Die Geheimlehre Band 1
Über 130 Jahre sind seit dem Erscheinen des Werkes The Secret Doctrine im Jahr 1888 vergangen. Die erste deutsche Ausgabe in der Übersetzung von Hartmann/Froebe kam 1899 auf den Markt, 11 Jahre später. Übersetzt wurde damals verfügbare drei Bände plus Index umfassende Ausgabe der Secret Doctrine, wobei Band 3 und der Indexband nach Blavatskys Tod erschienen waren und somit nicht zur Originalausgabe gehören. Die Hartmann/Froebe-Übersetzung wurde in den nachfolgenden Jahren mehrere Male korrigiert, verändert und nachgedruckt.
Heute ist Die Geheimlehre das umfassendste Quellenbuch der Esoterischen Tradition, sie umreißt die fundamentalen „Geheimlehren der archaischen Zeitalter”. Herausfordernd und prophetisch zugleich, adressiert sie direkt die Fragen wer wir sind, wo wir herkamen und wohin wir gehen, und auch die Frage nach dem Warum. Auf der Grundlage der alten Stanzen des Dzyan (mit unterstützenden Zeugnissen aus hunderten von Quellen) entfalten die beiden Bände das Drama der kosmischen und menschlichen Evolution – vom Wiedererwachen der Götter am Ende der „Nacht des Universums” bis zur endgültigen Wiedervereinigung des Kosmos mit seinem göttlichen Ursprung.
Ergänzende Kapitel diskutieren sowohl wissenschaftliche Gesichtspunkte als auch die Mysteriensprache der Mythen, Symbole und Allegorien und unterstützen die LeserInnen dabei, die oftmals abstruse Bildsprache der heiligen Literatur der Welt zu entschlüsseln.
[SD # iii]
DIE GEHEIMLEHRE
DIE SYNTHESE
VON
WISSENSCHAFT, RELIGION UND PHILOSOPHIE
VON
H. P. BLAVATSKY
autorin von „isis entschleiert“
„Keine Religion ist höher als die Wahrheit.“
Band I – KOSMOGENESIS
Copyright © 2022
Theosophischer Verlag
der Stiftung der Theosophischen Gesellschaft Pasadena
[SD # iv]
[SD # v]
Dieses Werk
widme ich allen wahren Theosophen,
in jedem Land,
und von jeder Rasse,
denn sie haben es herbeigerufen,
und für sie wurde es aufgezeichnet.
Vorwort des Herausgebers der Deutschen Ausgabe
Diese vollständig neue Übersetzung von H. P. Blavatskys The Secret Doctrine basiert auf der am 1. November 1888 in London und New York erschienenen englischen Originalausgabe in zwei Bänden. Dieses Werk erschien zuletzt 2014 bei der Theosophical University Press in Pasadena in einem vollständig neu gesetzten, dem Original zeichengenau entsprechenden Neudruck.1
Der Herausgeber ist sich der Tatsache bewusst, dass jede Übersetzung eine Interpretation darstellt und somit nicht vollständig dem Original entsprechen kann, zumal der Originaltext am Ende des 19. Jahrhunderts verfasst wurde und sich die Sprache seither deutlich verändert hat. Auch weist er ausdrücklich darauf hin, dass Blavatsky selbst die europäischen Sprachen für unzureichend hielt, um „gewisse Ideen“ der Geheimlehre zum Ausdruck zu bringen.2 Inwieweit diese neue Übertragung in die deutsche Sprache gelungen ist, sei dem Urteil des Lesers überlassen.
Bei der Übersetzung wirkten Dora (†) und Dr. Gerhard Fischer (†) sowie Elisabeth und Matthijs Jasper Prent mit. Inga Charlotte Streblow M. A. besorgte das sehr aufwendige Lektorat.
Ziel der neuen Übersetzung ist es, die Schönheit und Einheit des Originals so weit wie möglich zu erhalten und es dem Leser so unverändert wie möglich zu präsentieren.
Zusätzlich möchte der Herausgeber folgende technische Hinweise geben. Im englischen Original werden Wortanfänge häufig in Versalien geschrieben. Mit Ausnahme von Eigennamen haben wir diese Großbuchstaben nur dann übernommen, wenn das Wort in der Theosophie oder dem entsprechenden Sinn eine besondere Bedeutung hat – z. B. bei feststehenden Begriffen oder wenn sich die Bedeutung vom täglichen Sprachgebrauch unterscheidet (z. B. ‘der Göttliche Gedanke’). Dies führt stellenweise zu offensichtlichen Inkonsistenzen in der Schreibweise.
Eindeutige Druckfehler und unterschiedliche Schreibweisen ein und desselben Begriffes im englischen Text wurden aktualisiert und vereinheitlicht (z. B. Bd. 1, S. 339: ‘Siphra Dzeniouta’ und Bd. 1, S. 342: ‘Siphrah Dzenioota’; Seitenangaben amerikanische Version). Bei Worten, die mittlerweile Eingang in die deutsche Sprache gefunden haben, wird die aktuelle Schreibweise verwendet (z. B. Kabbala).
Bei Bibelzitaten wird in einigen Fällen der Auslegung (und Übersetzung) Blavatskys gegenüber heute verfügbaren Übersetzungen ins Deutsche der Vorzug gegeben. In allen anderen Fällen wurden die Zitate aus der Elberfelder Übersetzung aus dem Jahr 1905 verwendet (www.bibel-online.net).
Werden Texte deutscher Autoren unverändert aus englischen Übersetzungen zitiert, haben wir, soweit verfügbar, auf die deutsche Originalvorlage zurückgegriffen (z. B. Band 1, Seite 55, Zitat von Hegel).
Mit Indien wird in diesem Buch in etwa das Gebiet des ehemaligen Britisch Indien bezeichnet, nicht aber das Indien in seinen heutigen Grenzen.
In The Secret Doctrine wird ein Unterschied gemacht zwischen „cosmos“ und der alternativen Schreibweise „kosmos“. Erstere Schreibweise ist orthografisch korrekt, meint aber im vorliegenden Werk unser Heimatuniversum, unser eigenes Sonnensystem.3 Weitaus häufiger wird die orthografisch nicht korrekte Schreibweise „kosmos“ mit der üblichen Bedeutung des Wortes „Kosmos“ oder Universum verwendet. Die unterschiedliche Schreibweise hat sich in der späteren Literatur nicht durchgesetzt, selbst in der Geheimlehre wurde sie nicht konsequent durchgehalten. In dieser HTML-Version haben wir die Schreibweise vereinheitlicht.
Wir weisen darauf hin, dass im vorliegenden Werk Zitate nicht entsprechend moderner wissenschaftlicher Standards gekennzeichnet sind. Für die Überprüfung der Quellen stehen unter www.theosociety.org in englischer Sprache die Secret Doctrine References zur Verfügung. Sie enthalten die meisten der aufwendig nachrecherchierten Quellen, aus denen im vorliegenden Werk zitiert wird. Eine weitere englischsprachige Ressource stellt The Secret Doctrine Index4 dar, ein 440 Seiten umfassender Index, der zum kostenlosen Download auf der amerikanischen Webseite der Theosophischen Gesellschaft bereitsteht und auch in gedruckter Form zur Verfügung steht. Auf der obigen Webseite wird auch umfangreiche Sekundärliteratur zur Geheimlehre und Blavatsky angeboten.
In Bezug auf die Gestaltung des Werkes möchten wir hervorheben, dass die Original-Satzschriften (Miller & Richard Old Style) angepasst wurden, damit das Schriftbild auch die durch den Bleisatz und die Art des Drucks hervorgerufene Fettung der Schriften im Originaldruck wiedergibt. Der Schriftsatz wurde insgesamt so nah wie möglich der Erstausgabe angepasst, aus diesem Grund variieren Schriftgrößen und Durchschuss im gesamten Werk immer wieder. Zum Zweck einer besseren Lesbarkeit wurden an einigen Stellen Zitate durch Absatzabstände vom Fließsatz getrennt.
Die Seitenzahlen der englischen Originalausgabe von 1888 sind in kursiver Schrift am Seitenrand angegeben, möglichst genau an der Position des Seitenanfanges der betreffenden Seite des englischen Originaltextes. Da in der HTML-Version die Indexe entfernt und in die Navigation überführt wurden, ergeben sich an diesen Stellen Lücken in der Nummerierung der amerikanischen Seiten. Der Index am Ende des zweiten Bandes bezieht sich auf diese an den Rändern aufgeführten Seitenzahlen des amerikanischen Originaltextes. Der Index wurde im Jahr 1925 überarbeitet und jetzt nochmals editiert.
Die Schreibweisen von technischen Angaben (Uhrzeiten, Ortsangaben, Maßeinheiten etc.) wurden, soweit möglich, auf den aktuellen Stand angepasst und vereinheitlicht.
Armin Zebrowski
Eberdingen, im Mai 2022
[SD # vii]
VORREDE
Die Autorin – vielmehr die Schreiberin – hält es für notwendig, sich für die lange Verzögerung der Erscheinung dieses Werkes zu entschuldigen. Die Ursache dafür waren die schlechte Gesundheit und der Umfang des Unternehmens. Selbst die beiden jetzt herausgegebenen Bände entsprechen nicht dem gesamten Plan, und die darin behandelten Themen sind nicht erschöpfend besprochen. Eine große Menge des in den Biografien der großen Adepten der arischen Rasse enthaltenen Materials über die Geschichte des Okkultismus ist bereits vorbereitet, es soll den Einfluss der okkulten Philosophie auf die Lebensführung zeigen, wie sie ist und wie sie sein sollte. Sollten die vorliegenden Bände eine günstige Aufnahme finden, wird keine Mühe gescheut werden, den Plan des Werkes zu vollenden. Der dritte Band ist vollständig fertig, der vierte beinahe.
Es muss noch hinzugefügt werden, dass dieser Plan zum Zeitpunkt der Ankündigung des Werkes noch nicht existierte. „Die Geheimlehre“ sollte entsprechend der ursprünglichen Absicht eine verbesserte und erweiterte Fassung von „Isis entschleiert“ sein. Es stellte sich aber bald heraus, dass die Erläuterungen, welche denen hinzugefügt werden konnten, die in dem letztgenannten und anderen mit der esoterischen Wissenschaft befassten Werken bereits der Welt gegeben worden waren, solcher Art waren, dass sie einer anderen Behandlung bedurften. Folglich enthalten die vorliegenden Bände nicht einmal zwanzig Seiten aus „Isis entschleiert“.
Die Autorin hält es nicht für nötig, die Nachsicht ihrer Leser und Kritiker für die vielen Mängel des literarischen Stils und das unvollkommene Englisch zu erbitten, das in diesen Seiten gefunden werden mag. Sie ist Ausländerin, und ihre Sprachkenntnisse erwarb sie im fortgeschrittenen Alter. Die englische Sprache wird verwendet, weil sie das am weitesten verbreitete Medium für die Übermittlung der Wahrheit darstellt, die der Welt vorzulegen ihre Pflicht geworden war.
Diese Wahrheiten werden in keinem Sinne als eine Offenbarung vorgebracht; auch beansprucht die Verfasserin nicht die Stellung einer Enthüllerin einer jetzt zum ersten Mal in der Weltgeschichte veröffentlichten mystischem Überlieferung. Denn was in diesem Werk enthalten ist, kann über Tausende von Bänden zerstreut gefunden werden, welche die Schriften der großen asiatischen und frühen europäischen Religionen umfassen, verborgen unter Glyphen und Symbolen und angesichts dieser Verschleierung bisher unbemerkt geblieben. Jetzt wird der Versuch unternommen, die ältesten Lehrsätze zu sammeln und aus ihnen ein harmonisches und zusammenhängendes Ganzes zu machen. Die Schreiberin hat dabei gegenüber ihren Vorgängern den einzigen Vorteil, nicht auf persönliche Spekulationen und Theorien zurückgreifen zu müssen. Denn dieses Werk ist eine teilweise Darlegung dessen, was ihr selbst von weiter fortgeschrittenen Schülern gelehrt wurde, nur in wenigen Einzelheiten durch die Ergebnisse ihres [SD # viii] eigenen Studiums und Beobachtens ergänzt. Die Veröffentlichung vieler der hier vorgetragenen Tatsachen war wegen der wilden und fantasiereichen Spekulationen notwendig geworden, denen sich viele Theosophen und Schüler der Mystik in den letzten Jahren in ihrem Bestreben hingaben, aus den wenigen ihnen früher mitgeteilten Tatsachen ein ihrer Vorstellung nach vollständiges Gedankensystem auszuarbeiten.
Es ist unnötig zu erklären, dass dieses Buch nicht die Geheimlehre in ihrer Gänze darstellt, sondern eine Anzahl ausgewählter Fragmente ihrer fundamentalen Lehrsätze. Besondere Aufmerksamkeit wurde dabei auf einige Tatsachen gelegt, die von verschiedenen Schriftstellern aufgegriffen und bis zur völligen Unkenntlichkeit der Wahrheit entstellt wurden.
Es ist aber vielleicht wünschenswert unmissverständlich festzustellen, dass die in diesen Bänden enthaltenen Lehren – wie bruchstückhaft und unvollständig auch immer sie sein mögen – weder der hinduistischen, der zoroastrischen, der chaldäischen oder der ägyptischen Religion, noch dem Buddhismus, Islam, Judentum oder Christentum ausschließlich angehören. Die Geheimlehre ist die Essenz all dieser. Die in ihren Ursprüngen aus ihr hervorgegangenen, verschiedenen religiösen Systeme werden nun wieder in ihrem ursprünglichen Element verschmolzen, aus dem jedes Mysterium und Dogma hervorging, sich entwickelte und materialisierte.
Es ist mehr als wahrscheinlich, dass das Buch von einem großen Teil der Öffentlichkeit für eine Erdichtung der wildesten Art gehalten wird, denn wer hat jemals vom Buch Dzyan gehört?
Die Schreiberin ist daher vollständig darauf vorbereitet, die gesamte Verantwortung für das, was in diesem Werk enthalten ist, zu übernehmen, und selbst der Anschuldigung ins Gesicht zu sehen, das Ganze erfunden zu haben. Dass es viele Unzulänglichkeiten hat, dessen ist sie sich wohl bewusst. So romantisch das Werk auch vielen erscheinen mag – sein logischer Zusammenhang und seine Folgerichtigkeit berechtigen diese neue Genesis auf jeden Fall dazu, mit den von der modernen Wissenschaft so freigiebig akzeptierten „Arbeitshypothesen“ auf eine Stufe gestellt zu werden – das ist alles, was die Schreiberin für es beansprucht. Außerdem fordert das Werk nicht aufgrund irgendeiner Berufung auf eine dogmatische Autorität Beachtung ein, sondern weil es nie die Nähe zur Natur verliert und den Gesetzen der Analogie und der Uniformität folgt.
Die Absicht dieses Werkes kann also folgendermaßen formuliert werden: Es soll gezeigt werden, dass die Natur nicht „ein zufälliges Zusammenwirken von Atomen“ ist, und dem Menschen soll sein rechtmäßiger Platz im Plan des Universums zugewiesen werden; die archaischen Wahrheiten, welche die Grundlage aller Religionen sind, sollen vor der Entartung bewahrt werden; und bis zu einem gewissen Grad soll die fundamentale Einheit, aus der sie alle entspringen, aufgedeckt werden; schließlich soll gezeigt werden, dass die Wissenschaft der modernen Zivilisation der okkulten Seite der Natur niemals nahegekommen ist.
Sollte das einigermaßen erreicht werden, wäre die Schreiberin zufrieden. Das Werk ist im Dienste der Menschheit geschrieben, und von der Menschheit und den zukünftigen Generationen muss es beurteilt werden. Seine Autorin anerkennt kein geringeres Gericht. An Beschimpfungen ist sie gewöhnt, mit Verleumdung ist sie täglich vertraut, über Verunglimpfungen lächelt sie in schweigender Verachtung.
De minimis non curat lex.
H. P. B.
London, Oktober 1888
Fußnoten
1 H. P. Blavatsky: The Secret Doctrine, Unabridged Verbatim Edition, Theosophical University Press, Pasadena, Kalifornien 91109, 2014, ISBN 978-1-55700-228-0, 2 Bände, Paperback.
2 „Aber infolge der den behandelten Gegenständen innewohnenden Schwierigkeiten und der nahezu unüberwindbaren Beschränkungen der englischen Sprache (sowie jeder anderen europäischen Sprache) beim Ausdruck gewisser Ideen ist es mehr als wahrscheinlich, dass es der Schreiberin nicht gelungen ist, die Erklärungen in der besten und klarsten Form darzulegen. Aber alles, was unter den widrigsten Umständen jeder Art getan werden konnte, ist geschehen, und das ist das Äußerste, was von einem Schriftsteller erwartet werden kann.“ – H. P. Blavatsky, Die Geheimlehre, Band 1, Seite 280.
3 Kosmos [griechisch κόσμος kosmos, Ordnung, Universum] Das Universum, gleichbedeutend mit dem lateinischen mundus. Die Theosophie betrachtet eine unendliche Reihe aufeinanderfolgender Ganzheiten oder Universen, von denen jedes vollständig genug ist, um als Kosmos oder Universum bezeichnet zu werden, und doch ist jedes in ein größeres Ganzes eingebunden. Da es keine absoluten oder endgültigen Grenzen gibt, weil dies der Natur widerspricht, sollte dem Wort Kosmos, das sowohl die unsichtbaren Ebenen als auch das sichtbare Universum umfasst, nicht die Bedeutung einer Endgültigkeit zugemessen werden. Einige theosophische Autoren beziehen sich mit der englischen Schreibweise „kosmos“ auf unser Heimatuniversum oder galaktisches System und mit „cosmos“ auf unser Sonnensystem. Siehe https://www.theosociety.org/pasadena/etgloss/ke-kz.htm unter dem Begriff „kosmos“, abgerufen am 10.03.2022; deutsche Übersetzung angepasst.
4 John P. Van Mater: The Secret Doctrine Index, Theosophical University Press, Pasadena, 440 Seiten, ISBN 978-1-55700-003-3 (gebundene Ausgabe in 2 Bänden), ISBN 978-1-55700-004-0 (Paperback-Ausgabe in einem Band). Online unter https://www.theosociety.org/pasadena/sd-index/dx-00hp.htm