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Goldene Regeln der Esoterik

Goldene-RegelnEthische Lehren sind so alt wie die denkende Menschheit. Ihr Einfluss auf unser Leben blieb aber bislang relativ gering. Das liegt unter anderem daran, daß sie im Abendland nur in Form von Ge- und Verboten zum Ausdruck gebracht werden und weder wissenschaftlich noch philosophisch begründet werden.

Der Wert dieses kleinen Werkes liegt für den suchenden Leser darin, dass Dr. de Purucker aus seinem umfassenden theosophischen Wissen die geistig-ethischen Gesetzmäßigkeiten aufzeigt, die sowohl die innere als auch die äußere Natur bestimmen.

Sinn und Aufgabe des Lebens, aber auch der naturgesetzliche Zusammenhang zwischen Ethik, Lebensweise und Schicksal, werden erkennbar. Die verursachenden Wirkungen der geistigen und seelischen Kräfte werden beschrieben. Geburt, Alter, Krankheit und Tod erfahren eine großartige Erklärung und bieten Trost und noch mehr – grandiose Ausblicke auf ein Leben nach dem Tod und den Zyklus der Wiedergeburten, die unsere Evolution in Zusammenarbeit mit dem karmischen Gesetz ermöglichen.

Die von hohem Geist erfüllten Betrachtungen zeigen, dass rechtes Leben, Denken, Handeln und Streben der einzige Weg sind, der zu Frieden, Harmonie und geistigem Wachstum führt – ja, selbst zum höchsten Lebensziel.

Das kleine Buch ist für viele Freunde der Theosophie ein Schlüssel für das tägliche Leben geworden.

Im Online-Shop verfügbar

Goldene Regeln der Esoterik

von Gottfried de Purucker

Titel der Originalausgabe:

Golden Precepts of Esotericism

© Theosophical University Press

Auch auf Cassette erhältlich

Zweite, überarbeitete Auflage

ISBN 3-930623-06-4

Alle Rechte der deutschen Ausgabe vorbehalten

© Theosophischer Verlag GmbH 1998


 

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Geleitwort zur deutschen Ausgabe

 

 

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Im Vorwort der im Jahr 1931 veröffentlichten amerikanischen Ausgabe schrieb Dr. de Purucker:

„Die Auszüge aus öffentlichen und privaten Unterweisungen in vorliegendem Buch stellen die Bemühung dar, westlichen und auch orientalischen Lesern zusätzliche Lehren darzubieten … in einer Form, die der Denkweise suchender Menschen im Abendland mehr vertraut ist.

Das Bedürfnis für inspirierende esoterische Werke ist heute wahrscheinlich ebenso groß wie seit jeher. Ich hoffe, daß die Leser der folgenden Auszüge in gleicher Weise Licht und Inspiration empfangen mögen, wie sie mir selbst in den vergangenen Jahren zuteil wurden.

Das Erscheinen des Bändchens Goldene Regeln der Esoterik ist dem intuitiven Unternehmungsgeist und dem starken, teilnahmsvollen Interesse eines Freundes und Schülers, G. B., zu verdanken.“

Der Verlag freut sich, den deutschsprachigen Lesern mit dieser deutschen Neuausgabe einen wesentlichen Teil der universalen Herzenslehre vorstellen zu können, die die innere Grundlage aller selbstlosen spirituellen Bewegungen war und ist. Möge aus dieser Begegnung mit der zeitlosen Weisheit ‘Licht und Inspiration’ für das tägliche Leben und für die geistige Suche erwachsen.


1 – Der Pfad zum Herzen des Universums

 

 

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Es ist ein Hunger in jedem Menschenherzen, den nichts befriedigen oder stillen kann, ein Hunger nach höherer Wahrheit, als den Menschen des Alltags bekannt, ein Hunger nach dem Wirklichen, ein Hunger nach dem Erhabenen. Er ist das göttliche Heimweh der Seele, der Geistseele des Menschen. Diese Sehnsucht entspringt dem Gefühl der Heimatlosigkeit, der Erinnerung der Seele an unsere spirituelle Heimat, aus der wir kamen und zu der unsere Reise nun wieder zurückführt.

Unbewußt, intuitiv, ohne daß der denkende Verstand daran beteiligt ist, erschauen die Menschen die erhabene Vision auf den Bergesspitzen des mystischen Ostens. Ach, dieses brennende Heimweh nach dem Unbeschreiblichen, nach dem Unsterblichen, nach dem Todlosen, nach dem, was unnennbaren Frieden bringt, und eine Liebe, die grenzenlos in ihrer Weite ist! Jedes menschliche Herz empfindet es. Es ist die rettende Macht im Menschen, die Kraft, die ihm Hoffnung verleiht und sein höhergeistiges Streben weckt, die seine Seele erhebt durch die Wiedererkennung der Herrlichkeit, die ihm einst innewohnte.

Licht für den Geist, Liebe für das Herz, Verstehen für den Verstand – alle drei müssen in jedem Menschen befriedigt werden, ehe er wahren Frieden findet.

Es gibt einen Pfad, einen erhabenen Pfad der Weisheit und Erleuchtung, der für jeden Menschen in irgendeiner seiner Verkörperungen auf dieser Erde beginnt und dann nach innen führt; denn es ist der Pfad des Bewußtseins und der spirituellen Verwirklichung, der immer mehr, immer weiter nach innen führt zum mystischen Osten, der das Herz des Universums ist und auch dein innerster Kern – die aufsteigende Sonne des spirituell-göttlichen Bewußtseins in dir.

Jede Fähigkeit, jede Energie, alles ist in dem innersten Kern deines Wesens enthalten, der sozusagen dein Weg ist, auf dem du aus dem Herzen des Seins hervorgehst, das deine spirituelle Selbstheit ist.

Der Pfad zum Herzen des Universums ist nur einer, und doch ist er für jeden Menschen verschieden. Dies bedeutet, daß jeder Mensch selbst jener Pfad ist – jener Pfad, der aus Denken, Bewußtsein und dem Gewebe seines eigenen Wesens gebildet ist. Er besteht aus der Substanz des Herzens der Natur.

Es gibt einen Weg, der ist lang und auch breit. Das ist der Weg, auf dem dich der dahinziehende Energiestrom der Natur mitführt. Wenn du diesem Weg folgst, wirst du in entsprechender Zeit Vollkommenheit erlangen; es ist jedoch der Weg langsamer, langwieriger Entwicklung, der dich im Verlaufe unberechenbarer Zeiten in jedem Erdenleben nur ein kleines Stückchen vorwärtsbringt.

Es gibt aber auch einen anderen Pfad, steil und dornig, schwierig zu begehen. Das ist der Weg, den die Großen der Menschheit eingeschlagen haben. Er ist der kürzere Pfad, doch auch der schwierigere. Er ist der Pfad der Selbstüberwindung, der Pfad der Selbsthingabe für das Ganze, der Pfad, auf dem der persönliche Mensch zum unpersönlichen Buddha, zum unpersönlichen Christus wird; der Pfad, auf dem alle Eigenliebe aufgegeben und das ganze Leben erfüllt wird von der Liebe zu allen Dingen, groß oder klein. Er ist ein mühevoller Weg, denn er ist der Weg der Einweihung; er ist der steile und dornige Pfad zu den Göttern. Denn wer die Höhen des Olymps erklimmen will, muß dem Pfad folgen, wie er vor ihm liegt.

Im Osten kannte man seit unvordenklicher Zeit vier ‘Pfade’,1 denen die vier Klassen oder Arten von Menschen nach dieser altindischen Theorie folgen.

Der erste ist Karma-Mārga, der Pfad des Handelns – ‘Erlösung durch Werke’.

Der zweite ist Bhakti-Mārga, der Pfad der ‘Erlösung durch den Glauben’.

Diese beiden Pfade oder Systeme der Vervollkommnung von Herz und Geist des Menschen sind auch im Westen mehr oder weniger bekannt und wurden ‘Erlösung durch Werke’ beziehungsweise ‘Erlösung durch den Glauben’ genannt. Doch sind diese beiden Pfade nicht die höchsten.

Der dritte Pfad ist Rāja-Yoga-Mārga, der Pfad des Rāja-Yoga: der Pfad, dem die strebende Wesenheit folgt, um Freiheit und Licht zu erlangen, um durch bewußtes, strebendes Bemühen zu jener wirklichen Vereinigung mit dem höheren Selbst zu gelangen. Und der vierte Pfad – den Erwählten der Menschheit vorbehalten – wurde Jñāna-Mārga, der Weisheitspfad, genannt: der ‘Pfad’ der großen Seher und Weisen und überhaupt des edelsten Teiles der Menschheit.

Schön sind die Pfade, erhaben das Ziel und schnell die Füße derer, die dem Weg der stillen, leisen inneren Stimme folgen, dem Weg, der zum Herzen des Universums führt. Dies ist der Kern der Botschaften der großen Mysterien des Altertums – die Vereinigung des einfachen Menschenwesens mit seinem göttlichen Ursprung, mit seiner eigenen Wurzel, die mit dem ALL verbunden ist: Denn jener Kern ist ein Funke des zentralen Feuers, ein Funke der Gottheit; und dieser Funke ist in jedem.

Das Göttliche wohnt in deinem Herzen. Es ist deine Wurzel. Es ist der letzte, allerinnerste Kern deines Wesens; und du kannst auf dem Pfad des spirituellen Selbstes emporsteigen, läßt Schleier um Schleier der verdunkelnden Ichheit hinter dir, bis du die Vereinigung mit jenem inneren Göttlichen erreichst.

Das ist das erhabenste Unternehmen, das Menschen kennen – die Erforschung des innersten Selbstes des Menschen.

Wenn du diesem inneren Pfad der Selbsterkenntnis folgst, wirst du nicht nur die Höhen des Parnaß und des Olymps erklimmen, sondern du wirst mit der Zeit so an Verständnis und innerem Schauen wachsen, daß deine Augen weite Gebiete und Räume inneren Lichts umfassen und dir die heiligsten und schönsten und deshalb erhabensten Mysterien des grenzenlosen Universums offenbar werden.

Der erste Schritt auf dem Pfad zum Herzen des Universums ist die Erkenntnis der Wahrheit, daß alles von innen kommt. Alle genialen Inspirationen, alle großen Ideen, welche die Zivilisationen aufbauten und zerstörten, all die wunderbaren Botschaften, die von den Großen der Erde an ihre Menschenbrüder gerichtet worden sind – sie alle kommen von innen. Der Kampf um die Vereinigung, um das Einssein, um die Verschmelzung mit deinem inneren Gott ist mehr als zur Hälfte gewonnen, wenn du diese Wahrheit erkennst.

Und wie herrlich wird der Pfad danach verstanden! Wie groß und schön ist er! Immer weiter und tiefer führt er nach innen – man könnte ebensogut sagen, nach oben –, immer höher und höher, bis du eins wirst mit deinen eigenen Verwandten – den Göttern –, die die Lenker und Herrscher des Universums und deren Kinder die Menschen sind.

Das Innerste deines Inneren ist ein Gott, eine lebendige Gottheit; und von dieser göttlichen Quelle fließen hinunter in dein menschliches Bewußtsein all die Dinge, die den Menschen groß machen, alles, was Liebe und mächtige Hoffnung, Begeisterung und höheres Streben wachruft und, das Edelste von allem, Selbstaufopferung.

In dir selbst liegen alle Geheimnisse des Universums. Durch dein inneres Selbst, durch deine spirituelle Natur, hast du einen Weg, der zum innersten Herzen des Universums führt. Wenn du vorwärts dringst auf jenem Pfad, der immer weiter nach innen führt, wenn du in dich gehen und Schleier um Schleier der Selbstheit wegziehen und immer tiefer in dich eindringen kannst, dann dringst du auch immer tiefer in die wundersamen Geheimnisse der universalen Natur ein.

Wenn du dich selbst erkennst, schreitest du schneller vorwärts als der durchschnittliche Entwicklungsstrom; und wenn diese Geschwindigkeit auf das äußerste gesteigert ist, gibt es Initiationen, ‘Abkürzungen’, doch nur für jene, die geeignet und bereit sind, diese schwierigen, sehr schwierigen Abkürzungswege zu begehen. Das Wachstum erfolgt schrittweise.

Dieser Pfad wird als ‘Weg’ bezeichnet; dabei handelt es sich jedoch um die Erschließung des menschlichen Herzens – nicht des physischen Herzens, sondern seines Wesens Kern, der Essenz des Menschen, mit anderen Worten, um die Erschließung und Entwicklung seiner geistigen, intellektuellen und seelischen Kräfte und Fähigkeiten. Das ist die Herzenslehre, die geheime Lehre, die verborgene Lehre. Die Augenlehre betrifft das Sichtbare und ist mehr oder weniger offenbar.

Die Menschen, deren innere Fähigkeiten und Kräfte in wirksamere Tätigkeit und in bewußte Funktion getreten sind, deren innere Natur sich in einem der Erdenleben beim Übergang von der Jugend zur Mannesreife mehr entwickelt hat, sind die Geeigneten, die Neophyten, deren Natur sich erschließt, deren Ohren zu hören und deren Augen zu sehen vermögen, was vor ihnen steht.

Jene, die die Intuition von etwas Größerem in sich haben, von etwas Herrlichem und Erhabenem, von etwas, das der knospenden Blume gleich in Herz und Geist heranwächst – sie sind es, die schließlich mehr sehen werden; sie sind die Initiierten, die zu den großen Sehern und Weisen heranwachsen.

Es gibt keine Bevorzugung in der Natur. Die alte, alte Regel ist wahr: Der Mensch bekommt, was er selbst zu erlangen vermag – was er selbst ist.

Der Mensch ist ein untrennbarer Teil des Universums, in dem er lebt und webt und sein Dasein hat. Es besteht keinerlei Trennung zwischen seinem Ursprung und dem Ursprung des Universums; es liegt kein Abstand zwischen beiden. Dasselbe universale Leben strömt durch alles, was da ist. Derselbe Bewußtseinsstrom, der in dem gewaltigen Ganzen und durch das mächtige Ganze des Universums fließt, durchströmt deshalb auch den Menschen – ein untrennbarer Teil jenes Universums. Das bedeutet, daß es einen Pfad gibt, auf dem du in enge Beziehung zu dem Herzen des Universums selbst kommen kannst; und dieser Pfad bist du, dein eigenes inneres Wesen, deine eigene innere Natur, dein spirituelles Selbst. Nicht das Ich des gewöhnlichen physischen Menschen, das nur ein armseliger Widerschein des spirituellen inneren Glanzes ist, sondern jenes innere Selbst aus reinem Bewußtsein, aus reiner Liebe für alles, was da ist, unbefleckt von allem irdischen Makel – dein spirituelles Wesen.

Wenn du diesem Pfad zu deinem inneren Gott, deinem höheren Selbst, folgst, wirst du im Laufe der grenzenlosen Zeit alle Geheimnisse und Wunder der unermeßlichen Unendlichkeit erlangen; und solches Glück, solcher Frieden, solche Seligkeit und solche Schönheit, Liebe und Inspiration werden dein Wesen erfüllen, daß jeder Hauch von dir eine Segnung und jeder Gedanke eine erhabene Eingebung sein wird.

Wie kann man sein Leben so führen, daß man auf diesem Pfad vorwärtsdringt? Ein reines Herz, ein lauterer Geist, ein scharfer Verstand, das Streben nach ungetrübter spiritueller Einsicht: Das sind die ersten Sprossen der goldenen Leiter, auf der du zum Weisheitstempel der Natur emporsteigen wirst.

Dieses ‘Das-Leben-leben’ hat mit törichtem Asketentum wie Martern des Körpers und anderen nutzlosen, selbstzerstörerischen Praktiken nichts zu tun. Nicht im mindesten.

Man begegnet in der Welt der durchaus falschen Vorstellung, der Weg zur Erlangung des ‘Himmelreichs’ (um den üblichen christlichen Ausdruck zu gebrauchen) würde darin bestehen, das Menschsein aufzugeben, der Weg zur Stärke führe durch die Torheit und der Weg zu göttlichem Frieden und Harmonie sei nur durch die Aufgabe des gesunden Menschenverstands zu finden. Der sogenannte Asket ist auf dem Holzweg. Nie wird ein Mensch das ‘Himmelreich’ dadurch erlangen, daß er nur von Kartoffeln und Rüben lebt oder nachts nur eine halbe Stunde schläft oder sich auf ein Nagelbrett legt, oder daß er enthaltsam lebt und das lediglich auf den physischen Körper beschränkt.

Was für traurige Bilder von Menschen habe ich gesehen, die vorsätzlich den Körper unterjochten und dabei doch von niedriger Gesinnung und ganz und gar verdorben waren! Das Böse liegt nicht im Körper. Die böse Tat stammt nicht vom Körper. Der Körper ist ein unverantwortliches Werkzeug deines Willens und deiner Intelligenz. Dein Wille und deine Verstandeskräfte sind es, die du schulen mußt, denn dann erziehst du dich selbst, dann wirst du zu einem echten Menschen und bist auf dem Pfad zum Gottmenschentum.

Ertöte nicht deine Persönlichkeit; vernichte nicht deine Persönlichkeit im Sinne einer Auslöschung. Du hast sie selbst ins Dasein gebracht; sie ist ein Teil von dir, der empfindsame und psychische Teil, der niedere mentale Teil, der leidenschaftliche Teil von dir, das Ergebnis einer äonenlangen Entwicklung in der Vergangenheit. Erhöhe die Persönlichkeit. Läutere sie, erziehe sie, mache sie wohlgestaltet und bringe sie in Übereinstimmung mit deinem Wollen und Denken, nimm sie in Zucht, mache sie zum Tempel eines lebenden Gottes, so daß sie zu einem geeigneten Gefäß, zu einem reinen und sauberen Kanal wird, durch den die glänzenden Strahlen des inneren Gottes in das menschliche Bewußtsein strömen können – diese glänzenden Strahlen sind Strahlen des Geistesbewußtseins, des spirituellen oder göttlichen Bewußtseins.

Die Unterdrückung des Persönlichen macht den spirituellen Menschen nicht frei, die Erhöhung des Persönlichen ins Spirituelle ist die Aufgabe der Evolution. Das ist das gleiche Ziel, das die natürliche Evolution in ihrem langsamen Werdeprozeß im Laufe der Zeitalter zu erreichen bestrebt ist – das Niedere zum Höheren emporzuheben –, nicht aber, es zu ertöten oder zu unterdrücken.

Sei so heilig, edel und rein, wie du dir nur vorstellen kannst; dann kannst du deinen Körper vergessen; dann kannst du deine Persönlichkeit vergessen, die durch den Körper zum Ausdruck kommt; und mit deiner Persönlichkeit meine ich alle deine niederen Fähigkeiten: deinen niederen mentalen und deinen empfindenden Teil, deine Launen und deine kleinen Wehs und Achs. Erlöse deine niederen Bestandteile, damit sie edleren und höheren Zwecken dienen können.

Wenn das Persönliche umgewandelt worden ist, wenn das Persönliche den erhabenen Einfluß des Gottes in dir mehr oder minder offenbaren kann – deine eigene innere spirituell-göttliche Strahlenkraft –, dann wirst du gleich einem Gott in Menschengestalt auf Erden wandeln und wie ein Gott handeln. Denn jeder ist der irdische Repräsentant seines eigenen inneren Gottes; und du zeigst auf der physischen Ebene soviel von der göttlichen Essenz, die dein Wesen durchströmt, wie es dir deine Entwicklung ermöglicht. Deshalb beginne schon jetzt, den inneren Gott zu offenbaren. Du kannst es, und wahrlich, der Lohn, der dann deiner harrt, ist unsagbar groß und schön!

In dem Maß, wie du dich mit deinem eigenen inneren Gott verbindest, mit jenem Quell des Göttlichen, der beständig dein inneres Wesen durchströmt, in demselben Maß steigt dein Bewußtsein und wächst an Kraft und Reichweite, so daß mit dem inneren Wachstum nicht nur eine größere Vision eintritt, sondern durch das erweiterte Bewußtsein auch die Fähigkeit, diese Vision zu deuten.

Wende deinen Blick nach innen, nicht nach außen! Das soll aber nicht bedeuten, daß du ausschließlich nach innen und nicht mehr nach außen schauen sollst. Das ist damit nicht gemeint. Du mußt in beide Richtungen blicken. Doch suche die Wahrheit nur dort, wo die Fähigkeit der Wahrheitserkenntnis liegt, in deinem innersten Selbst, denn nur dieses Selbst allein kann die Wahrheit erkennen.

Der aktive Verstand ist es, der erfüllt ist von den Gedanken des Tages, von den Wünschen der Stunde, und vollgestopft mit Vorurteilen und Meinungen, die so vergänglich sind – unter denen dieser aktive Verstand mehr leidet, als unter allem anderen –, er ist es, der dich daran hindert, die Wahrheit zu sehen und die erhabene Vision zu erlangen.

Du kannst die Wahrheit nur mit dem Wisser erkennen; du kannst nichts außerhalb von dir verstehen, außer mit dem und durch den Versteher in dir; dennoch ist das, was außerhalb von dir ist, auch gleichermaßen in dir, denn du bist ein untrennbarer Teil des Universums, du bist sein Kind. Jede Wesenheit ist ein untrennbarer Teil des grenzenlosen Alls, weil sie sozusagen sein Sproß, sein Kind ist, Leben von seinem Leben, Blut von seinem Blut, Denken aus seinem Denken. Und den Weg zu dieser erhabenen Vision und ihrer Entwicklung zu immer größerer Erhabenheit findet der, der nach innen schaut, der dem stillen, schmalen Pfad des inneren Bewußtseins folgt. Das ist der Sinn der Aufforderung: Mensch, erkenne dich selbst!

Nichts kann dich dann in die Irre führen; nichts kann dich dann von dem abbringen, was du in deinem tiefsten Herzen bist; denn das Göttliche wird für dich kämpfen, das Göttliche wird deine Bürde tragen. Auch wenn dein Herz jetzt noch von Schmerz und Leid zerrissen und gequält ist, so daß du oft nicht weißt, wohin du dich wenden sollst, wird sich dann Frieden und Liebe in dein Herz senken, und sie werden dich führen und erleuchten und deinen Pfad zu den Göttern erhellen; und dieser Pfad bist du selbst, dein göttliches Selbst, das im Göttlichen, im Herzen der Dinge verankert ist. Folge jenem Pfad, bis du als selbstbewußter Gott in das Leben des kosmischen Göttlichen eintrittst.

Das Mittel, den Zugang zu diesem Pfad zu finden, der Weg, ihm näherzukommen, ist Selbstvergessen; geradeso wie alle kleinen und persönlichen Dinge von dir abfallen, wenn du auf den fernen Bergesspitzen den Schein der Morgendämmerung siehst. Der Mann ist groß, der sich selbst vergißt, die Frau ist erhaben, die sich selbst vergißt. Das Selbstvergessen (welch wunderbares Paradoxon) ist der Weg, das Göttliche Selbst zu finden.

Jede Fähigkeit der menschlichen Natur muß bei diesem hohen und erhabenen Werk aktiviert werden. Keine unvollkommene Wesenheit kann die Höhen des Parnaß erklimmen; kein Mensch kann den Gipfel des Olymps ersteigen, wenn er nicht nahezu ein Gott geworden ist, der aus der Menschlichkeit sich zur Göttlichkeit entwickelt.

Deshalb muß die Verstandeskraft, eine der edelsten Kräfte der inneren Konstitution des Menschen, ebenfalls entfaltet werden. Verstand und Gefühl müssen vorhanden sein. Beide sind notwendig. Wenn diese beiden verbunden und harmonisch aufeinander abgestimmt sind, dann ist der Weise und Seher fertig. Du kannst die Höhen nicht erreichen, wenn du einen Teil von dir unten im Tal läßt. Du mußt emporsteigen – dein ganzes Wesen. Schule deinen Verstand, schule deinen Willen, schule dein Herz, schule deine Intelligenz.

Wenn du dich deinem größeren Selbst zuwendest, dem höheren Teil deiner Konstitution, wenn du zum inneren Buddha, zum inneren Christus wirst, dann gibst du die physische Persönlichkeit und all jene hemmenden Dinge auf, die dich peinigen und quälen und dir Leid und Unannehmlichkeiten bereiten, und trittst in das erhabene Licht des Geistes ein und vertauschst das Persönliche gegen das Göttliche. Das Göttliche ist es wert, alles hinzugeben, um es zu erreichen; wenn ein Mensch sein Leben dahingibt um des inneren Christus willen, dann wird er es finden, weil er dadurch das universale Leben findet.

Wenn du so handelst, dann verlierst du keine wesentlichen und wirklichen Werte. Du gibst nichts auf, was wertvoll, schön und edel ist. Du wirfst lediglich die Fesseln und Ketten ab, die deine inneren Fähigkeiten binden. Du unternimmst die ersten Schritte in die Freiheit und in das Licht.

Wer möchte freiwillig in einem Kerker bleiben? Gib dein persönliches, niederes, materielles Selbst auf, dein selbstisches Leben auf dieser groben, stofflichen Ebene, und du wirst anfangen, das Dasein des ewigen Lebens wahrzunehmen, zusammen mit all der Weisheit und Macht, mit all den gesteigerten Kräften und der größeren Vision, die dir dann zufallen werden. Wenn dir das gelingt, dann wirst du wirklich die erhabene Vision erwerben.

Dort, im fernen mystischen Osten, wirst du auf den Bergesspitzen des Geistes die aufgehende Sonne erblicken. Du selbst wirst eingehen in das Licht und in die Freiheit. Du wirst niemandem untertan, niemandem zu Gebote sein, du wirst ein freier Mensch sein: geistig frei, intellektuell frei; denn dann wirst du eins geworden sein mit der spirituellen Natur. Du wirst in den Tempel des Heiligen in deinem innersten Herzen eingegangen sein, und dort, im Adyton [Allerheiligsten] wirst du deinen eigenen inneren Gott erschauen.

Oh, wie wundervoll, heilig, erhaben und inspirierend wie keine andere ist diese Wahrheit: daß in jedem einzelnen ein unaussprechlicher Quell der Stärke, der Weisheit, der Liebe, des Mitleids, des Verzeihens, der Reinheit ist! Verbinde dich mit diesem Urquell der Stärke; er ist in dir, niemand kann ihn dir je nehmen. Sein Wert ist kostbarer als alle Schätze des Universums, denn wenn du ihn kennst und eins mit ihm wirst, bist du zu allem geworden.

Eine klare Intelligenz tritt uns deutlich in allen Dingen entgegen. Was in den Sternen ist, ist auch in den Blumen zu unseren Füßen; und die instinktive Erkenntnis dieser Qualität des Schönen läßt den Dichter von der Blume als einem herrlichen Stern sprechen. Die gleiche Lebenskraft durchpulst Blume und Stern. Die gleiche klare Flamme der Intelligenz gibt ihr ihre erlesene Form, Gestalt und Farbe, und die gleiche klare Flamme der Intelligenz lenkt auch den Zug der Sterne auf ihren kosmischen Wegen.


2 – Alter, Krankheit und Tod

 

 

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Wie schön ist die Welt, die uns umgibt! Der Sonnenaufgang über den östlichen Bergesspitzen ist eines der schönsten und herrlichsten Erlebnisse, die ich kenne.

Er ist so schön, weil er in uns eine Harmonie des Verstehens wachruft, die der natürlichen Herrlichkeit verwandt ist, die wir am östlichen Himmel abgebildet sehen. Alle Schönheit liegt daher im Bewußtsein des Schauenden, wo in einem sehr wahren Sinn überhaupt alle Dinge sind, die wir erkennen.

Niemand kann äußere Schönheit wahrnehmen, der nicht Schönheit in sich trägt. Niemand kann das Schöne verstehen, es sei denn, er selbst ist in seinem Innern schön. Niemand kann Harmonie verstehen, der nicht in seinem inneren Wesen Harmonie ist. Alle wertvollen Dinge sind in dir, und die Außenwelt gibt dir nur den Anreiz zur Betätigung der inneren Fähigkeit des Verstehens.

Es liegt Schönheit im Verstehen, und Verstehen entspringt nur einem verstehenden Herzen, so widerspruchsvoll das auch anfangs klingen mag. Das verstehende Herz besitzt Vision.

Der Seher schult sich, das Auge des Schauens in sich zu öffnen, und die Natur spricht zu ihm in Tönen, die mit jedem Jahr bezaubernder und schöner erklingen, da er innerlich wächst. Sein Verstehen erweitert und vertieft sich. Das Flüstern der Bäume, das Rascheln und Rauschen der Blätter, das leise Schwappen der Wellen am Gestade, das Zirpen des Heimchens, das Gurren der Taube, der Klang einer menschlichen Stimme – so mißtönend sie oft auch sein mag – enthalten Wunder für ihn. Er erkennt seine Verwandtschaft mit allem, was da ist; er nimmt wahr, daß er nur ein Element ist in einem wunderbaren Lebensmosaik, in das er unzertrennlich eingegliedert ist, und mit zunehmender Fähigkeit des Schauens wird dieses Mosaik immer schöner und erhabener. Er weiß nun, daß die erhabene Vision da ist, und strebt danach, sie immer klarer zu schauen.

Von jedem Baum, von jeder Blüte, von jedem Sandkorn, das unter deinem Fuß knirscht, von allem, was da ist, könntest du lernen, wenn du das Auge des Schauens hättest. Hast du nie in den Kelch einer Blume geblickt? Hast du nie die Schönheit, das Ebenmaß und die Herrlichkeit, die dich umgeben, studiert? Hast du nie die Morgen- oder die Abendsonne betrachtet und den Farbenglanz am östlichen oder westlichen Himmel bewundert? Hast du nie einem Mitmenschen tief ins Auge geblickt, nie mit sehendem Auge deine Artgenossen angeschaut? Hast du dort nie Wunder entdeckt? Wie wunderbar ist die Welt, von der wir umgeben sind!

Und doch, trotz all der Schönheit, die uns umgibt, schmerzt das Herz, und tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigt sich des Gemütes bei dem Gedanken an der Menschheit Jammer, der aus den drei düsteren Worten spricht – Alter, Krankheit und Tod.

Lerne, das Denken zu beherrschen. Der Mensch ist der Götter Sproß, und sein Denken sollte gottähnlich, himmelstrebend sein, sein Herz sollte sich immer mehr in Liebe öffnen; und gottgleich sollte deshalb auch seine Haltung sein.

Tritt ein in die stillen Tiefen deines Herzens, tritt ein in die so stillen und ruhigen Kammern deines inneren Wesens. Bald wirst du lernen, an der Tür deines eigenen Herzens anzuklopfen. Die Übung macht den Meister. Intuition wird dir dann werden. Sofortige Erkenntnis wird in dir erwachen. Unmittelbar wird dir Wahrheit aufleuchten. Das ist der Weg, das ist die Lehre.

An diesen stillen Stätten wird dir Erleuchtung, und du wirst Visionen der Wahrheit empfangen, weil dein Geist – dein innerstes Herz und Selbst – eingegangen ist in das Innerste des Seins, aus dem es stammt, von dem es nie getrennt ist, von dem es einst ausging und mit dem du in unmittelbarer, steter Verbindung stehst.

Erkenne diese wundervolle Wahrheit; nimm sie zu Herzen; denn es gibt unerschöpfliche Quellen der Weisheit, des Wissens und der Liebe – ja, und der Macht – Macht über das Selbst zuallererst, und das bedeutet Macht über die Natur, in der wir leben und weben und unser Dasein haben. Denn der Kern deines Wesens ist der innere Gott in dir, der göttliche Geist, der Christos-Geist, die buddhische Herrlichkeit in dir.

In diese Friedensstätte der Seele, in dieses Reich der Herzensstille, in das Allerinnerste des menschlichen Wesens treten die Großen ein, wenn sie nach mehr Licht und größerer Erkenntnis verlangen; denn damit dringen sie auch in den inneren Aufbau und in das Gewebe des Universums ein und erkennen die WAHRHEIT aus erster Hand, weil sie mit ihrem Denken und ihrer Intelligenz – mit dem Organ der Geisteskräfte – eins mit jenem Universum werden und sich im Gleichklang, in gleichem Rhythmus mit den Schwingungen auf allen Ebenen der Ewigen Mutter halten. Dort werden sie eins mit allem und erkennen deshalb die Wahrheit intuitiv.

Das Alter muß dich nicht schrecken. Wer recht gelebt hat, wer ein reines Leben geführt und edle Gedanken gehegt hat, wird im Alter, wenn die körperlichen Kräfte abnehmen und die stofflichen Schleier dünn werden, sehen und mit dem Sehen erkennen. Sein Blick dringt hinter die Schleier der Materie, denn er wird allmählich mit den Mysterien hinter jenem Schleier vertraut, den die Menschen Tod nennen.

Eine gewisse Zeit lang, die von dem Zeitraum abhängt, der dem Tod vorausgeht, zieht sich die Seele vom alternden Körper zurück. Dieser Vorgang verursacht den Ablauf der sogenannten Alterserscheinungen. Bei normalem Verlauf geht dieses Zurückziehen der Seele jedoch friedlich und ruhig vor sich. Es ist die Art der Natur, den Tod als stille Segnung des Friedens und der Harmonie eintreten zu lassen.

Der Tod ist Geburt, Geburt; und anstelle des Losreißens, das freilich bei Todesfällen in jugendlichem Alter stattfindet, kommt der Tod zu unseren Betagten in Frieden und Stille; er schleicht sich wie ein Mitleidsengel in ihr Wesen ein und löst die Bande, die die Seele an ihr Gehäuse aus Fleisch und Bein bindet; der Übergang ist ebenso ruhig und sanft wie das Hereinsinken der Abenddämmerung vor der Nacht und ist ein seliger Schlaf.

Jeder Mensch kann ein schmerzvolles Alter vermeiden oder seine Beschwernisse wenigstens beträchtlich mindern. Das ist erreichbar durch einen menschenwürdigen Lebenswandel, durch ein Leben im höheren Selbst, wenn er die Bedürfnisse und Wünsche seines Körpers nicht zu seinen Idealen macht. Dann kommt das Alter sachte zu dir, bringt Segnungen mit sich und steigert alle höheren Fähigkeiten und Kräfte, so daß sein Nahen durchdrungen ist von den Harmonien einer anderen Welt, schön mit ihren Lichtblicken von Wahrheit und Herrlichkeit.

Das Alter ist ein Segen, wenn das vorangegangene Leben recht geführt wurde. Es bringt außerdem noch manche andere, sonst unerreichbare Dinge mit sich, wie die Weitung des Bewußtseins, von der die Jugend nichts weiß. Es bringt eine gesteigerte, intellektuelle Kraft mit sich, die wegen ihrer Reichweite von den weniger entwickelten Menschen, den Jugendlichen und den Menschen im mittleren Lebensalter, nicht verstanden und deshalb für vage Verallgemeinerungen eines Großvaters gehalten werden. Der Großvater ist indes in solchen Umständen der Wahrheit näher und sieht mehr als das noch unentwickelte Auge der Jugend. Ein schönes, hohes Alter bringt eine Weitung der Seele mit sich, nicht nur des Intellekts, sondern auch des spirituellen Bewußtseins und seiner Einsicht.

Doch manchmal, wenn das Leben von groben, sinnlichen Begierden beherrscht war, wenn sozusagen die Bande, die die Seele an den Körper fesseln, durch Nachgiebigkeit den groben Begierden gegenüber stark mit dem Gehäuse aus Fleisch verwachsen sind, dann ist der Tod selbst im Alter schmerzvoll; denn das natürliche, langsame Zurückziehen der Seele hat nicht stattgefunden oder wenigstens nicht in so hohem Maß; auch ist, wenn der Tod schließlich ein Ende macht, meist kein besonders hohes Lebensalter erreicht worden.

Das Alter ist nichts, vor dem man sich fürchten müßte. Es ist ein Segen. Es ist wie ein Lichtschein, der durch einen Schleier schimmert, ein Abglanz des jenseitigen Lebens, des höheren Lebens, des Lebens, in dem das höhere inkarnierende Ego tatsächlich lebt, ein Schattenbild kommender Ereignisse, die ihren Schatten vorauswerfen, die Schatten der bevorstehenden Herrlichkeit: Das ist das schöne Alter!

Krankheiten, das zweite der Übel, die die Menschheit heimsuchen, sind Reinigungsvorgänge, Prozesse der Reinigung, und für die Menschen unseres gegenwärtigen unvollkommenen Entwicklungszustands sind sie in vielen, vielen Fällen ein vom Himmel geschickter Segen. Sie heilen von der Selbstsucht. Sie lehren Geduld. Sie führen das Denken zu einer Betrachtung der Schönheit des Lebens, der Notwendigkeit rechter Lebensführung. Sie erziehen zu Güte und Wohlwollen.

Betrachte den Durchschnittsmenschen in seinem gegenwärtigen unvollkommenen Entwicklungszustand, mit seinen Leidenschaften, seinem unbeherrschten Gefühlsleben, seinem heftigen Verlangen nach Sinnesempfindungen, nach mehr und immer mehr Sinnesempfindungen. Überlege einmal: Hätten die heutigen Menschen, so wie sie sind, gegen Krankheit gefeite Körper, die von den Ausschweifungen nicht geschwächt und getötet werden könnten – haben dann die Dinge, so wie sie sind, nicht auch etwas Gutes an sich? Krankheiten sind in Wirklichkeit Warnungen an uns, unsere schlechten Gedanken zu ändern und in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen zu leben.

Denke daran, daß keine äußere und tyrannische Natur uns mit Krankheiten heimsucht; Krankheit ist in jedem Fall das Ergebnis oder die Folge unseres unrechten Handelns, von schlechten Gedanken und von üblen Taten in diesem oder in einem früheren Leben. Krankheiten mit ihrem Gefolge von Schmerzen und Leiden sind unsere besten, mahnenden Freunde: Sie erweichen unser Herz, sie weiten unser Denken, sie geben uns eine Gelegenheit zur Schulung unseres Willens und ein Betätigungsfeld für unsere sittlichen Instinkte. Sie flößen unserem Herzen auch Mitleid und Erbarmen für andere ein.

Es ist wahr, daß jeder einzelne von uns selbst verantwortlich ist für seine Krankheiten und für sein Mißgeschick. Alles Mißgeschick, das uns im Leben begegnet, haben wir selbst verursacht. Wir haben es verdient, denn wir haben es auch erzeugt. Es kommt über uns, es trifft uns, und wir empfangen damit nur die Wirkung, das Ergebnis der Saaten von Gedanken und Handlungen, die wir in der Vergangenheit gesät haben – eine wunderbare Lehre: Karma!

Doch ‘gut’ und ‘böse’ sind relative Begriffe. Wir nennen Dinge ‘gut’, wenn sie uns gerade gefallen, und wenn sie uns nicht passen, sagen wir, sie seien ‘böse’. Und doch erwies sich gerade das, was dir nicht behagte, in manchen Fällen als etwas sehr Segensreiches, brachte dir Glück und Gedeihen, oder es verlieh dir wenigstens Charakterstärke, die mehr wert ist als alle Schätze der Welt. Es gab dir Einsicht, erschloß die Kräfte deines Herzens, lehrte dich denken, kurz, es machte einen Menschen aus dir.

Nichts stößt uns zu, was wir nicht selbst anfänglich verursacht haben. Wir säten die Samen. Nun sind die Saaten in uns aufgegangen und wir sagen: Ich kann nicht verstehen, wie mir derartiges zustoßen konnte! Doch es ist da; und wenn du es in der rechten Weise nimmst, ihm recht begegnest, dich richtig dazu stellst und es als das ansiehst, was du selbst gewählt haben würdest, wirst du zu einem Mitarbeiter des Schicksals: Glück, Wachstum und Stärke werden dir zuteil und Weisheit geht in deinem Herzen auf.

Ich will es noch mehr verdeutlichen an dem Beispiel eines außergewöhnlich guten und edlen Menschen. Plötzlich wird er, sagen wir, um es drastisch darzustellen, von einer schauderhaften, schrecklichen Krankheit befallen. Nichts in seinem jetzigen Leben hat sie, soviel er weiß, verursacht. Ganz plötzlich und auf unerklärliche Weise wird er niedergestreckt, so daß er sich eine Zeitlang selbst verabscheut und seine Seele sich in ihren Qualen zu den Göttern wendet, deren Ohren für ihn aber taub sind, und er sagt: „Was habe ich getan, daß mir dies zustoßen mußte?“ Sollen wir sagen, er sei ein schlechter Mensch gewesen? Nein, er ist ein guter Mensch. Hier haben wir aber einen Fall, wo frühere Saaten – Gedanken-und Gefühlssaaten – und Schwächen in vergangenen Leben nicht zum Durchbruch, nicht zur Reife gekommen waren; jetzt aber brechen sie hervor. Jetzt gehen sie auf. Vielleicht wollten sie schon in vergangenen Leben aufgehen, doch war dieser Mensch ein Feigling und dämmte sie auf die eine oder andere Art durch sein Denken zurück und schob so das Leiden auf einen späteren Zeitpunkt hinaus.

Daraus ergibt sich folgende Lehre: Wenn Leid und Ungemach über dich kommen, wenn Unglück dein Herz peinigt, wenn es scheint, als stünde die ganze Welt gegen dich auf, dann sei ein Mensch. Nimm es beherzt auf dich und bringe es hinter dich, so daß du in kommenden Zeiten, wenn dein Charakter stärker und besser geworden ist, nicht mit noch ungekeimtem Samen karmischen Geschicks behaftet bist, der dann aufgehen und dir weit größeres Unglück bringen wird, als er jetzt bringen könnte.

Es hat große und edle Menschen gegeben, Jünger des Pfades und fortgeschrittene Schüler, denen solches zugestoßen ist. Alte karmische Schicksalssamen, unterdrückt, zurückgehalten, durch den Willen zurückgedämmt, kamen zum Durchbruch und zerstörten anscheinend ein edles Leben.

Wenn dich daher Leid trifft, wenn Kummer in deinem Leben auftaucht, wenn Schmerz dich heimsucht, so nimm sie zu Herzen, denn sie sind Erwecker. Vergnügungen lullen dich in Schlaf, die sogenannten Freuden lassen dich einschlummern. Leid und Kummer und Schmerzen – Veränderungen in deinen Lebensumständen, die dir nicht behagen –, diese drei sind deine Erwecker. Oh, daß du diese Wahrheit erkennen mögest! Sie werden dir Stärke verleihen und Frieden; sie werden deinen Verstand erleuchten, so daß du den Lebensproblemen erfolgreich begegnen kannst, sie werden dir Trost und Hilfe bringen.

Erinnere dich, es ist nur das Endliche, das leidet; ebenso ist es auch das Endliche, das liebt; nur das Endliche vollführt diese Dinge, weil es lernt. Es lernt und wächst, wie klein oder wie groß es auch immer sein mag, Insekt oder Gott, Übergott oder Erdenatom: Alle lernen und wachsen und gehen deshalb durch Zustände von Wohlsein und Glückseligkeit und von Schmerz und Leiden.

Alles, was ist, ist eine Gelegenheit für das schauende Auge und für das verstehende Herz, eine Gelegenheit zum Lernen, was Wachsen bedeutet; und wenn man erkennt, daß Schmerz und Leiden zwei von den Mitteln sind, durch die wir wachsen, dann zieht Friede ins Herz und Ruhe in die Seele.

Was macht die majestätische Eiche zu dem, was sie ist? Ist es der säuselnde Zephyr und der sanft rieselnde Regen? Die Eiche würde schwach und biegsam sein wie die Weide im Sturm, wenn es so wäre. Nein, Sturm und Ungewitter müssen sich an der Eiche versuchen, und die Eiche antwortet mit Widerstandskraft und Stärke. Im Kampf gegen Sturm und Orkan wird sie stark.

Menschen lernen viel schneller als die Pflanze, die man ja unbeseelt nennt. Nichts lernt so rasch und leicht wie das Menschenherz. Deshalb schrecke nicht zurück vor Schmerz und Leid, denn sie sind bessere Lehrer als Glück und behagliches Zufriedensein. Das letztere ist fast spiritueller Selbstmord – wenn man nämlich so sehr mit sich und dem, was man ist, zufrieden ist, daß man schläft. Doch die Natur duldet das nicht für immer. Schließlich kommt der karmische Impuls, und dann leidest du ein wenig, aber nur um aufzuwachen und zu wachsen. Preise den karmischen Anstoß und fürchte ihn nicht. Blicke auf den göttlichen Wesenskern in dir. Denke daran, daß alles, was geschieht, vergänglich ist und daß du aus allem lernen kannst und dadurch wachsen wirst – zunimmst an Größe und dich zu immer größerem Sein entfaltest.

Es ist alles ein Kampf des SELBSTES gegen das Ich: Weniger ein gegenseitiges Bekämpfen als ein immerwährendes Standhalten gegen Ungleichheiten, und das ist in gewisser Weise ein spirituelles Exerzitium. Diese Übung macht uns stark, gewandt und kampfgeübt, bereit und fähig, noch größere Proben zu bestehen, größeren Schwierigkeiten standhaft entgegenzutreten. Unser größter Freund, unser edelster Reiniger von allen ist Leid, ist Schmerz; denn Herz und Verstand müssen durch Schmerz geläutert werden, genauso, wie Gold im Feuer geläutert wird.

Wir Menschen haben das im allgemeinen nicht gern. Wir gleichen in dieser Hinsicht kleinen Kindern. Dennoch verhält es sich so, und wenn wir darüber nachdenken, dann lernen wir bald, daß der wirkliche Mensch die Prüfungen und Schwierigkeiten des Lebens mit frohem Mut annimmt und besteht.

Eine schöne, nützliche Regel ist die folgende: Was auch immer dir zustößt, trage es mannhaft. Betrachte es als gerade das, was du selbst gewollt hättest – und gewinne Frieden daraus. Es wird vorübergehen, es wird sich auswirken. Es ist eine gute, praktische Regel des Moralgesetzes: Jammere nicht, richte dein Antlitz nach dem mystischen Osten der Zukunft, wappne dein Herz mit Mut und denke daran, daß du vom Stamm und Geschlecht der unsterblichen Götter bist, die das Universum leiten und lenken.

Es gibt tatsächlich Zeiten im Leben, in denen uns das höhere Selbst auf Pfade der Prüfung führt, damit wir durch ein erfolgreiches Bestehen der Prüfungen wachsen. Doch ist das höhere Selbst immer mit uns und mahnt uns beständig durch Ahnungen und Eingebungen, mutig zu sein, das Leben kühn zu meistern, wahr, rein, stark, aufrichtig und noch mehr in dieser Art zu sein. Gerade dieses sind die Eigenschaften der menschlichen Natur, die uns vor Unheil bewahren, wenn sie unentwegt angestrebt werden. Das einzige Unheil, das die Geistseele des Menschen kennt, ist Schwachheit, Versagen, Mutlosigkeit. Körperliches Ungemach und andere Drangsale des physischen Lebens sind oft verkappte Segnungen. Das höhere Selbst lehrt uns, diesen mit rechtem Mut zu begegnen und sie siegreich zu überwinden. Die innere Freude ist es, die uns zum Sieg führt, die Wahrnehmung des Gefühls, daß wir es erreichen können, wenn wir es nur wollen. Das könnte aber nicht so sein, wenn das Herz des Universums nicht Harmonie und Liebe wäre, denn das Herz der Dinge ist himmlischer Friede, Liebe und Schönheit.

Deshalb gedenke dieser Wahrheiten, wenn Schmerz und Leid über dich kommen. Raffe dich auf, ermanne dich! Trotze dem Sturm, und ehe du dich dessen versiehst, wirst du blauen Himmel über dir haben, Erfolg und Gedeihen sehen, denn du hast wie ein Mensch gehandelt. Du hast die Prüfung bestanden, und sie hat dir Stärke verliehen.

Alle physischen Krankheiten haben ihren Ursprung in einer falschen Lebensanschauung, in einer falschen Willensrichtung des einzelnen. Deshalb haben alle Krankheiten – nicht erst, wenn sie physisch im Körper zum Ausbruch kommen und ihm schmerzvolle Leiden verursachen, sondern schon vorher – ihren Ursprung im Denken, erzeugt in diesem oder einem früheren Leben. Willensschwäche, Nachgiebigkeit gegen schlechte Gewohnheiten, die Gedankensamen erzeugen, die im Verstand Gedankenniederschläge zurücklassen, schwächen den Charakter. Ein schlechter oder falscher Gedanke offenbart sich im Körper und zerstört ihn schließlich durch schlechte Gewohnheiten. Kritiksucht, Pessimismus, Wehklagen und Tadelsucht sind in wahrstem Sinn des Wortes mentale Krankheiten.

Jeder Weise und Seher hat das gleiche gelehrt: Reinige den Tempel des heiligen Geistes, treibe die Dämonen der niederen Natur hinaus. Welches sind diese Dämonen? Die eigenen Gedanken.

Unharmonische Gedanken vergiften nicht nur die Luft, sondern sie vergiften auch deinen eigenen Blutstrom, sie vergiften deinen Körper, und Krankheit ist die Folge. Was sind unharmonische Gedanken? Es sind egoistische Gedanken, böse Gedanken, niedrige Gedanken, mürrische Gedanken. Sie entstehen in einem Herzen, das keine Liebe hat. Vollkommene Liebe im Menschenherzen führt zum Aufbau eines starken, von Natur reinen Körpers, weil dein Inneres seelisch und moralisch rein ist, harmonisch in seinen Funktionen; denn in diesem Fall sind Verstand, Seele und Geist – der wahre Mensch – in harmonischem Zusammenwirken. Der Körper spiegelt nur das wider, was du selbst bist.

Du machst dich jetzt in hohem Maß zu dem, was du in zehn Jahren sein wirst. Du magst dann eine Krankheit überwunden haben, an der du jetzt leidest. Du magst dann eine Krankheit haben, die du jetzt nicht hast. In jedem dieser Fälle bist du selbst verantwortlich. Das sicherste Vorbeugungsmittel gegen Krankheiten ist eine selbstlose Seele, die durch ein selbstloses Denkvermögen wirkt – ein sich selbst vergessendes Herz. Nichts bringt so rasch Krankheiten über einen Menschen wie die Selbstsucht mit ihrem Anhang von Versuchungen, und wenn man diesen Versuchungen unterliegt. Sei völlig selbstlos, und aller Reichtum der Welt ist dein: Reichtum an Gesundheit, Reichtum an innerem Schauen, Reichtum an irdischen Gütern, Reichtum an Macht, Reichtum an Liebe, Reichtum an Können, Reichtum an allem.

Wenn die Gedanken gleich wilden Rossen durch das Gehirn jagen, dann mühe dich nicht ab, du vergeudest dabei deine Kräfte. Male dir in deinen Gedanken gegenteilige Bilder von den Dingen aus, die du verabscheust. Male dir die Dinge aus, die du wirklich innerlich liebst, die du wirklich in deinem Herzen mit Liebe hegst und die du als hilfreich erkennst. Das Geheimnis heißt innere Imagination: Wende sie an!

Wenn du dich in düsterer Stimmung befindest, wenn du dich der Gedanken schämst, die in deinem Bewußtsein auftauchen, dann mühe dich nicht mit ihnen ab, bekämpfe sie nicht, sondern vergiß sie einfach. Sie sind nichts als Trugbilder aus deiner eigenen Vergangenheit. Du aber wende dein Antlitz gen Osten und schaue zur aufgehenden Sonne. Laß die Visionen in ihrem Glanz erstehen. Betrachte die Bergesspitzen deiner Natur, auf denen die rosenfingrige Aurora der inneren Morgendämmerung das Gewebe ihrer wundersamen Zaubermacht vor deinen Augen erstehen läßt.

Hier liegt das Geheimnis deines Sieges. Das ist der beste, der leichteste Weg, und du kannst ihm folgen, weil du mit deiner Imagination und Willenskraft der Schöpfer deines eigenen Schicksals bist. Dadurch wird die schöpferische Fähigkeit in dir wirksam. Das ist eine so einfache Regel; dennoch ist sie die Botschaft der Weisen aller Zeiten.

Vergiß die üblen Gedanken und gib ihnen kein künstliches Leben, indem du sie als Erinnerungsbilder in deiner Vorstellung erstehen läßt und dann bekämpfst. Vergeude deine Energien nicht im Kampf gegen Unholde – die Gaukeleien und Gespenster deiner Einbildung. Sie sind nur die Trugbilder deiner eigenen Einbildungskraft und haben außerhalb von dir keine Wirklichkeit. Doch können dich diese Erscheinungen und Gespenster manchmal überwältigen und zu einer zeitweiligen Wirklichkeit werden, weil du ihnen Form und Gedankenkraft gegeben hast. Du kleidest diese Dinge in Gedanken ein, und Gedanken beherrschen dann deinen Körper.

Stelle dir das Gegenteil vor. Schaffe dir in deiner Vorstellungskraft schöne und kraftvolle Bilder. Wenn du von diesen häßlichen Zerrbildern heimgesucht wirst, male dir schöne Dinge aus. Das ist viel anziehender. Es ist eine herrliche Beschäftigung und ist immer wirksam. Stelle dir hohe und erhabene Dinge vor und stelle sie mit aller Kraft vor dein inneres Auge. Stelle dir vor, du habest Erfolg in edlen Dingen. Male dir schöne und von innerem Glanz erfüllte Dinge aus.

Das Denken kann durch hohe und erhabene Gedanken veredelt werden. Selbst der Arbeiter kann, während seine Hände beschäftigt sind, in Gedanken die Linie seiner Ahnen bis zu den Göttern im Raum verfolgen und die Inspiration einer göttlichen Abkunft empfinden, die sozusagen durch die Adern seiner Seele fließt. Dadurch kann er ein wirklicher Mensch sein.

Bringe deine Gedanken zum Schweigen. Das bedeutet nicht, daß du mit dem Denken aufhören, sondern daß du deine Gedanken überwachen und ihr Herr sein sollst. Sei nicht der Sklave jener streunenden Vagabunden, die dein Denkvermögen zu ihrem Tummelplatz machen; sei mannhaft! Erzeuge Gedanken und lenke diese deine Gedankenkinder. Und wenn sie unfolgsam werden, so setze ihnen einen Dämpfer auf. Bringe sie zum Schweigen!

Sei ein Denker, doch verwirre dich nicht in deinen Gedanken, sondern wende dich nach innen. Mit anderen Worten: Unterlasse die ruhelose Tätigkeit deines Gehirnverstands und tritt ein in die inneren Kammern deines Herzens, in die Tiefen deines Bewußtseins, in die heilige Stätte im Innern und erblicke das Licht. Empfange das Licht. Bringe deine Gedanken zum Schweigen und tritt ein in das Bewußtsein.

Prüfe deine eigenen Denkprozesse und erkenne, wieviel Zeit du mit bloßen Gedankenspielereien vergeudest – zumeist unnützen Gedanken –, und wie du darüber versäumst, aus jenem erhabenen Brunnen der Erkenntnis, der Weisheit und des Bewußtseins zu trinken, der in dir ist, aus den Quellen der Inspiration und des Genius, von jenen Geistesquellen, jenen elysischen Brunnen, denen alles entströmt, was dem Leben Wert verleiht.

Es gibt eine Probe, mit der man bestimmen kann, ob irgendein Gedanke vom höheren Selbst kommt oder ob er lediglich einer Begierde entspringt oder von einer solchen gefärbt ist. Hier ist der Test, und er ist sehr einfach: Das höhere Selbst ist unpersönlich, es ist selbstvergessend, es ist gütig, liebevoll, es ist mitleidsvoll, es ist mitfühlend; es hat erhabene Inspirationen. Die niedere Natur ist selbstsüchtig, habgierig, oft gehässig, unversöhnlich, heftig.

Das höhere Selbst ist eine spirituelle Wesenheit und schwebt sozusagen über dem Schlamm des niederen Selbst, so wie die Sonne auf die Erde scheint. Das höhere Selbst hat einen gewaltigen Einfluß auf das niedere Selbst; das niedere Selbst hat jedoch keinen Einfluß auf das höhere Selbst, nicht einmal indirekt. Das niedere Selbst hat eher einen gewaltigen Einfluß auf das menschliche Selbst, auf unsere Zwischennatur.

Wenn das, was in dein Bewußtsein tritt oder durch deine eigene Willenskraft und durch dein Streben hineinkommt, dich zu guten Taten deinen Mitmenschen gegenüber antreibt, dir inneren Frieden und Trost bringt, dich gütiger und rücksichtsvoller gegen andere macht, dann stammt es aus dem höheren Teil. Dieser höhere Ansporn mag ein Verlangen sein; doch es ist kein Verlangen für die Persönlichkeit, es ist ein geistiges Verlangen, ein Verlangen nach Größerem und Besserem, ein Bestreben, anderen zu helfen, andere zu lieben, Unrecht zu vergessen und zu vergeben.

Ein gütiger Gedanke, einem anderen Menschen zugesandt, ist ein Schutz für jenen anderen; und es ist eine wundervolle Tat. Sie zeugt von Menschentum, von wahrem Menschentum, und jeder normale Mensch liebt solches Tun. Es gibt wenig Dinge, die für Herz und Verstand so erquickend sind wie das Gefühl, daß wir wenigstens heute keine unfreundlichen Gefühle oder Gedanken gegen andere hegten, sondern hilfreich, gütig, rücksichtsvoll und unpersönlich waren.

Gedankensamen zu säen ist eine verantwortungsvolle Handlung. Wer Gedankensamen in das Denken seiner Mitmenschen sät, wird durch natürliches Gesetz zu strenger Rechenschaft gezogen. Die Natur ist nicht anarchisch; sie wird überall von Ursache und Wirkung beherrscht – von Karma.

Das legt zwar jedem, der andere lehrt und so Gedanken- und Gefühlssamen in ihr Denken streut, eine ernste Verantwortung auf. Was ist jedoch andererseits der Lohn eines edlen, gut ausgeführten Werkes? Der Lohn, der Ausgleich ist herrlich!

Hüte deine Gedanken wohl und beachte ebenso sorgfältig, was du sagst. Sprich wenig, doch wenn du redest, so sprich im vollen Bewußtsein deiner Verantwortung.

Was ist ein Gedanke? Ein Gedanke ist ein Ding, er ist ein lebendes Wesen. Alle die zahllosen und mannigfaltigen Erscheinungen der Natur sind, soweit es Differenzierungen betrifft, auf die eine Tatsache gegründet, daß im Kern einer jeden solchen Wesenheit ein göttlicher Gedanke existiert, ein Same des Göttlichen, dazu bestimmt, die Äonen hindurch zu wachsen, bis sich das innewohnende Leben, die Individualität, Kraft und Fähigkeit in einem solchen Samen mehr oder weniger vollkommen offenbaren. Daher kommt es, daß ein solcher Gottsame oder eine solche Monade ihrerseits zu einer göttlichen Wesenheit wird, zu einer selbstbewußten Göttlichkeit, zu einem Kind der kosmischen Göttlichkeit, der es entstammt.

Gedanken sind Dinge, weil Gedanken stofflich sind. Gedanken sind stoffliche Wesenheiten – nicht aus dem Stoff unserer physischen Welt zusammengesetzt, sondern aus feiner, ätherischer Substanz.

Der Mensch ist ein Brennpunkt schöpferischer Kräfte; er ist ein Energiezentrum, das beständig zahllose Ströme und Fluten kleiner Leben von sich aussendet. Diese atomischen Leben, diese Lebensatome verlassen ihn durch seine physischen Ausstrahlungen. Auch aus seinem Denkorgan gehen sie hervor, und in seinem Denkorgan sind sie Gedanken, die so in die Gedankenatmosphäre der Welt gesendet werden. Zudem ist jeder Gedanke eine Wesenheit, denn sonst könnte er doch offenbar keinen Bruchteil einer Sekunde bestehen, wenn er nicht mit irgendeiner Art von Individualität ausgestattet wäre, die ihm innewohnt und seine Essenz bildet, die ihn als Wesenheit in individualisierter Form bestehen läßt.

Diese ausströmenden Emanationen des schöpferischen Lebenszentrums, das der Mensch ist, treten als Gedanken in die unsichtbaren Reiche ein und als seine physischen Emanationen auch in die physischen, sichtbaren Reiche. Aber die unsichtbaren, die guten, schlechten, unwichtigen, stark gefärbten, fast farblosen, sehr emotionalen, kalten, heißen, reinen, sanften, verruchten oder sonstigen Gedanken – alles Energiearten – verlassen das Lebenszentrum, das der Mensch ist; und diese Lebensatome sind es, die dann fortan eine eigene Entwicklung beginnen, und im Laufe der Zeit entwickeln sie sich zur Zwischennatur von Tieren.

Die Emanationen des Menschen bauen so die tierische Welt auf; die Tiere leben von diesen verschiedenen Arten von Lebensatomen, ob physischer, vitaler, astraler, mentaler oder anderer Art. Wie nun der Mensch Ströme von Lebensatomen aussendet, so strömt auch die Sonne ihre Lebensessenz in den Raum hinaus und gibt allem, was ihre kraftspendenden Strahlen berühren, Leben und Energie und ätherische Substanz – auch ihren eigenen Atomen, Elektronen und sonstigen Teilchen, die zur physischen Ebene gehören.

So strömt der Mensch fortwährend seine Lebenskraft aus. Die von ihm ausgehenden Lebensströme geben den Wesenheiten der unter dem Menschen stehenden Reiche Leben, evolutionäre Antriebe und ihre Eigenschaften, weil diese unter dem Menschen stehenden Reiche die evolvierten Ergebnisse der Gedanken und vitalen Emanationen der menschlichen Rasse sind.

Gedanken des Hasses und der Zwietracht, die der Mensch hegt, seine oft tierischen Leidenschaften und die verschiedenen Arten unedler Energien, die aus ihm strömen, sind die Wurzeln der Dinge und Wesenheiten in den unter dem Menschen stehenden Reichen, die der Mensch für seine eigene Gattung als feindselig und gefährlich ansieht; während andererseits eine andere Art von vitalen und mentalen Emanationen des Menschen, solche von höherstrebender, harmonischer, gütiger, freundlicher, ausgeglichener Natur, in entsprechender Weise die mittleren oder psychischen Prinzipien der unschädlichen, harmlosen und wohlgestalteten Tiere bilden, wie auch der großen Zahl von nützlichen Gewächsen und schönen Blumen im Pflanzenreich.

Da die Natur ein gewaltiger Organismus ist, ist alles mit allem verbunden; deshalb setzt jeder Atemzug und Gedanke Kräfte und Energien in Bewegung, die schließlich die äußersten Grenzen unseres Heimatuniversums erreichen und über diese Grenzen hinausgehend in den Bereich anderer Universen eindringen.

Daher berührt sogar ein Gedanke an einen Stern diesen Stern im Lauf der Zeit, wenn auch nur mit unendlich kleiner Wirkung; trotzdem stellt diese Tatsache eine wunderbare Wahrheit dar. Zudem ist es eine Wahrheit, die uns nachdenklich stimmt.

Ja, selbst die Sterne werden durch unser Denken beeinflußt. Und bei jenen, deren innere Vision mehr erwacht ist und die erkennen, daß jene herrlichen Lichtkörper, die über das blaue Himmelsgewölbe der Nacht verstreut sind, nur die stofflichen Gewänder einer inneren und glänzenden Bewußtseinsflamme darstellen, die sich in der Herrlichkeit dieser kosmischen Sonnen offenbart – geradeso wie sich unser Bewußtsein durch uns als Menschenwesen offenbart –, bei jenen, die derart zu Sehern werden, erreicht das Denken die Sonnen und Sterne. Jeder ist das Kind einer Sonne und deshalb ein Atom spiritueller Energie. Und welcher Vater kennt sein Kind nicht und hört nicht auf sein schwaches Rufen?

Doch wie steht es mit dem dritten Weh, das die Menschheit heimsucht, dem Tod? Der Tod ist der Eröffner, er verleiht die Vision; der Tod ist der größte und lieblichste Wechsel, den das Herz der Natur für uns bereithält.

Es gibt keinen Tod, wenn wir mit diesem Ausdruck ein vollständiges, absolutes und unbedingtes Aufhören des Bestehenden meinen. Der Tod ist Veränderung, geradeso wie die Geburt durch Reinkarnation (die für die Seele den Tod bedeutet) eine Veränderung ist; es besteht kein Unterschied zwischen dem sogenannten Tod und dem sogenannten Leben, denn beide sind eins. Es handelt sich um eine Veränderung in eine andere Phase des Lebens. Der Tod ist eine Lebensphase, wie das Leben eine Todesphase ist. Er ist nichts, was man fürchten müßte.

Um seine Kräfte zu erneuern, muß der physische Körper des Menschen eine bestimmte Zeitlang schlafen; so muß auch die psychische Konstitution des Menschen ihre Ruhezeit haben – im Devachan.

Der Tod ist so natürlich, der Tod ist so einfach, der Tod selbst ist so schmerzlos, der Tod ist so schön wie das Heranwachsen einer lieblichen Blume. Er ist die Pforte, durch die der Pilgrim auf eine höhere Stufe tritt.

Beim Tod findet genau dieselbe Aufeinanderfolge von Ereignissen statt wie beim Einschlafen, wenn wir uns nachts zur Ruhe gelegt haben und in jenes Wunderland des Bewußtseins hinübergleiten, das wir Schlaf nennen; und wenn wir ausgeruht, gestärkt, erfrischt und bereit zur Wiederaufnahme unserer Arbeit und Pflicht am neuen Tag erwachen, dann finden wir, daß wir dieselbe Person sind, die wir vor dem Einschlafen waren. Im Schlaf findet eine Unterbrechung des Bewußtseins statt. Auch der Tod ist eine solche Unterbrechung des Bewußtseins. Im Schlaf träumen wir, oder wir sind, mehr oder minder, unbewußt; und im Tod haben wir ebenfalls Träume: herrliche, wundervolle, spirituelle Träume – oder vollständige Unbewußtheit. So wie wir vom Schlaf erwachen, so kehren wir auch bei der nächsten Reinkarnation zur Erde zurück, um in einem neuen menschlichen Körper unsere karmischen Lebensaufgaben fortzusetzen.

Es gibt freilich einen Unterschied zwischen Schlaf und Tod, doch betrifft dieser nur die Umstände und nicht das Wesen der Sache. Nach dem Schlaf kehren wir in denselben Körper zurück, während wir nach dem Tod einen neuen Körper annehmen. Wir inkarnieren, wir reinkarnieren jeden Tag, wenn wir aus dem Schlaf erwachen; weil das, was während des Schlafs des physischen Körpers mit uns vorgeht und geschieht, in Kurzfassung mit dem übereinstimmt, was mit uns bei und nach dem Tod vorgeht und geschieht.

Der Tod ist ein absoluter, ein vollkommener Schlaf, eine vollkommene Ruhe. Der Schlaf ist ein unvollkommener Tod, oft von aufregenden und beängstigenden Träumen gestört, aufgrund der Unvollkommenheit der bewußten Wesenheit, die das menschliche Ego ist – man nenne es Seele, wenn man will. Tod und Schlaf sind Brüder. Was im Schlaf geschieht, geschieht auch bei und nach dem Tod, jedoch auf vollkommene Weise. Was bei und nach dem Tod geschieht, geschieht auch während des Schlafs, jedoch auf unvollkommene Weise. Wir verkörpern uns bei jedem Erwachen aufs neue; denn das Erwachen bedeutet, daß die Wesenheit, die während des Schlafs zeitweilig den Körper verlassen hat – das Gehirnbewußtsein, das astral-physische Bewußtsein –, in diesen Körper zurückkehrt, sich neu inkarniert, und daher erwacht der Körper, dessen Blut, Gewebe und Nerven durch das psychische Feuer neu belebt werden.

Hast du dich jemals beim Zubettgehen, beim Einschlafen und beim Schwinden des Bewußtseins gefürchtet? Nein. Es ist etwas so Natürliches, es ist ein so beglückender, Ruhe verleihender Vorgang! Die Natur ruht sich aus, und das ermüdete Gehirn erholt sich; und die innere Konstitution, die ‘Seele’, wenn man sie so nennen will, wird während der Schlafperiode zeitweilig in das höhere Bewußtsein des Menschen zurückgezogen – der Strahl wird sozusagen wieder in die innere, spirituelle Sonne aufgenommen.

Genau das gleiche findet beim Tod statt; doch wird beim Tod das abgetragene Gewand beiseite gelegt; auch ist die Ruhe lang, unvergleichlich schön und beglückend, sie ist von herrlichen und wundervollen Träumen und von unerfüllten Hoffnungen erfüllt, die jetzt im Bewußtsein der spirituellen Wesenheit verwirklicht werden. Dieser Traumzustand ist ein Panorama der Erfüllung aller unserer edelsten Hoffnungen, all unserer früheren Träume unverwirklichter geistiger Bestrebungen. Er ist ihre Erfüllung in strahlendem Glanz und in Herrlichkeit, in überfließender Fülle und Vollkommenheit.

Der Tod ist ein absoluter Schlaf, ein vollkommener Schlaf. Der Schlaf ist ein unvollkommener Tod, ein unvollständiger Tod. Daher wird alles, was während der kurzen Periode des Schlafens mit uns vorgeht, beim Sterben vollständig, vollkommen und in großem Maßstab wiederholt. Wie man morgens im gleichen physischen Körper erwacht, weil der Schlaf nicht vollständig genug ist, um den Silberfaden der Lebenskraft zu zerreißen, der die innere abwesende Wesenheit mit dem schlafenden Körper verbindet, so kehren wir auch nach unserer devachanischen Erfahrung, den Erfahrungen in der Himmelswelt, in der Welt der Ruhe, des absoluten Friedens, des absoluten, glückseligen Schlummers zur Erde zurück.

Während des Schlafs verbindet der Silberfaden der Lebenskraft die umherwandernde Seele noch mit dem Körper, den sie verlassen hat, so daß sie entlang dieser psycho-magnetischen Verbindungskette zum Körper zurückkehrt; wenn aber der Tod eintritt, wird dieser silberne Lebensfaden zerrissen, in Blitzesschnelle (die Natur ist in diesem Fall sehr barmherzig), und die wandernde Seele kehrt nicht mehr in den abgelegten Körper zurück. Dieses völlige Scheiden des inneren Bewußtseins bedeutet das Zerreißen jenes Silberfadens; der Körper wird dann wie ein abgetragenes und nutzloses Kleidungsstück beiseite gelegt. Im übrigen ist die Erfahrung des umherwandernden Bewußtseins, der umherwandernden Wesenheit oder Seele genau die gleiche wie im Schlaf, nur geschieht es jetzt in kosmischem Maßstab. Das Bewußtsein scheidet, und bevor es als ein reinkarnierendes Ego wieder zur Erde zurückkehrt, geht es von Sphäre zu Sphäre, von Reich zu Reich, von ‘Wohnung’ zu ‘Wohnung’ in des ‘Vaters Haus’, wie es im Neuen Testament heißt.

Trotzdem ruht das reinkarnierende Ego auch in gewissem Sinne: in vollkommener Glückseligkeit, in höchstem Frieden; und während dieser Ruhezeit verarbeitet und assimiliert es die Erfahrungen des vergangenen Lebens und fügt diese Erfahrungen seinem Wesen als Charakteranlagen ein, geradeso wie der Körper während des Schlafs die tagsüber aufgenommene Nahrung verdaut und in sich aufnimmt und alles Unbrauchbare ausscheidet und neues Gewebe aufbaut, um dann neugestärkt zu erwachen, so kehrt auch das reinkarnierende Ego neugestärkt zur Erde zurück.

Ähnlich ist es mit dem Schlaf. Der Schlaf wird von der Wesenheit verursacht, wenn sie sich aus dem physischen Körper zurückzieht, den sie mit ihrer Flamme erfüllte und dem sie tätiges Leben verlieh. Das ist der Schlaf. Und wenn jener Rückzug der inneren Wesenheit ganz stattfindet, dann ist auch der Schlaf als solcher verhältnismäßig vollkommen, und es herrscht eine relativ vollkommene Unbewußtheit – die schönste aller Schlafformen. Denn dann ist der Körper ungestört, ruht friedlich und ruhig und erneuert in seinem System, was in der Zeit aktiven Arbeitens oder Spielens verbraucht worden ist.

Ist hingegen der Rückzug der inneren Wesenheit unvollständig oder nur teilweise eingetreten, dann entstehen Träume; denn die innere Wesenheit fühlt dann die Anziehung ihres physischen Teils, des physischen Menschen, fühlt den psycho-magnetischen Einfluß, den dieser physische Mensch auf sie ausübt, und die Unbewußtheit des Schlafs ist gestört durch die Schwingungen des physischen Menschen, des mit Leben erfüllten Körpers. Das erzeugt böse Träume, schlechte Träume, aufregende Träume, seltsame und unheilvolle Träume. Ist der Rückzug etwas vollständiger als in letzterem Fall, aber nicht ganz vollständig, dann entstehen glückliche, friedliche Träume.

Ist der Schlaf völlig frei von Bewußtheit, dann hat das seine Ursache darin, daß die innere Wesenheit fast gar nicht mehr von den psycho-magnetischen Schwingungen des Körpers und besonders des Gehirns beeinflußt ist. Jenes Bewußtsein oder Denken selbst ruht in einem Schlummer, in dem ihm ein gewisses Maß seines Erkenntnisvermögens verbleibt, das das Gehirn aber nicht mehr als Traum registrieren kann, weil die Trennung zwischen dem Körper und dem Bewußtsein, das diesen Körper verlassen hat, zu groß ist. Doch während dieses Bewußtsein sozusagen halb wach ist und halb schläft, befindet es sich in jener besonderen, für menschliche Augen unsichtbaren Welt, zu der es von seinem Denken und Fühlen in den vorausgehenden Augenblicken und Stunden hingelenkt wurde. Es weilt dort als Besucher, vollkommen beschützt und behütet, und nichts kann oder wird ihm aller Wahrscheinlichkeit nach Schaden bringen, außer, wenn die innere Natur des betreffenden Menschen so verdorben ist, daß der Schutzschild des Geistes, der normalerweise diese innere Wesenheit umgibt, so brüchig geworden ist, daß feindliche Einflüsse eindringen können.

Wiedergeburt, das Erwachen aus der Ruhe zwischen Erdenleben, ist das Ergebnis des Schicksals, des Schicksals, das du dir in vergangenen Leben selbst geschaffen hast. Du selbst hast dich so gestaltet, daß du wieder hierher auf die Erde zurückkommen mußt; und du bist jetzt hier, weil du dich in anderen Leben zur Reinkarnation vorbereitet hast. Du selbst bist für dich Vater und Mutter, du bist dein eigenes Kind, denn du bist du selbst. Du bist als Charakter, als Menschenwesen nur das Ergebnis dessen, was du in der Vergangenheit aus dir gemacht hast, und dein künftiges Schicksal – die Wirkung folgt notwendigerweise der Ursache – wird genau das Ergebnis, das Karma von dem sein, wozu du dich jetzt machst.

Hier liegen die geheimen Ursachen der Wiedergeburt: Die Menschen hungern nach Licht und wissen nicht, wo sie es finden können. Ihre Intuitionen sagen ihnen die Wahrheit, doch sie wissen nicht, wie sie diese Ahnungen deuten sollen. Ihr Denken, ihr Verstand ist verwirrt durch die Lehren jener, die nur in der materiellen Welt nach Licht gesucht haben. Lichtsucher sein, ist wahrlich ein edles Streben, aber nur in der materiellen Welt danach zu suchen, beweist, daß die Suchenden den Schlüssel zum größeren Innen verloren haben, von dem das materielle Universum nur die Schale, das Gewand, der Körper, die äußere Hülle ist.

Eine der verborgenen Ursachen der Wiedergeburt, der Wiedergeburt der menschlichen Seele ist die, daß der Mensch, weil er ein essentieller Teil des Universums und mit diesem in seinem innersten Herzen und mit seinem ganzen Sein eins ist, dem kosmischen Gesetz der Wiedereinkörperung gehorchen muß: erst Geburt, dann Wachstum, dann Jugend, Reifung, Entwicklung von Fähigkeiten und Kräften, dann Niedergang, das Nahen des großen Friedens – Schlaf, Ruhe; und dann das erneute Heraustreten in das manifestierte Dasein. So verkörpern sich auch Universen wieder. So verkörpert sich auch ein Himmelskörper wieder – jeder Stern, ob Sonne oder Planet. Jeder einzelne ist ein Körper, wie du es in deinem niederen Teil auch bist; jeder ist ein untrennbarer Teil des grenzenlosen Universums, wie auch du selbst es bist; jeder einzelne entspringt dem Schoß des grenzenlosen Raums als dessen Kind, wie auch du selbst; und ein universales kosmisches Gesetz durchdringt und durchwaltet alles, so daß, was dem einen geschieht, sei es groß oder klein, entwickelt oder unentwickelt, fortgeschritten oder nicht, jedem und allen geschieht.

Du selbst gestaltest dir dein Schicksal; du selbst machst dich zu dem, was du bist. Was du jetzt bist, ist genau das, wozu du dich in vergangenen Leben gemacht hast. Und für das, was du in Zukunft sein wirst, legst du jetzt die Ursachen. Du hast einen Willen, und du gebrauchst diesen Willen zu deinem Wohl oder Weh, während du hier auf Erden lebst und später in den unsichtbaren Reichen, in den Gebieten des grenzenlosen Raums. Das ist eine weitere, die zweite der verborgenen Ursachen der Wiedergeburt.

Es gibt noch eine dritte verborgene Ursache, und diese ist vielleicht die materiell wirksamste. Diese dritte Ursache wurzelt im Innern eines jeden von uns. Es ist der Durst nach sinnenhaftem Dasein, Durst nach irdischem Leben, Hunger nach den Stätten und Gebieten, in denen wir einst wandelten und die uns vertraut sind. Das bringt uns wieder und immer wieder zur Erde zurück. Diese Tṛishṇā, diese Tanhā, dieser Durst, in vertraute Verhältnisse zurückzukehren, bringt uns wieder zur Erde zurück – er ist als einzelne Ursache wohl wirksamer als alle anderen.

Die entkörperte Wesenheit geht nach dem Tod und vor der Rückkehr zur Wiedergeburt auf der Erde dorthin, wohin die Gesamtsumme ihres Sehnens, ihrer Gefühle und Bestrebungen sie hinlenkt. So ist es ja auch im menschlichen Leben auf der Erde. Der Mensch versucht sein Bestes, um jenem Pfad zu folgen, den er innerlich ersehnt oder anstrebt. Und wenn wir diesen physischen Körper abwerfen, wie ein Gewand, das seinen Dienst getan hat, werden wir zu jenen inneren Sphären und Ebenen hingezogen, die wir schon während des letzten Erdenlebens ersehnten und erstrebten. Das ist auch genau der Grund, warum wir auf diese Erde in irdische Körper zurückkehren. Es ist dieselbe Regel, nur wirkt sie dann in entgegengesetzter Richtung. Nach dem Tod haben wir irdische Sehnsüchte, Hunger und Durst nach Materiellem in unserem Charakter latent als Samen zurückgelassen, und diese bringen uns schließlich wieder zur Erde zurück.

Nach dem Tod tragen uns die edleren, helleren, reineren, zarteren Charaktersamen, die Früchte, die Folgen unseres Sehnens nach Schönheit, Harmonie und Frieden in jene Reiche, wo Harmonie, Schönheit und Frieden wohnen. Und diese Reiche sind Sphären wie auch die Erde, doch weit ätherischer und schöner, weil die Schleier der Materie dünner und die Krusten materieller Substanz dort nicht so dicht sind wie hier. Das Auge des Geistes sieht klarer. Der Tod befreit uns von der einen Welt, und wir treten durch die Tore der Verwandlung in eine andere Welt ein, wie auch genau das Umgekehrte stattfindet, wenn die inkarnierende Seele die feineren Bereiche des Äthers verläßt, um zu unserem gröberen, stofflichen Erdenleben in den schweren Körper aus physischer Materie hinabzusteigen.

Die inneren Welten sind für die Wesenheit, die sie durchwandert, wie sie auch diese äußere Welt durchwanderte, ebenso wirklich, ja noch wirklicher als die äußere, da sie ihnen nähersteht. Sie sind ätherischer und stehen deshalb der ätherischen Natur des ewigen Pilgers näher, der auf seiner immerwährenden Reise zur Vervollkommnung einen weiteren Erfahrungszustand durchläuft. Und diese Wandlungen erfolgen, eine nach der anderen, vor der nächsten Inkarnation auf dem wiederkehrenden Rad des Zyklus. Der Pilger wandert während der ablaufenden Jahrhunderte von einer Sphäre zur anderen, immer höher steigend zu höheren Reichen, bis der Gipfelpunkt des Zyklus dieser betreffenden Wanderung des Pilgers erreicht ist.

Deshalb, fürchtet euch nicht. Alles ist wohlgefügt; denn dein Herz ist das Universum, und das Allerinnerste deines Herzens ist das Herz des Universums. Wie unser herrliches Tagesgestirn die Fluten seiner Strahlen nach allen Richtungen aussendet, sendet auch dieses Herz des Universums, das überall ist, weil es nirgends im besonderen ist, unaufhörlich Ströme von Strahlen aus; und diese Strahlen sind die Wesenheiten, die das Universum erfüllen.


3 – Der innere Gott

 

 

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Der Mensch an sich ist eine unsichtbare Wesenheit. Was wir von ihm im und durch den Körper sehen, ist lediglich die Manifestation des inneren Menschen, da der Mensch seinem Wesen nach eine spirituelle Energie ist – eine spirituelle, intellektuelle, psychomaterielle Energie. Das Adjektiv hängt davon ab, welche Ebene seiner Lebensäußerungen man gerade untersuchen will, denn man kann in Wirklichkeit sagen, daß er auf allen Ebenen existiert, auf den inneren und äußeren.

Obwohl der Mensch eine unsichtbare Wesenheit ist, benötigt er einen stofflichen Körper zum Leben und zur Betätigung auf dieser physischen Ebene. Er ist ein Pilger der Ewigkeit. Er entsprang dem unsichtbaren Teil des kosmischen Seins, in Äonen, die so weit in der Vergangenheit liegen, daß die Menschheit, mit Ausnahme der großen Weisen und Seher, alle Erinnerung daran verloren hat. Er kam hervor aus dem Schoß des kosmischen Seins als ein sich seiner selbst nicht bewußter Gottesfunke, und nach langer, langer, äonenlanger Wanderung durch alle die verschiedenen inneren Welten, wobei er auf verschiedenen Stufen durch unsere eigene materielle Sphäre und von da wieder in die inneren Welten ging, wurde er schließlich Mensch, eine selbstbewußte Wesenheit. Und hier stehen wir jetzt. Künftige Zeitäonen werden, noch auf dieser unserer Erde, die noch verschlossenen Fähigkeiten und Kräfte, die in jedem Menschen liegen, zu weit vollkommenerer Offenbarung bringen als heute; und in jenen Tagen der fernen, fernen Zukunft wird der Mensch als ein Gott auf dieser Erde wandeln und mit seinen Mitgöttern leben, denn er wird dann die gottgleichen Kräfte entfaltet haben, die jetzt noch unentwickelt, aber trotzdem in seiner Essenz verborgen liegen.

Das Zentrum des Herzens des Menschen ist ein Gott, ein kosmischer Geist, ein Funke des zentralen kosmischen Feuers; und die ganze Evolution – das Entfalten dessen, was im Innern ist, das Enthüllen dessen, was sich innerhalb der sich entwickelnden Wesenheit befindet, das Hervorbringen dessen, was im Innern eingeschlossen ist – die ganze Evolution bedeutet nur eine immer vollkommener werdende Offenbarung der eingeschlossenen, unentfalteten, unentwickelten Energien, Fähigkeiten, Kräfte und Organe der Wesenheit, die sich entwickelt. Und im gleichen Maß, wie diese Fähigkeiten und Energien sich immer vollkommener offenbaren und vollkommener entwickeln werden, zeigt auch der Organismus, durch den sie sich äußern, der Körper, die Wirkungen dieses inneren Feuers der Entwicklung, und daher entwickelt sich auch der Körper, weil er automatisch jeden inneren Schritt nach vorn selbst widerspiegelt.

Die Menschen sind den Göttern, den kosmischen Geistern, stammverwandt. Das Universum ist unsere Heimat. Wir können es nie verlassen. Wir sind seine Kinder, seine Abkömmlinge, und deshalb sind wir in unserem tiefsten Innern alles, was der grenzenlose Raum ist. Wir entstammen ihm. Der grenzenlose Raum ist unsere Heimat, und unser tiefstes Gefühl sagt uns daher, daß ‘alles wohlgefügt ist’.

Wie eine wachsende Pflanze tritt der Mensch, die Menschenpflanze der Ewigkeit, aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare. In einem Erdenleben beginnt er als menschlicher Same, reift heran und bringt hervor, was in ihm eingeschlossen ist; dann, mit dem natürlichen Verfall der Kräfte, sinkt der Körper zur Erde und stirbt; und nach einer langen Ruheperiode in den unsichtbaren Welten, wo die Erfahrungen assimiliert werden, steigt die innere spirituelle Flamme wieder zu einer neuen Reinkarnation auf die Erde hinab.

Dies ist in Kürze die Geschichte des Menschen, der Menschenpflanze der Zeitalter. Er wird geboren und blüht eine Weile, dann stirbt er und geht zur Ruhe, und mit dem wiederkehrenden Lebenszyklus tritt er von neuem ins Dasein, erblüht von neuem und stirbt wieder dahin; doch immer zieht sich der goldene Faden des Selbstes – der Sūtrātman – durch Zeit und Raum.

Der Geist des Menschen wirkt durch die menschliche Seele, und diese menschliche Seele wirkt durch das vital-astrale oder ätherische Vehikel, den Träger oder Körper, den Übermittler der seelischen Energien oder Kräfte, der psycho-magnetisch mit den Organen des physischen Körpers verbunden ist, und dieses vital-astrale Prinzip wirkt auf den physischen Körper ein und strömt durch alle Teile unserer physischen Hülle, so wie der elektrische Strom nicht nur durch, sondern auch über und um den Leitungsdraht fließt. Der Geist entfaltet und beschützt die menschliche Seele und erzeugt sie aus seinem eigenen Schoß der Selbstheit. In gleicher Weise erzeugt und durchdringt die menschliche Seele die vital-astrale Form; und diese erzeugt und durchdringt ihrerseits den physischen Körper.

Ein menschlicher Same kommt aus den ätherischen Welten und ist das Layazentrum, durch das der entstehende Körper, Zelle um Zelle, aus den inneren Welten einströmt und sich aufbaut. Dieser Same wird zum physischen Körper. In harmonischer Koordination und progressiv mit seinem Wachstum vollzieht sich die Inkarnation der menschlichen Energien, bis der Reifezustand erreicht ist. An diesem Punkt hat man den erwachsenen Menschen und die mehr oder weniger vollständig inkarnierte menschliche Seele vor sich.

Der Mensch ist eine komplexe, zusammengesetzte Wesenheit. Seine Konstitution erstreckt sich vom Körper zum Geist mit allen Zwischenstufen ätherischer Substanzen, Energien und Kräfte, sieben an der Zahl. Wenn diese sieben verschiedenen Stufen oder Grade in vitaler Aktivität zusammenwirken, dann ergibt dies einen vollständigen, lebendigen Menschen.

Die menschliche Seele ist an sich weder unsterblich noch sterblich. Sie ist im Durchschnittsmenschen der Sitz von Wille, Bewußtsein, Intelligenz und Gefühl. Sie ist nicht unsterblich, da sie nicht rein genug ist, um wahrhaft unpersönlich zu sein. Wenn sie es wäre, dann wäre sie nicht menschlich, sondern übermenschlich. Sie ist nicht völlig sterblich, da ihre Instinkte, Regungen und Tätigkeiten in gewissem Sinn über den rein sterblichen, stofflichen Dingen stehen.

Der Mensch hat heilige Liebesempfindungen, Sehnsüchte, Hoffnungen und geistige Visionen. Diese gehören dem Geist an, der unsterblich und todlos ist; sie werden durch die menschliche Seele oder Zwischennatur übermittelt, die die Menschen gewöhnlich ihr ‘Ich’ nennen, ganz ähnlich wie das Sonnenlicht durch eine Fensterscheibe strahlt. Die Fensterscheibe ist das Vehikel, der Leiter, der Träger oder Übermittler dieser wunderbaren Qualität oder Kraft, die von dem Geist von oben herniederströmt.

Die menschliche Seele gleicht diesem Glas des Fensters. Sie spiegelt vom Geist, von des Geistes goldenem Sonnenlicht ebensoviel wider, wie ihre evolutionäre Entwicklung es ihr erlaubt.

Die menschliche Seele ist bedingt unsterblich, wenn sich der Mensch durch Wille und Vision mit dem todlosen Geist in seinem Innersten und Höchsten verbindet – und sterblich, wenn er sich zu Kräften hinabziehen läßt, die Materie, materielle Instinkte und Triebe genannt werden, die ganz und gar sterblich sind und sich mit dem Körper auflösen, wenn der Tod eintritt und der unsterbliche Geist im Innern befreit wird. Wenn der Mensch für die Dauer der Periode der Ruhe und des Friedens zwischen zwei Leben in seine erhabene Heimat einzieht, verbleibt daher nur Glückseligkeit und hohes Schauen und die Erinnerung an alles Große und Erhabene in unserem vergangenen Leben. Die Seele selbst ist ein ätherisches Gefäß oder ein ätherischer Träger der todlosen und unsterblichen Energien des schöpferischen Geistes oder der Monade.

Der Geist ist der unsterbliche Teil der menschlichen Konstitution; er ist die Monade, die monadische Essenz: das, was den Tod niemals schmeckt, was vom Beginn des Manvantara bis zum Ende dieser majestätischen Periode kosmischer Offenbarung dauert: das, was das kosmische Pralaya überdauert und seine spirituelle und sonstige Wirksamkeit wieder aufnimmt, wenn das neue kosmische Manvantara beginnt.

So entfaltet sich in zyklischen, beständig wiederkehrenden Perioden der Geist oder die Monade in ewigem Werden immer weiter vom Spirituellen zum Überspirituellen, um dann zum Göttlichen und weiter zum Übergöttlichen zu werden. Ist dies das Ende seiner Entwicklungsmöglichkeiten? Nein, er schreitet ewig fort, sein Wachstum und seine Entwicklung finden nie ein Ende. Doch Worte versagen hier zur Beschreibung dieser erhabenen Idee. Wir können sie in der armseligen menschlichen Sprache nicht zum Ausdruck bringen. Unsere Phantasie erlahmt bei solchem Versuch, und wir können nur auf den Entwicklungsweg hinweisen, der nach beiden Richtungen im Ewigen und Unendlichen verschwindet, anfangslos und endlos.

Das ist der Geist oder die monadische Essenz; es ist der innere Gott; es ist die Leuchtende Intelligenz, die die innersten Regungen des höheren Teils der Konstitution erzeugt. Diese Regungen werden ihrerseits im Gehirnverstand, im menschlichen Denken reflektiert. Es ist die Quelle von allem Großen, Edlen, Hohen, Reinen, Himmelstrebenden und Lauteren im menschlichen Wesen. Es ist die Quelle unsterblicher Liebe, die Quelle der Selbstaufopferung, der Quell aller Harmonie und Schönheit im Menschen – das Gefühl des ‘Ich bin’. Das ist der Geist, die unsterbliche Monade, der unsterbliche, makellose, ewige innere Gott.

Die menschliche Seele ist ein Strahl aus ihm. Dieser Strahl ist das, was wir als den Menschen erkennen, das Gefühl des ‘Ich bin ich’. Und die Seele ist, wie auch der Geist, ein wachsendes, werdendes, fortschreitendes, sich entwickelndes Wesen. Sie wächst immer weiter; und in den fernen Äonen der Zukunft wird die Seele ihrerseits die eigenen, innewohnenden und latenten Fähigkeiten, Kräfte und Möglichkeiten – ihre innere Herrlichkeit – hervorentwickelt haben, so daß sie aus Seele Geist geworden sein wird, weil die Wurzel oder der Keim der Seele ein spiritueller Strahl ist. Wenn dieser Höhepunkt erreicht sein wird, hat sich der Mensch von seinem menschlichen Zustand in den eines Gottmenschen verwandelt, aus einem Menschen in einen inkarnierten Gott. Dann wird sich der Gott in dir mit seinen transzendenten Fähigkeiten und Kräften offenbaren und du wirst ein lebender Buddha geworden sein.

Der menschliche Geist ist eine todlose Wesenheit. Er ist ein Teil der wesentlichen Struktur des innersten universalen Lebens. Und dieser Geist des Menschen, dieses innere Wesen, diese spirituelle Seele vollführt eine ewige Pilgerfahrt im Raum, unendlich im Raum und ewig in der Zeit. Er schreitet von Wohnung zu Wohnung des Lebens und weilt bald hier, bald da und lernt überall. Eine solche Wohnung ist in der Tat die Erde. Jede Sphäre, jede Welt in den Himmelsräumen ist eine andere Wohnung des Lebens.

Die erhabensten Lektionen werden in den unsichtbaren Welten gelernt; denn diese uns sichtbare physische Welt ist trotz ihrer sinnenhaften Schönheit, ihres täuschenden und zauberhaften Glanzes nur die Schale, das Gewand, der Körper, das Äußere. Und so wie aus dem Innern des Menschen all seine Gedanken, all seine Inspirationen, all seine genialen Fähigkeiten, all seine Kräfte und Energien in das Physische fließen und sich in seinen Werken ausdrücken, so sind auch alle Offenbarungen, die wir im physischen Universum sehen, nur der Ausdruck der innewohnenden Energien, Fähigkeiten, Kräfte und Eigenschaften innerhalb dieses Universums.

Diese ewige Pilgerschaft der spirituellen Seele des Menschen erfolgt nicht nur auf dieser Schnittfläche des physischen Universums, die unseren unvollkommenen Augen sichtbar ist, sondern in viel höherem Maß in den unsichtbaren Reichen, die von den Menschen als spirituelle Welten bezeichnet werden; denn es gibt davon Stufen über Stufen über Stufen, höher, höher, höher und immer höher.

Und dieser innere Gott, ein ewiger Pilger, lernt unaufhörlich und steigt dabei höher und immer höher, und so wie die menschlichen Rassen auf der Erde nach dem glänzenden Höhepunkt ihrer Kultur wieder fallen, um aufs neue wieder emporzusteigen, so steigt auch die Monade, der Gott, die spirituelle Seele aus den spirituellen Welten hinab in ätherische Materie. In jeder lernt sie und steigt aufs neue wieder empor, um einen noch höheren Gipfel des Schicksals zu erklimmen; dann steigt sie wieder hinunter in die Reiche ätherischer Materie und wieder hinauf zu noch Höherem und Erhabenerem – und das in alle Ewigkeit.

Oh, der Frieden und das Glück, die aus einer Verbindung mit jenem inneren Glanz entstehen! Dieser Bund des Lebens und Bewußtseins mit unserer inneren Gottheit verleiht unserem Leben allen Wert, und wenn wir uns so verbinden, werden wir eins mit den Energien und Kräften, die das Universum lenken, von dem dieser Gott in uns ein Funke des zentralen Feuers ist. Und wenn diese innere Vereinigung vollkommen ist, dann bist du auf dem Pfad zum Gottmenschentum. Die Buddhaschaft liegt dann vor dir.

Dieses Wissen um unser inneres Selbst, um unseren inneren Gott, bedeutet eine Weitung unseres eigenen Bewußtseins; es bedeutet Wachstum; es ist Evolution, es ist ein immer größeres Verstehen alles Seienden. Und wer auch nur eine schwache Ahnung, einen blassen Schimmer dieser höheren Einsicht besitzt, den kann Furcht nicht mehr befallen. Der Tod verliert all seine Schrecken, denn du weißt dann, daß du eins bist mit dem All, unzertrennlich, und daß du in der Tat das All selbst bist und daher deinen fernsten Zielen keine Grenzen gesteckt sind, da es in Wirklichkeit solche überhaupt nicht gibt. Niemals kannst du Grenzen deiner selbst, deines göttlichen Selbstes erreichen, nie; denn dein Innerstes ist eben das spirituelle Universum, in dem du lebst und dich bewegst und dein Sein hast.

Es sind die äußeren Sinne, die unsere Aufmerksamkeit von dem inneren Glanz ablenken. Tatsächlich lenken die fünf Sinne unsere Aufmerksamkeit von dem Tempel des Allerhöchsten, von dem Geist in der menschlichen Konstitution ab, der sich durch den Körper offenbart. Sie sind der Ausdruck fünf verschiedener Energien der menschlichen Zwischennatur; sie sind die Kanäle – oder wirken als solche –, durch die der Mensch selbstbewußt die äußere Welt wahrnehmen kann. In gewisser Hinsicht sind diese Sinne eine Hilfe, und in anderer Hinsicht sind sie ein Hindernis für den Fortschritt. Sie sind förderlich, weil sie uns etwas von der Natur zeigen, die den Menschen umgibt, und durch die Sinne wirkt zur Zeit ein großer Teil seines gewöhnlichen Bewußtseins, weshalb er viel über die Welt und seine Mitmenschen erfährt. Dieses Lernen lehrt ihn schließlich Selbstbemeisterung und hilft ihm, die Eigenschaften wie Mitleid, Liebe, Erbarmen und den Willen zu besserem Verhalten zu erwecken, die alle im Menschen wohnen.

Der innere Geist des Menschen ist der Tempel der Unendlichkeit und seiner vielfältigen Lebensenergien und Lebenskräfte; im Verlauf unseres zyklischen Vordringens in die Materie offenbaren sich diese Energien und Kräfte äußerlich. Doch nunmehr befinden wir uns auf dem aufwärtsführenden Bogen fortschreitender Entwicklung, und der ganze Trend der künftigen Evolution wird darauf gerichtet sein, in der Menschheit den Drang nach innen zu entwickeln und damit schließlich auch die Fähigkeit, nach innen zu schauen, so daß der Mensch zur Erkenntnis seiner selbst gelangt und sich selbst als einen Mitarbeiter der Götter beim Aufbau und bei der Leitung des Universums erkennt, als einen der Funken des unendlichen kosmischen Feuers; denn im Menschen ist alles enthalten – alle Kräfte und Energien, die in den unendlichen Räumen existieren, und die ganze Evolution ist nur das Hervorbringen dieser eingeschlossenen Kräfte, ihre Entfaltung, ebenso wie eine Blume ihr Inneres entfaltet.

Der innere Gott ist immer in dir, um dich, über dir; er wartet auf dich und wartet, wartet, wartet und wartet; er wurde erst während der Äonen, während sie in den Ozean der Vergangenheit flossen, durch den äußeren Menschen zur Manifestation gebracht durch selbstgeleitete Entwicklung, die die Entwicklung des inneren Menschen ist – dessen, was wir in unserem innersten Sein sind. Der ganze Zweck der Evolution ist die Beseitigung der dichten Schleier aus Seele und Materie, die den Geist verhüllen, damit das Licht im Heiligen Tempel – dem menschlichen Herzen – den Menschen mit seinem Glanz erleuchten kann.

Was hindert das Licht daran, den Menschen zu erleuchten? Was hemmt die Tätigkeit des inneren Gottes? Es ist die Persönlichkeit – nichts anderes, und alle Übel, die sich aus der Persönlichkeit herleiten. Nicht die Individualität, unser göttlicher, unteilbarer, todloser und unsterblicher Teil, der nie Tod oder Verfall schmecken wird, sondern die Persönlichkeit, das Persönliche, das Kleine, Niedrige, Geringe, Beschränkte und Begrenzte legt eine dichte, undurchdringliche Atmosphäre um unser Wesen, die kaum von etwas anderem als von unsterblicher Liebe durchdrungen werden kann.

Persönlichkeit, Selbstsucht, Egoismus – das sind die Dinge, die die Offenbarung der göttlichen Energien in uns hemmen. Sie lähmen die Menschen, so daß sie nicht einmal die Kräfte und Fähigkeiten voll zum Ausdruck bringen, die sie jetzt besitzen.

Wenn wir innerlich wachsen wollen, müssen wir das Persönliche abwerfen, um unpersönlich zu werden: Das Begrenzte muß zur Erweiterung abgeworfen, aufgegeben werden. Wie kann das Küken dem Ei entschlüpfen, ohne die Schale zu zerbrechen? Wie kann der innere Mensch sich erheben, ohne die Schale der niederen Selbstheit zu sprengen? Wie kann der innere Gott – unser eigenes, göttliches Bewußtsein – sich offenbaren, bevor nicht das Unvollkommene, das Kleine, das Beschränkte, mit anderen Worten das Persönliche überschritten, überwunden, zurückgelassen, aufgegeben worden ist? Im Unpersönlichen liegt die Unsterblichkeit, im Persönlichsein der Tod. Deshalb wachse, weite und erhebe dich, werde, was du im Innern bist! Die Götter rufen uns unaufhörlich – nicht mit menschlichen Worten, sondern mit jenen unhörbaren Symbolen, die uns über den inneren Äther erreichen und die von Herz und Seele des Menschen als spiritueller Instinkt, als Sehnsucht, Liebe und Selbstvergessen empfunden werden; und der ganze Sinn dieser lautlosen Botschaften ist: „Komm höher herauf!“

Welche Freude ist es, unsere Verwandtschaft zu empfinden, zu fühlen und zu verstehen mit allem, was da ist, und aus diesem Fühlen und Verstehen in der Erkenntnis zu handeln, daß wir den Göttern wesensverwandt sind, die das grenzenlose All leiten und lenken! Und wir können uns zwanglos mit den Göttern unterhalten, wenn wir erst einmal gelernt haben, mit dem Gott in uns Zwiesprache zu halten.

Jeder Mensch ist der sichtbare Ausdruck einer göttlichen Wesenheit, eines inneren Gottes, eines spirituell-göttlichen Wesens; der menschliche Ausdruck ist nur ein unvollkommener und matter Abglanz – eine schwache und unvollkommene Wiedergabe der inneren spirituellen Kräfte in menschlicher Form. So viele Menschen auf Erden, so viele Götter in den inneren Welten.

Wenn ein Mensch sich des inneren Gottes bewußt geworden ist und diesen Gott sozusagen befreit hat durch das Aufgeben der nichtigen Persönlichkeit des Alltagslebens – der eigenen persönlichen Ichheit des Menschen – und so die Ketten gesprengt hat, die die transzendenten Kräfte des inneren Gottes binden und fesseln, dann kann der Messias, der auferstandene Christus, der Erlöser eines jeden einzelnen seine erhabenen Fähigkeiten und Kräfte offenbaren. Dann wird der Mensch ein lebender Christus sein – auferstanden aus dem Grab der niederen Selbstheit in die Atmosphäre spiritueller Herrlichkeit; und das Christuslicht wird in ihm wirken. Er hat dann den lebenden Buddha in seinem Wesen erweckt, oder vielmehr, er hat die buddhische Strahlenkraft freigemacht, die schon in seiner Seele war.

Dieses göttliche Wesen im Herzen eines jeden versucht stets, sich immer besser und besser durch die emotionale und intellektuelle Zwischennatur zum Ausdruck zu bringen – durch die sogenannte menschliche Seele. Diese innere Gottheit ist die Quelle, der Urborn, der Ursprung von allem, was den Menschen wahrhaft zum Menschen macht, was ihn groß, erhaben und edel macht, was ihm Verständnis, Erkenntnis, Mitgefühl, Liebe und Frieden gibt.

Verbinde dich in der Stille mit deinem inneren Gott, mit jener lebendigen inneren Tempelkammer in dir, in der du, wenn du achtsam lauschst, das Flüstern des Göttlichen vernehmen kannst, des Göttlichen, das jene Kammer erfüllt. Dort liegen Wahrheit, Weisheit, Verstehen und unnennbarer Frieden. Öffne die Pforten deiner menschlichen Ichheit den Strahlen der göttlichen Sonne im Innern; tritt ein in diese Kammer in deines Herzens Tiefe, werde eins mit deinem Selbst, mit deinem göttlichen Selbst, mit dem Gott in dir; sei der Gott, der du in den Tiefen deines Wesens bist!


4 – Die große Ketzerei des Sonderseins

 

 

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Ein auf die eigene Persönlichkeit gerichtetes Denken, das Streben nach persönlicher, anstelle spiritueller Freiheit, ist der Weg, der abwärts führt. Der Weg des Ichs ist der Weg zu immer niedrigeren Reichen und Sphären der Materie, bis schließlich am Ende des kosmischen Zyklus die Vernichtung kommt, wenn sich die Materie auflöst: Māyā, als Materie, ist Täuschung.

Strebe! Pflege deine höheren Fähigkeiten. Hüte dich vor dem Trugglanz der niederen Natur, und besonders vor dem der niederen Zwischennatur, die man die psychische nennt. Nichts ist so trügerisch wie die Irrlichter Māyās. Oft enthalten schön aussehende Blumen tödliches Gift, in der Knospe, im Dorn oder in beiden. Ihr Honig ist todbringend, tödlich für die menschliche Seele. Suche zuerst deine eigenen spirituellen und intellektuellen Kräfte; bade dich im Licht deiner spirituellen Natur, damit du geistige Einsicht und Willenskraft entwickelst; dann werden diese anderen Fähigkeiten in dir von selbst, natürlich, angemessen und ungezwungen erwachen.

Das Hauptgesetz des Universums ist Selbstvergessen, nicht Konzentration der Aufmerksamkeit auf die persönliche Freiheit, nicht einmal auf die Individualität. Das Grundgesetz des Universums will, daß wir für alle Dinge leben und nicht, daß jeder für sich lebe, um für sich die inneren spirituellen Kräfte zu entfalten. Die Weisung, die inneren, spirituellen Kräfte zu entwickeln, ist zwar als allgemeine Forderung richtig, doch ist sie als solche auch irreführend, gefährlich, unweise und deshalb ungeeignet als Regel esoterischer Schulung, wenn sie nicht qualifiziert, richtiggestellt und ergänzt wird durch folgende Zusatzlehre: Gib dein Leben auf, so du es finden willst. Lebe für das Wohl der Menschheit, denn das ist der erste Schritt. Wenn du die Sonne haben willst, dann laß die Erde mit ihren Wolken.

Die große Ketzerei und wahrhaft einzige Ketzerei ist die Vorstellung, daß irgend etwas getrennt, gesondert und im Wesen verschieden sei von anderen Dingen. Das ist eine Abirrung von der Naturgegebenheit und dem Naturgesetz, denn die Natur ist ausschließlich Kooperation und gegenseitige Hilfeleistung; und die Regel der fundamentalen Einheit ist vollkommen universal: Alles im Universum lebt für alles andere.

Eben dieses Gefühl des Getrenntseins ist die Ursache und Wurzel allen Übels. Es erzeugt die Ich-Sucht: Ich will; ich bin; mein. Eben dieser Wahn des persönlichen Sonderseins, der Glaube, wir seien von allen anderen völlig getrennt und völlig verschieden, hindert uns daran, jener innere Gott zu werden. Denn wenn wir jener innere Gott werden, werden wir bewußt eins mit dem Universum, dessen Kinder wir sind, unlösbare Teile; und das verbindet uns mit einem Quell unerschöpflicher Kraft, unbegrenzter Weisheit, da wir an dem Born der Inspiration trinken, der dem Herzen des Universums entströmt. Jeder wurzelt in dem gemeinsamen Urgrund der kosmischen Lebens-Intelligenz-Substanz.

Selbstsucht macht engherzig. Sie ist die Grundlage aller Entartung, jedes moralischen Verfalls, aller geistigen und körperlichen Schwäche; sie läßt uns verkümmern, sie legt Fesseln um uns und läßt uns keinen Raum zur Entfaltung und zum Wachstum. Die Selbstsucht ist die Wurzel aller Übel und daher die Wurzel geistigen Unvermögens, von Unzulänglichkeit, Kraftlosigkeit, von Mangel an Urteils- und Unterscheidungskraft und von Herzlosigkeit. Die Selbstsucht ist daher der fruchtbare Boden für alles Unglück und Leid. Alles, was die angeborenen Fähigkeiten des Menschen verkümmern läßt, entspringt der Selbstsucht. Sie ruft in uns beklagenswerte und schädliche Anschauungen wach, die auf unseren kleinen Gedankenkreis beschränkt sind. Du bist dann ein Gefangener im Kerker deiner eigenen Selbstsucht und wirst daher in des Lebens edelsten Kämpfen schrecklich gehemmt. Die Selbstsucht macht dich zu einem Gefangenen, und dein Gefängnis ist dein niederes Selbst.

Oh, welch ein Gefühl der Freiheit, von wahrem Menschentum, wenn wir das Gefängnis der niederen Selbstheit verlassen und unser Einssein mit dem Universum erahnen! Denn in aller Wahrheit sind wir dieses All in den geheimen, mystischen Tiefen unseres innersten Seins.

Selbstsucht und Unwissenheit bilden die Ursache für den Streit und die Zwietracht unter den Menschen. Denn in ihrem Eigenstreben gebrauchen die Menschen die Naturkräfte zu persönlichen und egoistischen Zwecken – manchmal absichtlich, manchmal halbbewußt. Dies geschieht mit unserem freien Willen, der an sich trotzdem eine göttliche Macht oder Fähigkeit ist.

Wir haben einen Willen, er ist frei. Wir sind ein Teil der Energien des Universums, denn wir sind von ihm unlösbar. Wir gebrauchen unseren Willen manchmal recht und manchmal falsch. Wenn wir ihn recht gebrauchen, dann sehen wir die wundervollen Geheimnisse im Herzen und Antlitz unserer Mitmenschen und erkennen die Größe ihres innersten Seins; denn Größe ist auch in uns, und Größe wird immer von Größe erkannt. Wenn wir diese Kräfte falsch und unrecht benützen oder mißbrauchen, dann bedienen wir uns der farblosen Kräfte des Universums, jedoch in bösartiger Weise, weil wir Eigennutz suchen. Da wir einen freien Willen haben, gebrauchen wir diese Energien, und wir tun dies in Unkenntnis des Gesetzes – des Gesetzes der Natur.

Unwissenheit ist ein Fluch für den Menschen. Wenn wir nur wüßten, was wir tun! Wenn wir wüßten, daß wir die Kräfte des Universums in Unordnung bringen und in uns und anderen Menschen schlimme Leidenschaften erwecken. Könnten wir nur diese Grundwahrheit der Natur erkennen, daß alle Dinge eine gemeinsame Wurzel in unendlichem Frieden und ewiger Harmonie haben, dann würde kein vernünftiger Mensch Unstimmigkeit und Übelwollen in sich dulden, er würde vielmehr danach streben, seinen Brüdern Hilfe und Erleuchtung zu bringen.

Unwissenheit ist der größte Feind des Menschen. Und die Früchte der Nichterkenntnis heißen Unglück, Leid, Schmerz, Krankheit und Kummer.

Selbstsucht ist unedel. Sie ist auch sehr unklug, weil es nichts gibt, das uns so schädigt und unsere Füße im Schlamm der niederen Selbstheit versinken läßt wie Selbstsucht. Der Weg zum Erfolg liegt im Auslöschen des Persönlichen, im Unpersönlichwerden, damit unsere Füße nicht von dem Schlamm und dem anhaftenden Schmutz des materiellen Daseins besudelt werden. Das Gesetz ist für alle gleich: Sei unpersönlich, vergiß dich selbst!

Ein Mensch, der nur an sich selbst denkt – ich, meine Pläne, mein Besitz, meine Wünsche, mein Denken –, spinnt einen dichten Kokon unvollkommener, häßlicher Ichsucht um sich, durch den nichts hindurchscheinen kann, und der ihn wie ein Diamantwall umgibt, härter und dauerhafter als Stahl.

Wir sind in der Tat von Schranken umgeben, die wir aus unserem eigenen Gedankengewebe selbst gebaut und konstruiert haben, und unsere schlimmsten Schranken sind in uns selbst. Wenn das menschliche Bewußtsein sich weitet und wächst, dann zerbricht es die einengenden Mauern und zerreißt die Fesseln, die seine Ausdrucksmöglichkeiten beschränken, und der innere Glanz strahlt nach außen.

Erstarrtes Denken und erstarrte Anschauungen sind Schranken für wahren spirituellen Fortschritt, denn sie weisen auf Dogmatismus und auf Scheuklappen der Selbstzufriedenheit hin. Um ein anderes Bild zu gebrauchen: Sie verschließen die Tore des Denkens vor einer neuen Wahrheit, denn in seiner Seele ist der Mensch nie starr und unbeweglich. Der Mensch ist in seinem Denken nur dann starr und unbeweglich, wenn er selbstzufrieden ist, und nichts verhindert das innere Schauen der Wahrheit so sehr wie Selbstzufriedenheit.

Bedenke auch, daß die meisten Menschen nur kurze Zeit selbstzufrieden sein können, aber niemals sehr lange.

Ein offener Sinn, ein lebhafter Verstand, der Wunsch nach unverschleierter spiritueller Wahrnehmung, die Bereitschaft, die Wahrheit zu empfangen und sie anderen aus der überfließenden Sympathie des eigenen Herzens mitzuteilen, ist dagegen eine Gewähr für wahren spirituellen Fortschritt und ein Kennzeichen für Fortschritte auf dem Pfad spiritueller Entwicklung.

Vermeidet daher Erstarrung. Haltet vielmehr den Geist frei; laßt euren Verstand eifrig jeden neuen Aspekt der Wahrheit ergreifen, der sich euch bietet. Eine unverschleierte, spirituelle Wahrnehmung bedeutet lediglich den Verlust persönlicher Meinungen und Ansichten und von Selbstzufriedenheit. Das Unpersönliche zu sehen, bedeutet den Besitz einer unverschleierten spirituellen Wahrnehmung.

Was vor allen anderen Dingen den Eintritt des Lichts versperrt, ist eine Überzeugung, die etwa so formuliert werden kann: „Ich weiß alles, was ich wissen muß.“ Selbstsucht! Diese Vorstellung entspringt reinem Egoismus. Das Gegenteil von Egoismus bedeutet, die spirituellen Wahrheiten, die in unserer Seele wirken, unpersönlich zu erkennen und die Seele auf diese Weise für den Empfang unpersönlicher, universaler Eindrücke auszubilden.

Alles, was dich von deinem tierischen Selbst entfernt; alles, was dich dein persönliches Sein vergessen läßt und dich hinausführt in die große Weite der Natur und in dir Gedanken mitleidsvollen, unpersönlichen Dienens erweckt, unterstützt dein spirituelles Wachstum. Welcher Trost, welche Hoffnung, welche Erleichterung, welcher Frieden, sich selbst zu vergessen!

Alles, was uns von uns selbst aus dem kleinen Kreis persönlicher Begrenzungen, selbstischer Ideen und Eigenvorstellungen, egoistischer Gedanken und Gefühle wegführt, hin zu unpersönlichem Dienen; etwas zu pflegen, etwas ‘zu bemuttern’, wenn sie wollen, in selbstlosem Bemühen für andere, hilft uns spirituell gewaltig. Einen Baum pflanzen, eine Blume pflegen, um das Ergehen eines anderen besorgt sein, die Beschäftigung mit einem Buch, mit Schreiben, mit einer Maschine, mit Werkzeugen, oder was es sonst sein mag: Alles, was uns das persönliche Selbst vergessen läßt – Selbstvergessen! –, verhilft uns zu spirituellem Wachstum. Welch ein Segen wird dem Menschen zuteil, der das beherzigt! Das ist das Geheimnis, das sich hinter der Aufforderung der Religionen verbirgt. Es befähigt den Menschen, das niedere, persönliche Selbst zu vergessen. Dasselbe Ergebnis wird auch erreicht, wenn man den spirituellen Kräften in seiner Brust bei irgendeinem unpersönlichen Werk vollen Spielraum gibt.

Süß sind die Früchte des Selbstvergessens – des vollständigen Aufgehens unserer Persönlichkeit in etwas so Schönem und Unpersönlichem, wie es Menschensprache nicht beschreiben kann! Denn Selbstvergessen, Mitleid, Erbarmen und Frieden sind die Früchte kosmischer Harmonie, die das innerste Herz des Universums ist. Wer diese Tatsache zu erkennen beginnt, in dessen Seele beginnt etwas zu sprießen und zu keimen, das nicht beschrieben und nicht in Worte gefaßt werden kann, das sich jedoch gleichzeitig als Licht, Leben, Frieden, Weisheit und allmächtige Liebe äußert – unpersönlich, universal; so daß alles, was da ist, überall einen Zauber auf uns ausübt, weil wir es lieben.

Und doch ist das ganze äußere Universum nur das Gewand oder der Schatten von etwas Unsichtbarem, des inneren Lebens, von dem jeder Mensch und in der Tat jedes Wesen ein untrennbarer Teil ist; denn alle Wesenheiten und Dinge wurzeln in diesem inneren Leben. Was daher irgendeiner von uns tut, wirkt mit entsprechend großer Kraft auf alle anderen Wesenheiten und Dinge zurück.

Jeder einzelne ist seines Bruders Hüter, weil wir durch unzerreißbare Bande des Ursprungs und der Bestimmung untrennbar miteinander verbunden sind. Fundamental sind wir alle eins. Jedes Menschenkind ist seiner Brüder Hüter in dem Sinne, daß er auf sie einwirkt und ihr Geist und ihr Herz auf seine Worte reagieren. Und seine Verantwortung wird bewußt und immer klarer bewußt und um so schwerer, je weiter er in seiner eigenen Evolution fortgeschritten ist.

Wir machen uns genau zu dem, was wir sind; und wir sind zugleich unseres Bruders Hüter, weil jeder von uns, jeder einzelne von uns, für eine äonenlange Kette der Verursachung verantwortlich ist. Es herrscht Gesetzmäßigkeit in diesem Universum; die Dinge werden nicht vom Zufall regiert; und ein Mensch kann nicht denken oder sprechen oder handeln, ohne andere Wesen zu ihrem Wohl oder Weh zu beeinflussen.

Säe eine Tat, und du wirst eine Gewohnheit ernten. Säe eine Gewohnheit, und du wirst ein Schicksal ernten, weil Gewohnheiten den Charakter aufbauen. Dies ist die Reihenfolge: eine Tat, eine Gewohnheit, ein Charakter, ein Schicksal. Du bist der Schöpfer deiner selbst. Wozu du dich jetzt machst, das wirst du in der Zukunft sein. Was du jetzt bist, eben dazu hast du dich in der Vergangenheit gemacht. Was du säst, das wirst du ernten.

Wenn du für dich säst, für rein selbstsüchtige Ziele, wirst du entsprechend ernten. Der Mensch, dessen Liebe für die Schönheit, die dem rechten Handeln innewohnt, nur so gering ist, daß er sich sagt: Ich tue das Gute lediglich, um dafür etwas zu bekommen: Ein größeres Glück, eine bessere Zukunft, einen besseren Körper, der hat seine gute Saat schon mit einer ganzen Handvoll Unkrautsamen – seinen selbstsüchtigen Wünschen – verdorben. Nichts macht so klein wie das Persönliche. Nichts wird deine Seele in ihrer Stärke so mindern wie eine Konzentration auf deine eigenen persönlichen Angelegenheiten, ohne an das Wohl anderer zu denken.

Der Mensch, der zuerst an andere denkt, ist bereits groß. Der Mensch, der um anderer willen sein Leben hingibt, ist schon groß. Der Mensch, der sich in unpersönlichem Dienst für die Menschheit selbst vergißt, ist jedoch am größten. Ein solcher Mensch erntet ein gottgleiches Schicksal, da er sich einen entsprechenden Charakter geschaffen hat.

Die Natur verlangt von allen Menschen Zusammenarbeit, Bruderschaft, Güte, Liebe, Selbstvergessen, Bemühungen um andere. Der Selbstsüchtige stößt immer, früher oder später, an eine Mauer. Der Böse mag wie Unkraut eine Weile gedeihen, doch nicht lange. Selbstsucht ist Schrumpfung. Sie bedeutet Kälte; sie ist das Gegenteil der weitenden, warmen Macht der Liebe.

Die Natur duldet hartnäckige Selbstbevorzugung auf Kosten anderer nicht lange, denn das innerste Herz der Natur ist Harmonie, das innere Gefüge und der ganze Aufbau des Universums ist Koordination und Kooperation, spirituelle Einheit. Der Mensch aber, der unentwegt und unbedingt nur für sich selbst lebt, endet in jenem fernen Land des ‘mystischen Westens’, in dem Land der verlorenen Hoffnungen, im Land des spirituellen Verfalls; denn die Natur will nichts mehr von ihm wissen. Er hat seinen winzigen, unentwickelten Willen den mächtigen Strömen des Kosmos entgegengestellt, und früher oder später wird er auf eine Sandbank des Lebensstroms gespült, wo er zugrunde geht. Die Natur kann dauernde und hartnäckige Selbstsucht nicht dulden.

Betrachte einen Baum. Betrachte deinen Körper. Beide sind aus einer Menge kleinerer Dinge, geringeren Wesenheiten aufgebaut, die alle zusammenwirken und ein Ganzes bilden, in welchem sie alle leben und atmen und ihr Sein haben, und in dem sie am gemeinsamen Leben teilhaben.

Wenn ein Mensch harmonisch handelt, handelt er in Übereinstimmung mit dem universalen Vorbild und Gesetz. Harmonie in Gewissen und Denken und folglich im Handeln ist das, was die Menschen unter Ethik verstehen. Ethik ist kein Übereinkommen; die sittlichen Ideale sind keine Konvention. Sie wurzeln voll und ganz in der strukturellen Harmonie des Universums.

Der ethische Instinkt entspringt unserer inneren Konstitution. Er stammt aus unserem spirituellen Wesen, das Harmonie, Ordnung, Schönheit, Größe und Majestät erkennt – Schönheit des Denkens, des Strebens und Fühlens, Schönheit der Tat.

Erkenntnis ist das Kind liebevoller Taten – dies ist eine der erhabensten Wahrheiten. Von den Mysterien, den höheren Mysterien, kann niemand Wissen erlangen, dessen Herz nicht von Liebe, von überfließender Liebe erfüllt ist. Und diese Erkenntnis kommt durch die Übung der spirituellen Kräfte in uns. Diese Übung wird ganz leicht erreicht durch das Vollbringen liebevoller Taten, durch das Empfinden und Ausüben der Bruderschaft, indem wir anderen helfen und sie teilhaben lassen an den Segnungen, deren wir uns erfreuen.

Oh, wie edel und groß ist es, wenn die Menschen ihre allgemeine gegenseitige Verwandtschaft empfinden, wenn ihre Herzen vom Hauch allmächtiger Liebe berührt werden, wenn sie das Gefühl unserer gemeinsamen Bruderschaft wahrnehmen und für das Wohl der Menschheit leben. All dies ist erhaben!


5 – Liebe ist das Bindemittel im Weltall

 

 

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Die Liebe weist den Weg und erhellt den Pfad. Liebe ist das Hinausströmen des alles durchdringenden Lichts, der buddhischen Strahlenkraft, des Christus-Lichtes im Herzen des Universums: Jene Liebe, die, in Göttern und Menschen tätig, uns die Schönheit erkennen läßt, wenn wir sie sehen, vor allem die innere Schönheit, die uns Größe und Glanz in anderen erschließt, weil wir die Größe und den Glanz in unserem eigenen innersten Wesen erkannt haben.

Die Liebe ist das Bindemittel des Universums. Sie hält alle Dinge an ihrem Platz und in ewiger Obhut. Ihr eigentliches Wesen ist himmlischer Frieden; ihr eigentliches Merkmal ist kosmische Harmonie. Sie durchdringt alle Dinge, ist keinerlei Grenzen unterworfen und nicht dem Tod ausgesetzt, sondern ist unendlich und ewig: Sie ist das Herz im Herzen von allem, was ist.

Die Liebe ist das Schönste und Heiligste, was Menschen kennen. Sie verleiht dem Menschen Hoffnung. Sie erfüllt sein Herz mit hohem Streben. Sie läßt seine edelsten Eigenschaften zum Durchbruch kommen, wie die Selbstaufopferung für andere. Sie bewirkt Selbstvergessen und verleiht Frieden und Freude ohne Grenzen. Sie ist das Edelste im Universum.

„Liebet einander“ – ein schöner Ausspruch, denn es ist ein Appell an unsere innerste Natur, an das Göttliche in uns, an den inneren Gott, dessen Essenz eine himmlische Herrlichkeit ist. Unser ureigenstes Licht ist allmächtige Liebe.

Die Liebe schützt. Die Liebe ist mächtig, sie ist alldurchdringend; und je unpersönlicher sie ist, desto höher ist sie und desto mächtiger. Sie kennt keine Grenzen, weder von Raum noch Zeit, denn sie ist der Natur innerstes Wirken, das Grundgesetz der Natur, und ist das universale Verbindungsband zwischen allen Dingen. Sie bringt nicht nur die Hartnäckigkeit des steinharten Herzens zum Wanken und sprengt nicht nur den undurchdringlichsten Panzer um das menschliche Denken, sondern sie läßt auch ihre lebenspendende Wärme allmählich überallhin eindringen. Nichts kann ihren Durchgang hindern, denn sie ist die Lebensessenz des Universums. Denn alle Wesen und Dinge sind letztlich eins, sie wurzeln alle in dem einen LEBEN, und durch alle fließt der stetige, ununterbrochene Strom allmächtiger Liebe.

Die Liebe ist die große Anziehungskraft, die Ding mit Ding, Menschenherz mit Menschenherz verbindet; und je höher wir in der Entwicklung aufsteigen, desto inniger umrankt die Liebe alle Fasern unseres Wesens, oder – um es anders auszudrücken – desto mehr weitet sich das Menschenherz in Liebe, bis es schließlich das ganze Universum umfängt, so daß man dann alle Dinge, groß und klein, liebt, ohne Rücksicht auf Zeit und Ort. Oh, die Glückseligkeit dieser Empfindung, dieser Erkenntnis! Sie ist göttlich, denn die Liebe, die unpersönliche Liebe ist göttlich!

Die persönliche Liebe ist nur ein Abglanz der göttlichen Liebe, der unpersönlichen Liebe; die persönliche Liebe ist fehlbar, da ihr Lichtstrahl nur schwach ist. Alles, dem als Leitmotiv der Wunsch nach persönlichem Gewinn zugrunde liegt, ist nicht wahre Liebe.

Bei der persönlichen Liebe beginnen sich die Schleier der Persönlichkeit vor dem inneren Auge zu verdichten, weil sich persönliche Wünsche in unserer Aura – der psychischen Atmosphäre um uns – ansammeln und sie verdichten. Das verursacht die Verdichtung der psychischen Schleier, die das innere Schauen und Verständnis verdunkeln. Die Essenz wahrer Liebe ist Selbstvergessen; für diese Regel gibt es keine Ausnahmen.

Sind eines Menschen Herz und Geist nur von persönlicher Liebe erfüllt, dann liebt er wohl dieses, doch nicht jenes, dann liebt er wohl hier, doch nicht dort, oder umgekehrt. Mit anderen Worten, seine Liebe ist um so begrenzter, je persönlicher ihre Art ist. Das ist jene Art von Liebe, die nicht völlig wahr, die begrenzt ist.

Unpersönliche Liebe ist etwas Liebliches, Schönes; sie hat nichts von den Dingen an sich, die wir alle verabscheuen. Sie ist immer gütig gegen alles und jedermann – gegen alle Wesen und Dinge, ob groß oder klein; sie ist intuitiv.

Verantwortungsbewußtsein, Vertrauen, Zutrauen, Liebe – diese bringen in der Tat Glück, Stärke und Freude. Pflegt sie! Wessen Herz aber mit rein persönlichen und begrenzten Gefühlen und Gedanken erfüllt ist, der kann diese großen Eigenschaften nicht erkennen oder in sich fühlen. Sein Herz hat keinen Raum für sie; es kann sie nicht hereinlassen, wenn es nur mit persönlichen Dingen angefüllt ist.

Persönliche Liebe kann nie eine Verantwortung tragen, sie kennt kein Verantwortungsbewußtsein. Sie kann kein Zutrauen, kein wahres Vertrauen hegen. Sie kann nicht das letzte geben, denn das ‘Ich’ ist zu jeder Zeit da, und sein einziger Gedanke ist: für mich, für mich, für mich. Das ist das Unglück in der heutigen Welt; und von allem Leid und aller Sorge wird ein großer, großer, sehr großer Teil dahinschwinden, wenn Männer und Frauen einander unpersönlich lieben können, wenn der Mensch den Menschen lieben kann und einer den anderen als menschlichen Helden ansieht, und wenn die Frauen Vertrauen in ihr eigenes Geschlecht haben. Das wird geschehen, wenn sie diese Vision haben – diese erhabene Vision.

Es ist gerade diese selbstische, persönliche Liebe, die das Leid, den Schmerz und das Elend in das menschliche Leben gebracht hat, geradeso wie die unpersönliche Liebe läutert und reinigt und das Menschenherz froh macht.

Es ist etwas Schönes um ein menschliches Herz, das sich hingeben kann ohne den Gedanken an Lohn oder ein schmerzhaftes Empfinden, das dem Geber zeitweilig aus seiner Hingabe erwachsen kann. Die Liebe, die ohne Gedanken an sich selbst gegeben wird, die keine Grenzen kennt, die bedingungslos ist, ist göttlich. Wahre Liebe ist immer unpersönlich.

Liebe ist Frieden. Liebe ist Harmonie. Liebe ist Selbstvergessen. Liebe ist Stärke, Kraft, inneres Schauen, Entwicklung. Ihre Macht weitet die innere Natur in solchem Maß, daß wir langsam mitempfindend werden, weil wir mit dem gesamten Heimat-Universum eins werden, in dem wir leben, uns bewegen und unser Sein haben. Weil sie die Harmonie selbst ist und weil sie der innersten Essenz des Herzens des Universums angehört, werden wir eins mit dem Göttlichen im Herzen aller Dinge.

Die unpersönliche Liebe ist göttlich. Sie erleuchtet das Herz, sie weitet den Geist, sie erfüllt die Seele mit einem Gefühl der Einheit mit allem, was ist, so daß wir keinem Mitgeschöpf mehr Schmerz zufügen können, so wenig wir einem Menschen, der uns auf Erden der Liebste ist, absichtlich und willentlich ein Leid zufügen könnten.

Die Liebe ist mächtig. Sie ist das Größte im Menschenleben, weil sie das Größte im Leben der Götter ist, von dem das menschliche Leben nur ein armseliger, matter Abglanz ist. Unser ganzes Wesen verströmt seinen leuchtenden Strom der Sympathie für alles Leben. Das Leben wird veredelt vom ersten Anfang an, und wir sehen vor uns, und selbst am fernen Horizont der Zukunft, eine völlige Einsicht in alles, für alles, und eine Wiedervereinigung aller Wesenheiten und Dinge zu einem Bewußtsein, aus dem Haß, Zwietracht, Hader und Unverständnis verschwunden sein werden.

Ein schwacher, sehr schwacher Abglanz dieser Liebe ist die Liebe eines Menschen zu einem anderen, doch ist sie wenigstens der Anfang des Selbstvergessens. Sobald einmal die Seele von dem heiligen Glanz unpersönlicher Liebe erleuchtet ist, dann erst leben wir wirklich.

Die unpersönliche Liebe fragt nicht nach Lohn. Sie gibt alles und gibt damit sich selbst. Die Liebe ist Erleuchtung. Sie ist erhebend. Sie öffnet die Tore des Geistes, weil sie die Stricke der niederen Selbstheit sprengt, die den inneren Gott fesseln. Wenn man unpersönlich liebt, strömt das göttliche Feuer aus, und der Mensch wird wirklich zum Menschen.

Liebe ist eine starke Macht. Vollkommene Liebe vertreibt alle Furcht. Wessen Herz von Liebe und Mitleid erfüllt ist, dem bleibt Furcht fremd: Es ist kein Raum für sie in seinem Herzen. Liebe alles, was lebt, und du verbindest dich mit unbesiegbaren kosmischen Mächten, und du wirst stark und spirituell und intellektuell hellsichtig. Du wirst nie etwas fürchten, wenn dein Herz mit entsprechender Liebe und mit Verständnis erfüllt ist, weil die Liebe, die vollkommene Liebe, Verständnis bringt. Armut bereitet dir dann keine Furcht mehr, ebensowenig der Tod.

Man kann die Furcht überwinden, indem man sich hohe und edle Taten vorstellt und hohe und edle Gedanken denkt. Man führe zunächst in Gedanken mutige Taten aus. Man beobachte und bewundere den Mut anderer. Man gewöhne sich daran, alles Mutige zu lieben, um ihm dann zu folgen. Dann werden auch wir Mut bekommen, und die Furcht wird dahinschwinden wie die Nebel der Nacht beim Sonnenaufgang. Das Geheimnis, wie Furcht überwunden wird, liegt in der Anwendung der schöpferischen Vorstellungskraft.

Das sind praktische Regeln der Ethik, praktische Regeln menschlichen Verhaltens. Es ist bedauerlich, daß die Menschheit sie aus den Augen verloren hat! Solange der Mensch sich selbst liebt, wird er von Furcht beherrscht sein, denn dann wird er sich vor allem fürchten, was da kommen könnte: Furcht, etwas zu wagen, etwas zu unternehmen, zu handeln, zu denken – aus Furcht, er könnte verlieren. Und er wird dann verlieren. „Was ich befürchtete, ist eingetroffen!“ So ist es immer.

Die Großen unter den Menschen fürchten nichts, sie wagen, handeln, gehen vorwärts. Sie sind die Tätigen; sie sind auch die Denker der Welt, weil sie immer frei von Furcht sind. Sie lieben ihre Taten, deshalb haben sie keine Furcht.

Der Liebende ist der Starke, nicht der Hassende. Der Schwächling haßt, weil er klein und beschränkt ist. Er kann den Schmerz und das Leid eines anderen weder erkennen noch fühlen, noch kann er den Standpunkt des anderen begreifen, was so leicht ist. Wer aber Liebe hat, erkennt seine Verwandtschaft mit allen Dingen. Sein ganzes Wesen strahlt seine innere Schönheit aus, weitet sich mit dem inneren Feuer, das in schönen und harmonischen Gedanken und daher in schönen und guten Taten hinausleuchtet. Seine Züge werden weich und gütig. Er wird nicht gefürchtet, er wird nicht gehaßt werden.

Unpersönliche Liebe hat etwas Magisches an sich. Sie wirkt Wunder. Sie erweicht selbst Herzen aus Stein. Nichts, nicht einmal der Haß kann ihren Durchgang hindern. Folge dem alten Gesetz: Hasse nicht. Überwinde Haß durch Liebe. Vergelte nicht Haß mit Haß, denn dadurch würdest du nur eine unheilige Flamme nähren. Erwidere Haß mit Gerechtigkeit und Mitleid. Erwidere Ungerechtigkeit mit Gerechtigkeit. So verbindest du dich mit den spirituellen Verhaltensweisen der Natur und wirst ein Kind des kosmischen Lebens, das daraufhin in deinem eigenen Herzen mit seinen unsterblichen Pulsen schlagen wird.

Sei du selbst und erweitere deine Sympathien, berühre mit den Fühlfäden deines Bewußtseins die Herzen anderer Menschen. Oh, welche unsagbare Freude, die innere, elektrische Vibration unserer Seele zu empfinden, wenn sie das Herz eines Mitmenschen berührt hat!

Laß dein Herz sich weiten durch die göttlichen Energien, die in ihm schlummern: Liebe, Mitgefühl, Erbarmen, Verständnis für andere, Güte, das Erschauen des Schönen im Licht der Liebe und der Liebe im Licht der Schönheit, die sie selbst ausstrahlt!

Sei gütig. Widerstehe dem Haß. Laß dein Herz sich weiten.

Eine weitere Stufe, die zum Pfad göttlicher Liebe emporführt, ist Vergeben. Vergeben ist die Herzensregung, die dich den ersten Schritt auf dem Weg nach oben machen läßt. Sie ist in der Tat eine der Stufen zur göttlichen Liebe. Wahre Vergebung erfordert Charakterstärke, wahres Menschentum, wahre Unterscheidungsfähigkeit und intellektuelle Kraft. Sie bedeutet die Weigerung, einem anderen etwas nachzutragen, Groll zu hegen und Haß zu entwickeln. Verzeihen heißt auch, das Herz von diesen schlechten und entwürdigenden Impulsen zu läutern.

Ein Beispiel: Man hat dir Unrecht getan. Was wirst du tun: Willst du Groll und Haß hegen; die Zeit abwarten, in der du mit gleicher Münze zurückzahlen kannst, wodurch das Leid und Herzensweh der Welt verdoppelt wird? Oder wirst du sagen: Nein, ich will vergeben; ich selbst habe den Weg zu diesem Unrecht geebnet, ich selbst habe in der Vergangenheit den Grund zu diesem Leid für mich gelegt? Der Unglückliche, der mir das angetan hat! Ich will ihm vergeben.

Der Übeltäter weiß nicht, was er tut. Er ist schwach; er ist blind. Wer aber ein verzeihendes Herz hat, ist sehend, ist stark, denn die Liebe verzeiht alles, und sie tut es deshalb, weil sie Sympathie und Verständnis hat. Verständnis verleiht Einsicht.

Lerne vergeben und vergib, wenn Vergebung erforderlich ist. Nicht das bloße Verzeihen mit den Lippen ist gemeint, wenn man sich gar nicht versucht fühlt zu hassen, sondern dann zu vergeben, wenn diese Vergebung innerer Anstrengung bedarf. Laß Liebe aus dir strömen, wenn ein niedriger und selbstischer Haßimpuls in dir waltet, denn Liebe bedeutet dann eine spirituelle Schulung, die auf innere Stärke und Größe hinweist.

Das alles bedeutet eine große Stärkung unseres inneren Wesens. Die Anstrengung und ihr Erfolg schlichten Streitigkeiten, lindern Nöte, regen Vertrauen und Güte an; und zu dem, der aufrichtig und erfolgreich vergibt, kommt ein Frieden und ein Stärkebewußtsein, die durch nichts anderes vermittelt werden können.

Vergib und liebe deine Mitmenschen und laß jene Liebe, die dein Herz mit ihrem heiligen Licht erfüllt und deinen Geist mit seinem göttlichen Glanz erleuchtet, hinausgehen zu allem, was da lebt; binde sie nicht und setze ihr keine Grenzen, und dein Lohn wird sehr groß sein; denn Liebe ruft nicht nur wieder Liebe in anderen Herzen wach, sondern sie hebt auch dich selbst höher empor. Sie bringt nicht nur in den Seelen derer, die du liebst, Schönes zum Erwachen, sondern sie entwickelt auch deine eigenen Fähigkeiten und Kräfte.

Vergib und liebe, und du stellst dadurch deine Füße auf jenen Pfad, der dich direkt zu der spirituellen Sonne hinführt, die ewig aufgeht, mit Heilung in ihren Fittichen. Vergib und liebe, und ehe du dich dessen versiehst, wirst du den sanften Einfluß der buddhischen Strahlenkraft – des Christosgeistes – empfinden, der heimlich in dein ganzes Wesen einzieht. Du wirst dann zu einer wohltätigen Macht auf Erden, nicht nur geliebt von deinen Mitmenschen, sondern ein Segen für alle Wesen. Du wirst dann damit anfangen, von den erhabenen Kräften und Fähigkeiten, die dem Gott in dir eigen sind, den richtigen Gebrauch zu machen. Du wirst alle Dinge verstehen, weil die Liebe hellsehend und eine mächtige Kraft ist.

Lerne vergeben, denn es ist erhaben! Lerne lieben, denn es ist göttlich!


6 – Der Chela-Pfad

 

 

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Wahrlich wundervoll ist das Band zwischen Lehrer und Jünger. Bei dem Jünger besteht das Gefühl vollkommenen Vertrauens und höchster Liebe, so daß keine seiner Empfindungen vor seinem Lehrer verborgen bleiben kann; und bei dem Lehrer herrschen Verständnis, Mitgefühl, Liebe, ja manchmal, oder oft auch, Anerkennung. Wenn der Jünger seinem Lehrer gegenüber Dankbarkeit empfindet, so hat auch der Lehrer das gleiche Gefühl für seinen Jünger, denn er sieht in ihm das heranwachsende Leben eines neuen Meisters des Mitleids, das in kommenden Äonen erblühen soll.

Sei guten Mutes! Folge dem Pfad, den du eingeschlagen hast. Folge ihm getreulich trotz der Fehler, die du machen magst, und trotz der Hindernisse, die du zu überwinden haben wirst. Folge jenem Pfad, der immer tiefer nach innen führt, zu dem Gott in dir. Er wird dich zum innersten Herzen des Universums führen. Und während du auf diesem Pfad vorwärts schreitest, wirst du an innerer Kraft zunehmen, werden deine inneren Fähigkeiten sich steigern, werden die spirituellen Teile deines Wesens sich entfalten, und damit werden sich vor dir Tore auftun, durch die du bei jeder neuen Rückkehr immer weiter nach innen, dem Herzen des Universums entgegenblicken kannst.

Jede Einweihung ist nur das Öffnen eines neuen Tores der Erfahrung in den Reichen des inneren Lebens. Jedes neue Tor schließt sich hinter dir auf immerdar. Du kannst nie wieder zurückschreiten. Aber wenn du dich auch eine Zeitlang mit gesteigerten Fähigkeiten, mit vermehrter Macht, mit neuen inneren Kräften in einer neuen Welt befindest, so wirst du doch immer wieder ein neues Tor vor dir sehen. Diese ‘Tore’ werden auch ‘Schleier’ genannt, und wenn ein Schleier vor dir fällt, befindet sich immer wieder ein weiterer Schleier dahinter. Jede neue Tempelkammer, von der anderen durch einen Schleier getrennt, ist von einem größeren Licht erfüllt, als die zuletzt durchschrittene.

Wahrlich, groß ist der Lohn jener, die erfolgreich sind – unaussprechlich, herrlich. Dieser Erfolg ist aber nur der erste in einer Reihe noch größerer Erfolge, denn jeder Schritt vorwärts öffnet einen Ausblick auf neue Möglichkeiten in dem endlosen und ewig wechselnden Panorama des universalen Lebens. Jeder Schritt vorwärts führt in ein helleres Licht, zu dem im Vergleich das frühere Licht nur ein Schatten ist. Der heilige Glanz der Wahrheit, des Lichts und der Liebe scheint durch jeden Schleier; und jenes Licht wohnt immer in dir, denn es ist dein innerstes Selbst.

Wenn du eins wirst mit deinem innersten Selbst und Schleier um Schleier verdunkelnder persönlicher Hüllen hinter dir läßt – seien diese Hüllen physisch oder astral, psychologisch oder mental oder auch spirituell –, wenn du mehr und mehr nach innen oder aufwärts gehst, dann kommst du dem inneren Gott, der die Lebensessenz jener Wahrheit ist, immer mehr näher und näher; und daher wird, wenn du zu ihm wirst, aus deinem rein menschlichen Bewußtsein das Bewußtsein des Universums. Dein innerer Gott ist einer der spirituellen Bausteine des grenzenlosen Universums, und das grenzenlose Universum ist ein Gewebe aus Bewußtsein. Erkenne dich selbst, und du wirst alle Dinge erkennen. Der Pfad des Wachstums ist kein schwieriger Pfad. Er wird ein steiler und dorniger Pfad genannt, doch ist er das nur für den selbstischen, egoistischen, leidenschaftlichen, niederen Menschen. Der Weg des Geistes ist der Weg des Lichts; er ist der Weg des Friedens; er ist der Weg der Hoffnung; er ist der Weg zur Sonne. Stelle deine Füße fest auf diesen Pfad, folge ihm und schreite vorwärts!

Auf diesem schweren Pfad wird der Strebende durch die Liebe seines Führers unterstützt, doch muß er jeden Schritt auf dem Pfad bis zum Sieg allein gehen. Er wird nicht dorthin getragen. Jeden Schritt muß er selbst machen. Im gewöhnlichen Menschenleben müssen wir unseren Weg in der Welt auch selber finden. Wir ernähren, unterrichten und üben uns selbst. Wenn das hier eine Notwendigkeit ist, dann ist es eine zehnfache Notwendigkeit im esoterischen Leben. Alles müssen wir dort selbst erringen, weil wir einfach nur das aus uns hervorbringen, was in uns ist; unser eigener Wille und unser eigenes Bewußtsein müssen zum Erwachen kommen, zum völligen Erwachen, und zwar durch unsere eigenen Anstrengungen.

Du kannst nicht sehen, wenn du nicht deine eigene Sehkraft anwendest. Du kannst nicht mit dem Verstand eines anderen verstehen. Daher mußt du auch in der esoterischen Schulung alles selbst erringen. Du selbst mußt in deiner eigenen Seele die heilige Flamme entfachen. Und so ist es mit jedem Schritt, den du auf spirituellem und intellektuellem Gebiet machst. Du mußt selbst die unsagbare Wonne des Mitleids erleben, das unaussprechliche Gefühl des Einsseins mit dem All. Du selbst mußt das Gefäß sein für das innere Licht, das du selbst erringen mußt. Es ist in dir wie über dir, es sendet dir Stärkung und Inspiration. Sei es!

Spirituelles Licht kommt von innen zu dir. Du empfängst das Licht, das Licht des Geistes, nicht von außen. Der Lehrer kann dir lediglich helfen, die verdunkelnden Schleier der Selbstheit auf vielerlei und verschiedene Arten abzustreifen. Alle spirituelle Erleuchtung kommt jetzt, wie auch in aller Zukunft, immer von dem Meister in dir selbst zu dir. Einen anderen Pfad zum Licht gibt es nicht. Alles Wachstum geschieht von innen heraus; alle Erleuchtung kommt von innen; alle Inspiration fließt von innen heraus; alle Einweihung geschieht von innen.

Geistiges Streben ist wahres Gebet; es ist ein beständiges Höherstreben von Tag zu Tag, das tägliche Bemühen, sich etwas höher zu dem inneren Gott zu erheben. Das bedeutet Harmonie, innere Harmonie, Frieden. Wer deshalb Harmonie und Frieden in sich, in Herz und Gedanken trägt, in dessen physischem Körper wird sich dieser Geistes- und Herzenszustand widerspiegeln, und der Körper wird in Harmonie, das heißt in Gesundheit funktionieren.

Erhabene Ideen und gütige Gedanken läutern und verfeinern außerdem die aurische Atmosphäre um den Menschen, und es ist die strenge Pflicht eines jeden Jüngers auf dem Pfad, das zu tun. Geistiges Streben, Sehnen nach erhabenen und edlen Dingen verfeinern selbst die Atome unserer gesamten Wesenheit.

Der Jünger sollte diese Lehren immer im Bewußtsein tragen und mit seinen Gedanken hegen. Sie sollten unaufhörlich in seinem Bewußtsein festgehalten werden. Er sollte beständig über sie nachsinnen. Er sollte mit ihnen zu Bett gehen und mit ihnen aufstehen, er sollte beim Ankleiden, beim Baden, beim Essen, selbst bei der Erfüllung seiner Pflichten immer mit ihnen umgehen. Lasse dein Denken allzeit über diese wunderbaren Lehren nachsinnen. Dieses ‘über-bewußte’ Denken ist deine Wurzel, die göttliche Essenz, an und in der dieses Bewußtsein wohnt.

Die Meditation verläuft so: Nimm ein Thema zum Nachdenken und verweile auf unpersönliche Weise in Gedanken bei ihm, während du zugleich in dir nach Antwort, nach mehr Licht darüber suchst. Wenn diese Meditationsmethode getreulich befolgt wird, wird schließlich die Erleuchtung kommen. Die Übung macht es so leicht, die Gewohnheit verleiht ihr soviel Anziehendes, daß schließlich die Zeit kommen wird, da du den ganzen Tag über im Meditationszustand verweilen wirst, selbst wenn deine Hände mit den täglichen Aufgaben beschäftigt sind. Unaussprechliches Glück und Frieden liegen darin.

Man braucht sich dabei nicht in sein privates Zimmer zurückzuziehen oder eine besondere liegende, sitzende oder stehende Haltung einzunehmen; man braucht nicht unter Aufbietung von Willenskraft das Gehirn zu zwingen, an bestimmte Dinge zu denken. Konzentration bedeutet das Festlegen des Geistes auf einen Gedanken oder einen Denkgegenstand und dabei zu verweilen. Das ist leicht zu vollbringen; es gehört dazu nur Interesse an einer Sache. Wenn wir an etwas wirklich Interesse haben, dann richtet sich unser Geist von selbst darauf.

Die beste Form der Meditation ist jedoch der ständige Gedanke, das unaufhörliche Sehnen und Streben, dein Bestes zu sein, dein Bestes zu leben und diesen Gedanken Tag und Nacht mit dir zu tragen. Wenn das Sehnen, sein Bestes zu sein und nach seinem höchsten Ideal zu leben, aus dem Geist des Mitleids stammt und im Herzen emporquillt wie ein heiliger Kraftstrom, dann wird es dich bald zu den goldenen Toren hinführen.

Der nächste Schritt auf dem Pfad wird jedoch getan, wenn der Jünger bereit ist: Alles hängt vom Jünger selbst ab. Der Lehrer kann ihn lediglich erwecken. Der Jünger muß entscheiden. Denn wenn der Jünger bereit ist, stellt sich auch der Lehrer ein.

Es kommt eine Zeit in der Evolution des Menschen, in welcher er an einem Punkt anlangt, wo er seine gesamten Energien – spirituell, intellektuell, psychisch, astral, vital, physisch – auf ein Ziel richten will: nämlich darauf, sich ohne jede Ablenkung oder anderweitige Verpflichtungen zu einem geeigneten Diener und Helfer seiner Mitmenschen zu machen. Das wird Chelaschaft genannt: der Stand der Jüngerschaft. Doch ist dieser Pfad der Jüngerschaft nur für wenige geeignet.

Jene, die diesem Pfad des spirituellen Fortschritts und der Erleuchtung folgen – die Jünger des esoterischen Lebens, die das Chelaleben führen –, haben gelobt, ihr Selbst der Welt hinzugeben, keinen eigenen persönlichen Besitz zu haben, ihr Leben und ihr ganzes Sein für die heiligste Sache, die sie kennen, hinzugeben. Für diese Jünger des glorreichen Lebens ist es ein Gebot, keinen Widerstand zu leisten: Sie haben geschworen, nie zurückzuschlagen, die Hand niemals zur Selbstverteidigung zu erheben, wenn sich der Angriff nur gegen den Chela richtet; nie ihre Person gegen Verleumdung und Nachrede zu verteidigen, wenn es nur um den Schutz der eigenen Person geht; die Wange hinzuhalten, wenn man geschlagen wird, und dem, der den Mantel verlangt, auch noch das Hemd zu geben. Diese Chelas sind aber auch verpflichtet, Unrecht zu bannen, böses Tun einzudämmen und aufzuhalten, wenn die Untat gegen einen anderen gerichtet ist, weil ein Esoteriker für einen anderen das tut, was er für sich selbst nie tun darf.

Die Chelas verschließen ihr Bewußtsein den Freuden und Schmerzen: Denn der ideale Mensch ist der, dessen Wille und Urteil nicht durch Freude oder Schmerz gebeugt und abgelenkt wird. Ein überlegener Mensch ist, wer unerschütterlich ist und weder durch Vergnügen abgelenkt, noch durch Schmerzen niedergedrückt wird.

Die Chelas geben sich hin zum Wohle der Welt; sie geben alles Persönliche auf, um für das Universum zu leben. Diese wenigen geben sich selbst, und mehr kann keiner geben. Das ist der Pfad der Buddhas und der Christusse.

Die Chelaschaft oder die Schulung zur Meisterschaft ist eine mühevolle und herzbewegende Arbeit. Jeder Schritt dabei ist Freude, obwohl manchmal psychologische Reaktionen kommen, gegen die man sich schützen muß. Das Chelaleben kann mit einem Menschen verglichen werden, der eine wichtige, fesselnde, äußerst interessante und dabei sehr mühevolle körperliche Arbeit verrichtet. Er arbeitet, gibt alle seine Kräfte her, sein Atem geht in schnellen Stößen, Schweiß bedeckt seine Stirn und seinen ganzen Körper, und doch fühlt er unter seinen Händen ein Werk von wunderbarer Schönheit sich vollenden. Er ist freudig entschlossen, seine letzte Kraft dafür hinzugeben. Der Chela weiß, daß, wenn sein Karma günstig ist, jenseits der fernen Hügel, vielleicht nicht allzuweit entfernt, für ihn der Weisheitstempel liegt, und daß dessen Tore sich vor ihm öffnen werden, wenn er ihn in Reinheit und Stärke erreichen kann. Kommt er mit beschmutzten Füßen, mit Füßen, die er nicht mit den Tränen seiner Augen und dem Blut seines Herzens reingewaschen hat, dann muß er seine Schritte zurücklenken oder warten, bis die Zeit kommt, da sein Herz nicht mehr bluten wird und seine Augen nicht mehr von den Tränen selbstsüchtigen persönlichen Strebens nach bloßen Persönlichkeitszielen verdunkelt sein werden. Dann werden die Augen erleuchtet sein von der unsterblichen inneren Flamme, und das Herz wird nur für andere schlagen, weil er sich selbst völlig vergessen haben wird. Dann werden Schönheit, unsagbare Freude, unvorstellbare Stärke und Frieden in sein Leben eintreten.

Die Chelaschaft ist an sich nicht schwierig. Eigentlich ist sie leicht, fast unsagbar leicht. Sie bedeutet, Schmerz und Leid, Zorn, Lust und Selbstsucht aufzugeben, von allen Dingen zu lassen, die uns schaden, die uns blind machen, schädigen und hemmen. Sie bedeutet Reinheit, Sanftmut, Frische, Stärke, Lauterkeit, Schönheit. Sie bedeutet, damit zu beginnen, das Leben eines verkörperten Gottes zu führen. Sie bedeutet das Einswerden mit seinem inneren Gott in immer höherem Maß; zuerst ein wenig, bei der nächsten Anstrengung ein wenig mehr und so weiter; denn mit jeder Bemühung gewinnt der Chela mehr und mehr von dem inneren Licht, von dem inneren Leben, von der inneren Inspiration – von der inneren buddhischen Herrlichkeit. Mit anderen Worten, sie bedeutet das immer tiefere Einswerden mit dem inneren Meister: In jedem Menschenwesen ist, selbst jetzt schon, ein Mahātma.

Das Leben der Chelaschaft ist ein großartiges Leben, und seine erste Regel ist, zum Wohle der Menschheit zu leben, verbunden mit einem reinen Leben, einem reinen Herzen, einem scharfen Verstand und einer ungetrübten geistigen Wahrnehmung.

Zum Wohle der Menschheit zu leben, ist der erste Schritt. Es ist der erste Schritt zum Schauen, der erste Schritt spiritueller Entwicklung, der erste Schritt des Aufstiegs – er bedeutet, nicht für sich selbst zu leben, sondern für das Universum, das von einem anderen Standpunkt aus betrachtet in Wirklichkeit du selbst bist: Es ist du und du bist Es.

Gütig, sanft, gerecht zu sein und seine spirituellen und intellektuellen Kräfte zu pflegen, das ist das Chelaleben; es ist tatsächlich die einfachste Sache in der Welt. Laß dich nie von Zorn oder Leidenschaft hinreißen. Sie sind nicht nur zwecklos, sondern du schaffst durch sie schlechtes Karma, das dir eines Tages entgegentritt und von dir überwunden werden muß.

Sei selbstvergessen. Sei unpersönlich und hänge deshalb nicht am Materiellen. Sei unparteiisch und daher unpersönlich. Sei groß an Herz und Seele, dann kannst du durch Unpersönlichkeit wachsen. Ertrage Unrecht mit Gleichmut, dadurch erringst du Großmut – Herzensgröße. Schlage nie zurück, suche nie Vergeltung, sei still, habe Geduld. Schütze andere, dich selbst schütze in keinem Fall.

Vergib Beleidigungen! Mit einem Herzen voller Liebe zu allem, was ist, und mit vollständiger und restloser Vergebung aller vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Beleidigungen, umgibt sich der Chela mit einem starken, kraftvollen Schutz; denn diese geistigen Energien läutern das Herz, sie regen den Intellekt an, sie erheben die Seele. Dann wird deine Seele durch deinen Körper scheinen, wie eine Lampe durch Glas leuchtet, und du wirst deine Mitmenschen nicht nur erleuchten, sondern durch deinen Frieden, durch deine Stille wirst du ihren Pfad erleichtern und erhellen.

Sei kühn in deinem Lernen, doch nicht tollkühn. Sei mutig in deinem Vorwärtsdrängen auf diesem uralten Pfad der Zeitalter, der zum Herzen des Universums führt, doch überstürze nichts. Hüte deine Worte, damit nichts unbemerkt mit den Worten hinausgeht – denn du kannst es nie zurückrufen. Wage, wolle, wisse und schweige!

Wachse natürlich und ungezwungen, wie die Blume ihren Kelch erschließt, wie die Knospe ihr Inneres öffnet. Besteht denn ein Grund oder eine Notwendigkeit, daß die Augen immer von Tränen getrübt und die Füße ständig mit dem Herzensblut reingewaschen werden müssen?

Verliere nicht den Mut, wenn du versagst, wenn du nicht deinem edelsten Ideal nachleben kannst. Vergeude keine Zeit mit Bereuen; es schwächt. Fasse nur einfach den festen Entschluß: Ich will es nicht wieder tun! Und wenn du wieder fehlst, dann wiederhole: Ich will es nicht wieder tun, denn damit verliere ich ja doch nur. Der Tag wird kommen, an dem durch die beständige Wiederholung des Mantrams, durch das fortwährende Streben von Herz und Geist und durch das unermüdliche Streben und Ringen nach dem Besten und Schönsten, das in dir ist, du dieses Gute und Schöne plötzlich sein, zu ihm plötzlich werden wirst.

Wer das Chelaleben führt, der tauscht nur die Dinge, die er innerlich verabscheut und haßt, gegen Dinge aus, die schön und hilfreich sind; er gibt Schwachheit dahin für Stärke, Häßlichkeit für Schönheit, Blindheit für inneres Schauen, Dunkelheit für Licht.

Mache keine mühevollen, krampfhaften, verzweifelten Anstrengungen, quäle dich nicht ab. Sei ganz natürlich, geduldig, ruhig, friedsam. Sei nicht ungeduldig, sei sehr geduldig. Nimm die Dinge, wie sie kommen, und strebe unaufhörlich. Strebe nach dem, was du am meisten liebst und für das Wahrste hältst, und verzichte auf alles übrige. Erfülle deine volle Pflicht, ganz gleich, wie schwer es dich auch ankommen mag, und du wirst finden, daß unsagbare Freude in alledem liegt. Dann wird sich früher oder später das innere Auge öffnen, das Schauen und die inneren Sinne werden sich erschließen, und du wirst die herrlichsten und seltsamsten Dinge um dich erkennen.

Die geistigen Fähigkeiten sind in dir. Sie können in unendlichem Ausmaß entwickelt werden. Wenn das innere Auge geöffnet ist, wirst du geistiges Hellsehen erreicht haben – ein Schauen von universaler Weite, eingeschränkt nur durch deine individuelle Interpretations-, Aufnahme- und Fassungskraft und durch die Fähigkeit, zu sehen und richtig zu sehen, und bei dem Schauen zu wissen, daß du die Wahrheit siehst. Wenn du dich mit deinem inneren Gott verbunden hast, wird die spirituelle Kraft dir zeigen, wie du Dinge auf beliebige Entfernung hin sehen kannst. Du erblickst sofort Dinge über gewaltige Entfernungen hin durch das innere, geistige Auge. Dein Bewußtsein ist dort, wohin du es gesandt hast. Du kannst in deinem Lehnstuhl sitzen und mit geschlossenen Augen auf größte Entfernungen sehen, was du sehen möchtest. Das kann nicht nur in dieser äußeren Welt geschehen, sondern du kannst mit diesem spirituellen Schauen auch in die inneren und unsichtbaren Welten eindringen und auf diese Weise erfahren, was in den spirituellen und ätherischen Welten vor sich geht. Man bedenke auch, daß diese inneren und unsichtbaren Welten die Basis oder Wurzel von dem Raumausschnitt sind, den wir Menschen als physisches Universum bezeichnen. Dieses physische Universum ist nur eine Phase oder ein Ausschnitt aus dem großen Universum des Grenzenlosen Lebens.

In Tibet wird diese Kraft Hpho-wa genannt. Das bedeutet die Fähigkeit, unser Bewußtsein (und damit auch unseren Willen) auf jede beliebige Entfernung hin auszusenden: auf der Erde, zum Mond, zu jedem anderen Planeten, zur Sonne. Dies ist möglich, weil die kosmischen Räume unsere Heimat sind. Die gleichen Kräfte, die in ihnen wirken, sind auch in uns. Aus den gleichen Substanzen, aus denen sie geboren und erbaut sind, sind auch wir gebildet. Wir sind dort zu Hause, deshalb ist die Äußerung einer solchen Kraft etwas Natürliches.

Eine andere spirituelle Kraft ist echtes und wahres Hellhören: die Fähigkeit, mit dem geistigen Gehörsinn, mit dem inneren, spirituellen Ohr zu hören – sogar zu hören, was die Götter sagen und tun. Wer diese Fähigkeit erlangt hat, kann die Musik der Sphären vernehmen, denn jeder Himmelskörper singt auf seiner Weltenbahn seinen eigenen, majestätischen Freudengesang. Und alles auf der Erde oder anderswo, ob belebt oder, wie man sagt, unbelebt, ist, da es eine Anhäufung von Atomen ist, eine symphonische Melodie, eine Symphonie, ein vereinigter Klangkörper, der aus den Tönen aller singenden Wesenheiten gebildet wird. Und jedes Atom davon ist eine singende Wesenheit, so daß unser physischer Körper selbst ein verkörperter Gesang ist.

Jedes winzige Atom ist auf eine musikalische Note abgestimmt. Es ist in ständiger Bewegung, in dauernder Vibration, mit Geschwindigkeiten, die dem gewöhnlichen menschlichen Verstand unbegreiflich sind. Jede solche Geschwindigkeit hat ihren eigenen Zahlenwert, mit anderen Worten, ihre eigene zahlenmäßige Note und singt deshalb diese Note, so daß für dich, wenn du dieses spirituellen Hellhörens fähig wärst, das Leben, das dich umgibt, ein einziger, großer, wundersamer Gesang wäre, und auch du selbst würdest ein Lied singen. Selbst dein Körper wäre gewissermaßen wie ein Symphonieorchester, das eine erhabene, unbegreifliche symphonische Musik aufführt.

Mit der erweckten Kraft des inneren geistigen Hörens könnte man das Aufgehen einer Rosenknospe als Lied wahrnehmen, und ihr Wachstum würde sich als eine stets wechselnde Melodie äußern, die von Tag zu Tag unaufhörlich erklingt. Wir könnten den grünen Grashalm wachsen hören. Wir könnten vernehmen, wie jedes Haar auf unserem Kopf wächst, denn Wachstum ist Bewegung. Das Heranwachsen eines kleinen Kindes wäre als lang hinhallender Chor singender atomarer Wesenheiten vernehmbar.

Dann, wenn die spirituelle Kraft einmal erweckt ist, kann man seine Gedanken ohne Worte übertragen – mit stimmloser Sprache – und auch das Bewußtsein und den Willen, und zwar an jeden Ort der Welt; man würde tatsächlich dort sein und sehen, was dort vor sich geht, und wissen, was dort geschieht.

Eine andere spirituelle Fähigkeit ist das vollerwachte Verstehen: die Fähigkeit, die es ermöglicht, zwischen Gedanken und Gedanken, Dingen und Dingen zu unterscheiden und sie auseinanderzuhalten. Sie ist eine Schwester der allmächtigen Liebe: Denn Verstehen ist von gleichem Wesen wie das Herz des Universums. Wir haben es in uns. Wenn wir es pflegen, können wir alle Dinge verstehen. Wir wissen dann, warum das Gras wächst, warum der Pfirsichbaum Blüten trägt, warum unsere Mitmenschen leben, warum wir da sind, was die Sterne auf ihren Bahnen uns unaufhörlich zusingen, warum Haß und Liebe, Tag und Nacht, Sommer und Winter, Hitze und Kälte und alle anderen Gegensatzpaare im Universum bestehen.

Doch die höchste Fähigkeit, die größte Macht hat man, wenn man sich selbst gefunden hat, wenn man angefangen hat, sich selbst zu erkennen und dann unbegreiflich schöne, erhabene und unbeschreiblich große Mysterien in sich entdeckt. Und das herrlichste von allen ist die Macht allgewaltiger Liebe, denn sie ist das wirkliche Bindemittel des Universums, das alle Dinge in beständigen, geordneten, gesetzmäßigen Bahnen hält – die höchste, erhabenste Kraft der Natur; und nichts, weder oben im Himmel noch unten auf Erden noch in den Regionen unter der Erde kann sie auf ihrem Weg aufhalten oder ihre alldurchdringende Macht hemmen. Sie ist alldurchdringend, sie kennt kein Hindernis. Und wenn wir Liebe ausstrahlen, erzeugen wir Liebe in anderen, denn wir selbst werden dann liebenswert durch die Ausstrahlungen der Liebe, die aus unserem Herzen hervorgehen. Wer eins mit ihr wird – mit dem, was wir in unserem innersten Wesen sind –, wird zu einem Gott, ja, zu einem Gott; denn ein solcher Gott sind wir in unserem Innersten – Söhne der Sonne, ohne jede Übertreibung. Die Göttlichkeit in uns ist strahlende Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, unbeschreiblich schön, glänzend, leuchtend; sie strahlt unaufhörlich spirituelle Energie und Kraft aus.

Daher sollten wir, wenn wir wachsen, leben und Erfolg haben wollen, jene Kräfte entwickeln, denen nichts widerstehen, die niemand und nichts aufhalten kann, die Tag und Nacht wirken, in der Stille und im Sturm, unermüdlich. Sie sind die Herzensenergie des Universums selbst, von dem wir Kinder sind. Diese Kräfte: Liebe, Intelligenz, Mitleid, Erbarmen, Vergebung und deren Früchte, wie Sanftmut, Güte und Milde, sollten wir entwickeln. Aber niemand kann diese spirituellen Kräfte für sich erringen, ehe er nicht die letzte Spur selbstsüchtiger Ichheit in sich getilgt hat, denn die Natur wird es nicht zulassen. Der wirkliche Weg zur Erlangung wunderbarer Kräfte besteht in der Aufgabe der Ichheit, die diese Kräfte in ihrem Wirken hindert.

Daher sage ich euch: Geht der Sonne in euch entgegen. Suchet das Reich des Himmels mit Gewalt zu erobern, denn es ist euer, es ist euer spirituelles Erbe.

Es gibt Gefahren, die auf dem Pfad des Chelas lauern. Aber er lernt, was er zu ihrer Überwindung tun muß. Er lernt verstehen und fühlt daher, daß er, wenn er den Göttern gleich werden will, göttergleichen Wegen folgen muß. Er hat einen freien Willen. Da er diesen freien Willen hat, ist es auch seine strenge Pflicht, ihn anzuwenden; er ist verpflichtet, ihn immer auf unpersönliche Weise und für unpersönliche Zwecke zu gebrauchen. Je mehr das dem Chela gelingt, desto schneller ist sein Fortschritt auf dem Pfad. Je höher ein Mensch aufsteigt, desto notwendiger ist es für ihn, beim Fortschreiten sich selbst immer mehr zu vergessen und im Einklang mit den Naturgesetzen zu wirken.

Wenn der Chela einzig und allein mit seiner und durch seine spirituelle Natur wirkt, wird er eins mit der Natur und arbeitet daher mit ihr, und die Natur betrachtet ihn dann als einen ihrer Schöpfer und leistet ihm willigen Gehorsam. Weil er mit der Natur arbeitet, ist er keiner Reaktion von der Natur her ausgesetzt, und auf diese Weise erhebt sich der Chela über Karma und wird eins mit dem Herzen des Universums, indem er nichts tut, was natürlichem Gesetz zuwiderläuft; folglich entsteht auch keine Rückwirkung. Er arbeitet mit der Natur, weil er eins ist mit den Impulsen seines eigenen Herzens.

Je höher du aufsteigst auf dem Pfad der Evolution, desto mehr Vorsicht mußt du walten lassen. Deshalb mußt du sorgfältig auf all dein Denken und Fühlen und auf dein ganzes Tun achten. Du hast gelernt, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, wie du deinen Willen gebrauchen mußt und welche Wirkungen daraus entstehen, und die Natur wird dich in entsprechendem Maß verantwortlich halten. Nach den Gesetzen des Universums steigst oder fällst du mit jedem Gedanken und mit jeder Tat. In jedem Augenblick deines Lebens stehst du an einer Wegscheide – rechts oder links.

Mache dir keine Gedanken über die Folgen. Denke nur an die Ausführung deiner Pflicht – sie gut zu tun – und überlasse alles übrige sich selbst. Das ist der Weg des Friedens, der Zufriedenheit, der Weg, der immer weiter nach oben führt.

Ein selbstbewußtes Gefühl persönlicher, individueller oder spiritueller Überlegenheit ist eine wirkliche Gefahr. Reiße dieses Gefühl aus deinem Herzen und wirf es für immer von dir. Es ist eine Schlange, die beißen und dein inneres Leben vergiften wird. Sei unpersönlich!

Doch die größte aller Gefahren ist das Gefühl spirituellen Stolzes. Beseitige es und arbeite an dir, bis du dein Herz von seinem egoistischen Stolz geläutert hast. Verlangen und Stolz werden manchmal irrtümlich für Intuition und für das Gefühl wirklicher Befähigung gehalten.

Und doch ist es der Erkenntnisdrang, der zum Fortschritt auf dem Pfad führt, keine Erkenntnis für dich oder um der Erkenntnis willen, im abstrakten Sinne, sondern um diese Erkenntnis auf dem Altar des Dienens niederzulegen. Oh, welche gewaltige Kraft steht hinter diesem Gedanken und dieser Tatsache! Dieser Wunsch nach unpersönlichem Dienen läutert das Herz, erhellt den Geist und löst die Knoten der niederen Selbstheit, so daß sich Herz und Geist öffnen und für die Weisheit empfänglich werden. Dieses Verlangen ist die treibende Kraft, der Motor, der den Chela vorwärtsbringt, immer höher und höher.

Es ist nur das persönliche, das niedere Selbst, das den Fortschritt hemmt. Denke darüber nach! Denke daran, daß es die Schleier der Ichheit, die selbstischen Süchte, die selbstischen Triebe sind, der Wunsch, etwas zu sein und etwas für sich persönlich zu erreichen, die den Fortschritt hemmen! Habe keine Wünsche! Habe nicht einmal das Verlangen nach Erfolg! Sei kristallklar in deinem Bewußtsein, sei ebenso unpersönlich wie der Geist, der dein Ursprung ist.

Habe keine Gier nach Licht. Sei nicht aufgeregt und besorgt oder begierig nach Fortschritt. Meide alle Gefühlserregungen jeder Art, selbst höherer Art. Sei dagegen gesammelt, sei ruhig. Halte dein Bewußtsein klar und durchsichtig wie ein Bergsee und deine Seele unbewegt und unberührt von allen vorüberziehenden selbstischen Gedanken.

Still sind die Stätten, an denen Wachstum vor sich geht. Still sind die Kammern, wo das Licht ins Herz eintritt. Die majestätischsten Prozesse der Natur vollziehen sich in der Stille, friedvoll, ruhig. Alles Wachstum geht ruhig vor sich, ohne Anspannung, in der Stille. Kampf und Streit, Geschäftigkeit, Unrast, Ruhelosigkeit – all diese Dinge sind Zeichen menschlicher Unvollkommenheit und mangelnder Kenntnis der Weisheit der Herzenslehre. Es ist in der Tat der Weg des Himmels, nicht zu streben. Erfülle daher deine Arbeit ruhig, gründlich und ungezwungen. Sei still und wachse. Sei spirituell so aktiv, wie du nach außen hin ruhig bist. Dann wird dein Bewußtsein den goldenen Glanz der Lichtsonne in dir, deines inneren Gottes, widerspiegeln.

Das einzige, was dich am Empfangen dieses Lichts hindert, sind die verhüllenden Schleier der Selbstheit: Selbstsucht, Ichsucht, Zorn, Haß, Neid und unedle Wünsche aller Art. Der Chela muß lernen, diesen Dingen entgegenzutreten und sie in sich abzutöten. Wenn er das versäumt, werden sie ihn töten.

Ist es dir noch nie passiert, daß du einer Lieblingsversuchung widerstanden und sie überwunden und auf das erschlagene Selbst herabgeblickt hast, auf das häßliche Ding, das dich in seiner Gewalt hatte; und kam es dir dabei nicht seltsam vor, daß du je das Opfer von etwas so Niedrigem gewesen sein konntest?

Hebe deine Seele empor in stillem Nachdenken. Die Liebe wird die Schwingen deiner Seele zu deiner spirituellen Sonne lenken. Mühe dich nicht ab, doch schreite dennoch vorwärts. Strebe nicht ängstlich nach Vollkommenheit, doch arbeite trotzdem an der Vervollkommnung. Laß keine Ängstlichkeit deine Augen trüben, noch deine Schritte durch Sehnsucht hemmen; doch dringe unentwegt vorwärts. Sei im Frieden.

Verfeinere dein Denken. Läutere dein Bewußtsein. Reinige dein Herz. Ein reines Herz und ein scharfer Verstand werden dich durch alle Fährnisse bringen. Liebe zu allen Wesen und Dingen, groß und klein, wird einen Wall, eine Schutzmauer um dich bilden, so stark und undurchdringlich, daß nichts über diesen Wall der Liebe hinweg zu deinem Herzen dringen kann. Bahne dir deinen Weg mit deinem Willen – dem mystischen Schwert –, und dringe so unaufhaltsam vorwärts.

Dein geistiger Wille ist nicht nur für dich dein Schild des Heils, sondern er ist sozusagen auch das Schwert, mit dem du dir einen Weg zur Selbstüberwindung bahnen kannst, was Frieden, Weisheit, Liebe und Segen bedeutet.

Siehe die Wahrheit vor dir: Ein scharfer Verstand, ein aufnahmebereites Denken, ein unverschleiertes spirituelles Schauen, die Wahrnehmung der Wahrheit, ein erweckter und tätiger spiritueller Wille sind erforderlich. Damit erlangst du zuerst über dichselbst völlige Gewalt und damit erringst du vollkommene Selbstbemeisterung, so daß selbst die Elementale und die Elementarwesen der Astralwelt dich auf keine Weise beeinflussen können. Erkenne dich selbst, beherrsche dich, dann wirst du ein Meister des Lebens werden.

Du kannst dein inneres spirituelles Leben gar nicht eifrig genug erforschen. Es ist erfüllt von Wahrheit und allmächtiger Liebe, von Mitleid, von Erbarmen, von all den Elementen im Universum, die durch das Herz und die Intelligenz des Menschen Güte, Brüderlichkeit, Sanftmut und alles Hohe und Gute erzeugen. Dieses Studium unseres spirituellen Wesens zeigt uns, daß wir durch die verhüllenden Schleier der niederen Selbstheit durchbrechen und nach innen zu der Gottheit vordringen müssen, zu dem inneren Gott, der das innerste Herz eines jeden ist. Dann, wenn wir jenes Ziel erreicht haben, werden wir in uns den Drang fühlen, uns zurückzuwenden, wie die erhabenen Buddhas des Mitleids, die umkehren auf dem Pfad, um unseren Gefährten zu helfen, die hinterherziehen. Diese Tat des Mitleids wird von allen echten spirituellen Rettern der Menschheit vollzogen.


7 – Die Buddhas des Mitleids

 

 

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Es sind die Großen, die Meister des Lebens, deren Licht den Pfad schon an seinem Anfang erleuchtet und das mit jedem Schritt heller wird. Ihr Licht leuchtet ohne Unterlaß, und nur die dunklen Wolken im Gemüt der Menschen schließen es aus. Das sind die Buddhas des Mitleids.

Ein Buddha ist einer, der die Sprossen der evolutionären Leiter des Lebens hinaufgestiegen ist, Stufe um Stufe, eine nach der anderen, und der so die Buddhaschaft erreicht hat, welche menschliche Fülle spirituellen und intellektuellen Glanzes bedeutet. Er hat das alles durch seine selbstgeplanten und selbstgeleiteten Anstrengungen auf dem weit zurückreichenden evolutionären Pfad erreicht. Er ist ein ‘Erwachter’, einer, der die Gottheit offenbart, die der tiefste Grund seines eigenen, innersten Wesens ist.

Die Buddhas des Mitleids sind die edelsten Blüten der menschlichen Rasse. Sie sind Menschen, die sich vom Menschlichen beinahe zum Göttlichen erhoben haben. Das geschieht dadurch, daß sie das im Inneren eingekerkerte Licht, das Licht des inneren Gottes, herausströmen und sich durch den menschlichen Teil des Menschen, durch die menschliche Seele, offenbaren lassen. Es geschieht durch Opfer und durch das Aufgeben von allem, was niedrig und falsch, unedel und gemein und selbstisch ist: Durch die Erschließung der inneren Natur, so daß der innere Gott hervorleuchten kann. Mit anderen Worten, durch selbstgeleitete Entwicklung haben sie sich emporgehoben aus dem nur Menschlichen zum Gottmenschen, zu Mensch-Göttern – zu menschlicher Göttlichkeit.

Jeder Mensch ist ein nicht geoffenbarter Buddha. Jeder Mensch trägt in seiner inneren Konstitution nicht nur den himmlischen Buddha, den Dhyāni-Buddha, der sein innerer Gott ist, sondern auch sein Höheres Ego, das, wenn es sich auf Erden als Mensch offenbart, der Mānushya-Buddha oder der Menschliche Buddha ist. Gewöhnliche Menschen können die Kräfte ihres höheren oder geistigen Willens oder Egos nicht voll und ganz offenbaren, da sie zu grobstofflich sind. Sie sind als Gefäß noch nicht genügend verfeinert. Sie leben zu stark auf den Ebenen des stofflichen Daseins. Sie sind leidenschaftlich, sie sind persönlich und deshalb begrenzt, beschränkt.

Jeder Mensch ist ein noch nicht zum Ausdruck gebrachter Buddha. Schon jetzt, in und über dir, ist er dein höheres Selbst, und dein höheres Selbst ist er; und so wie du mit dem Ablauf der Zeitalter das Ich überwindest, um das größere Selbst zu werden, näherst du dich mit jedem Schritt dem ‘schlafenden’ Buddha in dir. Und doch ist es in Wirklichkeit nicht der Buddha, der ‘schläft’. Du bist es, der schläft auf dem Bett der Materie, von bösen Träumen umfangen, hervorgebracht von deinen Leidenschaften, von deinen falschen Ansichten, von deiner Selbstsucht, von deinem Egoismus, welche dichte und schwere Schleier der Persönlichkeit um den inneren Buddha bilden.

Denn das ist das Geheimnis: Der innere Buddha wacht über dir. Dein eigener innerer Buddha hat, mystisch gesprochen, sein Auge auf dir ruhen. Seine Hand streckt sich gewissermaßen voll Erbarmen zu dir nieder, doch du mußt emporlangen und diese Hand ergreifen durch dein eigenes selbständiges Wollen und Sehnen – du, der menschliche Teil von dir – und mußt die Hand des Buddhas in dir ergreifen.

Eine seltsame Ausdrucksweise? Bedenke also, was ein Menschenwesen ist: Ein Gott in seinem Herzen, ein Buddha als Gefäß dieses Gottes, eine spirituelle Seele als Gefäß des Buddhas, eine menschliche Seele als Gefäß der spirituellen Seele, eine tierische Seele als Gefäß der menschlichen Seele und ein Körper als Gefäß der tierischen Seele. So ist der Mensch zugleich einer und viel mehr als einer.

Wenn ein Mensch alles gelernt hat, was ihn die Erde lehren kann, ist er gottgleich und kehrt nicht mehr zur Erde zurück – außer jenen, deren Herzen so von der heiligen Flamme des Mitleids erfüllt sind, daß sie im Schulraum der Erde, über den sie längst hinausgewachsen sind und in dem sie selbst nichts mehr lernen können, verbleiben, um ihren jüngeren, weniger fortgeschrittenen Brüdern zu helfen. Diese Ausnahmen sind die Buddhas des Mitleids.

Es gibt andererseits sehr große Menschen, sehr heilige Menschen, in jeder Hinsicht sehr reine Menschen, deren Erkenntnis weit, umfassend und tief, deren geistiger Zustand erhaben ist, die aber nach Erreichung der Buddhaschaft, anstatt den Ruf allmächtiger Liebe zu fühlen, anstatt umzukehren und jenen zu helfen, die weniger weit voran sind, weiterschreiten und hinübergehen in das höchste Licht und in die unaussprechliche Glückseligkeit Nirvāṇas eintreten und die Menschheit zurücklassen. Das sind die Pratyeka-Buddhas. Obwohl erhaben, stehen sie doch nicht auf gleicher Stufe wie die Buddhas des Mitleids in ihrer unsagbaren Erhabenheit.

Der Pratyeka-Buddha, der die Buddhaschaft für sich selbst verwirklicht, tut dies nicht selbstsüchtig, er macht es nicht um seiner selbst willen, und er fügt anderen damit keinen Schaden zu. Wenn das so wäre, könnte er ja nie seine Einzelbuddhaschaft erlangen. Er erreicht sie aber, und er erreicht Nirvāṇa sozusagen automatisch, indem er den erhabenen Impulsen seines Wesens folgt. Dennoch läßt er die Welt in die Bande der Materie geschlagen und von ihm vergessen hinter sich zurück.

Der Pratyeka-Buddha konzentriert sich auf das eine Ziel: Selbstfortschritt zu spirituellen Zielen. Das ist in gewisser Hinsicht ein edler Pfad. Obwohl er ein kürzerer Pfad ist, ist er aber im Grunde ein selbstischer Pfad, und die karmischen Aufzeichnungen, die schließlich ausgelöscht werden müssen, werden tiefere Linien aufweisen als bei dem anderen Kämpfer um spirituelles Leben, der dem Pfad völliger Selbstverleugnung folgt und der alle Gedanken an den eigenen Fortschritt aufgibt. Letzteres ist natürlich bei weitem der edlere Pfad, aber eine gewisse Zeitlang ist er viel langsamer und viel schwieriger. Das Endziel ist schwerer erreichbar. Wenn es jedoch einmal erreicht ist, dann ist der Lohn, der Preis, der Ausgleich unsagbar herrlich. Eine Zeitlang ist es ein langsamerer Pfad, aber ein vollkommener Pfad.

Es besteht ein eigenartiger Widerspruch im Begriff Pratyeka-Buddha. Der Name ‘Pratyeka’ bedeutet, ‘jeder für sich selbst’; und dieser ‘jeder-für-sich-selbst’-Geist ist gerade das Gegenteil von dem Geist, der in dem Orden der Buddhas des Mitleids herrscht, denn in dem Orden des Mitleids herrscht der Geist: Gib auf dein Leben für alles, was da lebt.

Der ‘Einzelne’ weiß, daß er nicht zur spirituellen Herrlichkeit vordringen kann, ehe er nicht das spirituelle Leben führt, wenn er nicht seine spirituelle Natur pflegt. Da er das aber nur tut, um spirituellen Gewinn, geistiges Leben für sich allein zu erringen, ist er ein Pratyeka-Buddha. Er strebt letzten Endes für sich. Es besteht ein persönlicher Eifer, ein persönlicher Wunsch, vorwärtszukommen und um jeden Preis das Höchste zu erringen. Wer jedoch dem Orden der Buddhas des Mitleids angehört, hat seine Augen auf dasselbe ferne Ziel geheftet, erzieht sich jedoch von allem Anfang an zu völligem Selbstvergessen. Das ist offensichtlich eine ungleich größere Arbeit und dementsprechend sind auch die Belohnungen.

Die Zeit kommt, wo der Pratyeka-Buddha, so heilig er ist, so erhaben er in Ideal und Streben auch ist, einen Entwicklungszustand erreicht, von dem aus er auf jenem Pfad nicht weiter vorwärtsgehen kann. Hingegen hat der andere, der sich gleich von Anfang an mit der ganzen Natur und mit ihrem Herzen verbindet, ein ständig wachsendes Arbeitsgebiet, so wie sich sein Bewußtsein weitet und dieses Gebiet erfüllt. Und dieses wachsende Gebiet ist einfach unbegrenzt, weil es die grenzenlose Natur selbst ist. Er wird völlig eins mit dem spirituellen Universum, während der Pratyeka-Buddha nur eins wird mit einem besonderen Strang oder Strom der Entwicklung im Universum.

Der Pratyeka-Buddha erhebt sich in das spirituelle Reich seines eigenen inneren Seins, hüllt sich darin ein und geht sozusagen zur Ruhe. Der Buddha des Mitleids erhebt sich ebenfalls wie der Pratyeka-Buddha zu den spirituellen Reichen seines inneren Seins, doch verbleibt er nicht dort, weil er unaufhörlich wächst und eins wird mit dem All oder es versucht, und er erreicht das auch im Laufe der Zeit tatsächlich.

Der Buddha des Mitleids ist einer, der alles gewonnen, alles errungen hat, der das Recht auf kosmischen Frieden und Glückseligkeit erworben hat und auf all das verzichtet, damit er als Sohn des Lichts zurückkehren kann, um der Menschheit, ja, in Wirklichkeit allem zu helfen, was da ist. Der Pratyeka-Buddha geht weiter und tritt in die unsagbare Seligkeit Nirvāṇas ein, und dort verbleibt er ein Äon lang oder auch eine Million Äonen, je nachdem; dagegen schreitet der Buddha des Mitleids, der allem um der Barmherzigkeit willen entsagt hat, weil sein Herz ganz von Liebe erfüllt ist, mit seiner Entwicklung weiter. So kommt auch die Zeit, wo der Buddha des Mitleids, obgleich er allem entsagt hat, weit über den Zustand hinausgelangt ist, den der Pratyeka-Buddha erreicht hat. Und wenn der Pratyeka-Buddha nach einer bestimmten Zeit aus dem nirvāṇischen Zustand heraustritt, um seine evolutionäre Reise erneut anzutreten, dann wird er sich weit hinter dem Buddha des Mitleids finden.

Das Ich, die Ichhaftigkeit, die Selbstsucht sind gerade die Dinge, die die Buddhas des Mitleids zu vergessen und zu überwinden suchen, worüber sie hinauszukommen trachten. Das persönliche Selbst muß verschmelzen mit dem individuellen Selbst, das sich dann seinerseits in dem universalen Selbst verlieren muß.

Sie werden ‘Buddhas des Mitleids’ genannt, weil sie ihre Einheit fühlen mit allem, was da ist, und dies mit zunehmender Entwicklung immer mehr, bis ihr Bewußtsein schließlich mit dem Universum verschmilzt und ewig und unsterblich lebt, weil es eins ist mit dem Universum. Der Tautropfen rinnt in das strahlende Meer – in seinen Ursprung.

Indem die Buddhas des Mitleids den Drang allmächtiger Liebe in ihrem Herzen fühlen, schreiten sie ständig vorwärts, zu immer erhabeneren Höhen spiritueller Vollkommenheit; der Grund liegt darin, daß sie zu Trägern universaler Liebe geworden sind. Da unpersönliche Liebe universal ist, erweitert sich ihre ganze Natur mit den universalen Kräften, die durch sie wirken. Strebe nicht nach Heiligkeit für dich. Strebe nach Heiligkeit wie andere danach streben, doch nur, damit du dich um anderer willen vergessen kannst. Liebe sucht nie sich selbst. Liebe sucht immer zu geben. Liebe ist die erste Stufe zum Aufstieg. Sie bestimmt auch alle Zwischenstufen. Und sie ist auch die letzte, wenn es eine letzte Stufe gibt. Liebe ist auch die letzte und höchste Initiation auf Erden – unpersönliche Liebe, denn diese Liebe ist göttlich!

Die Mahātmas sind noch keine Buddhas. Ein Buddha ist ein Mahātma höchsten Grads. Ein Mahātma ist einer, der selbstbewußt im spirituellen Teil seines Wesens lebt, während ein Buddha selbstbewußt im göttlich-spirituellen Teil seiner Konstitution lebt.

Die Meister sind Menschen, und zwar sehr erhabene, und das bringt sie uns so nahe und macht sie uns so lieb. Sie nehmen die Stufe unmittelbar über der gewöhnlichen Menschheit ein. Sie sind Seelen-Menschen in menschlichen Körpern. Sie fühlen wie Menschen, sie verstehen Menschenleid und Menschenweh und können ermessen, was menschliche Fehler und Sünden sind; deshalb haben sie menschliche Herzen, die von zartem Mitgefühl und Mitleid bewegt sind. Sie wissen auch, wenn die Gelegenheit es erfordert, um die Notwendigkeit einer starken, führenden Hand. Sie sind Brüder, zartfühlende und großherzige Menschen, mit hervorragenden geistigen und intellektuellen Kräften und Fähigkeiten.

‘Diamantherz’ ist die Bezeichnung, die auf die Mahātmas angewendet wird; und sie hat ihre symbolische Bedeutung. Sie kennzeichnet das kristallklare Bewußtsein, das das Leid der Welt widerspiegelt, das den Ruf nach Hilfe aufnimmt und ihn weitergibt und das den buddhischen Glanz im Herzen einer jeden ringenden Seele auf Erden widerspiegelt; dennoch ist es hart wie ein Diamant gegen alle Rufe der Persönlichkeit, der Ich-Person und zuallererst gegen die eigene persönliche Natur des Mahātmas.

Wenn der Mahātma seinen physischen Körper aufgibt und in seinen anderen Prinzipien lebt, dann wird er de facto zu einem Nirmāṇakāya, der in der aurischen Atmosphäre der Erde lebt und unsichtbar für die Menschheit wirkt und so einen der lebenden Steine im Schutzwall bildet.

Der Nirmāṇakāya ist ein vollständiger Mensch mit allen Prinzipien seiner Konstitution, außer dem Linga-Śarīra und dem zugehörigen physischen Körper. Er lebt auf jener Ebene des Seins, die um eine Stufe höher ist als die physische, und seine Absicht hierbei ist es, die Menschen vor sich selbst zu retten, indem er mit ihnen lebt, indem er ihnen unaufhörlich Gedanken spiritueller und moralischer Schönheit, der Aufopferung, des Selbstvergessens einflößt, Gedanken gegenseitiger Hilfe, des Mitleids und Erbarmens. Auf diese Weise bildet er einen der Steine in dem Schutzwall, der die Menschheit unsichtbar umgibt.

Die meisten Mahātmas bereiten sich vor, Buddhas des Mitleids zu werden und deshalb dem nirvāṇischen Zustand zu entsagen.

Der wahre Buddha des Mitleids lehnt Nirvāṇa für sich ab, um der Welt zu helfen, weil er verkörpertes Mitleid ist. Er lebt durch Äonen, wirkt für alles, was da ist, schreitet stetig vorwärts durch selbstunternommene Anstrengungen, durch selbstgeleitete Evolution zum Göttlichen, der Gottheit entgegen; und es ist diese höchste Selbstaufopferung des Menschenwesens, von verfeinertster und erhabenster Art, die dem Menschen überhaupt vorstellbar ist, die einen Buddha zu einem so heiligen und hehren Wesen macht.

Der Buddha steht sogar höher als ein Avatāra, denn der Buddha ist eine freiwillige Verkörperung von Weisheit und Mitleid, von Erbarmen, Liebe und Selbstvergessenheit. Als Söhne der Sonne spenden die Buddhas Licht, wo immer sie auch hingehen. Sie verharren durch die Jahrtausende und bilden einen Schutzwall um die Menschheit, beschützen sie vor kosmischen Gefahren, Gefahren, von denen nur die hohen Eingeweihten etwas wissen. Ja, die Buddhas, die Erhabenen, sind die heiligsten!

Mit der Entscheidung zum Pratyeka-Buddha oder zum Buddha des Mitleids ist ein Element einer bewußten Wahl verbunden, die jeder eines Tages treffen muß.

Welchen Pfad wirst du dann wählen, den Pfad der Buddhas des Mitleids oder den Pfad der Pratyeka-Buddhas? Beide sind edel. Beide führen zu Höhen spiritueller Erhabenheit – der eine, der Pfad des Mitleids, ist der göttliche Pfad; der andere ist der Pfad persönlicher Ruhe, absoluten Friedens, der Glückseligkeit und des Lebens im Göttlichen. Einmal wirst du diese Wahl treffen müssen. Die Ergebnisse der Entscheidung für den Pfad des Selbstvergessens, des Mitleids und der unpersönlichen Liebe zu allem anderen werden dich zwar zeitweilig in den Reichen der Täuschung und der Materie belassen, sie werden dich aber schließlich doch auf einen Pfad leiten, der dich gerader als jeder andere zur innersten und tiefsten Kammer des universalen Herzens führt; denn du hast den unpersönlichen Geboten kosmischer Liebe gehorcht, und das bedeutet, du hast dich bewußt mit dem Göttlichen verbunden.

Nirvāṇa für sich selbst zu erstreben, kann man als eine Art verfeinerter spiritueller Selbstsucht ansehen, denn der Versuch, Nirvāṇa für sich allein zu erringen, ist lediglich individuelle Sehnsucht nach Befreiung aus dem geoffenbarten Leben, der Wunsch, abseits zu stehen in absolutem Frieden, in absoluter Glückseligkeit, in reiner Bewußtheit und ohne Rücksicht auf alles andere.

Wie anders hingegen ist die Lehre unseres Herrn: „Kann ich in vollkommener Glückseligkeit verweilen, wenn auch nur ein einziges Menschenherz in Schmerzen schlägt?“ Gib mir lieber, so ist der Gedanke, das Martyrium persönlichen Daseins, damit ich anderen helfen und sie trösten kann, anstatt die rein individuelle, selbstische Glückseligkeit des Paranishpanna zu erringen.

Wo ist die Sonne des Erbarmens und des Mitleids, des Selbstvergessens und des Friedens? Bewegt nicht Erbarmen und Mitleid deine Seele? Mitleid wurzelt in Liebe, und Harmonie und Liebe sind im Grunde dasselbe. Seine wirkliche Natur, sein innerstes Wesen ist, daß jeder Teil fühlt, was jedem anderen Teil zustößt; und das nennen die Menschen, in seinen höheren Aspekten und wenn es im Menschenherzen zum Ausdruck kommt, Mitleid.

Mitleid ist das ureigenste Wesen und die Grundstruktur des Universums selbst, das Kennzeichen seines Seins; denn Mitleid bedeutet ‘mitleiden’, und das Universum ist ein Organismus, ein riesiger, gewaltiger Organismus, ein Organismus ohne Grenzen, den man auch universales Lebensbewußtsein nennen könnte.

Mitleid ist das Grundgesetz des Herzens der Natur. Es bedeutet Einswerden mit dem göttlichen Universum, mit dem universalen Leben und Bewußtsein. Es bedeutet Harmonie; es bedeutet Frieden; es bedeutet Glückseligkeit; es bedeutet unpersönliche Liebe.

Hast du dieses erhabene Schauen erlangt, dann verschließe deine Augen nicht vor dem Leiden anderer, sondern verwende dein Leben gleich den Buddhas des Mitleids dazu, allen Wesen zu helfen; zuerst, indem du dich selbst emporhebst, unpersönlich, nicht persönlich –, so daß du auch anderen dazu verhelfen kannst, das göttliche Licht zu sehen.

Gibt es etwas Schöneres, Höheres, Edleres, als gebrochenen Herzen Trost, verdunkelten Gemütern Licht zu bringen und die Menschen Liebe, Liebe und Vergebung zu lehren?

Den Menschen Frieden zu bringen, ihnen Hoffnung zu geben, ihnen Licht zu bringen, ihnen den Weg aus dem verwirrenden Labyrinth materieller Existenz zu weisen, den Mitmenschen das Wissen um ihre eigene grundlegende Göttlichkeit als Wirklichkeit wiederzugeben, ist das keine erhabene Aufgabe?

Friede allen Wesen!


Sachworterklärungen

Avatāra – Göttliche Inkarnation in der Menschenwelt.

 

Bodhisattva – Kurz vor der Buddhaschaft stehender spirituell hochentwickelter Mensch, dessen Wesen (Sattva) Weisheit (Bodhi) ist.

Buddha – Erleuchteter, vollkommen erwachter Mensch.

 

Buddha des Mitleids – Ein Buddha, der aus Mitleid für die Menschen auf Nirvāṇa verzichtet und weiterhin für die Menschheit wirkt.

Buddhi – Das spirituelle Prinzip im Menschen.

 

Chela – Schüler eines spirituellen Lehrers.

Dhyāni-Buddha – Spirituelle kosmische Wesenheit.

 

Hpho-wa – Die okkulte Fähigkeit, den Māyāvi-Rūpa (die astral-mentale Erscheinungsform, den Gedankenkörper) aussenden zu können.

Christos – Hier das mystische, immanente spirituelle Prinzip, die unsterbliche Individualität im Menschen, ein Kind des „Vaters im Himmel“, des göttlichen Funkens im Menschen.

 

Esoterik – Geheimlehre. Das Gebiet der esoterischen, d. h. der geheimen Lehren, die die inneren Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten von Mensch und Universum erläutern.

Evolution – Im theosophischen Sinn die Entfaltung der innewohnenden göttlichen Kräfte und Fähigkeiten, der Göttlichkeit, die im Herzen aller Dinge und Wesen verborgen ist.

 

Initiation – Einweihung.

Karma – Das universale Gesetz der Rückwirkung, das nicht nur auf die physische Ebene beschränkt ist, sondern auch in den spirituellen, mentalen und psychischen Bereichen wirkt.

 

Layazentrum – Durchgangspunkt zwischen benachbarten Daseinsebenen.

Mahātma – „Große Seele“. Ein Meister der Weisheit, des Mitleids und des Lebens.

 

Manvantara – Manifestationsperiode.

Mantra – Heiliger Vers, Spruch oder mystischer Gedanke zur geistigen Betrachtung.

 

Māyā – Illusion. Die menschlichen Sinne vermitteln von den geoffenbarten Dingen trügerische Vorstellungen, die nicht der zugrundeliegenden Wirklichkeit entsprechen.

Mānushya-Buddha – Menschlicher Buddha.

 

Nirmāṇakāya – Halbgöttliches menschliches Wesen, das ohne physischen und ohne Astralkörper auf einer über der physischen Ebene liegenden Daseinsebene lebt und zum Wohl der Menschheit wirkt.

Nirvāṇa – Zustand höchsten spirituellen, grenzenlosen Bewußtseins.

 

Pratyeka-Buddha – Ein Buddha, der im Gegensatz zu den Buddhas des Mitleids die Buddhaschaft „für sich allein“ verwirklicht hat und in Nirvāṇa eintritt.

Paranishpanna – Göttlicher Bewußtseinszustand, höher als Nirvāṇa, in den Brahmā, der göttliche Aspekt des Sonnensystems, während seines Todes (Mahā-Pralaya) eintritt.

 

Tanhā – „Durst“ nach materieller Existenz, der das reinkarnierende Ego in die irdische Existenz zurückführt.

Tṛishṇā – „Durst nach materiellem Leben“ – entspricht dem Pāli-Wort Tanhā.

 

Theosophie – Göttliche Weisheit, göttliches Wissen.

 

Vision – Hier spirituelle Wahrnehmung.

 

Fußnoten

1. Diese vier Pfade entsprechen genau den vier sozialen und politischen Schichten der früheren Kulturen Hindustans in der vedischen Periode: der Śūdra (Ackerbauer); der Vaiśya (Handeltreibender); der Kshattriya (Verwaltungsbeamter, Krieger, König, Fürst, kurz, die Klasse der Staatsbeamten usw. ) und viertens der Brāhmaṇa (der Philosoph und Weise). [back]