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Band 1: Was ist Theosophie?

Wer ist der Mensch?

 

 

Die Frage, wer und was wir sind, ist die bedeutendste Frage, mit der sich der Mensch beschäftigen kann und worauf er eine Antwort sucht.

Viele betrachten sich als ein Wesen, dessen Existenz mit der Geburt begann und die mit dem Tod ein definitives Ende findet. In diesem Bild formt der menschliche Körper in all seinen Aspekten und mit all den Funktionen, die mit ihm in Zusammenhang stehen, den vollständigen Menschen. Andere wiederum glauben an die Anwesenheit eines bleibenden Prinzips, einer Seele oder eines Geistes, welches dem Menschen bei der Geburt teilhaftig wird und das den Tod überdauert. Wieder andere, darunter die Theosophen, betrachten das bleibende Prinzip im Menschen als ewig beständig –nicht allein in der Zukunft, sondern auch in der Vergangenheit –, das heißt, daß es in jedem Menschen, wie auch in jedem anderen Wesen, einen beständigen Kern gibt, die Quelle seiner Existenz, welcher sich periodisch verkörpert. Alle sichtbaren Formen auf der Erde, Menschen, Tiere, Pflanzen bis hin zum Mineral, sind Äußerungen oder Verkörperungen einer inneren Kraft, eines inneren Kerns, der beständig ist und sich zeitlich der Formen bedient, um darin Erfahrungen zu sammeln. Darauf beruht der heute allgemein bekannte Gedanke der Reinkarnation, worauf wir später zurückkommen.

In seinem Buch Bewußtsein ohne Grenzen sagt James A. Long auf Seite 209 folgendes: ‘Wer ist der Mensch? Wenn wir uns, angefangen von unserem göttlichen Wesenskern bis zur äußersten Hülle, dem physischen Körper, selbst kennen würden, hätten wir das Geheimnis des Lebens in all seinen Phasen gelöst. Was glauben Sie wohl, warum das Orakel von Delphi seine Antwort in diese schon unvergänglichen Worte gefaßt hat – Erkenne dich selbst! Warum wurden sie über dem Portal des Apollotempels eingemeißelt, wenn nicht als eine tägliche Mahnung, daß sich zuerst selbst bemeistern muß, wer die Geheimnisse der Natur meistern will?

Wenn wir behaupten, der Mensch sei zum Teil Atom, zum Teil Milchstraße, kommen wir der Wahrheit so nahe wie Paulus, als er den Korinthern sagte, es gäbe im Menschen einen ,,natürlichen Leib“ (Psyche) und einen ,,geistigen Leib“ (Pneuma), und daß der erste Adam ,,zu einer lebendigen Seele wurde, und der letzte Adam zum Geist, der da lebendig macht“ (1. Kor. 44,45). Ziemlich oberflächlich bezeichnen wir uns als aus Körper, Seele und Geist zusammengesetzt, wissen aber damit in Wirklichkeit nichts anzufangen. Tatsächlich sind wir weit mehr als das; Verstand, Intuition, Verlangen und alle möglichen Eigenschaften bilden den Menschen.’

Die dreiteilige Einteilung des Menschen, wie sie oben beschrieben wird, finden wir u. a. im Neuen Testament (s. 1. Thess. 5,23). Sie kann als verkürzte Ausgabe der Alten Lehre über die siebenfältige Natur des Menschen angesehen werden, worauf in der Theosophie erneut die Aufmerksamkeit gelenkt wird.

Obwohl es möglich ist, die Aspekte des menschlichen Bewußtseins auf verschiedene Arten zu unterteilen und diese siebenfältige Klassifikation keine Regel darstellt, die nicht angetastet werden darf, ist sie für den Neuling leicht verständlich und bietet ihm den Vorteil, daß sie mit dem siebenfältigen Muster, das wir in der Natur vielfältig wahrnehmen, übereinstimmt. Wir finden die Zahl Sieben in den Hauptfarben des sichtbaren Spektrums, das wir alle vom Regenbogen her kennen; im periodischen System der Elemente, bekannt als das Gesetz Mendelejews; in den Schwangerschaftsperioden und bei Krankheiten; in den siebenfältigen Oktaven des Klanges, und in vielen anderen Erscheinungsformen. Es ist wie Plato sagt: ‘Gott geht mathematisch ans Werk’ (Siehe Plutarch, ‘Symposiacs’ VIII, 2). Die allgemeine Übereinstimmung der Zahl mit der religiösen Symbolik ist von großer Bedeutung, und dem tieferen Sinn des siebenfältigen Wirkens der Natur wird in der Theosophischen Literatur viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Auch im alten Ägypten und Indien wird die siebenfältige Konstitution des Menschen als eine wohlbekannte Tatsache angesehen. Die sieben Bestandteile der menschlichen Konstitution können vielleicht am besten als die verschiedenen Kontaktpunkte beschrieben werden, die zwischen dem bleibenden Mittelpunkt im Menschen und den ‘Gebieten’ oder Graden der Substanz und des Bewußtseins im Universum bestehen, welche sich vom Etherischsten oder Geistigsten bis zum Grobstofflichsten hin erstrecken. Der bleibende Mittelpunkt, oder die Monade (vom griechischen Wort für ‘Einheit’) bekleidet sich sozusagen mit Gewändern oder Gefährten, die von der gleichen Natur sind wie die Ebenen, in welche sie eintritt, bis sie den stofflichen Körper auf der Erde erreicht und dort als eine neue Persönlichkeit geboren wird. Diese Persönlichkeit wird so mit dem beschränkten Gehirn-Bewußtsein verknüpft, daß die grenzenlosen Bereiche der höheren Wahrnehmung verschlossen werden, so daß nur die Allerwenigsten in den Momenten geistiger Inspiration ein seltsames Glühen empfinden.

Es ist nicht richtig, die sieben Prinzipien als gesonderte Wesenheiten im gewöhnlichen Sinne des Wortes oder als ‘sieben Seelen’ zu sehen. Sie haben sich rund um den bleibenden Kern oder die monadische Individualität verwoben und formen zusammen den gesamten Menschen, wenn auch nur in seltenen Fällen von einem vollkommenen Gleichgewicht die Rede ist.

Es gibt kein besseres Bild des vollkommenen Menschen als die sieben Strahlen des Spektrums, die zu reinem weißen Licht verschmelzen, wenn sie sich auf harmonische Weise zu einem Ganzen vereinigen.

Die folgende Übersicht stellt die sieben Prinzipien dar. Die oberen drei stellen die mehr geistigen und bleibenden Prinzipien dar, während die unteren vier die eher vergänglichen sind:

  Sanskritbezeichnung
1. Geist Ātman
2. Spirituelle Seele Buddhi
3. Menschliche Seele Manas
4. Tierische Seele Kāma
5. Lebenskraft Prāna
6. Astral- oder Modellkörper Linga-Śarīra
7. Physischer Körper Sthūla-Śarīra

Die Sanskritausdrücke sind deshalb aufgeführt, weil sie in der theosophischen Literatur häufig vorkommen und ihnen meistens der Vorzug gegeben wird.

Der physische Körper

Über den physischen Körper braucht nur wenig gesagt zu werden, außer, daß er nicht aus toter Materie besteht – es gibt keine tote Materie.

Die Vorstellung von „toter Materie“ – tot im Sinne von unbeweglich, wenn nicht durch fremde Kraft bewegt – wird von der Wissenschaft nicht mehr gelehrt: Jedes Atom ist ein Brennpunkt intensiver Aktivität, und einige bedeutende Wissenschaftler behaupten sogar, daß jeder Punkt im „Raum“ voller Leben pulsiert – eine wahrhaftig theosophische Lehre.

‘Materie’ kann als die universale Lebensessenz in ihrem passiven oder empfangenden Aspekt betrachtet werden, welche sich in voller Tätigkeit als ‘Energie’ äußert. Der menschliche Körper ist aus einer harmonischen Verbindung von Teilen zusammengesetzt, alle aus unzähligen winzigen Zellen aufgebaut, von welchen jede mit Leben und eigenem Bewußtsein ausgestattet ist. Jede Zelle besteht aus kleineren Lebenselementen, die gemäß der Theosophie zu klein sind, als daß wir sie mit unseren physischen Sinnen wahrnehmen könnten, selbst nicht mit Hilfe von Instrumenten, die wirksamer sind als jedes Mikroskop. Der anscheinend untätige physische Körper ist also eine enorme Anhäufung von lebenden Wesen vieler Grade und Gruppierungen und ist nach dem Prinzip der aufsteigenden Hierarchien aufgebaut; dieses Prinzip beherrscht das gesamte Universum. Ein alter philosophischer Aphorismus sagt: „Wie oben, so unten“, und selbst unser niederstes Prinzip, der physische Körper, spiegelt das Universum wider.

Der Astral- oder Modellkörper

Der Astral- oder Modellkörper ist für das gewöhnliche physische Auge nicht sichtbar; aber er kann unter bestimmten Bedingungen oder von gewissen sensitiv veranlagten Menschen gesehen werden. Allgemein gesprochen ist er ein schattenhaftes Doppel des physischen Körpers, das aus einer etwas feineren Substanz besteht. Genauer gesagt, ist der physische Körper das Duplikat des astralen, denn dieser ist das Modell oder das Muster, in welches die ständig wechselnden physischen Atome eine Zeitlang eintreten und es dann wieder verlassen.

Wenn der Astralkörper auch ätherisch erscheint, so ist er doch während der gesamten Inkarnation außerordentlich stark und fest. Ohne die Unterstützung dieses halbfesten Modells könnte der Körper weder seine äußere Form, noch die persönlichen Besonderheiten wie Mutter- und Geburtsmale beibehalten. Der Grund für die unüberwindlichen Probleme der Psychologen bei ihren Untersuchungen ist der, daß sie die Existenz des Astralkörpers ignorieren.

Die Kenntnis vom astralen Doppel räumt das Problem der Beziehung zwischen Geist und Körper aus; der Astralkörper stellt die Verbindung dar; er ist ein Transformator, um einen sinngemäßen Begriff aus der Elektrizität zu benützen, der die höheren Schwingungen auf die niederen ‘heruntertransformieren’ kann. Er ist außerordentlich plastisch und sensitiv und reagiert sofort auf Gedanken und Gefühle. Er leitet sie zum physischen Körper weiter und erzeugt in ihm sogar sichtbare Wirkungen. Jeder weiß, daß überschwengliche Freude oder heftiger Zorn sogar töten kann, und die Stigmata oder Zeichen von den Wunden Christi, die sich an den Körpern bestimmter religiöser Fanatiker entwickeln, sind das Ergebnis von Eindrücken im Astralen, hervorgerufen durch starke mentale Konzentration. Hypnotische Experimente liefern andere Beispiele. Es werden auch Fälle berichtet, bei welchen Verletzungen des Astralkörpers, wenn dieser von seiner schützenden physischen Hülle gelöst wurde, sichtbare Anzeichen auf dem physischen Körper hinterlassen haben. Umgekehrt kann der Körper durch die astrale Verbindung auch auf die geistigen Prinzipien einwirken.

Der Astralkörper wird vor der Geburt geformt; seine Eigenarten werden genau nach den Ursachen festgelegt, die das Ego in vergangenen Inkarnationen geschaffen hat. Seine plastische und sensitive Konstitution befähigt ihn, auf die mentalen und emotionalen Samen zu reagieren, die in der neuen Inkarnation ins Leben treten. Auf diese Weise werden wir mit einem Körper in Übereinstimmung mit unseren Verdiensten ausgestattet.

Der Ausdruck ‘Astralkörper’ wird oft ungenau benützt, um verschiedene Untergliederungen des halb-materiellen inneren Körpers zu bezeichnen, die psycho-magnetischen Zentren miteingeschlossen, durch welche die vitalen Kräfte strömen.

H. P. Blavatsky sagte sehr wenig über diese Einzelheiten, wies aber klar darauf hin, daß es für Menschen wie uns, die sich im Anfangsstadium der spirituellen Entwicklung befinden, nicht ratsam ist, diesen Dingen Beachtung zu schenken. Es ist viel bedeutender, unser Denken und unser Bestreben zu reinigen und gemäß spiritueller Regeln zu handeln. Wenn wir uns selbst und andere nur mit psychischen Wundern blenden, wird der Mensch nur in Verwirrung gebracht, und die Gefühle egoistischer Natur nehmen zu. Das Studium der psychischen Kräfte ist dann angebracht, wenn es sich um vollkommene, wirklich unpersönliche Menschen handelt, die nicht darauf aus sind, ihre Begierde nach dem Okkulten zu befriedigen, und die für den Unterricht und die Unterweisung durch einen wirklichen Lehrer als Schüler würdig sind.

Der wahre Schüler der Theosophie wird vor allem aufgefordert, sein Denken und seine Wünsche zu reinigen und nach spirituellen Richtlinien zu arbeiten, indem er versucht, jenen, die sich noch in dunkler Unwissenheit befinden, den Weg zu einem höheren Leben aufzuzeigen. Es kann sie nur verwirren, wenn man sie mit psychischen Wundern blendet, und es steigert das Gefühl der Selbstsucht.

Nach dem Tode des physischen Körpers lösen sich die astralen Bestandteile langsam in ihre Elemente auf, während die emotional-mentalen Prinzipien mehr oder weniger bewußt bleiben, bis zur endgültigen Trennung, welche ‘der zweite Tod’ genannt wird.

Prāna oder das Lebensprinzip

Prāna ist ein Sanskrit-Wort und bedeutet ‘Atem’, das erste, was für das physische Leben notwendig ist; aber es hat auch andere verwandte Bedeutungen. In der theosophischen Einteilung der Prinzipien bedeutet es die Lebenskraft, welche durch den Astralkörper tätig ist und entspricht in diesem Sinne Jīva, der göttlichen Monade oder Jīvātman, dem Meer des universalen Lebens, das alles durchdringt. Das Wort ‘Element’ ist passender, wenn man von Prāna spricht, da es nicht exakt ein spezielles Vehikel der Monade ist wie der Astralkörper. Der physische und der astrale Körper bestehen natürlich nicht aus untätiger oder toter Materie. Jedes Lebensatom ist von seiner eigenen Energie durchdrungen, aber wenn es durch die formativen Prinzipien wirkt, dann ist Jīva oder die universale Lebenskraft während der physischen Lebenszeit sozusagen abgesondert und kehrt nach dem Tode in das große Sammelbecken zurück, von dem sie einst ausging.

Der physische Körper kann mit einem Gewebe verglichen werden, bei dessen Herstellung der Astralkörper die Kette ist und Prāna das Weberschiffchen, das den Faden führt. Die Zusammenarbeit der beiden stellt das Gewebe her.

Prāna kann von einem gewissen Standpunkt aus als aufbauende Vitalität angesehen werden, die antreibende Kraft. Dr. de Purucker nennt sie den ‘elektrischen Schleier’ oder das ‘elektrische Feld’, das sich im einzelnen als Vitalität manifestiert (vgl. The Esoteric Tradition, S. 950).

Kāma und der Kāma-Rūpa

Kāma bedeutet ‘Verlangen’ und Kāma-Rūpa ist der ‘Wunschkörper’. Kāma ist das Gleichgewichtsprinzip im Menschen, das vierte Element, wenn man von oben oder von unten zählt (vgl. Tabelle). Wir sind ebenso damit ausgestattet wie die Tiere, aber im Menschen sind die leidenschaftlichen Instinkte durch die Vorstellungskraft gesteigert und intensiviert. Wenn die niedere Natur des Menschen nicht von der höheren kontrolliert wird, ist sie instinktiv, selbstsüchtig und unausrottbar mit dem materiellen, sinnlichen Leben verwurzelt. Dieser Durst nach Leben, Trishnā genannt, kommt aus Kāma. Er führt uns immer wieder und wieder zur Geburt zurück; er ist nicht ein Antrieb des ‘fleischlichen Körpers’, der nur ein passives Instrument ist. Wenn das Verlangen jedoch von der höheren Natur kontrolliert und edlen Zwecken unterworfen wird, ist es ein bedeutendes Werkzeug zum Guten. Ohne jede Art von Verlangen würden wir kümmerlich dahinvegetieren.

Die tierische Seele des Menschen wird oft mit den höheren Prinzipien verwechselt. Das kommt hauptsächlich daher, daß der intelligente Teil des Menschen mit dem vergänglichen materiellen Gehirn und den Nervenströmen gleichgesetzt wird, und daß der wahre, unsterbliche Mensch hinter den täuschenden Erscheinungen unbekannt ist.

Das Wunsch-Element ist universal und auf allen Ebenen aktiv. Die sichtbaren und unsichtbaren Welten wurden „durch das aufsteigende Verlangen in der Unbekannten Ersten Ursache“ erzeugt, natürlich ein Verlangen der subtilsten, spirituellen Art. Im höchsten menschlichen Aspekt stehen Aspiration und selbstlose Hingabe für das Verlangen; wenn es auf das Selbst gerichtet ist, herrscht es in den niedrigsten Aspekten vor und degradiert den Menschen bis unter das Tier, weil er dann seinen Verstand zu unedlen Zwecken mißbraucht. Das ist die Bedeutung der Kreuzigung von Christus am Kreuze der Materie. Das, was beim Tier nur einfach und natürlich ist, weil das entwickelte, selbstbewußte Denken fehlt, bedeutet beim Menschen eine Erniedrigung.

Manas

Manas, oder das Denkvermögen, ist das wesentliche menschliche Element, gewöhnlich das Fünfte Prinzip genannt; es bildet die Verbindung zwischen der mittleren Dreiheit und dem überschattenden spirituellen Strahl und der Elternmonade. Diese Dreiereinteilung ist praktisch und anregend, wenn auch nicht fest und unumstößlich; sie bestätigt die bekannteste Tatsache unserer inneren Erfahrung. Jeder Mensch weiß, daß wir mitten in uns eine selbstbewußte Persönlichkeit besitzen, welche durch höhere oder niedere Kräfte in uns selbst beständig in entgegengesetzte Richtungen gezogen wird. Dieser Konflikt ist eine auffallende Tatsache im Leben und er hat einen Sinn, wenn er auch schmerzlich sein kann, denn er stellt die einzige Methode dar, wie wir unseren Weg zu Weisheit und Befreiung finden können.

Die künftige Evolution des Menschen hängt von seiner Fähigkeit ab, das in seiner Mitte stehende selbstbewußte Ego von den Begrenzungen der Persönlichkeit zu befreien und es durch Selbstbeherrschung und die unwiderstehliche Kraft der unpersönlichen Liebe zur Vereinigung mit der inneren Göttlichkeit zu erheben. Daher ist Manas die Verbindung zwischen dem Gott und dem Tier im Menschen. Was Gut und Böse betrifft, ist es selbst eigentlich farblos, hat aber durch die Ausübung des Willens die Macht der Wahl. Durch die höheren und niederen Wünsche – unpersönliche und persönliche – wird es in entgegengesetzte Richtungen gezogen und dabei dual. Der in der Theosophie verwendete Ausdruck ‘Höheres Ego’ steht allgemein für Manas, wenn es durch Buddhi, die spirituelle Seele, erleuchtet wird. Das niedere Selbst ist der Teil von Manas, der unter der Herrschaft der mehr tierischen Impulse steht. Das Höhere Selbst entspricht Weisheit, Liebe, Harmonie und Intuition – kurz der Unpersönlichkeit. Die Persönlichkeit entspricht berechnender Selbstsucht, dem kalten, urteilenden Gehirn-Verstand und der Hingabe an die Sinneslust.

Für Menschen, die mit der Theosophie noch nicht vertraut sind ist es vielleicht am schwierigsten, die Darlegungen über das höhere und das niedere Manas zu verstehen, dennoch sind sie außerordentlich wichtig, denn sie zwingen uns, uns selbst auf sehr reale Weise ins Gesicht zu sehen. In gewisser Weise ist Manas das Schlachtfeld, auf dem unsere Zukunft entschieden wird. Das wird viele Inkarnationen dauern, aber für diejenigen, die unbeirrbar nach Vervollkommnung streben, wird die Zeit sehr verkürzt.

In seinem Buch Das Meer der Theosophie (Kapitel 7, S. 75-76) schreibt William Quan Judge folgendes:

Manas oder der Denker ist das reinkarnierende Wesen, das Unsterbliche, das alle Ergebnisse und Werte der verschiedenen auf der Erde und anderswo gelebten Leben in sich speichert. Manas wird in seiner Natur dual, sobald es sich mit einem Körper verbindet. Weil das menschliche Gehirn ein höheres Organ ist, wird es von Manas benützt, um aus Voraussetzungen Schlußfolgerungen zu bilden. Das unterscheidet auch den Menschen vom Tier, denn das Tier handelt automatisch nach sogenannten instinktiven Impulsen, während der Mensch den Verstand gebrauchen kann. Dieser Verstand ist der niedrigere Aspekt des Denkers oder des Manas und nicht, wie manche angenommen haben, die höchste und beste Begabung des Menschen. Der andere, in der Theosophie viel höher bewertete Aspekt des Manas ist der intuitive Aspekt, der unabhängig vom Verstand erkennt. Das niedere und rein Intellektuelle steht dem Prinzip des Verlangens am nächsten und unterscheidet sich dadurch von seinem anderen Aspekt, der eine Anziehung zu den oberen, geistigen Prinzipien hat. Wenn also ‘der Denker’ völlig im Intellekt aufgeht, ergibt sich für den ganzen Menschen eine abwärts gerichtete Tendenz: denn der isolierte Intellekt ist kalt, herzlos, selbstsüchtig, weil er nicht durch die beiden anderen Prinzipien, Buddhi und Ātman, erleuchtet wird.

Im Tierreich kommt Manas nur schwach zum Ausdruck; dort gibt es weder Selbstbewußtsein noch Voraussicht, noch bewußte berechnende Entscheidung, wenn auch einige der höheren Tiere Anzeichen des Fortschritts zeigen, besonders jene, die in enger Beziehung zum Menschen stehen. Es ist jedoch nicht ratsam, ihre Intelligenz vorzeitig zu entwickeln, weil damit der natürliche Ablauf ihrer Evolution gefährdet wird. Zwischen dem Tier- und dem Menschenreich besteht ein großer Unterschied. Der Mensch ist mehr als ein höher entwickeltes Tier im Sinne Darwins. Das tierische Denken hat sich noch nicht zum selbstbewußten menschlichen Verstand herangebildet. Der Mensch besitzt ein eigenes Licht, welches ihn seit einem bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung seiner niedrigeren Körper erleuchtet. Das selbstbewußte Manas ist das kennzeichnende Merkmal des Menschen. Es hat sich nicht durch natürliche Selektion oder auf eine andere Art aus dem Tier entwickelt. Der wirkliche Mensch, das höhere Manas, überschattet seine niederen Prinzipien oder steht sozusagen neben ihnen. Während Manas spiritueller wird und sich mit dem sechsten Prinzip, Buddhi, vereinigt, wird der Mensch zu mehr als einem Menschen – er wird ein selbstbewußter Gott. Manas kann als schöpferisches Prinzip betrachtet werden, als der Widerschein des Kosmischen Schöpfergeistes.

Ātman und Buddhi

Göttliches Ātman oder die Monade, und Buddhi oder die spirituelle Seele, sind die einzigen beständigen Prinzipien im Menschen; genau genommen manifestieren sie sich nicht als Teile der gewöhnlichen Persönlichkeit, sondern sie überschatten sie. Das Buddhi-Prinzip ist nur im vollkommenen Adepten voll manifestiert. Wir lesen in dem Buch The Mahatma Letters to A. P. Sinnet:

Die höchste Kraft wohnt in Buddhi; latent – wenn sie nur mit Ātman verbunden ist – aktiv und unauflösbar, wenn sie durch die Essenz von „Manas“ galvanisiert ist, und wenn sich nichts von der Schlacke des letzteren mit dieser reinen Essenz vermengt und sie durch seine begrenzte Natur niedergezogen wird.

– Brief 59, S. 341

Der große Lehrer, Buddha, bezeichnete das Sechste Prinzip, Buddhi, als das Feuer, welches im Ewigen Licht brennt. Es ist der ungeoffenbarte Geist, der die Dinge der göttlichen Welt ohne Schleier sieht.

H. P. Blavatsky schreibt, wenn sie von Ātman, der „Einen Realität“ spricht:

Wir sagen, daß der Geist (der „Vater im Verborgenen“ von Jesus) oder Ātman nicht das persönliche Eigentum von jemandem ist, sondern die göttliche Essenz, die keinen Körper und keine Form besitzt, die unsichtbar und unteilbar ist, das was nicht besteht und doch ist, wie die Buddhisten von Nirvana sagen. Die Sterblichen werden von dieser Essenz lediglich überschattet; das, was in sie eingeht und den ganzen Körper durchdringt, sind nur ihre allgegenwärtigen Strahlen, oder das Licht, das durch Buddhi, ihr Vehikel und die direkte Emanation, ausgestrahlt wird.

The Key to Theosophy, S. 101

Um es nun aber dem menschlichen Intellekt deutlicher begreiflich zu machen: wenn jemand anfängt, den Okkultismus zu studieren und das ABC des menschlichen Mysteriums zu ergründen, nennt der Okkultismus dieses siebente Prinzip (Ātman) die Synthese des sechsten und gibt ihm die spirituelle Seele, Buddhi, zum Vehikel. Nun aber birgt letzteres ein Mysterium, in welches niemand eingeweiht werden darf, mit Ausnahme unwiderruflich vereidigter Chelas, oder jenen, denen ein unumwundenes Vertrauen geschenkt werden darf.

The Key to Theosophy, S. 119-120

Ātman zu begreifen übersteigt unser Vorstellungsvermögen; das Buddhi-Prinzip kann man sich nur sehr vage vorstellen. Wir können versuchen, uns letzteres als wunderbaren, strahlenden Glanz des spirituellen Lichtes auszumalen, welcher nach und nach das gereinigte Manas durchdringt. Buddhi ohne Manas ist für uns nicht selbstbewußt und kann nicht auf den mentalen Ebenen tätig sein, aber wenn die beiden vereinigt sind, ist der Mensch mehr als ein Mensch. Der so erreichte spirituelle Zustand übersteigt die Begrenzungen der Persönlichkeit, wie wir sie verstehen, in unendlichem Ausmaß und es ist klar, daß das Gemüt von jeder Spur von Egoismus unbedingt gereinigt werden muß, um ihn zu erlangen. Das geschieht durch langes, fortgesetztes Bemühen während vieler Inkarnationen.

Wir müssen unsere Brüder lieben und den Gott in uns entdecken. Dies ist der einzige Weg zum Herzen des Universums. Deshalb beruht die Mitgliedschaft in der Theosophischen Gesellschaft auf der Überzeugung von der universalen Bruderschaft und nicht auf einem Glaubensbekenntnis oder Dogma. Die Prinzipien oder Elemente in der zusammengesetzten Natur des Menschen werden manchmal als drei ineinandergreifende Unterteilungen dargestellt: Die obere, die mittlere und die niedere oder sterbliche Dreiheit, wie in folgender Tabelle dargestellt:

  {   Ātman Geist, der Innere Gott, die Göttliche Monade.
Obere Dreiheit   Buddhi Strahl, der von Ātman ausgeht.
  { Manas Menschliche Seele mit ihren höheren und niederen Aspekten.
Mittlere Dreiheit   Kāma Das Wunschprinzip.
  { Linga-Śarīra Astral- oder Modellkörper.
Untere Dreiheit   Prāna Lebenskraft.
    Sthūla-Śarīra Physischer Körper.

Der Linga-Śarīra (Astralkörper), das Bindeglied zwischen der unteren und der mittleren Triade, kann als die Seele der unteren Dreiheit oder als der Körper der mittleren Dreiheit betrachtet werden.