Die vier heiligen Jahreszeiten
- Gottfried von Purucker
IV – Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche
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Von allen vier Initiationszeiten des Jahres ist wohl keine so schwer in der unzulänglichen Form des geschriebenen oder gesprochenen Wortes zu beschreiben, wie die Ereignisse, die Prüfungen und der Erfolg, die mit der Initiation der Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche verbunden sind, die fachlich das Große Hinscheiden genannt wird. So wie die Wintersonnenwende mit dem Ereignis verbunden ist, das Große Geburt genannt wird, und die Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche mit dem als Große Versuchung bezeichneten Ereignis und die Sommersonnenwende mit dem erhabenen Ereignis der Großen Entsagung, so ist die Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche mit jenem Ereignis verbunden, das fachlich das Große Hinscheiden genannt wird, also mit den geheimnisvollen und in manchen Fällen schrecklichen Geheimnissen des Todes.
Wie bereits dargelegt wurde, sind die Pratyeka-Buddhas – große und heilige Menschen – ein Beispiel für einen Aspekt der Ereignisse, die mit der Initiation der Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche zusammenhängen, denn in dem Lebenszyklus oder in der esoterischen Geschichte eines Pratyeka-Buddhas kommt ein Augenblick, wo er die entscheidende Wahl zwischen zwei Wegen trifft, die er gehen kann: Der eine ist, als ein Buddha des Mitleids unter die Menschen zurückzukehren oder aber beständig auf dem Pfad der eigenen Vollendung weiterzugehen, wobei tatsächlich das Licht der Ewigkeit auf seine Stirn scheint, sein Herz jedoch verschlossen bleibt für den Schrei des Elends und oft auch der Verzweiflung, der aus der Menge der Pilger emporschallt, die sich hinter ihm auf dem Weg abmühen.
Der Pratyeka-Buddha wählt endgültig das Große Hinscheiden und stirbt gänzlich und scheidet möglicherweise für die Dauer eines kosmischen Manvantaras aus der Welt der Menschen und fühlenden Wesen, die hinter ihm auf dem Weg wandern – und kehrt nicht mehr zurück. Er ist mit seinen göttlichen und spirituellen Wesensteilen eins geworden, aber in einer begrenzten und selbstgenügsamen Weise, so dass die Reichweite seines Bewusstseins – obwohl sein Wesen wie die Sonne leuchtet und er in das unaussprechliche Mysterium und in die Seligkeit von Nirvana versunken ist – auf sein eigenes aurisches Ei beschränkt bleibt, wie weit dieses auch ausgedehnt oder verbreitet sein mag. Darin verbleibt er, versunken in die Tiefen kosmischen Bewusstseins, und vergisst leider alles außer sich selbst. Ein seltsames Paradoxon, nicht wahr, dass er, obwohl er ein Teil des kosmischen Bewusstseins des Sonnensystems ist, dieses nur insoweit erfasst und empfindet, als es zu seiner eigenen wahrnehmenden Essenz gehört.
Dennoch übt der Pratyeka-Buddha durch die bloße Tatsache seines Seins und seiner Existenz in allen Teilen der kosmischen Sphären, von denen er ein untrennbarer, wenn auch inaktiver Teil geworden ist, einen beständigen, wenn auch stillen Einfluss aus. Dieser Einfluss ist gewissermaßen negativ, nicht aktiv; dauerhaft zwar, aber diffus, wohingegen der Einfluss der Energien, die aus dem Herzen eines Buddhas des Mitleids fließen, durch dessen belebendes Feuer aktiv, aufbauend, stärkend, anregend und direkt ermutigend ist.
Wie somit leicht ersichtlich wird, ist der Unterschied zwischen dem Pratyeka-Buddha und dem Buddha des Mitleids ungeheuer groß. Die Buddhas des Mitleids verzichten wie der Stille Wächter unserer Planetenkette, der ihr Vorbild ist, auf die unaussprechlichen Herrlichkeiten, die das Große Hinscheiden bietet, und werden zu schwingenden, spirituellen Energien im Leben der Welt und in allem, was das Leben der Welt enthält – Energien, die voll spiritueller Kräfte vibrieren, von denen jedoch die meisten zu fein sind, um mit Worten beschrieben werden zu können.
Das Große Hinscheiden ist die vierte und abschließende Initiation, durch die jeder Meister der Weisheit hindurch muss, zu der auch die Herrlichkeiten gehören, auf die er verzichten muss. In dieser besonderen Phase des Initiations-Zyklus, der zu vollkommener Meisterschaft führt, muss der Initiand, wie in den drei vorhergehenden Einweihungen, die Unterwelt besuchen. Aber in dieser vierten Einweihung ist der Besuch nur flüchtig, etwa so wie wenn ein Reisender in einem Zug durch Landschaften eilt, die ihm von anderen Aufenthalten her vertraut sind. Anstatt in der Unterwelt zu verweilen, sind die Energien darauf gerichtet, Erkenntnis von den oberen Welten zu erlangen und mit ihnen vertraut und individuell bekannt zu werden und wahrlich Meisterschaft über sie zu gewinnen.
Hier also, in dieser Initiation, werden alle die komplizierten und dunklen Geheimnisse erfahren, die mit dem Tod zusammenhängen. Einige davon sind überaus schön und einige über die gewöhnliche menschliche Vorstellungskraft hinaus schrecklich. Das ganze Konstitutionssystem des Initianden muss für die entsprechende Zeit getrennt und auseinander gerissen werden, damit die göttliche Monade vollkommen frei und ohne irgendwelche Behinderungen oder Fesseln sein kann, die ihre Bewegungen hindern, so dass sie zu den Sternenräumen, die unsere eigene Milchstraße, unser Heimatuniversum einschließen, aufsteigen und sich darin bewegen kann. Dort, unter den Sternen und unter den Planeten in ihren Kreisbahnen um jene Sterne, muss die befreite göttliche Monade des Initianden frei wie ein Gedanke eines befreiten Gottes umherschweifen, um – in Sternensphäre um Sternensphäre – nicht nur mit den verschiedenen und verschiedenartigen Phasen und Zuständen der Sternensubstanz, sondern auch mit dem kosmischen Bewusstsein eins zu werden.
Um die Sache anders auszudrücken: Die göttliche Monade kehrt zu ihrem eigenen Sternenursprung zurück und geht von Stern zu Stern und wandert und schweift zwischen ihnen vertraut und wie zu Hause umher. Dies geschieht auch beim gewöhnlichen Menschen, wenn er stirbt. Der Vorgang ist aber für den gewöhnlichen Menschen vollständig unbewusst, weil er noch nicht genügend weit entwickelt ist, um seine Erlebnisse verstehen zu können. Gerade das aber muss der befreiten göttlichen Monade des Meisterinitianden vollkommen bewusst und deutlich werden. Jede Phase des Todesvorgangs, die beim gewöhnlichen Menschen abläuft, wird von dem Initianden in dieser Zeit bewusst erlebt: Hülle um Hülle der Seele wird abgelegt, verlassen und beiseite geworfen und bleibt für die entsprechende Zeit vergessen, bis einzig und allein die unverhüllte Gottheit in Selbstbewusstsein und selbsterkennender Erinnerung dasteht als eine lebendige, feurige Energie.
Sobald die Fesseln des niederen persönlichen Menschen, sobald die verdunkelnden und lähmenden Hüllen des niedrigeren Bewusstseins abgeworfen sind, schwingt sich die monadische Energie auf ihrem erhabenen Weg Schritt um Schritt, Stufe um Stufe die Lebensleiter empor. Sie muss durch jedes der zwölf Häuser des Zodiak, durch eines nach dem anderen hindurch oder – wenn diese Worte besser verstanden werden – sie muss sich den besonderen und charakteristischen Einflüssen, die von jedem der zwölf Häuser des Zodiak ausströmen, unterziehen und sie erleben. Wenn dann die Runde ausgeführt und selbstbewusste Vertrautheit mit allem, was sie enthält, erlangt ist, beginnt der Abstieg, wobei die bisher befreite Monade Schritt um Schritt und Stufe um Stufe abwärts schreitet und sich wieder mit den Hüllen des Bewusstseins und mit den verschiedenen spirituellen, ätherischen und astralen Körpern bekleidet, die sie zuvor abgelegt und vergessen hat, bis sie schließlich, wenn sie unsere eigene Erde erreicht – der Körper liegt hier im Trancezustand – diese Welt wieder betritt, ihren Körper belebt und wieder unter den Menschen erscheint und in einem himmlischen Licht leuchtet, das sogar noch ätherischer, großartiger und erhabener ist, als das Licht, das von dem erfolgreichen Initianden ausstrahlt, der sich von den Prüfungen der Wintersonnenwende erhebt.
Der Initiand war gestorben, er war buchstäblich und in jedem Sinn des Wortes tot. Aber durch die wunderbaren, magischen Vorgänge und die beschützende Obhut und Hilfe der großen Seher und Weisen, die ihren jüngeren Bruder bewachen und behüten, wird er befähigt, von jenseits der Tore des Todes zurückzukehren. Er ist buchstäblich „von den Toten auferstanden“ und wird wieder ein Mensch; aber ein Mensch, der nun von jeder Seite und in jedem Teil seiner zusammengesetzten Konstitution verklärt, geheiligt und geläutert ist. Er hat die Tore des Todes durchschritten und ist zurückgekehrt. Er ist vollkommen wiedergeboren.
Dies stellt keinen Fall von Entsagung dar wie zur Zeit der Sommersonnenwende. Dem Initianden ist es möglich, durch diese schrecklichen Prüfungen zu gehen, gerade weil er vorher während der Initiation zur Sommersonnenwende die große Entsagung vollzogen und die Stärke gewonnen hat, vollständig und ganz zu sterben und dennoch in die menschliche, physische Existenz zurückzukehren.
Gerade hier erkennen wir den spirituellen und ethischen Unterschied zwischen dem Pratyeka-Buddha, der um seiner eigenen spirituellen Seligkeit willen vorsätzlich gern und freudig stirbt, und einem Menschen, der wie die Buddhas des Mitleids und ihre Nachfolger die Große Entsagung auf sich genommen hat, die tatsächlich um der Erfahrung willen sterben wegen der großen Zunahme an Erkenntnis, die dieses Sterben mit sich bringt, die aber ins Leben zurückkehren, um sich selbst als Opfer in den Dienst für die Welt zu stellen.
Es ist nicht leicht vollständig zu sterben. Die Menschen sterben täglich, aber nur unvollkommen, wenn sie sich abends in das Bett legen und in den Schlaf fallen. Willentlich zu sterben ist jedoch etwas sehr Schweres, denn es steht im Widerspruch zur gewohnten Gesetzmäßigkeit und den normalen Naturvorgängen. Normalerweise erfolgt der Tod nicht unmittelbar und plötzlich, selbst nicht beim Durchschnittsmenschen. Der physischen Auflösung gehen viele Monate voraus, in denen eine Anpassung stattfindet. Sie besteht in der inneren Bereitmachung des aurischen Eis, das die monadischen Teile auf die Wanderung nach dem Tod vorbereitet. Und am Ende, kurze Zeit vor dem Tod, schwebt das Bewusstsein blitzartig zwischen Erde und Stern, zwischen dem phyischen Körper und der Sonne mehrere Male sonnenwärts und wieder zurück, bis schließlich der goldene Lebensfaden zerreißt und sich augenblickliche, unmittelbare und unaussprechlich süße und sanfte Unbewusstheit auf den Sterbenden herabsenkt, der hernach, wie die Menschen sagen, tot ist.
Ich habe bisher von der vierten der vier großen Initiationen gesprochen, wie sie von den Großen erlebt wird, die sich diesen Einweihungen unterziehen und dann unter die Menschen zurückkehren. Aber es gibt viele andere, die diese Initiation willentlich nach der Art der Pratyeka-Buddhas vollziehen und für die Welt sterben und nicht mehr zurückkehren, bis Äonen vergangen und einer nach dem anderen in den Ozean der Vergangenheit versunken ist. Diese letzteren sind jene, die sich – ohne dass es ihnen vielleicht bewusst ist – auf dem Weg zur Pratyeka-Buddhaschaft befinden, so paradox dies auch klingen mag. Ich zweifle nicht, dass ihr staunen würdet, wenn ihr erkennen könntet, wie viele menschliche Seelen sich sehnlichst den unaussprechlichen Frieden und die Seligkeit der nirvanischen Ruhe wünschen. Obwohl sie am Leben hängen und seine Fortdauer ersehnen, wählen sie dennoch – seltsames Paradoxon – den Weg des Todes.
Die Großen unternehmen diese vierte Initiation, um in jeder Hinsicht Erfahrung aus erster Hand zu sammeln, nicht nur aus der Unterwelt, sondern ganz besonders auch aus den Oberwelten und aus allem, was jede Monade, die aus der Inkarnation scheidet, im normalen Verlauf des Todes erleben muss.
Die Planeten, die bei der Initiation der Wintersonnenwende besucht werden, sind gewöhnlich der Mond, die Venus, der Merkur und die Sonne. Dann findet die Rückkehr statt. In dieser vierten Initiation der Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche werden während des Vorgangs, den wir vielleicht zu Recht als eine Auflösung der Konstitution bezeichnen können, nicht nur die gleichen Planeten besucht, sondern auch die äußeren Planeten Mars, Jupiter und Saturn, und von diesen schwingt sich die befreite Monade auf ihrem Weg hinaus in die kosmischen Räume. Die Rückwanderung erfolgt auf demselben Weg und die Hüllen oder Schleier des Bewusstseins, die der monadische Pilger während dieser Wanderungen in jedem einzelnen Planeten und in jeder einzelnen Ebene ablegte, werden wieder gesammelt und aufgenommen. Auf diese Weise bekleidet sich das monadische Ego wieder mit seinen niederen Selbsten und kehrt auf dem Weg zurück, auf dem es aufgestiegen war. Die oben angegebene Aufzählung der Planeten darf nicht als die regulär vorgenommene Reihenfolge angesehen werden.
Aus der vorhergehende Lehre wird ersichtlich, dass der Mensch nicht nur einen physischen oder irdischen Körper besitzt, sondern auch einen Mondkörper, einen Venuskörper, einen hermetischen oder Merkurkörper, einen Sonnenkörper, einen Marskörper, einen Jupiterkörper und einen Saturnkörper, und ebenso ist er auch mit den Essenzen des kosmischen Raumes bekleidet. Der Mensch hat nicht nur diese verschiedenen planetarischen Hüllen in seiner Konstitution, vielmehr weist auch sein Bewusstsein selbst sozusagen Farbnuancen oder Energien oder Eigenschaften auf, die sich von den verschiedenen Himmelskörpern, mit denen er konstitutionell so eng und nah verbunden ist, herleiten. Das ist der Grund, warum die verschiedenen Körper oder Bestandteile der menschlichen Konstitution von dem Initianden beim Durchgang durch irgendeine dieser Sphären abgestreift werden und warum er zu jeder einzelnen Sphäre zur Aufnahme der dort vorher abgelegten Schleier oder Hüllen oder Gewänder zurückkehren muss, um auf der Erde wieder ein vollständiger Mensch zu werden. Der Mensch ist deshalb, wie ihr seht, ein Kind des Universums – zusammengesetzt aus all dessen Bestandteilen und daher tatsächlich ein Mikrokosmos oder eine kleine Welt. Selbst ein Gedanke von ihm berührt mit ätherischen Fühlern den entferntesten Stern, und die winzigste Schwingung des entferntesten Sterns bewirkt bei ihm eine Reaktion.
Wir können daraus erkennen, dass der Tod in den majestätischen Zeremonien der vierten Initiation während der Periode der Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche nur ein Aufstieg, eine Auferstehung aus gewissen gröberen Elementen in weitaus ätherischere Elemente ist. Das Bewusstseinszentrum, der feurige Funke des Wesens, die monadische Essenz, ist jedoch ein Gott, der die Äonen hindurch unberührt und unbefleckt bleibt, ganz gleich, was seine Kinder – seine Bewusstseinsträger und Hüllen und untergeordneten Monaden, durch die er wirkt – tun oder an Leiden und Freuden erleben.
Beachtet daher diese zwei verschiedenen, sich aber nicht widersprechenden Elemente der Lehre bezüglich der Initiation der Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche: (1) Alle größeren Initianden müssen durch diese Initiation gehen. Sie kehren jedoch wieder zurück. Sie schmecken in ihr den Tod und überwinden ihn. Mit den Worten der christlichen Bibel können sie sagen: „Tod, wo ist dein Stachel! Hölle, wo ist dein Sieg!“, weil der Initiand, der sich als erfolgreicher Eingeweihter erhebt, den Tod tatsächlich besiegt hat. Seine Mysterien sind ihm in all ihren verschiedenen Phasen keine Geheimnisse mehr. (2) Das zweite Element der Lehre ist die Tatsache, dass ganze Armeen, Massen und Scharen von Menschen irgendwann während ihrer evolutionären Pilgerschaft diese Initiation bewusst mit dem alleinigen Ziel wählen werden, die Welt und den Gesichtskreis der Menschen zu verlassen, um nicht wiederzukehren. Derart sind die Pratyeka-Buddhas und jene, die gleich ihnen die Seligkeit des individuellen Nirvana dem selbstaufopfernden, aber erhabenen Leben und Schicksal eines Buddhas des Mitleids vorziehen.
Denkt an die Grundelemente dieser Lehre, versucht die zugehörigen Ideen im Gedächtnis zu bewahren, denn sie sind sehr hilfreich. Wenn sie richtig verstanden werden, wird euch das Innesein dieser Wahrheiten bewahren wie ein schützender Mantel oder ein Schild oder mit anderen Worten: Diese Lehren werden zu einem Licht vor euren Füßen und euch auf dem Wege leiten, den die höchste und edelste Blüte der Vollkommenheit unter den Menschen erwählt hat.