Einmal um die Sonne
Bald muss ich woanders sein
Es war sehr still unter den großen Fichten, unter denen Peter dahinwanderte und dem „tropf, tropf“ des schmelzenden Schnees, der von den Zweigen tropfte, zuhörte.
„Hallo, Peter“, sagte eine leise Stimme zu seinen Füßen.
Peter blickte nach unten, und da stand ein winziges Schneeglöckchen, das durch den Teppich aus Fichtennadeln lugte.
„Hallo.“ Er beugte sich nieder und betrachtete die hübsche weiße Blume. „Wer bist du?“
„Ich bin das Schneeglöckchen. Hast du meine Cousine Veilchen schon gesehen?“
„Nein, ich habe noch keines bemerkt.“
„Du meine Güte, das ist aber gar nicht nett von ihr. Nun muss ich fortgehen, ohne sie wiedergesehen zu haben. Auch letztes Jahr kam sie zu spät.“
„Tut mir leid“, sagte Peter, „vielleicht könnte ich ihr etwas von dir ausrichten, irgendwann wird sie auftauchen. Warum musst du fortgehen? Kannst du nicht warten, bis sie kommt?“
„Das geht nicht gut“, meinte das Schneeglöckchen zögernd. „Weißt du, ich muss bald woanders sein.“
„Aber du kannst doch nicht laufen. Wie kannst du fortgehen?“ Peter schaute genau hin und sah, dass das Schneeglöckchen fest im Boden verwurzelt war.
„Oh, das ist einfach. Hier sterbe ich, und weiter oben und weiter nördlich am Berge blühe ich wieder auf.“
„Oh, ich verstehe“, sagte Peter zweifelnd, denn er war sich gar nicht sicher, ob er es wirklich verstand. Ich muss Onkel Pfefferkorn danach fragen, dachte er bei sich.
„Brauchst du mich?“ Peter erkannte Onkel Pfefferkorns Stimme und schaute ringsum, aber er war nirgends zu sehen. Dann hörte er ein vertrautes Kichern.
„Hier, auf deinem Ärmel“, sagte Onkel Pfefferkorn. „Schau nicht so verdutzt drein.“
„Ich bin‘s gar nicht“, murmelte Peter. „Überhaupt nicht, aber ich wünschte, du würdest mich vorher warnen.“
„Nun, was wolltest du mich fragen?“
Peter zermarterte sich den Kopf. „Ich fürchte, ich habe es vergessen.“
„Meinetwegen war es“, sagte das Schneeglöckchen.
„Oh ja! Woher weißt du das?“
„Du hast meine Sprache gesprochen“, sagte das Schneeglöckchen. „Du weißt … Gedankensprache.“
„Ja, Onkel Pfefferkorn, wie kann sie sich bewegen?“
„Erinnerst du dich daran, wie die Erde auf ihrer Bahn kreist?“, fragte Onkel Pfefferkorn.
„Oh“, sagte Peter, „du meinst, wir kommen jetzt näher an die Sonne, und deshalb kommt der Frühling hierher. Jetzt verstehe ich, aber warum muss sie woanders hin?“
„Nun, der Frühling wandert natürlich weiter nach Norden.“
„Du meine Güte“, sagte Peter. „Von draußen sah das alles so einfach aus, aber von hier aus ist es kompliziert, nicht wahr?“
„Nun schau!“ Onkel Pfefferkorn sprang auf den Boden und lehnte sich gegen das Schneeglöckchen. Er entschuldigte sich bei ihr. „Du hast doch nichts dagegen?“
„Durchaus nicht“, sagte das Schneeglöckchen. „Berühre aber nicht meine Blütenblätter, sie fallen bald ab.“ Sie hielt inne. „Es sei denn, du möchtest gerne, dass ich dich verlasse.“
„Nein, nein“, sagte Onkel Pfefferkorn. „Bleib doch noch eine Weile.“
„Also“, sagte er und wandte sich an Peter. „Das Schneeglöckchen hier …“, er gab dem Stängel einen kleinen Schubs.
„Au!“, sagte das Schneeglöckchen, „mein erstes Blütenblatt fällt ab.“ Ein weiches Blütenblatt flatterte zu Boden.
„Tut mir leid“, sagte Onkel Pfefferkorn. „Es muss sehr lose gewesen sein.“
„Nur weiter, nimm keine Rücksicht auf mich“, sagte das Schneeglöckchen tapfer, aber ihr Köpfchen senkte sich ein wenig tiefer.
„Also, wie ich sagte …“, fuhr Onkel Pfefferkorn fort. „Oh, du meine Güte, schon wieder!“ Noch ein Blütenblatt fiel ihm sanft vor die Füße.
„Macht nichts, ich sage jetzt auf Wiedersehen“, flüsterte das Schneeglöckchen schwach. „Wir treffen uns später wieder. Ich werde im Norden weiterblühen.“
„Ich glaube, jetzt verstehe ich es“, sagte Peter.
„Das glaube ich auch“, sagte Onkel Pfefferkorn und war verschwunden.