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Einmal um die Sonne

Ich bin so müde

Peter hatte es eilig. Er wollte so viel herausfinden, wie er nur konnte, bis das GROSSE JAHR vorüber war, und er wusste nicht, wo er damit anfangen sollte. Er stürmte so schnell davon, dass er kaum bemerkte, wie sich ein Zweig seines alten Freundes Ahorn in seinem Hemd verfing und ihn zurückhielt.

„Oh“, keuchte er, „lass mich los!“

„Wohin rennst du so schnell?“, fragte der Ahorn, aber Peter war schon weg.

Er stolperte über eine Wurzel der großen Eiche und fiel flach aufs Gesicht. „Warum so in Eile?“, knurrte die Eiche. „Du könntest stehen bleiben und deinen Freunden Guten Tag sagen.“

„Wohin in aller Welt stürmst du?“, rauschte die Birke.

Peter, der schon weiterrennen wollte, blieb plötzlich stehen.

„Ich – ich weiß es nicht“, stammelte er.

„Wenn du dir Zeit lassen würdest zu überlegen, wo du hinwillst, würdest du nicht so viel übersehen“, nörgelte die Eiche, „und du würdest dir nicht die Knie aufschlagen“, fügte sie hinzu und schaute Peters Beine an.

„Oh Schreck“, sagte Peter, „ich blute ja!“

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„Hier!“, sagte eine neue Stimme und Peter sah, wie ein ­großes Blatt zu Boden flatterte. „Ich heiße Ampfer. Leg mich auf deine Knie, und bald wird es aufhören zu bluten.“

„Vielen Dank!“, sagte Peter, während er das Ampferblatt um sein verletztes Knie wickelte.

„Donnerwetter“, sagte er und schaute den Ahorn an, „du BIST aber schön. Und du auch“, fügte er zur Birke hingewandt hinzu.

Die Birke schüttelte fröhlich ihre goldenen Blätter und sagte: „Hübsch sind sie, nicht wahr? Doch sie werden nicht lange so bleiben.“

„Oh, das ist aber schade“, sagte Peter.

„Macht nichts“, sagte die Birke, „ich werde mir im Frühjahr neue wachsen lassen, ich mag Grün sowieso lieber.“

„Du eitles, kleines Ding“, murmelte die Eiche, „ich wäre gern ein Immergrün.“

„Was ist der Unterschied?“, fragte Peter.

„Weißt du, die Fichten und Kiefern haben Nadeln statt ­Blätter und sie sind immer grün“, sagte die Eiche.

„Ich hörte jedoch einen Wacholderbusch sagen, dass er das satt habe“, sagte Peter. „Wahrscheinlich bist du besser dran, so wie es ist.“

„Peter hat Recht“, sagte der Ahorn und raschelte mit seinem rötlichen Kleid. „Ich möchte meine glänzenden Farben nicht gegen kleine grüne Nadeln tauschen, selbst wenn sie immer so bleiben würden, was sie im Übrigen nicht tun. Sie werden dauernd ersetzt, deshalb sieht der Baum immer grün aus.“

„Nun, MIR geht es genauso“, sagte Peter. „Ich sehe immer gleich aus; aber ich weiß, dass das nicht so ist, weil ich mich so schnell verändere, dass ich niemals derselbe bin wie vorher.“

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„Ich vermute, so geht‘s uns allen“, sagte die Eiche. Sie ­gähnte laut. „Ho, hum! Es ist angenehm, schlafen zu gehen.“

Plötzlich rief sie laut: „Hallo, ihr da oben! Fliegt ihr zurück?“

Peter blickte hinauf und sah eine Schar Wildgänse am ­Himmel. Sie flogen in zwei Reihen, in der Form eines großen V.

Die Leitgans antwortete, ohne die schöne Formation auf­zugeben: „Hallo, Eiche, noch wach?“

„Gerade dabei, einzuschlafen“, sagte die Eiche. „Dürfte ich dich bitten, mich zu rufen und aufzuwecken, wenn ihr zurückkommt?“

„Gewiss, das machen wir doch immer“, sagte die Gans. „Wir kommen mit dem Sonnenschein wieder zurück. Leb wohl jetzt.“

„Leb wohl, leb wohl!“, kam das Echo, als die Gänse Abschied nahmen und immer noch tadellos in Reih und Glied flogen, während sie schnell nach Süden verschwanden.

„Ich weiß nicht, wie es mit euch ist, ihr Lieben“, sagte die Birke, „aber ich bin sehr müde, fast mein ganzer Saft ist schon in die Wurzeln hinuntergegangen, sie fangen an zu wachsen. Also sage ich lieber Gute Nacht, du entschuldigst doch, wenn ich schlafen gehe?“, fragte sie Peter.

„Selbstverständlich“, sagte Peter. „Gute Nacht.“

Die Eiche schlief schon, deshalb ging Peter schnell davon.

Er fühlte sich einsam und wünschte, Onkel Pfefferkorn käme und würde mit ihm sprechen, aber der war nirgends zu sehen.

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Er hatte langsam verstanden, dass der kleine Mann nur kam, um seine Fragen zu beantworten. Deshalb versuchte er, sich eine wirklich schwierige Frage auszudenken, damit er ­kommen würde. Aber es fiel ihm keine ein. Dann sah er um sich, ob er selbst etwas herausfinden könnte. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Die Gänse! Was taten sie, wenn sie nach Süden flogen?

„Onkel Pfefferkorn!“, rief er. „Oh, Onkel Pfefferkorn!“

„Mach nicht so einen ohrenbetäubenden Lärm!“, sagte Onkel Pfefferkorn. „Ich kann nicht einmal meine eigenen Gedanken verstehen. Was möchtest du denn wissen?“ Onkel Pfefferkorn hockte auf Peters Schulter und hielt sich die Ohren zu.

„Die Gänse, Onkel Pfefferkorn, wie können sie wissen, ­wohin sie fliegen?“

„Das ist eine gute Frage“, sagte Onkel Pfefferkorn. „Wie weiß dein Blut, wohin es in dir fließen muss?“

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„In mir?“ Peter war überrascht. „Was hat das damit zu tun, dass …“

„Beantworte meine Frage!“, sagte Onkel Pfefferkorn streng.

„Nun, es gibt Adern und solche Dinge.“

„Genau! Ebenso wie es in dir Adern und Arterien gibt, gibt es auch Adern und Arterien in der Erde und in der Luft. Die Gänse folgen nur diesen Lebensströmen. Es ist einfach, wenn man weiß wie.“

„Oh!“ Peter dachte einen Augenblick nach. „Du meinst, sie kommen und gehen eine Straße entlang, die man nicht sehen kann?“

„Jawohl.“

„Oh!“, rief Peter. „Ist das nicht dasselbe, was die Erde tut, wenn sie um die Sonne kreist?“

„Auf Anhieb verstanden!“ Onkel Pfefferkorn strahlte Peter zufrieden an. „Peter, mein Junge, du MACHST DICH!“

Dann verschwand er und ließ Peter zurück, dem es ganz warm ums Herz war.

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