Zeiten, die Quelle der Künste und Wissenschaften, kann mittels ihrer Universalität und ihres Vermögens, alle Facetten des Denkens zu koordinieren, unserer Welt Harmonie und Gesundheit zurückgeben und die wahre Größe der menschlichen Natur erwecken.
Ein aufrichtiger Glaube an das Gesetz von Karma, bezogen auf das ganze Leben, würde den Charakter unserer Zivilisation schon vollkommen verändern. Diese Aussage mag vielleicht übertrieben klingen, nicht aber für jene, welche die tiefe Bedeutung von Karma verstehen. Es würde eine Erweiterung der gegenwärtigen Lebensanschauung bedeuten, was schon an sich sehr wertvoll wäre. Unsere Vorstellung konzentriert sich auf eine einmalige körperliche Inkarnation, die nicht mehr als ein Augenblick in der Geschichte der Seele ist, und allen Ereignissen in diesem einen Leben wird entweder eine zu große oder eine zu geringe Rolle beigemessen. Der Sinn für Verhältnis und Perspektive ist vollkommen verlorengegangen und kann nur wiedergewonnen werden, wenn der Schleier sich hebt und die unermeßliche Perspektive sichtbar wird. Der gewöhnliche gesunde Menschenverstand würde dann die Fähigkeiten des Urteilens und der Unterscheidung wachrufen, vom Erwachen der spirituellen Natur ganz zu schweigen.
Allmählich würde die Selbstdisziplin wachsen, vielleicht zuerst aus Eigennutz, aber schrittweise würde sie in etwas Größerem aufgehen, bis der Charakter sich radikal verändert hat. Wann immer man zu der Erkenntnis gelangt, daß man Rückschläge sich selbst zuzuschreiben hat, endet das Selbstmitleid und an seine Stelle treten Mut, Willenskraft und Ausdauer. Wenn wir mehr von den Schwierigkeiten und Möglichkeiten der menschlichen Natur verstehen, werden wir uns gegenseitig weniger verurteilen, es wird weniger lieblose Kritik geben und wir werden mehr Freundlichkeit und Geduld für die Versäumnisse anderer aufbringen. Wir alle kennen in unserem Leben das subtile Gift, das uns dazu veranlaßt, andere zu kritisieren, unfreundlich zu beurteilen, ihnen minderwertige Motive zuzuschreiben und so weiter. Und wir wissen auch, wie dadurch viel Freude und Glück im Leben verleidet wird und wie schön hingegen die Atmosphäre ist, wenn statt dessen gesunde Sympathie vorherrscht.
Das Bewußtsein, daß wir die Meister unseres eigenen Schicksals sind, nimmt uns die Furcht davor, daß wir eines Tages durch zufällige Umstände vom Schicksal getroffen werden könnten. Alles, was uns widerfährt gehört zu uns, ist die Folge unseres eigenen Denkens und Handelns in der Vergangenheit. Es ist genau das, was wir brauchen, um über die Mängel und Fehler hinauszuwachsen, welche diese Folgen im Leben hervorriefen. Den Gedanken an eine Strafe, die uns von etwas oder durch jemanden auferlegt wird, müssen wir völlig verbannen. Das bedeutet auch, daß wir uns nicht gegen unser Schicksal wehren sollen, sondern unser Karma akzeptieren oder eine positive Haltung ihm gegenüber einnehmen müssen, damit wir, wie es heißt ‘das Beste daraus machen’, indem wir wissen, daß jede beglichene Rechnung uns zu einem freieren Menschen macht.
Die Menschen, die bequem und gleichgültig sind und wenig Sinn für Verantwortung besitzen, werden, wenn Karma im Denken der Mehrheit der Menschen einen festen Platz eingenommen haben wird, allmählich aufwachen, denn auch sie werden mehr und mehr die kraftspendende mentale Atmosphäre spüren. Wenn die Lehre Karmas allgemeine Anerkennung gefunden haben wird, werden wir nicht länger glauben, irgend etwas umsonst bekommen zu können, oder diejenigen beneiden, die mehr als wir selbst besitzen. Wir werden wissen, daß die Zeit und die aufeinanderfolgenden Zyklen alle Fehler zurechtrücken werden; daß die einzige Möglichkeit, die Schätze des Lebens zu erwerben, darin besteht, sich auf seine Pflicht zu konzentrieren und die Folgen dem Gesetz zu überlassen.
Ein Mensch kann aufgrund der Naturgesetze einfach nicht lange alleine leben; und gerade weil so viele Millionen unverständige und unwissende Menschen das versuchen, gibt es so viel Elend und Unglück in der Welt. Die Geschichte zeigt uns, daß die Größe des Menschen von dem Maße abhängt, in dem er sich selbst vergaß und für die Welt lebte. Dies ist offensichtlich, weil ein großer Mensch ein weites Blickfeld besitzt und sich nicht zufrieden gibt, bevor er nicht das größere Blickfeld betritt. Ein Mensch, der nur für sich selbst lebt, hat eine außerordentlich begrenzte und eingeschränkte Sicht, und nur allzubald sieht er, daß die meisten anderen Menschen dieselbe begrenzte und beschränkte Sicht besitzen. Dadurch entstehen die andauernden Erschütterungen und Konflikte sowie die bedrückenden Schicksalsverwicklungen, die das Herz quälen. Es sind die großen Menschen, die große Dinge anpacken, weil ihre Schau groß ist, und es sind die kleinen Menschen, die aufgrund ihrer Unwissenheit und Torheit und ihrer eingeschränkten Sicht versuchen, sich in einen kleinen Winkel der Selbstheit abzusondern, um dort in unwürdiger Isolierung für sich selbst zu leben. Die Natur wird das nicht lange dulden.
Die Einbildungskraft des Menschen kann durch eine große und herrliche Schau angefeuert werden. Betrachten Sie das Universum um uns herum. Gibt es eine einzige Sonne, ein einziges Atom, das für sich alleine leben kann? Nirgends. Und wenn irgendein einzelnes Element versucht, seinem eigenen selbstsüchtigen Weg zu folgen, stellen sich alle anderen Elemente im Universum dagegen und nach und nach wird es durch den ungeheuren kosmischen Druck gezwungen, in die Ordnung und Harmonie des Universums zurückzukehren. Ein Mensch, der mit der Natur wirkt, der für die Harmonie wirkt, der für Liebe wirkt, für Mitleid und Mitgefühl, für Bruderschaft und Güte, wird erkennen, daß der gesamte evolutionäre Strom der Natur mit ihm ist und für ihn wirkt; und der Mensch, der für Haß wirkt, der für persönlichen Vorteil wirkt, der gegen den Strom schwimmt, der seinen winzigen Willen dem evolvierenden Lebensstrom entgegensetzt, wird den Druck des gesamten und unberechenbaren Gewichts der Natur erleiden.
Es gibt nichts, das einen Menschen intellektuell so lähmt und spirituell so blind werden läßt, wie ein bloßes Beschäftigtsein mit seinen eigenen begrenzten persönlichen Kräften. Darin liegt weder Glück, noch Frieden, noch Weisheit; wenn außerdem ein Mensch diesem Pfade der Beschränktheit folgt, bedeutet das Kampf, es bedeutet Elend, es bedeutet Schmerz und Leiden. Doch ist es … hauptsächlich durch Schmerz, Leid und Elend, den Überdruß an Zank und Streit, daß der Mensch besser lernt und den von der Sonne erleuchteten Weg der Weisheit und des Friedens sucht. Schmerz, Leid und Elend sind daher eigentlich verkleidete Engel; sie sind die Wachstumsschmerzen für zukünftiges Gelingen; die Geburtswehen für kommenden Erfolg. Ihre Schönheit liegt unter Gewändern verborgen, welche Widerwillen wecken; sie sind unsere besten Freunde, weil sie uns auf die spirituellen Kräfte und Fähigkeiten aufmerksam machen, die in latentem und schlafendem Zustand in unserer Seele anwesend sind. Schmerz und Leid stärken unsere moralische Natur. Sie stimulieren unseren Intellekt, rütteln unsere schlafenden und oft kalten Herzen wach und lehren uns Sympathie für andere. Sie machen uns zu wirklichen Menschen.’
– G. DE PURUCKER, The Esoteric Tradition, S. 518-9
Doch während die Natur vorwärtsschreitet und die Räder der Zyklen sich drehen, gibt es einige, die zurückbleiben und ihre Erbschaft aus den Augen verlieren, geblendet von dem Wunsch nach persönlichem Gewinn, von dem Ehrgeiz und der Liebe zur Macht. Daher gibt es heute einige, welche die Gelegenheit zurückweisen, auf welche ihre Seele seit Ewigkeiten gewartet hat. Die Zyklen haben sie und uns an den Punkt früherer Erfolge und früheren Versagens gebracht. Wir und sie sind uns in der Vergangenheit ebenso wie auch in diesem Leben begegnet, und wir werden uns auch in Zukunft wieder treffen. Durch unser heutiges Handeln schaffen wir die Verbindungen, die ihren Fortschritt, ebenso wie unseren eigenen zukünftigen und den der ganzen Menschheit, begünstigen oder ihn beeinträchtigen.
Der kritische Punkt des Zyklus liegt jedoch hinter uns; die schlimmste Feuerprobe ist vorbei; keine Macht im Himmel oder der Hölle kann die aufwärtsführende Entwicklung der Menschheit länger aufhalten. Die Scharen des Lichts siegen bereits.
– KATHERINE TINGLEY, Theosophy: The Path of the Mystic, S. 58-9 (Ausgabe 1977)