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Band 1: Was ist Theosophie?

Theosophie und Religion

Religiöse Gefühle der Verehrung für alles, was größer ist als das persönliche Selbst, beruhen auf der wirklichen Anwesenheit eines göttlichen zentralen Selbstes, von dem die Persönlichkeit lediglich eine schwache und verzerrte Reflektion ist. Theosophie ist die universale ‘Religion’, die das ausdrückt. Sie ist die Mutter der verschiedenen großen Religionen, die die Welt kennt – die verschiedenen Aspekte der Wahrheit, die ihren Aufstieg, ihren Niedergang und Fall hatten. Sie ist den Schülern der Theosophie bekannt als die Weisheits-Religion, die Geheime Lehre, die Esoterische Philosophie, Ātma-Vidyā usw. Sie anerkennt oder verehrt keinen vermenschlichten Gott mit persönlichen Begrenzungen – keinen alleinherrschenden Regenten des Universums, von dem der Mensch unabhängig oder getrennt ist. Ihre Vorstellung von Ewigkeit übersteigt selbst das höhere Verständnis der Persönlichkeit bei weitem.

Neben anderen ehemaligen Autoritäten der christlichen Kirche erkannte der Kirchenvater Augustinus das hohe Alter und die Wahrheit der ursprünglichen Weisheits-Religion, der Theosophie. Er sagt:

‘Dies ist zu unserer Zeit die Christliche Religion, sie zu kennen und ihr zu folgen ist die sicherste und verläßlichste Heilkraft. Aber dieser Name ist nicht der Name der Sache selbst; denn das, was jetzt Christliche Religion genannt wird, war den Alten tatsächlich bereits bekannt, auch fehlte sie zu keiner Zeit seit Anfang des Menschengeschlechtes bis zur Zeit, als Christus ins Fleisch kam; von da an begann man die wahre Religion, die vorher existiert hatte, die Christliche zu nennen.’

Retractiones. I, XIII

Der Gedanke, daß ‘die wahre Religion’ immer bestand, ist eine reine theosophische Lehre.

Das Christentum, der Buddhismus, der Hinduismus, der Zoroastrianismus, der Mithraismus, der Taoismus, die ägyptischen, griechischen und römischen Religionen usw. haben bestimmte fundamentale Lehren miteinander gemeinsam. Begriffe wie Trinität, Dualität, das Auftreten einer Jungfrau Maria, von Göttern, Halbgöttern und Heilanden; Gedanken wie Karma oder, in anderer Form dargestellt, das Wissen über Ursache und Wirkung, das Bestehen von Mysterienschulen und Einweihungen, deuten auf eine alte Weisheits-Religion hin, die jenen ausführlicher gelehrt wurde, die darauf vorbereitet waren.

Die grausamen Verfolgungen, die gewisse historische Perioden in Verruf brachten, hätten sich nicht ereignen können, wenn die Fanatiker den Kern der Wahrheit innerhalb der äußeren Schale der verschiedenen sich bekämpfenden Bekenntnisse erkannt hätten.

Wir dürfen auch nicht in den Fehler verfallen, daß wir Theosophie als ein künstliches System betrachten, das aus sorgfältig ausgewählten Teilen der Welt-Religionen zusammengesetzt wurde. Theosophie ist die ursprüngliche Basis, gefügt aus den Erfahrungen sehr großer Intelligenzen – initiierter Seher, die tief hinter den äußeren Schleier der Illusion vorgedrungen sind, der die Realität vor unserem Blick verbirgt; Seher, welche die mystischen Geheimnisse der unsichtbaren Welt erschauen konnten. Leider wurden die Offenbarungen der Weisen – durch die Schwächen der menschlichen Natur – nach und nach durch Dogmen und starken Aberglauben verdunkelt.

Es gab eine Zeit, in der in den meisten Ländern ein intoleranter Skeptizismus herrschte, besonders in der Westlichen Welt. Mit der Ausbreitung des wissenschaftlichen Forschens und der Zunahme des Wissens, schienen viele alte Glaubensbekenntnisse unhaltbar zu werden. Leider blieben sie aber häufig ohne befriedigenden Ersatz.

Die Notwendigkeit, die Menschen wieder auf die alte Philosophie aufmerksam zu machen, war daher niemals so groß wie heute.

Die Lehren der Theosophie fänden wenig Widerhall, wenn sie nicht dem inneren spirituellen Menschen eingeprägt wären. Da sie tatsächlich nur eine äußere Formulierung dessen darstellen, was innen vorhanden ist, ist es nicht überraschend, daß sie vielen Menschen schon beim ersten Hören vertraut erscheinen.

Wie schon gesagt, die Theosophie hat immer ihre Wächter und Bewahrer gehabt, und von Zeit zu Zeit wurden vom Zentrum der Weisheit, das immer bestand, Boten entsandt, um ihre Lehren in verschiedenen Teilen der Welt wiederzubeleben. Auf diese Weise entstanden die großen Religionen; zuerst waren sie rein und stark. Sie wurden nicht aus primitivem Aberglauben entwickelt, sondern waren definitive Offenbarungen. Wenn sie älter werden, entarten sie, und ein neuer Bote aus der ursprünglichen Quelle muß die vernachlässigten ethischen Lehren neu darlegen, soweit die Verhältnisse der menschlichen Natur und des Universums es zulassen. Manchmal waren die Bemühungen der Großen Lehrer darauf gerichtet, philosophische Schulen zu gründen, wie die von Pythagoras oder Plato, Konfuzius oder Lao-tse, oder die Indischen Schulen. Ihr inspirierender Einfluß wird von der Geschichte anerkannt.

Das Wort Theosophie ist nicht neu, sondern wird gebraucht für die Beschreibung der Schulen des gnostischen Denkens, des neuplatonischen Ideensystems, der kabbalistischen Hierarchie der Lehren und ebenso für das Streben und Suchen der Feuerphilosophen, Rosenkreuzer, Alchemisten und im England des 17. Jahrhunderts für die Cambridge Platonisten. In Skandinavien gab es bedeutende Männer wie Tycho Brahe, der durch seine Untersuchungen Johannes Keppler half, das heliozentrische Weltbild neu zu entdecken. Bedeutende Männer und Frauen, von denen sich viele im theosophischen Strom befanden, wirkten sowohl einzeln – als erleuchtete Menschen – als auch in Gruppen zusammen.

Was die Theosophie und die Religionen anbelangt, so können wir den Christlichen Glauben als Beispiel für die Tätigkeit der Boten ansehen. Wie der heilige Augustinus richtig bemerkte, war das Christentum keine neue Offenbarung, sondern die Wiedergeburt der Alten Weisheits-Religion, die schon immer existiert hatte. Die Wahrheit kann sich nicht selbst widersprechen. Die Göttliche Inspiration oder der Geist der Erleuchtung kam durch Jesus, den Christus, herab, um die uralte Geschichte erneut zu verkünden und das Verständnis der uralten Geschichte zu beschleunigen. Wenn er auch in einem speziellen Sinne ein Sohn Gottes war – ein Avatara, um den Sanskritausdruck zu gebrauchen1 –, lehrte er doch eindringlich, daß alle Menschen Söhne Gottes sind, – mehr noch, ‘ihr seid Götter’, – und daß ‘ihr größere Werke vollbringen werdet’. Die Menschheit hatte es dringend nötig und sie hat es immer noch nötig, daß sie an ihre innere Göttlichkeit erinnert wird, die durch das ‘Fleisch’ verdunkelt wurde.

Die Göttlichkeit des Menschen ist die wichtigste Theosophische Lehre aller Boten der großen Spirituellen Loge. Die Evolution kann nicht vorangehen und ihre erhabene Bestimmung erfüllen, bis das anerkannt ist. Jesus zeigte den Weg, um das zu erreichen; den einzigen Pfad. Er lehrte keine Dogmen, er verfaßte keine Form der Anbetung. Er wiederholte die Goldene Regel aller Zeiten: Liebe, Brüderlichkeit, Vergeben, Selbstvergessen.

Leider dauerte es jedoch nicht lange, bis diese Lehre verdunkelt wurde und eine offizielle Religion mit obligatorischen Glaubensartikeln, zeremoniellen Ritualen und einer politisch-klerikalen Organisation errichtet wurde. Die Römischen Kaiser übernahmen sie und machten sie zu einem Werkzeug der hohen Politik. Die vitalen Impulse der ursprünglichen Lehren bewahrte die Kirche durch die Jahrhunderte, aber ihre spirituelle Kraft wurde durch Streitereien über den toten Buchstaben, und durch Meinungsverschiedenheiten dogmatischer Sekten, wie auch durch schreckliche Verfolgungen und Religionskriege, die so oft ihre Geschichte entehrten, außerordentlich geschwächt. Der spirituelle Einfluß der wenigen wahren Mystiker, die durch ein großes Maß an Selbsterkenntnis erleuchtet waren, wie Dionysius Areopagita, Eckhart, Boehme, Henry More usw., hebt sich wie ein silberner Faden vom dunklen Hintergrund ab.

Der Mystiker Jakob Boehme beispielsweise schreibt in seinem Neunten Brief: ‘Denn das Buch, in dem alle Mysterien liegen, ist der Mensch selbst: er selbst ist das Buch des Seins aller Wesen, er ist das Gleichnis der Göttlichkeit. Das große Arcanum liegt in ihm selbst; das Enthüllen dessen kommt allein dem Göttlichen Geist zu.’ Ihre einfachen Lehren von der Seelenweisheit waren wohl verdächtig und wenig populär, aber sie entlasten die gesamte Ära vom Vorwurf völliger Unfruchtbarkeit.

Mit anderen Religionen war es großenteils dasselbe. Sie begannen mit den einfachen Wahrheiten, die von einem inspirierten Boten gebracht wurden, dann degenerierten sie in Formalismus und Aberglauben, wenn es auch nicht immer zu Verfolgung und Blutvergießen kam. Das wesentliche Ziel – den Menschen zur Erkenntnis seiner eigenen inneren Göttlichkeit zu erwecken – wurde beiseite geschoben, wenn nicht gänzlich ignoriert.

Fußnoten

1. Das Wort Avatara bedeutet das Herabsteigen eines göttlichen Wesens …, das Überschatten oder genauer ausgedrückt, die Erleuchtung eines großen und edlen Menschen durch eine Göttlichkeit, durch einen Gott. …
Jesus war ein Avatara, eine Manifestation in der Form eines menschlichen Wesens, durch einen Gott, eine Göttlichkeit, – eines der spirituellen Wesen, die unseren Teil des Sternen-Universums überwachen.’
– G. de Purucker, Questions We All Ask, Serie I, Nr. 15, S. 226-7 [back]