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Die Leuchte Asiens

Viertes Buch

Doch als die Zeit erfüllet war, geschah
Der Auszug unsres Herrn, – so musst’ es sein; –
Wohl bracht’ er Jammer in das Goldne Haus,
Dem Lande Sorge und dem König Schmerz:
Doch zur Erlösung allen Fleisches nur
Geschah’s, um aufzurichten das Gesetz,
Das jeden, der es höret, wird befrei’n.

Leis sinkt herab in Indien die Nacht
Und deckt das weite Feld mit Vollmondschein
Im Monat Chaitra-Shud 104, wenn lieblich sich
Die Mangos röten, wenn die Luft erfüllt
Mit der Ashoka-Knospen 105 süßem Duft,
Wenn das Geburtsfest Ramas naht, und froh
Der heitern Lust sich hingibt Stadt und Land.
Leis jene Nacht sank über Vishramwan,
Von Blütenduft durchzogen; droben war
Gleich Edelsteinen Stern an Stern gereiht;
Kühl von des Himalaya Schneegefild
Hernieder seufzend strich die Bergesluft;
Ob dem Gebirg im Osten stieg der Mond
Am sternenfunkelnden Gewölb’ hinauf,
Und goss herab sein Licht zur kräuselnd leicht
Bewegten Flut Rohinis, auf die Berg’
Und Täler, übers schlummerstille Land.
Am Lusthaus nahebei versilbert’ er
Des Daches First; nichts regte sich im Haus,
Nichts wachte drinnen, nur am äußern Tor
Erscholl der Ruf der Wächter: Mudra106 und
Als Losung drauf: Angana107 und sobald
Die Runde nahte, dumpfer Trommelton.
Still lag die Erde, nur der Schakal schlich
Nach Beute, bellend, und die Grille sang
Im Garten ohne Rast ihr zirpend Lied.

Doch drinnen – wo der Mond durchglitzerte
Durchbroch’ne Mauern, die Perlmuttwand
Mit sanftem Licht beschien, den Boden auch
Aus fein geädert buntem Marmorstein, –
Da fiel sein Strahl auch mild hernieder auf
Der ind’schen Jungfrauen erles’ne Schar;
Es war gleichwie ein Raum im Paradies
Wo Devīs schlummern, denn es ruhten dort
Die Schönsten aus Siddārthas Lustpalast,
Die Lieblichsten und Treuesten am Hof;
So hold in Schlafes Frieden jede war,
Dass man wohl meinte, dies die Schönste sei;
Doch ruhten ihr zur Seit’ und hinter ihr
Noch Schönre, immer Schönre; und der Strahl
Glänzt’ über all dies Fest der Schönheit hin,
Wie er wohl glänzt auf eines Goldschmieds Werk
Von Edelstein zu Edelstein, und ihn
Gefangen eines jeden lichter Glanz
Hält, bis zum nächsten er hinüber blinkt.
In unbefang’ner Anmut lagen sie,
Verhüllt zum Teil die Glieder braun und zart,
Entblößt zum Teil auch; teils ihr glänzend Haar
Mit Gold und Blumen aufgebunden, teils
Gelöst in schwarzem Wellenfluss herab
Auf wohlgeformten Nacken rollend. So,
In holden Traum versenkt, nach frohem Spiel
In leichtem Schlaf sie friedlich schlummerten,
Wie bunte Vöglein, die mit Lieb’ und Sang
Den Tag verbringen, und des Abends dann
Das Köpfchen unterm Flügel bergen, bis
Aufs Neu’ der Morgen Sang und Liebe bringt.
An Silberketten von der Deck’ herab
Getriebne Silberlampen schwebten, die,
Gefüllt mit duft’gen Ölen, mischten mit
Des Mondes Strahl ihr dämmernd Licht, sodass
Ein reizvoll Licht- und Schattenspiel entstand.
Der Schönheit reinste Linien sah man da,
Wie ruhig atmend sich der Busen hob,
Die zarten Hände hier geöffnet, dort
Geschlossen waren, sah auch dunkel-schön
Die Angesichter mit der Brauen fein
Geschwung’nem Bogen, den geöffneten
Korallenlippen, sah die Zähne gleich
Den Perlen, die ein Kaufmann reiht zum Schmuck
Die seid’nen Augenlider, und gesenkt
Die Wimpern auf der zarten Wangen Reiz;
Das wohlgerundete Gelenk der Hand,
Die kleinen Füßchen auch, mit Flittertand
Und Glöckchen rings behängt, so dass sich leis
Geklingel wie Musik erhob, sobald
Der Schläferinnen eine sich geregt,
Wenn ihr ein holder Traum zu Ende ging
Vom neuen Tanze, den der Prinz gelobt,
Vom Wunderring, vom Liebeszaubertrank.
Hier eine lag gestreckt, noch an der Wang’
Das Saitenspiel, und in den Saiten noch
Die kleinen Finger, wie vom letzten Griff,
Als ob des heitern Liedchens letzter Ton
Die Augen all’ in Schlaf gewiegt, und auch
Die eignen ihr versiegelt. In dem Arm
Hielt eine andere im Schlummer noch
Fest eine Antilope; die verbarg
Den schlanken Kopf mit schwarzgewund’nem Horn
An ihrem Busen, sanft gebettet; als
Sie beid’ entschliefen, fraß das Tier gerad’
An roten Rosen, darum lose hielt
Noch eine Rose, halb zernagt, die Hand,
Indes ein Rosenblatt sich kräuselte
Im Maul des Tieres. Hier war eingenickt
Ein Paar von Freundinnen, wie sie geschickt
Sternförm’ge Jasmin-Blumen süßen Dufts
Zur Kette wanden, die sich um sie schlang,
Verbindend wie die Herzen so den Leib;
Auf blum’gem Pfühl die eine lag, an sie
Gelehnt, die andre. Edelsteine reiht’
Auf eine Schnur zum Halsgeschmeide, eh’
Sie einschlief, eine andre, Onyx, Sarder,
Achat, Korallen, Mondstein; schimmernd legt’
Um ihren Körper sich das farb’ge Band,
Und in der Hand hielt sie als Schlussstein noch,
Mit goldnen Göttern eingelegt und Schrift,
Die Perle von Türkis. So lagen sie
Auf weichen Decken; murmelnd sang der Strom
Des Gartens sie in Schlummer; jungfräulich
Wie eine Rosenknospe jede, die
Nur auf die Morgendämm’rung harrt, um dann
Sich aufzutun dem holden Tageslicht.
Dies war des Prinzen Vorgemach; doch nah
Des Vorhangs Falten schliefen Gotami
Und Ganga, sie die Schönsten, Oberste
Im stillen Haus der Liebe.

Rot und blau,
Mit goldnen Fransen, hing der Vorhang da
Vor einer Tür, geschnitzt aus Sandelholz;
Drei Stufen ging’s hinauf zum glänzenden
Gewölbten Schlafgemach, wo sich erhob
Ein Baldachin, mit silberfarbnem Tuch
Bekleidet, – weich trat dort auf der Fuß, wie
Gar auf Schichten angehäuft von Blüten
des Niembaums. Unter ihm gebreitet war
Das Lager. Rings mit Perlen ausgelegt
Die Wände waren, wie die Muscheln sie
In Lankas 108 Wogen bieten. Oben an
Der Alabasterdecke lief ein Fries,
Mit Lotos und mit Vögeln eingelegt,
Aus Lazuli und edlem Stein gefügt,
Jaspis und Hyazinth; er legte rings
Sich um die Wölbung, lief zur Seit’ herab
Und fasst’ die Fenster ein, wo zierliches
Geschnitzes Gitterwerk das Mondenlicht
Hereinließ und den kühlen Atemzug
Der Nachtluft, der sich mischte mit dem Duft
Der Blüten aus dem würzigen Jasmin;
Doch kamen Licht und Duft an Schönheit nicht
Dem holden Paare gleich, das drinnen ruht’:
Dem Śākya-Prinzen und Yasōdhara.

Erhoben halb von ihrer Ruhestatt,
Entblößt die Schulter, das Gesicht bedeckt’
Mit beiden Händen, die Prinzessin saß;
Ihr Busen senkt’ und hob sich, schmerzbewegt,
Und Tränen flossen von der Wang’ herab.
Dreimal berührte mit den Lippen sie
Siddārthas Hand, und seufzt’ im dritten Kuss:
»Wach’ auf Geliebter! Deine Stimme lass
Zum Trost mich hören!« Und Siddārtha sprach:
»Was ist’s mit dir, mein Leben?« Aber sie
Schwieg seufzend, bis die Sprache ihr zurück
Gekommen, schluchzte dann: »Ach, liebster Freund,
Glückselig schlief ich ein: Es hatte sich
Geregt zur Nacht das süße Pfand, das ich
Von dir empfing, es klopfte doppelt mir
Das Herz von Lust und Lieb’ und Leben; so
Dass ich entschlummerte, wie eingewiegt
Von seliger Musik, – doch weh! Im Schlaf
Sah dreimal ich ein schrecklich Traumgesicht, –
Es pocht das Herz mir noch, denk’ ich daran.
Ich sah mit ries’gen Hörnern einen Stier,
Schneeweiß, des Weidelands gebornen Herrn;
Wie er durchschritt die Straßen, glänzt’ ihm auf
Der Stirn ein Edelstein, der funkelte
Als ob ein Stern auf ihn vom Himmel fiel, –
Gleich wie der Kanthastein 109 im Diadem
Der Großen Schlange in der Unterwelt
Ein Licht verbreitet wie der helle Tag.
Langsam die Straßen er zum Tor durchschritt,
Und niemand konnt’ ihn halten, ob auch gleich
Aus Indras Tempel eine Stimme rief:
»Hemmt ihr ihn nicht, so wird der Ruhm der Stadt
Von hinnen scheiden.« Doch zu hemmen ihn
Vermochte keiner. Da, laut weinend, warf
Ich meine Arm’ ihm um den Hals und hielt
Mit aller Macht, und bat, dass man das Tor
Verschlösse; doch der königliche Stier
brüllt’ und macht’ mühelos den Hals sich frei
Und riss von mir sich los, dann brach er durch
Das Tor, zertrat die Wächter und entwich.
Darauf erschien mir dieses seltsame
Gesicht: Vier Wesen, strahlenäugig, licht,
Schön wie die vier Regenten unsrer Welt,
Die auf Sumeru wohnen, senkten sich
Vom Himmel nieder mit Gefolge von
Unzähl’gen Himmelswesen; raschen Flugs
Zu unsrer Stadt sie schwebten, und ich sah
Das goldne Banner Indras auf dem Tor
Erzitternd fallen; sieh! an seiner Statt
Erhob ein glänzend Banner sich, besät
War’s mit Rubinen dicht, und feur’ge Glut
In all den seidnen Falten flimmerte;
Drauf standen seltne Worte, mächtige
Denksprüch’, an deren Sinn die Welt sich labt;
Von Osten her blies frisch der Morgenwind,
Mit sanftem Wehn entrollt’ er das Panier,
So dass alles Fleisch lesen mochte, was
Geschrieben stand; und Blumen wunderbar,
Gepflückt in fremder Gegend, regneten
In Schauern nieder, farbenprächtig so
Wie keine man in unsern Hainen sieht.«

Da sprach Siddārtha:
»Hübsch zu schauen war das alles, meine
Lotosblume.«

»Ach, Herr«, erwidert’ sie, »hätte es nur
Geendet nicht mit fürchterlichem Ton
Von einer Stimme aus der Luft, die schrie
Und rief: ›Die Zeit ist nah! Die Zeit ist nah!‹
Dann kam der dritte Traum: Ich spähte hin
Zu dir, Geliebter! – Weh, auf unserm Bett
Sah ich ein leeres Kleid, und unberührt
Die Kissen, – nichts von dir als dieses, nichts
Von dir, mein Licht, mein Leben, meine Welt!
Noch schlafend stand ich auf, und schlafend sah
Ich, wie der Perlengürtel, dein Geschenk,
Den unterhalb der Brust ich trug, sich in
Ein stechend Schlangentier verwandelte;
Die goldnen Knöchelringe fielen ab,
Und aller Zierrat schwand; in meinem Haar
Zu Staub verdorrte der Jasminenzweig;
Zur Tief hinab sank unser eh’lich Bett,
Ein Etwas riss den Purpurvorhang weg;
Dann hört’ ich brüllen fern den weißen Stier,
Und wieder jenen Ruf: ›Die Zeit ist da!‹
Bei diesem Ruf, – noch schaudert mir davon, –
Erwacht’ ich! O mein Prinz, was mögen wohl
Bedeuten solche Träume sonst, als dass
Ich sterbe, oder – schlimmer als der Tod –
Du mich verlässt, ich dich verlieren soll?«

Süß und
Sanft wie der Abendsonne letzter Schein
Herab sich neigte auf sein weinend Weib
Siddārtha lächelnd. »Tröste, Liebste, dich!«
So sprach er, »wenn ein Trost unwandelbar
Getreue Liebe ist. Denn mögen auch
Der Zukunft Schatten deine Träume sein,
Und mögen Götter beben auf dem Thron,
Mag nah daran vielleicht die Welt, zum Heil
Den Weg’ zu finden, sein – was immer kommt
Für dich und mich, das eine ist gewiss:
Ich liebt’ und liebe stets Yasōdhara.
Du weißt ja, wie ich grüble manchen Mond
Und suche für die trauervolle Welt,
Die nun ich sah, zu finden ew’ges Heil;
Und kommt die Zeit, so wird geschehn, was muss.
Doch wenn mir unbekannter Herzen Leid
Die Seele schmerzlich schon bewegt, und ich
Bekümmert bin um Kummer, der nicht mein:
Urteile selbst, wie die Gedanken mir,
So hoch sie schwingen sich, doch weilen stets
Bei all den Seelen müssen, die mit mir
Das Leben teilen, und versüßen meins, –
Sie alle teuer! Und am teuersten,
Am liebsten, besten, nächsten deine doch,
Du Mutter meines Kindes, die sich mir
Zu dieser holden Hoffnung Zweck gesellt:
Ob auch mein Geist durchstreifte Land und See
Auf weiter Fahrt, – voll Mitleid für die Welt,
So wie die Taube auf dem fernen Flug
Voll Mitleid ihrer Kleinen denkt im Nest, –
Stets kam er doch auf frohen Flügeln heim,
Sich sehnend liebevoll nach dir, in der
Der Menschheit höchste Lieblichkeit erscheint,
Von allen Guten du die Beste, von
Den Zärtlichen die Zärtlichste, und mein
Vor allen andern. Drum, was immer auch
Fortan geschehen mag, gedenke wohl,
Wie jener königliche Stier gebrüllt,
Und wie das Banner edelsteingeschmückt
Zum Abschied flatternd dir im Traum gewinkt;
Und sei gewiss, dass ich dich stets geliebt,
Dass ich dich lieben werde immerdar,
Und dass ich, was ich suchte, doch zumeist
Gesucht um deinetwillen. Sei getrost!
Und wenn dir Sorge naht, so tröste dich
Und denke, dass auf Erden wohl ein Weg
Zum Frieden führen mag durch bittres Leid.
In diese liebende Umarmung leg’
Ich jetzt hinein, was treue Liebe nur
An Dank empfindet und an Segen sinnt, –
Ach viel zu wenig für mein liebend Herz; –
Nun küss’ mich auf den Mund, und trinke so
Von Herz zu Herzen meine Red’, auf dass,
Was andre nicht erkennen, du erkennst:
Dass ich dich liebt’ am meisten, weil ich so
Mit Lieb’ umfasste die gesamte Welt.
Nun geh’ zur Ruh; mein Auge wacht für dich.«

So schlief sie weinend ein und seufzt’ im Schlaf,
Als naht’ ihr wiederum der Traum: »Die Zeit!
Die Zeit ist da!« Siddārtha wandte sich,
Und sieh’! Der Mond stand nah beim Sternenbild
Des Krebses; und in jener Ordnung, wie
Sie längst zuvor verkündet, leuchteten
Die silbernen Gestirn’, als sprächen sie:
»Dies ist die Nacht! – Jetzt wähle du den Weg
Der Größe oder der Erlösung Pfad:
Entweder zu gebieten Königen
Als König, oder kron- und heimatlos
Allein zu wandern, zu der Menschheit Heil.«
Und wie der Sternenglanz zu flüstern schien,
Vernahm sein Ohr aufs Neue jenes Lied,
Das Devas einst gesungen ihm im Wind:
Und wahrlich, Götter weilten dort, den Blick
Zu ihm gewandt, wie er zum Sternenschein.

Er sprach: »Ich scheide jetzt; die Stund’ ist da!
Dein holder Mund, geliebte Schläferin,
Hat mich an jene Pflicht erinnert, die
Die Welt erlöst, doch uns nun ewig trennt;
Am Sternenhimmel droben schweigend steht
Geschrieben mein Geschick mit Flammenschrift.
Dazu nur kam ich auf die Welt, dazu
Hat Tag und Nacht das Schicksal mich geführt.
Nicht will ich haben jene Krone, die
Mir einst gehören soll; dem Königreich
Entsag’ ich, das nur bang’ erwartet, dass
Ich blitzend schwinge mein entblößtes Schwert:
Mit blut’gen Rädern soll mein Wagen nicht
Von Sieg zu Siegen rollen, bis der Welt
Mein Name aufgeprägt mit roter Schrift.
Nein, mit geduld’gem, unbeflecktem Fuß
Betret’ ich ihre Pfade, und ihr Staub
Mein Bette sei, der Wüsten Einsamkeit
Sei mir Behausung, und das Niedrigste
Auf Erden sei gesellt mir; mein Gewand
Sei stolzer nicht als des Verstoß’nen Kleid;
Nur was freiwillig mir das Mitleid gibt,
Sei Nahrung mir; als Obdach sei genug
Der Dschungelbusch, die finstre Höhle mir.
Dies will ich tun, weil meinem Ohr ertönt
Leidvoll der Schmerzensruf des Lebens und
Der Kreatur, weil meine Seel’ erfüllt
Erbarmen für die Leiden dieser Welt;
Ich will sie heilen, wenn dies Werk gelingt
Der äußersten Entsagung, harten Kampfs.
Denn wer von all den Göttern groß und klein
Hat Mitleid oder Macht? Wer sah sie je?
Was taten sie, zu helfen ihrem Volk?
Was hat den Menschen ihr Gebet genützt,
Des Korns und Öles Zehnter? Was der Sang
Der Zauberformeln? Und sie schlachteten
Die schrei’nden Opfertiere, bauten hoch
Die stolzen Tempel, gaben Unterhalt
Der Priesterschaft und riefen Vishnu 110 an
Und Shiva, Suryadeva auch, die doch
Erretten niemand, – auch den Besten nicht –
Aus jenem Jammer, von dem Kunde gibt
Dies schmeichelnde und angsterfüllte Flehn,
Das Tag für Tag emporsteigt, – leer wie Rauch!
Gelang es einem meiner Brüder, so
Des Lebens Nöten zu entfliehn, dem Schmerz
Von Lieb’ und Scheiden? Wurd’ er je befreit
Von Fiebers Feuerglut und Schüttelfrost
Auf diese Weise? Und versank er nicht
Langsam und dumpf in welkes Greisentum,
In bittern Tod, – und was dahinter liegt –,
Bis wieder ihn des Lebens kreisend Rad
Erfasst, ein neues Sein die Sorgen auch
Von Neuem bringt, bis naht ein neu Geschlecht
Mit neuen Wünschen, um am Schlusse doch
Enttäuscht zu enden in derselben Art?
Fand eine meiner zarten Schwestern je
Für frommes Fasten Lohn, für heißes Flehn?
Ward ihr für treue Opfergaben je
In Mutterschmerzen Linderung zuteil?
O nein! Wohl mag es sein, dass einige
Der Götter gut sind, andre böse, doch
Zu Taten sind sie all’ der Kraft beraubt;
Ist ihrer einer auch erbarmungsreich,
Ein andrer mitleidlos, – sie beide sind
Gleichwie die Menschen an des Schicksals Rad,
Das rollende, gekettet; mag bekannt
Auch ihnen sein, was in Vergangenheit
Und Zukunft bringt der Seelen Wanderung.
Wohl glaublich scheint’s, was uns die Schrift gelehrt:
Dass einmal, wo auch immer und woher,
Des Lebens Rad vollendet seinen Kreis;
Vom Staub zum Wurm, zur Mücke steigt man auf,
Zum Fisch, zum Vogel und zum wilden Tier,
Zum Menschen dann, zum Dämon, Deva, Gott,
Und wieder dann zu Erd’ und Staub; so sind
Mit allem wir verwandt; wenn Einer nun
Die Menschheit rettete von ihrem Fluch,
Dann hätte Teil die ganze weite Welt
An der Erleuchtung aus der Nacht des Wahns,
Der sie umschattet noch mit kalter Furcht
Und Lust empfindet an der Grausamkeit!
Ja, gäb’ es einen Retter! Doch es muss
Ein Mittel geben, einen Trost im Leid!
In Winters Kälte starb der Mensch dahin,
Bis Einer Feuer schlug aus hartem Stein,
Der lang in kalter Hülle barg, was er
Der Sonne abgeborgt, des Funkens Glut.
Sie schlangen wie die Wölfe rohes Fleisch,
Bis einer Korn gesät, das wuchs zum Halm,
Und gibt dem Menschen jetzt das Lebensbrot;
Sie stammelten, bis eine Zung’ erfand
Der Sprache Laut, bis den gesprochnen Ton
Geduld’ger Hände Werk zur Schrift geformt.
Welch gute Gabe hat die Menschenwelt,
Die nicht durch liebend Suchen, harten Kampf
Errungen ward, durch Selbstaufopferung?
Wenn Einer nun, in Glück und Herrlichkeit,
In Freiheit, Reichtum, Kraft, der von Geburt
Zum Herrschen auserkoren ward, der, wenn
Er herrschen will, der Kön’ge König wird;
Wenn Einer, nicht vom langen Lebenstag
Ermattet schon, nein, freudig noch und frisch
Am Lebensmorgen, nicht gesättigt schon
Vom Mahl der Liebe, noch begehrungsvoll;
Wenn einer, der noch nicht zermartert und
Verschrumpft von trauervoller Weisheit, nein,
In Glanz und Schönheit prangend, die sich hier
Im Jammertal mit Üblen vermischen,
Der frei sich wählen nach Belieben kann
Der Erde Schönstes: Einer, so wie ich,
Den Leid und Not und Kummer nicht bedrückt,
Wär’s nicht ein Kummer, der nicht ihm gehört,
Der mit der ganzen Menschheit ihm gemein, –
Wenn Solcher, der so viel zu geben hat,
Sein Alles gäb’ und alles sich versagt’
Aus Liebe zu den Menschen, und hinfort
Dem Drang nach Wahrheit frei sich widmete,
Des Heils Geheimnis suchend mühevoll,
Ob in der Höll’, ob sich’s im Himmel birgt,
Ob unerkannt es nah’ uns allen weilt, –
Dann muss am End’ sich doch in ferner Zeit
Wann und wo immer vor dem Forscherblick
Des Rätsels Schleier lösen, und sich frei
Der Weg eröffnen dem gequälten Fuß,
Zu finden das, warum er mied die Welt, –
Als Sieger fänd’ ihn der besiegte Tod.
Der ich entsage einem Königreich. –
Ich will’s vollbringen, weil mein Reich mir wert,
Weil widerhallt in meinem Herzen all
Der Herzen Pochen, die von Leid bedrängt,
Bekannt und unbekannt, die meine sind
Und die es werden noch, Millionen mehr,
Die dies mein Opfer jetzt erlösen soll.
Ihr Sterne, die ihr mahnend niederschaut,
Du schmerzbeladne Welt, ich komme jetzt!
Für dich, um deinetwillen sag’ ich ab
Der Jugend und dem Thron, der heitern Lust,
Den sel’gen Nächten und dem goldnen Tag,
Dem Haus der Wonne, deinen Armen auch
Du meine Königin, – wohl schwerer ist’s
Dir zu entsagen als dem ganzen Rest!
Und doch: Auch dich werd’ ich erlösen ja,
Wenn diese Erd’ ich rette; auch, das sich
Jetzt unter deinem Herzen regt: mein Kind,
Der heißen Liebe noch verborgne Frucht, –
Nicht wart’ ich, es zu segnen, weil mir sonst
Der Mut im Busen fehlte zum Entschluss.
Mein Weib, mein Kind, mein Vater und mein Volk,
Wohl ist beschieden eine kleine Zeit
Auch euch, zu tragen dieser Stunde Pein,
Auf dass erscheine der Erlösung Licht,
Auf dass die Menschheit lerne das Gesetz.
Jetzt bin ich fest, jetzt will hinaus ich ziehn,
Um nie zurückzukehren, bis ich fand,
Was jetzt ich suche, – wenn geduld’ger Kampf
Und glühend Suchen endlich kommt ans Ziel.«

So rührt’ er mit dem Antlitz ihren Fuß
Und neigte sich, bot mit den Augen ihr
Ein schweigend Lebewohl, wie sie da lag,
Im Schlummer noch das Antlitz tränenfeucht;
Und dreimal andachtsvoll, mit leisem Fuß,
Als wär’s ein Altar, er das Bett umschritt,
Die Hände legend auf sein klopfend Herz.
»Niemals«, so sprach er, »lieg’ ich wieder dort!«
Und dreimal wandt’ er sich zum Gehen ab,
Und dreimal kehrt’ er um, so mächtig war
In ihr die Schönheit und die Lieb’ in ihm.
Dann zog er übers Haupt den Mantel, und
Erhob des Vorhangs Saum:

Da lag, geschmiegt
Nah aneinander, schlummernd süß und fest
Wie Wasserlilien, jene holde Schar
Von ind’schen Mädchen, wie ein Gartenflor;
Zur Seite Ganga, Gotami, die zwei,
Wie Lotosknospen, doch mit dunklem Blatt;
Als seidenblättrige Geschwisterschar
Die andern weiterhin. »Wohl hab ich gern
Euch alle«, sprach er, »liebste Freundinnen,
Und trauernd scheid’ ich; aber scheid’ ich nicht,
Wer sonst wird kommen, zu ersparen uns
ein trostlos Alter und nutzlosen Tod?
So wie ihr schlafend liegt, müsst liegen ihr
Im Tode; wenn die Rose stirbt, wo blieb
Ihr Duft und Schimmer? Ging der Lampe aus
Das Öl, wovon ernährt die Flamme sich?
So laste schwer denn, Nacht, auf den herab
Gesenkten Lidern und versiegle du
Die Lippen, dass zurück mich keine Trän’
Und keine Stimme treu und liebend hält!
Denn je beglückter diese mir gemacht
Mein Leben, um so bitt’rer ist’s, dass sie
Und ich und alle leben sollten wie
Die Bäume – Lenz und Regen, Winterfrost,
Verwelktes Blattwerk, das im Lenz bald neu
Erscheint, wenn nicht an des Stammes Wurzel
Die Axt zuvor gelegt. Das will ich nicht,
Der hier wie Gott gelebt! – Das wollt’ ich nicht,
Wär’ gleich den Göttern all mein Leben auch,
Indes die Menschheit stöhnt’ in Finsternis.
Nun Lebewohl, ihr Teuren! Kostbar ist
Das Leben, es dahin zu geben, – drum
Geb’ ich’s dahin; zu suchen zieh’ ich aus
Erlösung und das unbekannte Licht!«

Darauf bewegte sich mit leisem Schritt
Vorbei an all der Schläferinnen Schar
Siddārtha in die stille Nacht hinaus:
Die wachen Sterne, ihre Augen, sahn
Zu ihm hernieder liebend, und der Wind,
Ihr Atem, küsste seines Mantels Saum;
Des Gartens Blumen, in der Dunkelheit
Geschlossen, öffneten ihr samt’nes Herz,
Aus rosa und aus roten Kelchen ihm
die Düfte sendend; über alles Land,
Vom Himalaya bis zur ind’schen See,
Ging leises Zittern, gleich als regte sich
Der Erde Seele in der Tiefe, mit
Unsagbar süßer Hoffnung; und die Schrift,
Die unsres Herrn Legende uns erzählt,
Berichtet auch, dass himmlische Musik
Die Luft durchschwirrte, droben Schar an Schar
Von lichten Wesen schwebte, die gen Ost
Und West sich wandten, zu erhell’n die Nacht, –
Gen Nord und Süd, die Erde zu erfreu’n.
Es schwebten auch hernieder, zwei und zwei
Zum Torweg jene allgewalt’gen Vier,
Der Welt Regierer, mit Legionen von
Lichtwesen unerkannt, in Waffenschmuck
Von Saphir, Perlen, Silber und von Gold.
Die Hände faltend blickten sie gespannt
Den Prinzen an, wie an der Schwell’ er stand
Und auf zu den Gestirnen richtete
Sein tränend Aug’, die Lippen festgepresst
In unermesslich liebendem Entschluss.

Dann schritt er weiter in die Nacht und rief:
»Erwache, Channa! Bring mir Kantaka!«

»Befiehlt mein Herr«, frug jener, langsam sich
Von seinem Platz erhebend nah am Tor,
»Bei Nacht zu reiten? Finster ist der Weg.«

»Sprich leise«, sprach Siddārtha, »bring mein Ross!
Jetzt ist die Stunde, wo entfliehn ich muss
Dem goldnen Kerker, drin gefangen mir
Die Seele war; zu finden zieh’ ich aus
Die Wahrheit; suchen will ich sie hinfort
Zum Heile aller, bis ich sie erkannt.«

»Ach, teurer Prinz!« erwiderte der Mann,
»So sprachen denn die Weisen all’ umsonst,
Die in den Sternen lasen, und die uns
Zu harren jener Zeit geboten, da
Des Königs großer Sohn ein Herrscher sei
Von vielen Reichen, Königen ein Herr?
Willst du von hinnen reiten und die Welt
Und ihre Herrlichkeit dir aus der Hand
Entgleiten lassen, fest zu halten nichts
Als eines Bettlers Schale? 111 Willst hinaus
Du ziehen freudlos in die weite Welt,
Und hast doch hier dies Paradies der Lust?«

Der Prinz gab Antwort: »Dazu bin ich da,
Nicht für den Thron: Das Königreich, das ich
Ersehn’, ist mehr als jedes andre Reich, –
In allen ird’schen Dingen waltet frei
Der Wechsel und der Tod. Bring Kantaka!«

»Erlauchter«, widersprach der treue Mann,
»Denk’ an des Königs, deines Vaters, Gram!
Die Schmerzen aller, deren Glück du bist –
Wie hilfst du denn, indem du sie verlässt?«

Der Prinz antwortete: »O Freund,
Die Lieb’ ist falsch, die nur zu ihrer Lust
An Liebe selbstisch hängt, indessen ich,
Der mehr als meine Freuden diese liebt,
Ja, mehr als ihre Freuden, – ziehen muss,
Erlösung ihnen und der ganzen Welt
Zu bringen, wenn der Liebe dies gelingt:
Geh, bring mir Kantaka!«

Und Channa sprach:
»Ich gehe, Herr!« Und traurig ging alsbald
Zum Stall er hin und nahm vom Haken ab
Die silberne Kandarr’, die Zügel auch,
Brustriemen und den Zaum, und knüpfte fest
Das Riemenwerk, hängt’ auch die Haken ein,
Und führte Kantaka heraus. Dann band
Er ihn am Ringe fest und kämmt’ ihn gut,
Das schnee’ge Fell ihm striegelnd, bis es wie
Seide glänzte; legte dann ihm auf
Der Decke Viereck und darüber hin
Das Satteltuch, darauf den Sattel dann.
Fest zog er den juwelbesetzten Gurt,
Schnallt’ hinten auch die Bänder, knüpfte an
Den Sprungriem’, ließ herab dann beiderseits
Die goldnen Bügel fallen, spannte drauf
Noch über alles aus ein goldnes Netz,
Mit perlbesetztem, seidnem Quastenschmuck,
Und führte das gewalt’ge Ross zum Tor,
Wo sein der Prinz geharrt; doch als das Tier
Erblickte seinen Herrn, in freud’ger Lust
Hob es die Glieder, wieherte erfreut,
Die feur’gen Nüstern öffnend; und die Schrift
Erzählt: »Kein Zweifel ist, dass überall
Man hätte wiehern hören Kantaka,
Vernommen auch der Eisenhufe Ton,
Wenn Devas nicht mit sanftem Flügelschlag
Den Schläfern übertäubt das Lauscherohr.«

Und zärtlich nieder bog des Rosses Haupt
Siddārtha, klopfte ihm den stolzen Hals
Und sprach: »Mein Kantaka, sei still! Sei still
Mein weißes Ross! Heut sollst du tragen mich
Den weitsten Weg, den je ein Reiter ritt.
Denn diese Nacht steig’ ich zu Ross und will
Die Wahrheit finden; wo mein Suchen einst
Wird enden, weiß ich nicht; doch weiß ich eins:
Nicht eher wird es enden, bis ich fand.
Drum heute Nacht, mein Ross, sei stark und kühn!
Lass nichts dich hemmen, ob den Weg dir auch
Versperren tausend Schwerter! Lass nicht Wall
Noch Graben hindern unsre Flucht! Schau her!
Wenn ich die Flanke dir berühre mit
Dem Zuruf: ›Vorwärts, Kantaka!‹, dann lass
Die schnellen Winde hinter deinem Lauf
Zurück! Sei Luft und Feuer heut, mein Ross,
Für deinen Herrn! So hast auch du mit ihm
Teil an der großen Welterlösungstat;
Nicht für die Menschen zieh’ ich aus allein:
Für alle Wesen auch, die sprachberaubt
Teil haben unsrer Pein, für die es sonst
Nicht Hoffnung gibt, und denen nicht Verstand
Beschert, nach Hoffnung sich zu sehnen. Frisch
Nun vorwärts, trage tapfer deinen Herrn!«

Dann sprang er in den Sattel leichten Schwungs,
Berührte die gelockte Mähne; und,
So dass die Funken sprühten aus dem Stein,
Hin sprengte Kantaka mit eh’rnem Huf,
Und knirschte klirrend ins Gebiss. Jedoch
Vernahm es niemand, denn geschäftig war
Der Suddha-Devas 112 Schar; sie pflückten rasch
Jasmins rote Blüten, streuten sie
Hin auf den Pfad, und unsichtbare Hand
Legt’ auf die Zügel und das klirrende
Gebiss sich dämpfend. Und geschrieben steht,
Dass, wie sie auf das Pflaster kamen nah
Dem innern Tor, die Yakshas aus der Luft
Hin breiteten ein zauberisch Gewand,
Drauf ungehört der Hufe Schlag verhallt.

Doch als sie nun das dreifach eh’rne Tor
Erreicht, das hundert Mann entriegeln kaum
Und öffnen konnten, – sieh, da rollten schon
Zurück von selbst die Türen sonder Lärm,
Obgleich bei Tage man vier Meilen weit
Der mächt’gen Angeln, der gewaltigen
Torflügel donnerndes Getös vernahm.

Auch beim mittleren und dem äußren Tor
Schwang schweren Tores Flügel schweigend auf
Als sich Siddārtha nahte und sein Ross;
Dabei im Schatten lag der Wächter Schar,
Wie Tote lautlos, Hauptmann und Soldat;
Am Boden lagen Schwert und Speer, vom Arm
Der Schild entsank, – denn vor dem Prinzen her
Ein tief einschläfernd Lüftchen säuselte,
Wie’s über Malwas 113 schlummerndes Gefild
Nicht träumerischer weht. Wen er umfing,
Der Atem, dem sank jeder Sinn in Schlaf.
So zog er ungehindert aus dem Schloss.

Als, eine halbe Speerläng’ hoch, im Ost
Am Horizonte stand der Morgenstern,
Des Morgens Odem durch die Lande strich,
Anomas Wogen kräuselnd, wo das Reich
Der Śākya endet, hielt Siddārtha an,
Sprang ab und küsste zärtlich Kantaka
Grad’ auf die Stirn und sprach zu Channa sanft:
»Die gute Tat, die heut du mir getan,
Wird dir zum Heil und aller Kreatur:
Ich war dir teuer, teuer bleibst du mir.
Führ’ heim mein Ross und nimm die Perle hier,
Die prinzlichen Gewänder, die hinfort
Mir nichts nützen, nimm das Schwertgehenk,
Besetzt mit Edelsteinen, nimm auch hier
Die langen Locken, die ich von der Stirn
Mir so mit Schwertes Schärfe trenne ab.
Dies alles gib dem König, melde ihm,
Siddārtha bittet zu vergessen ihn,
Bis er zurückgekehrt, zehnmal ein Prinz,
Mit königlicher Weisheit, die er durch
Sein einsam Suchen sich gewann und durch
Das Ringen nach dem Licht; denn sieg’ ich hier,
Ist mein die ganze Erde, mein, weil ich, –
Sag’s ihm, – den größten Dienst ihr leistete,
Ist mein um meiner Liebe willen! Denn
Für Menschen gibt es eine Hoffnung nur
Auf Menschen. Niemand aber hat danach
Gesucht, so wie ich suchen werde, der
Die Welt dahin warf, meiner Welt zum Heil.«