Die Mysterienschulen
- Grace F. Knoche
Suche diese Weisheit durch Dienen, durch eindringliches Forschen, durch Fragen und durch Ergebenheit; die Weisen, welche die Wahrheit sehen, werden sie dir bekannt geben, und sie erkennend, wirst du niemals wieder in Irrtum verfallen. … Es gibt keinen Reiniger auf dieser Welt, der mit spirituellem Wissen vergleichbar ist; und wer in Hingabe vollkommen ist, findet, wie im Laufe der Zeit spirituelle Erkenntnis spontan in ihm selbst entspringt.
– Bhagavad-Gītā, 4:34-5, 38
1 – Die Gründung der Bruderschaft
Vor Abermillionen von Jahren in der Dunkelheit der Vorgeschichte befand sich die Menschheit im Säuglingsalter, sie war ein Kind von Mutter Natur – unerwacht, traumähnlich, in einen Mantel mentaler Schlaftrunkenheit gehüllt. Die Erkenntnis der Egoität ruhte noch; allein instinktives Bewusstsein war aktiv. Einem Strom von Glanz am Horizont der Zeit gleich, stiegen göttliche Wesen, Mānasaputras, Söhne des Denkens, zu den schlafenden Menschen herab; und mit der Flamme des intellektuellen solaren Feuers entfachten sie den Docht des latenten Denkvermögens. Und siehe – der Denker regte sich. Das Selbstbewusstsein erwachte, und der Mensch wurde zu einem Dynamo intellektueller und emotionaler Kraft: fähig zu Liebe, zu Hass, zu Ruhm oder Niederlage. Mit dem Wissen erlangte er Macht; mit dem Erlangen von Macht wählte er; durch die Wahl gestaltete er das Gewebe seiner Zukunft; und diese Wahrnehmung floss wie Wein durch seine Adern.
Wissen, mehr Wissen und noch größeres Wissen benötigten die wachsenden Menschen, die voller Dankbarkeit zu den gottgleichen Wesen aufschauten, die zu ihrer Erweckung gekommen waren. Viele Jahrtausende lang folgten sie ihrer Führung, so wie Kinder liebevoll den Fußstapfen ihrer Mutter folgen.
Während die Zeitalter dahinrollten, folgte ein Strom göttlicher Lehrer diesen ersten Mānasaputras und überwachte persönlich den Fortschritt der kindlichen Menschheit: Sie initiierten sie in den Künsten und Wissenschaften, lehrten sie, ihre Felder mit Mais und Weizen zu bestellen, unterrichteten sie darin, ein reines und moralisches Leben zu führen – kurzgesagt, sie errichteten die ersten Schulen für Übung und Unterweisung, die allen frei zugänglich waren, um materielle, intellektuelle und spirituelle Dinge zu erlernen. In dieser frühen Periode gab es keine Mysterienschulen: Die Alte Weisheit war das gemeinsame Erbe der gesamten Menschheit, denn bisher hatte es keinen Missbrauch des Wissens gegeben und daher keine Notwendigkeit dafür, Schulen vor der Welt verborgen und geheim zu halten. In jenem ‘Goldenen Zeitalter’ wurde die Wahrheit offen gegeben und ebenso offen angenommen (siehe H. P. Blavatsky, Collected Writings, 14: 248-9).
Die Rasse war jung; nicht alle waren lernfähig. Einige lernten auf Grund früherer Erfahrungen in vorangegangenen Weltperioden rasch und mit Leichtigkeit, sie wählten intuitiv den Pfad spiritueller Verstandestätigkeit; andere, weniger erwacht, waren gut, obgleich ihr Fortschritt unstet war; eine dritte Klasse von Menschen wiederum, betäubt durch Trägheit, empfand Lernen und Streben als eine Last und wurde zu Nachzüglern des evolutionären Fortschritts. Sie bevorzugten die spirituelle Apathie gegenüber der spirituellen Anstrengung.
Die Menschheit machte insgesamt rasche Fortschritte im Erwerb neuen Wissens und bei dessen Anwendung. Einige bewirkten offensichtlich Böses, andere Gutes. Was latente Spiritualität gewesen war, wurde jetzt zu aktivem Guten und aktivem Bösen. Leid und Schmerz wurden die mitleidsvollsten Methoden der Natur, um das Herz zu seiner ursprünglichen Begabung zurückzuführen – zu der der spirituellen Wahl. Als das Denkvermögen noch ausgeprägtere Fähigkeiten entwickelte und der Kampf um die mentale Überlegenheit das Spirituelle besiegte, wurde die Gabe des Intellekts zu einer zweischneidigen Waffe: auf der einen Seite zum Übermittler nie erträumter spiritueller Bewusstheit und intellektueller Ekstase; auf der anderen zum Handlanger einer Waffe der Zerstörung, des Schreckens und in den schlimmsten Fällen von absichtlicher spiritueller Schlechtigkeit – Diabolismus. H. P. Blavatsky schrieb:
Die Mysterien von Himmel und Erde, die der dritten Rasse in den Tagen ihrer Reinheit durch ihre himmlischen Lehrer geoffenbart worden waren, wurden zu einem großen Brennpunkt des Lichts, dessen Strahlen notwendigerweise schwächer wurden, als sie zerstreut und auf einen nicht geeigneten, allzu materiellen Boden ausgegossen wurden. Bei den Massen entarteten sie zu Zauberei, die späterhin die Gestalt von exoterischen Religionen annahm, von Götzendienst voller Aberglauben, … .
– The Secret Doctrine, 2: 281
Die Natur ist durch und durch zyklisch: zu einer Zeit für spirituelle Dinge fruchtbar, zu einer anderen unfruchtbar. In jener weit zurückliegenden Periode der dritten Wurzelrasse, auf dem großen, jetzt versunkenen Kontinent Lemurien 1, stand der Zyklus dem spirituellen Fortschritt entgegen. Eine große Abwärtsbewegung fand statt, welche die Ausdehnung physischer und materieller Energien beschleunigte – einhergehend mit der sich daraus ergebenden Verlangsamung und Kontraktion der spirituellen Kraft. Die Menschheiten jener Periode waren ein Teil der allgemeinen evolutionären Strömung und die Individuen reagierten ihrer Natur entsprechend auf die gröber werdende Atmosphäre. Einige widerstanden diesem abwärts gerichteten Einfluss durch erweckte Spiritualität. Andere, schwächer in ihrem Verständnis, schwankten zwischen Geist und Materie, zwischen Gut und Böse: Einmal lauschten sie den Einflüsterungen der Intuition, ein anderes Mal unterlagen sie den brausenden Wellen des abwärts gerichteten Stroms. Wieder andere, in denen der Funke des intellektuellen Glanzes schwach brannte, tauchten kopfüber stromabwärts ein, sich der aufgewühlten und schlammigen Wasser nicht bewusst.
Mit dem Voranschreiten des abwärts gerichteten Zyklus wurde das Wissen um spirituelle Wahrheiten und eine spirituelle Lebensführung in Einklang damit in den Herzen und im Denken der Menschen zu einem stumpfen und nutzlosen Werkzeug. Diese Torheit war im Lauf der kosmischen Evolution unvermeidlich, und deshalb war für alles vorgesorgt. Genauso wie es viele Arten von Menschen gibt – manche spirituell, andere materiell, einige hoch intelligent, andere langsam im Denken –, so gibt es überall im Universum verschiedene Abstufungen von Wesen, die sich vom Mineral- durch das Pflanzen-, Tier- und Menschenreich und darüber hinaus bis zur Spitze und dem Hierarchen unserer Erde erstrecken.
Während dieser ersten Jahrtausende hatte das spirituelle Haupt und der Beschützer der Erde das individuelle Feuer aktiver Spiritualität stimuliert, wo immer es möglich war. Allmählich – als das Wissen um göttliche Dinge von jenen missbraucht wurde, die einen starken Willen besaßen, aber moralisch schwach waren – wurde die Wahrheit immer stärker verschleiert. Der Planeten-Wächter verspürte nun die Notwendigkeit, eine Gruppe von Mitarbeitern auszuwählen, um als Leibwache und Beschützer der alten Weisheit zu dienen. Nur eine Handvoll spirituell erleuchteter Menschen, in denen die göttliche Flamme hell brannte, bekannten mit ganzem Herzen ihre Treue gegenüber dem Planeten-Lehrer – dem Spirituellen Hierarchen der Menschheit. Lange Zeitalter hindurch waren bestimmte Individuen bei unzähligen Gelegenheiten beobachtet, geführt, gestärkt und geprüft worden; und jene, welche die Prüfung der Selbsterkenntnis und des Selbstopfers bestanden, wurden versammelt, um die erste Vereinigung oder Schule spiritueller Menschen zu bilden – die Große Bruderschaft. G. de Purucker beschreibt sie folgendermaßen:
Damals wurde die Versammlung der höchsten von der Menschheit bis dahin manifestierten Repräsentanten – spirituell und intellektuell gesprochen – gebildet oder gegründet oder in Tätigkeit versetzt; … .
… der Stille Wächter des Globus war auf Grund spirituell-magnetischer Anziehung von Gleichem zu Gleichem in der Lage, schon von den frühesten Zeiten der Dritten Wurzelrasse an bestimmte außergewöhnliche Menschen – erste Vorläufer des großen manasaputrischen ‘Abstiegs’ – zum Pfad des Lichts hinzuziehen und so mit diesen Individuen einen Brennpunkt von spirituellem und intellektuellem Licht auf Erden zu bilden; diese Tatsache bezeichnet nicht so sehr eine Vereinigung, Gesellschaft oder Bruderschaft, sondern vielmehr eine Einheit von menschlichen spirituellen und intellektuellen Flammen, die damals das Herz der Hierarchie des Mitleids auf Erden repräsentierten. …
Nun war es gerade dieser ursprüngliche Brennpunkt der lebendigen Flamme, der niemals entartete oder seinen hohen Status als das mystische Zentrum der Erde verlor, der den überirdischen Glanz der Hierarchie des Mitleids ausstrahlte und der heute durch die Große Bruderschaft der Mahatmas repräsentiert wird. … So geht die Große Bruderschaft auf eine ungestörte und ununterbrochene Ahnenreihe zurück, bis hin zum ursprünglichen Brennpunkt des Lichts der dritten Wurzelrasse.
– The Esoteric Tradition, 2: 1048-9, Fußn.
Daher bleiben die Älteren Brüder der Rasse „die erwählten Hüter der Mysterien, welche der Menschheit von den göttlichen Lehrern offenbart wurden … und die Tradition flüstert uns zu, was die geheimen Lehren bestätigen, nämlich dass diese Erwählten der Keim einer Hierarchie waren, die seit jener Zeit niemals gestorben ist (SD, 2: 281) – seit der Gründung und Errichtung der Großen Bruderschaft vor ungefähr 12 Millionen Jahren. Aus diesem Zentrum strömen seit Millionen von Jahren in ununterbrochener Folge Strahlen des Lichts und der Stärke in die Welt als Ganzes und im Besonderen in die Herzen jener, deren Leben dem Dienst an der Wahrheit gewidmet ist. Aus dieser Bruderschaft sind Boten, Meister der Weisheit, hervorgekommen, um die großen Religionen der Vergangenheit zu inspirieren; und sie werden weiterhin ihre Gesandten aussenden, solange die Menschheit ihrer Fürsorge bedarf.
Fußnoten
1. Der Name, den P. L. Sclater um 1850 einer Landmasse gab, von der er auf Grund zoologischer Daten zeigte, dass sie sich von Afrika bis Australien erstreckte (siehe SD II: 7). Siehe Ignatius Donnelly, Atlantis: The Antediluvian World, S. 32; und Alfred Russel Wallace, The Geographical Distribution of Animals, Teil 1, Kap. 4, S. 76-7. [back]