Evolution & Schöpfung
II – Die ‘ausgeschlossene Mitte’
Jene Begabungen, die uns fähig machen, Zeit und Raum zu übersteigen und die wunderbaren Vorstellungen von Mathematik und Philosophie zu erkennen, oder die uns eine intensive Sehnsucht für abstrakte Wahrheit verleihen … sind offensichtlich essenziell für die vollkommene Entwicklung des Menschen als ein spirituelles Wesen; es ist jedoch gänzlich unvorstellbar, dass sie durch die Tätigkeit eines Gesetzes [natürliche Selektion] hervorgebracht wurden, das nur auf das unmittelbare materielle Wohl des Individuums oder der Rasse schaut oder nur darauf schauen kann.
Die Schlussfolgerung, die ich aus dieser Klasse von Phänomenen ziehen würde, ist, dass eine Super-Intelligenz die Entwicklung des Menschen in einer unbestimmten Richtung und für einen besonderen Zweck geleitet hat … wir müssen deshalb die Möglichkeit zugestehen, dass irgendeine höhere Intelligenz – wenn wir nicht die höchsten Intelligenzen des Universums sind – den Vorgang, durch den die menschliche Rasse entwickelt wurde, mittels feinerer, uns nicht bekannter Agenten ausgeführt haben kann.
– ALFRED RUSSEL WALLACE, „The Limits of Natuaral Selection“ 1
Im April 2001 brachte das National Public Radio ein Programm, das als „Evolution versus intelligente Planung“ angekündigt war, in dessen Verlauf ein Anrufer die Entweder/Oder-Art der Streitfrage hervorhob. Er hatte beobachtet, dass es hier anscheinend eine „ausgeschlossene Mitte gibt … ausgeschlossen von einer großen Mehrheit der darüber diskutierenden Menschen“. Die Phrase ist passend, nicht nur weil Evolution und intelligente Planung als sich gegenseitig ausschließend beiseite gelegt wurden, sondern auch weil alternative Ansichten wie die von Wallace für unwesentlich erachtet oder übersehen wurden. Besonders in der öffentlichen Diskussion werden grundlegende Vorstellungen über Evolution und Schöpfung häufig neu definiert, falsch eingeordnet und so stereotyp vorgebracht, dass es – um die Worte von Allan Bloom zu wiederholen – „unvorstellbar scheint, dass andere Wege lebensfähig sind“.
Im November 2002 zum Beispiel gab die Amerikanische Vereinigung zur Förderung der Wissenschaft eine Resolution bekannt, in der die Politiker dazu aufgefordert wurden, „sich gegen die Lehren der ‘intelligenten Plan-Theorie’ in naturwissenschaftlichen Fächern zu wenden, [und] sie auseinander zu halten, so wie man es momentan mit der Schöpfungslehre und anderen religiösen Lehren handhabt“. Zwei Tage später gab der Astrophysiker Lawrence Krauss seinen Kommentar zur Unterstützung der Resolution ab und sagte, dass „ein intelligenter Plan nach allen objektiven Regeln nichts mit Wissenschaft zu tun habe“. 2 Das Problem mit dieser ausgrenzenden Ansicht besteht darin, dass eine Frage beiseite geschoben wird, die ganz und gar die Wissenschaft betrifft. Denn die Frage „Ist das Universum geplant?“ dreht sich um das Wissen – scientia – nicht um Philosophie oder Religion, wie eng sie auch verwandt sind. Wenn ein Archäologe aus Kochstellen und Feuerkreisen auf intelligente Aktivität schließt und aus diesen Daten Rückschlüsse auf ihre Planer zieht, dann beschäftigt er oder sie sich wissenschaftlich. Solange man nicht Wissenschaft neu definiert, ist es nicht weniger wissenschaftlich, nach Wissen darüber zu trachten, ob Intelligenz das Universum antreibt oder nicht. Wenn man alle Annahmen und Vorlieben beiseite lässt, haben wir eine der wichtigsten wissenschaftlichen Fragen, die wir stellen können, denn – wie bei der Frage nach der Existenz – beeinflusst die Art unserer Antwort uns alle zutiefst.
In Kapitel 1 sahen wir, dass beide, Darwinismus und christlicher Theismus, schwierige Probleme aufwerfen, die nur das Mysterium unseres Ursprungs und unserer Abstammung vertiefen; und darüber hinaus, dass Evolution und Darwinismus weder gleichwertige Begriffe sind noch ein intelligenter Plan gleichbedeutend mit Schöpfung oder unvereinbar mit Evolution ist. Dennoch sind diese irreführenden Stereotypen zu häufig wiederholt worden, dass die öffentliche Diskussion großteils nicht mehr in der Lage ist, sich aus der Klemme zu befreien, um die Evolution und Schöpfung von anderen wissenschaftlichen und religiösen Perspektiven aus zu betrachten.
Die vielleicht vielversprechendste Forschungsrichtung zu einer erweiterten Sicht ist die des Bewusstseins. Dass intelligente Planung eine hohe Ordnung des Bewusstseins impliziert, mag einen Anteil an dem erneuten Interesse an dem Thema hervorgerufen haben, obwohl Bewusstsein auch fundamentale Herausforderungen an die Forschung stellt. Aufgrund seiner innewohnenden subjektiven Natur ordnet sich das Bewusstsein nicht so einfach in die gewöhnlichen Vorgehensweisen der Wissenschaft ein: Wenn sich das Denkvermögen selbst untersucht, sind objektive, nachvollziehbare und vorhersehbar reproduzierbare Daten bekanntlich schwierig zu beobachten und zu quantifizieren. Aus diesem Grund wurde das Studium des Bewusstseins der Philosophie, der Religion und der sogenannten ‘weichen Wissenschaft’ der Psychologie zugewiesen. In den beiden letzten Jahrzehnten hat jedoch eine gemeinsame Bemühung, eine Wissenschaft vom Bewusstsein zu entwickeln, eine beachtliche Forschung und Diskussion bewirkt, worüber in akademischen Konferenzen, Symposien, Artikeln und Bücher ausgiebig berichtet wurde. 3
Ungeachtet dieses Trends besteht weiterhin die Spannung und Unstimmigkeit zwischen den Studien im Selbstexperiment – wie denjenigen, über die in kontemplativen und mystischen Traditionen berichtet wird – und der empirischen Forschung an ‘dritten Personen’, die im Wesentlichen objektbezogen ist und physikalische, verhaltens- und umweltbedingte Erklärungen vorzieht. Und das alte ‘Kernproblem’ der Verursachung bleibt: nämlich die Frage, ob Bewusstsein – menschliches, tierisches oder sonstiges – ein zeitliches Nebenprodukt der Elektrochemie ist, eine von ‘Nervenverbindungen’, die sich mit dem Tod auflösen, hervorgebrachte Illusion; oder ist es etwas Ursprüngliches, Architektonisches, dazu fähig, unabhängig von organischen physischen Formen zu existieren und deshalb sich aus vorhergehenden Bewusstseinszuständen selbst zeugend und erneuernd; oder vielleicht beides in einer Art reziproker Verursachung.
Wie bei der Diskussion über den intelligenten Plan ist das Studium des Bewusstseins voll von widerstreitenden Theorien, Annahmen und unbewiesenen Hypothesen, die uns – wie einige Forscher warnen – mit der „Illusion des Wissens“ blenden können – ein scheinbar endloses Labyrinth von zweideutigen Daten und rein intellektueller Argumentation, wodurch wertvolle Forschung oft dem Minotaurus des Reduktionismus geopfert wird. Oft genug werden subjektive Phänomene auf Chemie und Physik reduziert, aber es gibt auch das Problem, dass Daten selektiv interpretiert werden und man versucht, diese den Vorstellungen des dominierenden Paradigmas – ob wissenschaftlich oder religiös – anzupassen, wobei ihre größere Bedeutsamkeit oftmals übersehen wird.
Anders ausgedrückt: Das Problem des Wissens ist nicht essenziell verschieden von dem, dem Sokrates vor mehr als 2 400 Jahren begegnete, als Meno das sophistische Dilemma aufwarf: Wie ist es bei der Suche nach Wahrheit möglich, dass Objekt deiner Suche zu entdecken, wenn du es nicht kennst? Selbst wenn man findet, wonach man sucht, wie kann man jemals wissen, ob das das Ding ist, das nicht bekannt war? (Meno 80). Das mag uns wie reine Sophisterie vorkommen (wie Plato es gerne beschrieb), es bezeichnet jedoch eine Grenze des wissenschaftlichen Forschens, besonders in Bezug auf das Bewusstsein, das oft nur das sieht, was es möchte oder erwartet (wie der Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn so effektiv zeigte) 4. Wir können bis zur Erschöpfung im Irrgarten der schwer fassbaren Phänomene, die von unseren vorgefassten Meinungen gefiltert sind, herumwandern oder stattdessen, was Sokrates möglicherweise andeutete, nach einem Ariadnefaden der Intuition suchen – dem Genius der wissenschaftlichen Entdeckung –, um einen Ausweg aufzuzeigen.
Seit 1871, als der berühmte Chemiker Sir William Crookes (anderen vor ihm folgend) die wissenschaftliche Erforschung der psychischen Kräfte vorschlug, ahnt eine Anzahl von namhaften Wissenschaftlern, dass die psychische Forschung einen solchen Weg anbietet. Wenn paranormale Phänomene und das Überleben des Individuums nach dem Tod unter Testbedingungen bewiesen werden könnten, dann wäre das sicherlich ein Beweis, dass Bewusstsein unabhängig vom Körper existieren kann. Wenn wir jedoch die Annalen der Geschichte zu Rate ziehen, führt auch dieser Weg, der viel zum Nachdenken bietet, zu anderen Labyrinthen und Minotauren, wie blinde Leichtgläubigkeit, psychische Eitelkeit, Täuschung und Betrug auf einer und extremer Skeptizismus und Spott auf der anderen Seite. Das alles hat ernsthafte Forschung immer mehr an die Peripherie gedrängt.
Um diese Klippen zu umgehen, könnten wir unser Betätigungsfeld erweitern und uns einem anderen ‘ausgeschlossenen’ Pfad des Suchens zuwenden, der direkt die Natur des Bewusstseins und seine Verwandtschaft mit der Materie anspricht, und zwar indem die Physik und die Metaphysik solcherart miteinander verschmolzen werden, dass sie zu den Problemen der Evolution und Schöpfung zusammenhängende Lösungen bieten. In der theosophische Literatur, wie Die Geheimlehre und Die Mahatma-Briefe an A. P. Sinnett, und auch in älteren Werken gibt es verschiedene Beispiele für wissenschaftliche Einsicht, die bis jetzt noch nicht verstandene oder erkannte Bewusstseinsarten vermuten lassen. 5 Spirituelle Wahrnehmung, Intuition, Erleuchtung und Gnosis oder ein Wissen und die Mysterien werden routinemäßig in den alten Weisheitstraditionen erwähnt: von Gilgamesh, der „geheime Dinge sah und verborgene Plätze öffnete“, bis zur Philosophie des Sokrates, der „das Schöne, das Gerechte und das Gute in ihrer Wahrheit“ erblickte, und Jesus, der im Thomas Evangelium sagt: „Erkennt, was in eurem Blickfeld liegt, und das, was für euch verborgen ist, wird für euch klar werden; denn es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar werden kann.“
Theosophie bedeutet buchstäblich „göttliche Weisheit“ und ihre Beschreibung der kosmischen und menschlichen Evolution beginnt vielfach mit einer Anzahl von Einleitungen. Plato bezieht sich besonders auf die Gesetzgebung, aber in einem tieferen Sinn auf das göttliche Gesetz, welches das Universum hervorbringt und regiert, und er nennt sie Vorreden mit dem Zusatz: „Es macht einen sehr großen Unterschied, ob wir uns klar an die Präambeln erinnern oder nicht“ (Die Gesetze 723); denn diese sollen ein notwendiges begriffliches Fundament liefern, um uns bei der Orientierung zu helfen und zu erläutern, was folgt. Die Geheimlehre von H. P. Blavatsky, eine moderne Darstellung der alten Weisheitstradition, beginnt mit drei solchen Vorreden – dem Vorwort, der Einleitung und der Vorrede. Als sie gefragt wurde, wie das Buch zu lesen sei, antwortete sie: „Als erstes muss man, selbst wenn man Jahre dafür braucht, etwas von den ‘drei Fundamentalten Grundsätzen’ verstehen, wie sie in der Vorrede gegeben werden“. Dann sollte man die Rekapitulation studieren – die nummerierten Absätze in der „Übersicht“ (Die Geheimlehre 1:290 ff; The Secret Doctrine 1:269 et seq.). 6
Aus der Sicht der Evolution ist das Konzept der gemeinsamen Abstammung ein Sprungbrett zu diesen drei Grundsätzen: dass alle Spezien unseres Planeten aus einer gemeinsamen Quelle stammen und durch Verflechtung miteinander verbunden und verwurzelt sind – auf eine solche Weise, dass wir unsere Erde als einen lebendigen Organismus betrachten können. In ihrer Beschreibung jener gemeinsamen Abstammung unterscheidet sich die Theosophie grundlegend vom Darwinismus, da sie zwischen Bewusstsein und Materie „nicht als unabhängige Wirklichkeiten, sondern als zwei Facetten oder Aspekte des Absoluten“ unterscheidet. Nichtsdestoweniger teilt sie mit dem Darwinismus die Idee der Familienverwandtschaft des gesamten Lebens. Sie dehnt diese Vorstellung jedoch bis zu den Grenzen unseres Vorstellungsvermögens aus, indem sie bekräftigt, dass die essenzielle Individualität jedes Wesen aus einer ewigen Vereinigung von Bewusstsein und Substanz besteht, verwurzelt in der absoluten Einheit, eine monadische Wesenheit, die von Universum zu Universum in einer fortdauernden, evolvierenden Selbstwerdung überdauert – von innen nach außen. Sich selbst die zyklischen Ewigkeiten hindurch ‘wiedererzeugend’ fällt jede solche monadische Wesenheit klar unter die Definition von Leben; und jede ihrer manifestierten Ausdrucksformen – ob Teilchen, Pflanze, Tier, Mensch oder darüber hinaus – ist deshalb auf ihrer eigenen Ebene der Wahrnehmung bewusst und ein essenzieller lebendiger Bestandteil unseres lebendigen Universums.
Mit dem Hinweis auf „jene Begabungen, die uns fähig machen, Zeit und Raum zu übersteigen … die uns eine intensive Sehnsucht für abstrakte Wahrheit verleihen“ beginnen die drei fundamentalen Grundsätze mit der Quelle aller Existenz: ein allgegenwärtiges, ewiges, grenzenloses und unveränderliches Prinzip, „die wurzellose Wurzel von allem, was war, ist oder jemals sein wird“. ES oder JENES (die namenlose Wirklichkeit) ist kein Wesen oder eine anthropomorphe, geschlechtliche Gottheit, sondern wird als eine abstrakte „Sein-heit“ beschrieben, jenseits der Reichweite menschlichen Denkens, undenkbar und unaussprechlich, symbolisiert durch absoluten abstrakten Raum und absolute abstrakte Bewegung, wobei letztere manchmal der Große Atem genannt wird:
Betrachten wir diese metaphysiche Triade [die Eine Realität, Bewusstsein und Materie] als die Wurzel, aus der alle Offenbarung hervorkommt, so nimmt der große Atem den Charakter präkosmischer Ideenbildung an. Er ist der fons et origo [Quelle und Ursprung, d. Ü.] von Kraft und allem individuellen Bewusstsein und bietet die leitende Intelligenz in dem weiten Plane kosmischer Evolution.
Gerade so wie präkosmische Ideenbildung die Wurzel allen individuellen Bewusstseins ist, so ist präkosmische Substanz die Grundlage der Materie in ihren verschiedenen Graden ihrer Differenzierung.
Es wird somit klar, dass der Gegensatz dieser zwei Aspekte des Absoluten für die Existenz des „Manifestierten Universums“ essenziell ist.
Hier betont die Geheimlehre, dass Bewusstsein aus früheren Bewusstseinszuständen entsteht, genauso wie Materie aus früheren Stadien der Substanz entstanden ist, und dass die zwei ewig und unentwirrbar verbunden sind. Sie arbeitet dann weiter aus, indem sie erklärt, dass Bewusstsein und Substanz durch die dynamische Energie verbunden sind, welche die Idee des göttlichen Gedankens durch die Architekten unserer sichtbaren Welten der kosmischen Substanz in Form der sogenannten ‘Naturgesetze’ einprägt (Die Geheimlehre 1:42-43; The Secret Doctrine 1:14-16)).
Der zweite fundamentale Grundsatz weitet diese Konzept der Dualität und Bipolarität aus und postuliert „die Ewigkeit des Weltalls in toto als einer grenzenlosen Ebene, die periodisch der ‘Spielplatz ist von zahllosen unaufhörlich erscheinenden und verschwindenden Universen’“. Jedes von ihnen ist der Ursprung seines Nachfolgers. „Diese zweite Behauptung der Geheimlehre ist die absolute Universalität jenes Gesetzes der Periodizität … die auf allen Gebieten der Natur beobachte und aufgewiesen wird“ – Veränderungen wie die von Tag und Nacht, Leben und Tod, Schlafen und Wachen (Die Geheimlehre 1:44-45, 74; The Secret Doctrine 1:16-17, 43).
Bei der Spekulation über die Nacht des Universums – das heißt über den passiven Zustand der absoluten Essenz, als „Finsternis über der Urflut lag“ (Genesis 1,2) – wird gesagt, dass nichts in der grenzenlosen Unendlichkeit des abstrakten Raums existiert, was der endliche Intellekt erfassen kann, außer vielleicht das, was die Kogi-Philosophen im nördlichen Kolumbien Aluna nennen, dessen zwei Attribute Erinnerung und Möglichkeit (oder Potenzialität) sind. Die Theosophie behauptet, dass es ex nihilo („aus dem Nichts“) keine Schöpfung geben kann, wie man normalerweise meint; sondern stattdessen ein sich periodich manifestierendes ‘Werden’ innerhalb des immer existierenden absoluten Prinzips, aus dem die Gesamtheit des Kosmos emaniert. Obwohl die Theosophie einen „Schöpfer oder eher ein kollektives Aggregat von Schöpfern nicht leugnet“, weigert sie sich aber sehr logisch, die ‘Schöpfung’ und besonders die Gestaltung – etwas Begrenztes – einem Unbegrenzten Prinzip zuzuschreiben“ (Die Geheimlehre 1:36; The Secret Doctrine 1:7). Die ‘Schöpfungsaufgabe’ fällt stattdessen der Schar von intelligenten Kräften zu, die oft als Architekten und Bauleute beschrieben werden:
Der ganze Kosmos wird von einer nahezu endlosen Reihe von Hierarchien fühlender Wesen geleitet, gelenkt und belebt, von denen jede eine Sendung zu erfüllen hat … Sie sind in ihren jeweiligen Abstufungen von Bewusstsein und Intelligenz unendlich verschieden; und sie alle reine Geister zu nennen, ohne irgendwelche irdische Beimischung, „woran die Zeit zu nagen pflegt“, bedeutet nur einer poetischen Phantasie zu huldigen. Denn jedes dieser Wesen war entweder ein Mensch oder bereitet sich vor, einer zu werden, wenn nicht in dem gegenwärtigen, so in einem vergangenen oder zukünftigen Zyklus (Manvantara). Sie sind vervollkommnete, wenn nicht anfangende Menschen …
– Die Geheimlehre 1:295; The Secret Doctrine 1:174-5
Dieser Gedanke führt natürlich zu dem dritten Grundsatz, der „die fundamantale Identität aller Seelen mit der universalen Oberseele“ postuliert, „wobei letzere selbst ein Aspekt der unbekannten Wurzel ist; und die obligatorische Pilgerschaft für jede Seele – einen Funken der erstgenannten – durch den Zyklus von Inkarnation (oder ‘Notwendigkeit’) in Übereinstimmung mit zyklischem und karmischem Gesetz“, zuerst durch natürlichen Impuls vom Mineral zu Pflanze und Tier aufsteigend, dann durch selbstbewirkte und selbsterdachte Anstrengungen vom Menschen hinauf zum heiligsten Erzengel. „Die Kernlehre der Esoterischen Philosophie gibt keine Privilegien oder besonderen Gaben im Menschen zu außer jenen, welche sein eigenes Ego durch persönliche Anstrengung und Verdienst während einer langen Reihe von Metempsychosen und Reinkarnationen gewonnen hat“ (Die Geheimlehre 1:45; The Secret Doctrine 1:17).
Diesen evolutionären Aufstieg als einen wettstreitartigen Kampf anzusehen, welcher diejenigen bevorzugt, die materiell, intellektuell oder spirituell ‘am geeignetsten’ sind, wäre ein Missverständnis seiner Bedeutungen und seines Ziels. Im Gegensatz dazu sind diese drei Grundsätze eine Erklärung über unseren evolutionären Auftrag, welcher die inhärenten Rechte der Existenz und Abstammung, die zu jedem Lebenwesen gehören, beteuert: dass alles im Universum, da göttlichen Ursprungs, ein Mitteilnehmer und auf einer gewissen Ebene ein Mitschöpfer ist; und weiter dass wir in dieser universalen Partnerschaft eng miteinander verbunden sind, wie getrennt und verschieden wir äußerlich auch erscheinen mögen. Als selbstbewusste Menschen mit den Samen des göttlichen Potenzials haben wir alle die Möglichkeit, uns selbst zu kennen und unseren Pfad in die Zukunft zu wählen. Dass das sowohl den freien Willen als auch die Verantwortung des Handelns zum Wohl des gesamten Kosmos impliziert, ist offensichtlich; und ebenso dass wir alle unvollkommene Werkstücke sind. Wir lernen aus unseren Fehlern und unseren Erfolgen … und aus denen anderer:
wie viele Beweise es [im Universum] auch für eine leitende Intelligenz hinter dem Schleier geben mag – es zeigt dennoch Lücken und Fehler, die sogar sehr oft zu offenbaren Misserfolgen führen – so sind weder die gesamte Schar (der Demiurgen) noch irgendeine der wirksamen Kräfte individuell geeignete Subjekte für göttliche Verehrung oder Anbetung. Wie auch immer, alle verdienen die dankbare Verehrung der Menschheit. Und der Mensch sollte immer danach streben, der göttlichen Evolution der Ideen behilflich zu sein, indem er nach seinen besten Fähigkeiten ein Mitarbeiter der Natur bei ihrer zyklischen Aufgabe wird. Das ewig unerkennbare und unerfassbare Karana allein, die Ursachlose Ursache aller Ursachen, sollte seinen Schrein und Altar auf dem heiligen und immer unbetretenen Boden unseres Herzens haben – unsichtbar, unberührbar, unausgesprochen, ausgenommen von der „noch schwachen Stimme“ unseres spirituellen Bewusstseins. Jene, die demselben ihre Verehrung darbringen, sollten es tun in der Stille und in der geheiligten Einsamkeit ihrer Seelen; indem sie ihren Geist zum einzigen Mittler zwischen sich und dem Universalgeist machen, ihre guten Handlungen zu den alleinigen Priestern und ihre sündigen Neigungen zu den einzigen sichtbaren und objektiven Opferdarbringungen an die Gegenwart.
– Die Geheimlehre 1:300-1; The Secret Doctrine 1:280
Weder Die Geheimlehre, Die Mahatma-Briefe noch irgendeine andere theosophische Schrift möchte den Anschein erwecken, die gesamte esoterische Philosophie anzubieten oder sogar „ein letztes Wort über die Existenz“. Ihre Autoren behaupten lediglich, wenige Fragmente als Rahmen zu geben, um bei „der Hinführung zur Wahrheit“ zu helfen. Lange vor Sokrates wurde Schülern der immerwährenden Weisheit der Rat gegeben, dass der Beweis gänzlich dem einzelnen überlassen bleibt, nichts Geschriebenes oder Gesprochenes sollte übernommen oder als letztes Wort angenommen werden; denn wirkliches Wissen kann nicht vermittelt werden – außer durch Erfahrung aus erster Hand, letztendlich durch direktes Schauen, was ein wahrnehmendes Bewusstsein einer höheren Ordnung erfordert. Auch kann der harte Aufstieg von Unwissenheit zu Einsicht nicht von der Wissenschaft allein bewerkstelligt werden, sondern bedarf einer Partnerschaft mit Philosophie und Religion – mit anderen Worten die ethischen, intellektuellen und spirituellen Schulungen, die den Mysterien vorausgehen.
Die kurze Zusammenfassung der grundlegenden Vorstellungen wird ihnen kaum gerecht und muss aus theistischer Sicht zweifellos fremd erscheinen. Dennoch liefert ein unparteiisches Studium des Ursprungs und der Abstammung der spirituellen Traditionen der Menschheit ausreichende Beweise, dass diese Ideen weder ketzerisch noch von untergeordneter Bedeutung sind, sondern dass sie von zentraler, grundlegender Bedeutung sind, und universal zum Ausdruck gebracht sind – ein Thema, das in Kapitel 3 untersucht wird.
Fußnoten
1. Aus Contribution to the Theory of Natural Selection, London, 1870, S. 358-9. Wallace ist gut bekannt für seine unabhängige Darlegung einer Theorie der natürlichen Selektion, die Charles Darwin dazu anregte, sein Werk Origin of Species (1859) zu schreiben und zu publizieren. Wallace und Darwin stellten ihre Ideen gemeinsam am 1. Juli 1858 bei der Linnean Society vor. [back]
2. National Public Radio, „Talk of the Nation/Science Friday“; 8. Nov. 2002. [back]
3. Siehe zum Beispiel die Website der Universität von Arizona (Center for Consciousness Studies), www.consciousness.arizona.edu; ebenso B. Alan Wallace, „The Intersubjective World of Science and Religion“, 2001 Templeton Research Lecture (video and transcript), www.srhe.ucsb.edu/lectures/info/wallace.html. [back]
4. The Structure of Scientific Revolutions, 2. Ausgabe, 1970, Kapitel 6, besonders das Studium von Bruner und Postman, das die blendene Wirkung der Erwartung darstellt (S. 62-65). [back]
5. Siehe „Schöpfung, Evolution und die Geheimlehre“, SUNRISE, Heft 2/1989, S. 105. [back]
6. Siehe auch „The ‘Secret Doctrine’ and Its Study“, An Invitation to The Secret Doctrine, S. 2-3; online: www.theosociety.org. [back]