Band 6: Der Tod: Was kommt danach?
- Theosophische Perspektiven
Die Wanderungen der Monade
Die Lehren der esoterischen Weisheit – die wir hier kurz umreißen werden – sind eine schöne Antwort darauf, was zu allen Zeiten ein intuitiver Traum von Dichtern und Denkern war. Wie oft hat sich der Geist des Menschen, der in die unermessliche Weite des mitternächtlichen Himmels emporblickt, nicht danach gesehnt, die Geheimnisse dieser strahlenden Welten, die sich in ihrer unerreichbaren Majestät über uns drehen, zu durchschauen! Und viele hatten die wahre Vision, dass es tatsächlich die Bestimmung des menschlichen Geistes ist, nach dem Tod andere Welten und Planeten zu besuchen, die uns in ihrer ruhigen Schönheit aus den Tiefen des Raums anblicken. Der Dichter und Astronom Camille Flammarion – einst ein Schüler der Theosophie – war einer von den modernen Denkern, der diese Überzeugung zum Ausdruck brachte, die eine so logische und gleichzeitig romantische Antwort auf die Herzensfragen der Menschheit ist.
Die Reisen des spirituellen Selbst des Menschen zu den Welten des äußeren und inneren Raumes werden in der Theosophie die Wanderungen der Monade genannt. Auf den vorigen Seiten haben wir sozusagen das Große Abenteuer vorbereitet, das auf den irdischen Tod folgt. Wir haben gesehen, wie sich die vier niederen Prinzipien oder Elemente des Menschen beim ersten und zweiten Tod auflösen und verschwinden, wie die höhere Natur der Persönlichkeit von Manas, dem selbstbewussten, reinkarnierenden Ego, absorbiert wird; und wie dann Manas für eine längere Periode glückseliger Ruhe in den Schoß der Monade, den ‘Vater im Himmel’, zurückgezogen wird.
Die Monade (Ātman mit ihrem spirituellen Vehikel oder Gewand – Buddhi) ist nun frei, um ihre Wanderungen oder Pilgerfahrten durch die inneren Welten fortzusetzen. Denn wir dürfen uns nicht vorstellen, dass die Monade, die ein göttliches Wesen mit einem kosmischen Bewusstsein und kosmischen Möglichkeiten ist, während der Perioden zwischen unseren irdischen Leben, in welchen sie das schlafende Ego in ihrem Schoße birgt, ruht. Die Monade bedarf dessen nicht, was wir Ruhe nennen. Sie ist immer aktiv und während der Perioden solarer Manifestation ständig in Tätigkeit – um jene Scharen weniger evolvierter Wesenheiten – mit denen sie ihr weites Feld karmischer Anziehungen in Kontakt bringt – im Sinne der Evolution zu emanieren und zu inspirieren. Und diese Hilfe und Inspiration verwirklicht sie, indem sie sich in von ihr selbst geschaffene Vehikel kleidet, die aus diesen niederen Wesenheiten bestehen – auf all diesen Ebenen, den inneren und äußeren, den ‘höheren’ und ‘niederen’, die sie auf ihren Wanderungen durchziehen muss. Zu diesen niederen Wesenheiten, die unmittelbar und indirekt als Vehikel für die Bedürfnisse und Aktivitäten der Monade dienen, gehören die sechs anderen, weniger entwickelten Prinzipien des Menschen und auch alle Formen in den niederen Reichen, die von der Monade beseelt werden, wie im vorigen Kapitel erklärt wurde.
Vielleicht werden die folgenden Lehren verständlicher, wenn wir hier kurz wiederholen, dass alles im Universum in seiner manifestierten Evolution oder Konstitution siebenfältig ist; das heißt, im Universum manifestiert sich das Leben in sieben verschiedenen Stufen von Bewusstsein und Substanz, für die die sieben Prinzipien unserer Konstitution ein Beispiel sind. Die sechs anderen Prinzipien oder Elemente, durch die sich sowohl die kosmische als auch die persönliche Monade manifestiert, sind unsichtbar. Ihre Substanz ist zu ätherisch, um von unseren physischen Sinnen, die nicht auf die feineren Vibrationen dieser ätherischen Substanz abgestimmt sind, wahrgenommen werden zu können. So ist auch unsere Erde Teil eines Systems von sieben Globen, von welchen die uns vertraute Erde den äußersten, physischsten und für unsere Sinne einzig wahrnehmbaren darstellt. Die sechs Schwestergloben unserer Erde existieren auf inneren und höheren Ebenen des Seins.
Wir müssen hier kurz innehalten und den Leser daran erinnern, diese Schwestergloben nicht als die sechs anderen Prinzipien der Erde zu betrachten, denn das sind sie nicht. Jeder dieser Globen ist selbst, so wie die Erde, eine vollständige siebenfache Wesenheit. Aber zusammen mit der Erde bilden sie eine Reihe von sieben evolutionären Bühnen oder Entwicklungsebenen, die wir alle irgendwann durchlaufen müssen, um unsere eigene siebenfache Evolution zu vollenden und so zu vollständigen Aspekten des Ganzen zu werden.1
Nach dem physischen und dem zweiten Tod beginnt die Reise der Monade oder des spirituellen Selbst zu diesen unsichtbaren Globen unserer Erdkette. Nach demselben Verfahren, das bereits beschrieben wurde, bringt die Monade auf jedem Globus ‘Körper’ oder Vehikel oder Formen hervor, die zu der Evolution auf diesen höheren Bewusstseinsebenen passen. Diese Wanderungen durch die unsichtbaren Globen unserer Planetenkette sind eine Phase der ‘Inneren Runden’. Wenn schließlich der Zyklus der monadischen Wanderungen auf diesen höheren Globen unserer Planetenkette vollendet ist, beginnt die Monade ihren Zyklus von Reisen in den ‘Äußeren Runden’ – das heißt, sie schreitet die Runde entlang jener Planeten fort, welche die Alten die ‘sieben heiligen Planeten’ unseres Sonnensystems nannten.
Aber was und welche sind diese heiligen Planeten, und warum nennt man sie heilig? Da die Wurzeln der Monade ihren Ursprung offensichtlich in einem organisierten Universum haben, das in all seinen Teilen durch unveränderliche Gesetze geleitet wird, irrt sie auf ihren Streifzügen durch die Sphären nicht ziellos umher. Sie folgt vielmehr jenen Pfaden, die in der esoterischen Philosophie die ‘Kreisläufe des Kosmos’ genannt werden. Die Wanderungen der Monade werden auch durch ihre eigenen angeborenen karmischen Affinitäten oder Anziehungskräfte sehr genau bestimmt und beschränken dadurch die kosmischen Reisen der Monade auf die sieben heiligen Planeten.
Diese Planeten sind Saturn, Jupiter, Mars, Venus, Merkur, die Sonne und der Mond. Die beiden letzteren werden hier als Symbole verstanden, als Stellvertreter für zwei Planeten, über die in der exoterischen Literatur der Alten Weisheit sehr wenig Information zu finden ist.
Warum nun werden diese besonderen Planeten heilig genannt und worin liegt ihre karmische Beziehung zum Menschen? Auf diese Fragen finden wir in Fundamentals of the Esoteric Philosophy von Dr. de Purucker (S. 472) eine Antwort:
… Diese sieben Planeten sind für uns als Bewohner dieses Globus heilig, weil sie die Übermittler der sieben Grundkräfte des Kosmos von der Sonne zu uns sind. Unsere sieben Prinzipien und unsere sieben Elemente entspringen ursprünglich diesem siebenfachen Lebensstrom.
Diese sieben heiligen Planeten oder besser gesagt ihre ‘Leiter’ – die innewohnenden spirituellen Wesen, von denen diese Planeten die physischen Vehikel sind – beaufsichtigen jeder den Bau oder die Bildung eines der sieben Globen der irdischen Planetenkette und das ‘Swabhāva’ (oder die angeborenen karmischen Eigenschaften) dieses Globus. Weitere Information über diesen und andere Aspekte dieser Lehre kann der Leser in The Esoteric Tradition von G. de Purucker, Kapitel XXIX, ‘Circulations of the Cosmos’ finden.
In der The Secret Doctrine verweist H. P. Blavatsky auf diese Lehren, von denen hier ein Abschnitt zitiert wird (I: 577):
Der planetarische Ursprung der Monade oder Seele und ihrer Fähigkeiten wurde von den Gnostikern gelehrt. Auf ihrem Weg zur Erde, sowie auf ihrem Weg von der Erde zurück [zu ihrer ursprünglichen, göttlichen Heimat], musste eine jede in und aus dem ‘grenzenlosen Licht’ geborene Seele die sieben planetarischen Regionen in beiden Richtungen durchwandern.
Wenn die Monade ihre Inkarnationen auf den unsichtbaren Globen unserer irdischen Planetenkette vollendet hat, setzt sie ihre nachtodlichen Wanderungen auf diesen sieben heiligen Planeten und ihren jeweiligen Planetenketten fort. Folgende Beschreibung aus The Esoteric Tradition wirft Licht auf vieles, was bis jetzt nur umrissen wurde:
… Überdies wandert die Monade, nachdem ihre Aktivität mit der nachtodlichen Existenz des Menschen begonnen hat, von Sphäre zu Sphäre und durchläuft auf ihren endlosen Wanderungen während des Manvantaras die Runden aufs Neue. Sie durchläuft die Sphären nicht nur, weil sie in ihnen allen beheimatet ist und darum durch die eigenen magnetischen Anziehungskräfte und Impulse zu ihnen hingezogen wird, sondern auch, weil sie selbst es will; denn der freie Wille ist etwas Göttliches und ist eine angeborene, von ihr nicht zu trennende Eigenschaft.
– S. 857
Wir lenken die Aufmerksamkeit auf die Worte „durchläuft ihre Runden aufs Neue“, die sich natürlich auf die Tatsache beziehen, dass die Monade diese inneren und äußeren Runden nach jeder Inkarnation des Menschen auf der Erde durchläuft. Wir wollen auf den freien Willen als Eigenschaft der Monade hinweisen, die als göttliches Wesen freiwillig die enorme Aufgabe auf sich nimmt, sich in allen Klassen der niederen Lebensformen ihres eigenen Kosmos zu verkörpern, um sie emporzuheben und ihre eigene Evolution zum Göttlichen hin zu inspirieren.
Wir fahren fort:
Während der Pilgerfahrt der Monade durch die ‘Sieben Heiligen Planeten’ der Alten folgt besagte Monade zwangsläufig jenen Pfaden oder Kanälen oder Bahnen des geringsten Widerstandes, welche die Esoterische Philosophie als die ‘Kreisläufe des Kosmos’ oder ähnlich bezeichnete. Diese Kreisläufe des Kosmos sind sehr reale, wirkliche Verbindungswege zwischen Punkten, Orten oder Himmelskörpern, wie sie alle in den Gitterstrukturen des sichtbaren und unsichtbaren Universums existieren. Diese Kreisläufe sind nicht eine bloß poetische Metapher oder eine bildliche Darstellung; sie sind in der inneren, ökonomischen Wirksamkeit der sichtbaren und unsichtbaren Welten des Universums ebenso real wie die Nerven und Blutgefäße, die Arterien und Venen im menschlichen physischen Körper. Geradeso wie die Arterien und Venen die Kanäle, Wege oder Pfade darstellen sowohl für die Übertragung intellektueller, psychischer und nervlicher Impulse und Anweisungen als auch für die lebensnotwendige Blutflüssigkeit, stellen die Kreisläufe des Kosmos analog dazu die Kanäle, Wege oder Pfade dar, denen die auf- und absteigenden Lebensströme folgen. Diese setzen sich aus dem nie endenden Strom wandernder, pilgernder Wesenheiten aller Klassen zusammen und verlaufen rückwärts und vorwärts, hierhin und dorthin, ‘auf und nieder’ durch das gesamte Universale Gebäude.
– S. 859
Nachdem die Monade die siebenfältige Erdkette verlassen und den nächsten Planeten in der Reihe erreicht hat, erzeugt oder bildet sie während ihrer Wanderung in und durch diese Planetenkette einen Strahl oder eine Strahlung aus sich selbst heraus, einen psycho-mentalen Apparat oder eine ‘Seele’ von vorübergehender Existenz, die sich dort als Folge davon zeitweilig in einem entsprechenden geeigneten Körper oder Vehikel inkarniert, einem Körper spiritueller, etherischer, astraler oder physischer Art.
– S. 867
So sammelt die Monade, unser spirituelles Selbst, unser essentielles Selbst … auf jedem der sieben heiligen Planeten eine neue Ernte an Seelenerfahrungen, die nur auf jedem einzelnen dieser Planeten gewonnen werden kann. Eine jede solche ‘Ernte’ besteht aus den von der spirituellen Monade während der Verkörperung erworbenen angesammelten Erfahrungen, die in der essentiellen Charakteristik von Substanz und Energie zu den betreffenden Planeten gehören.
– S. 870-871
Ist dies nicht ein erhabenes Bild? Es führt uns von dem versandeten Hafen immer noch vorhandener mittelalterlicher Theologie oder dem modernen Materialismus weg, hin zu dem Meer des spirituellen Abenteuers! Es schildert in treffender Weise die Bedeutung eines in der Theosophie oft benutzten Ausdrucks: ‘Erweiterung des Bewusstseins’. Nein, wir sind keine Würmer im Staub und auch keine entwickelten Affen. Wir befinden uns weder auf dem Weg in einen unveränderlichen Himmel oder eine Hölle, noch führt unser Pfad in gnadenlose Vernichtung. Vor uns liegen grenzenlose Gebiete kosmischer Aktivität und Abenteuer, die unser Vorstellungsvermögen weit übersteigen.
Es ist wahr, dass die reinere Seite unseres heutigen Bewusstseins ihre glücklichen Träume in Devachan träumen wird, während der innere Gott – das spirituelle Selbst oder die Monade, die uns ‘in ihrem Schoße trägt’ – seine Reise entlang der Pfade des Sonnensystems vollendet. Die Adepten und Weisen der archaischen Weisheit zeichneten dieses Bild unserer großartigen Berufung für uns, als das Ziel inspirierten Bemühens. Sie zogen die verdunkelnden Schleier unserer Unwissenheit beiseite, um das unergründliche Panorama des Lebens zu enthüllen, das die inneren Reiche des Raums erfüllt. Sie versichern uns, dass wir unseren Platz haben, unsere fruchtbare und niemals endende Teilhabe an dem unermesslich abwechslungsreichen und faszinierenden Drama des Universums.
Wir erkennen nun etwas vom Sinn des Evolutionsprozesses, der im letzten Kapitel besprochen wurde. In diesem Prozess wird das reinkarnierende Ego am Ende seines großen Evolutionszyklus selbst zu einer Monade. Dann hat es aus dem Kern seines eigenen Wesens das Monadenhafte evolviert, das jetzt dort noch latent anwesend ist oder seine Entfaltung erst beginnt. In einem künftigen Manvantara wird es selbst als Monade zwischen seinen Perioden der Verkörperung den Kreisläufen des Kosmos folgen. Und was jetzt unsere animalische Natur ist, wird in der Evolution zur Ebene des Menschlichen erhoben sein.
Fußnoten
1. Eine weiterführende Erläuterung dieser sieben Globen unserer Planetenkette findet sich in The Secret Doctrine, Band I, S. 170 und folgende. Für ein Studium der sieben Prinzipien der Erde wird Fundamentals of the Esoteric Philosophy von G. de Purucker empfohlen. [back]