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Karma

© 1980, Nachdruck mit Erlaubnis der Hanuman Stiftung.

 

[Wir freuen uns, unseren Lesern den folgenden Artikel weitergeben zu können, der aus einem Pamphlet des PRISON-ASHRAM PROJECT of the Hanuman Foundation übernommen wurde.1 Seit 1973 hat dieses Unternehmen Gefängnisinsassen, die ihre "Zeit" für spirituelles Wachstum nützen möchten, unterstützt. Es fördert keine bestimmte Religion oder Philosophie, aber es liefert eine Menge Material, so daß die Gefangenen praktische Anleitungen und Ideen entnehmen können, die ihren Bedürfnissen am meisten entsprechen. 

Bo Lozoff, der Unternehmensleiter, war als Berater für die staatlichen und landesamtlichen Resozialisierungsabteilungen tätig, und leitet Schulungsseminare für Gefängnisangestellte im ganzen Land. 

Zum Tätigkeitsbereich des Unternehmens gehört die kostenlose Herausgabe und Verteilung an Gefangene in über 500 Institutionen des Prison-Ashram Newsletter, Inside Out: A Spiritual Manual for Prison Life (Gefängnis-Ashram-Nachrichtenbrief, Intern und Extern: ein spirituelles Handbuch für das Leben im Gefängnis) und verschiedene kleine Schriften mit ausgewählten Themen. 

- Der Herausgeber] 

 

 

 

Karma ist etwas ganz anderes als die Begriffe Sünde, Schuld, Erlösung. Es hilft uns, unsere Handlungen mehr durch das Verständnis dafür, wie die Dinge sind, auszuführen, als durch Schuld und Angst. 

Millionen Worte in Hunderten von Büchern sind über Karma geschrieben worden, doch das Wesentliche ist ganz einfach. Ich hoffe aufrichtig, daß diese kurze illustrierte Erklärung verständlich genug ist, um etwas Kraftstoff für Ihre Reise nach Innen zu liefern. Ich hoffe, daß die Darstellung Ihrem Herzen einen weiteren Anhaltspunkt gibt, einen weiteren Hinweis, den Sie in dem endlosen schwierigen Entscheidungsprozeß, ob eine bestimmte Handlung einer anderen vorzuziehen sei, benutzen können. 

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Das Wort karma heißt einfach "Handlung", und das Prinzip oder Gesetz von Karma wird auf der ganzen Welt in jeder Religion und Kultur gelehrt. In der Bibel heißt das Gesetz: "Wie ihr säet, so werdet ihr ernten." Einfach ausgedrückt, wenn man Rüben sät, kann man keine Tomaten ernten. Jeder Gedanke, jedes Wort und jede Tat in unserem Leben ist ein Same, den wir in die Welt pflanzen. In allen unseren Leben ernten wir die Früchte dieser Samen. Wenn die Samen voll Ärger, Furcht, Habgier, Wünsche und Zweifel sind, dann wird unser Leben auch so sein. Wenn die Samen Liebe, Freundlichkeit und Verständnis enthalten, dann wird unser Leben ebenso sein. Das ist keine moralische oder philosophische Lehre, es ist einfach ein Gesetz der Energie. Karma ist die Art, in der das Universum wirkt. 

bild sunrise 31983 s158 1Karma ist oft einfach zu erkennen. Ein Beatles-Song sagt: "Instant Karma's gonna get you." (Sofort wirkendes Karma wird dich schnappen.) Wenn man zum Beispiel auf eine Schaufel tritt, schnellt diese hoch und trifft uns ins Gesicht. Oder man tritt auf eine Bananenschale und fällt hin. Was hier passiert, ist weder gut noch schlecht. Es ist einfach so wie die Dinge sind. Es ist Karma. 

Bei anderen Gelegenheiten wirkt Karma ebenfalls sofort, aber nicht so offensichtlich. Man drückt auf einen Schalter an der Wand, und an der Decke geht das Licht an. Direkte Ursache und Wirkung, aber die Drähte sind verborgen. Nun, in unserem Leben sind die Drähte meistens verborgen. 

bild sunrise 31983 s158 2Karma ist schwerer zu verfolgen, weil zwischen der Aktion und der karmischen Reaktion Zeit vergeht. Stellt man einen Wecker auf zehn Uhr ein und vergißt es vielleicht, dann ist man erschreckt, wenn er losgeht, und dennoch hat man ihn eigenhändig eingestellt. Während unseres ganzen Lebens rutschen wir auf Bananenschalen aus, drücken auf Schalter mit unsichtbaren Drähten oder stellen Alarmglocken ein, die wir vergessen, oder wir erinnern uns gar nicht mehr, daß wir sie eingestellt haben. Eine Gefälligkeit, von der wir annehmen, daß sie gar nicht bemerkt wurde, oder irgend etwas Schlechtes, von dem wir hoffen, es werde nicht herauskommen - nichts fällt durch das Sieb. Was in Bewegung gesetzt wurde kommt auch. 

Wenn wir die Wahrheit des Hindu-Sprichwortes erfassen: "Keiner ist für einen anderen die Quelle der Freude oder des Schmerzes; jeder erntet die Frucht seiner eigenen Handlungen", dann erkennen wir die Welt tatsächlich ganz anders. 'Wenn uns jemand wirklich verletzt, dann erkennen wir (1), daß unser eigener Schmerz nur durch Dinge verursacht wird, die wir selbst in der Vergangenheit verursacht haben, und daß wir jetzt dafür die Gebühren zahlen müssen (wir arbeiten unser Karma aus); und (2), daß jene Person wohl das Instrument unseres Karmas gewesen sein mag, aber sie hat damit auch eine weitere Runde für sich selbst verursacht. 

bild sunrise 31983 s159 1Wenn wir das völlig begreifen, dann können wir verstehen, warum der große indische Weise, Mahatma Gandhi, als er in den Kopf geschossen wurde, sich seinem Mörder zuwandte und sehr ernst sagte: "es tut mir leid, mein Sohn." Oder warum Christus am Kreuz sagte: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Menschen, die Karma verstehen, fügen anderen Leuten einfach kein Leid zu, das ist alles. Menschen, die Karma nicht verstehen, brauchen unser ganzes Mitleid und unser Verzeihen, denn wenn sie andere verletzen, schlagen sie in Wirklichkeit ihren eigenen Kopf gegen die Wand: sie stellen so viele karmische Wecker, daß sie zu irgendeiner späteren Zeit sehr schmerzhaft erwachen werden. 

In Wahrheit sind wir - alle Wesen im Universum - miteinander verbunden, wir können nur das Bindemittel nicht sehen. Weil die Einheit aller Dinge wahr ist, oder wirklich, oder natürlich; daher erzeugt jeder Gedanke, jedes Wort und jede Tat, die ein Gefühl des Getrenntseins fördern, weiteres Karma; sie erzeugen Illusion oder Unwahrheit. Karma abzuarbeiten besteht einfach in dem Prozeß, diese Unwahrheit wieder auszubügeln, um zur Wahrheit zurückzukehren. Nehmen wir einmal an, ich mache mich über jemanden lustig, der häßlich ist, oder verkrüppelt, oder sonst etwas hat. Damit stelle ich vielleicht meinen karmischen Wecker auf eine Zeit, in der ich ebenso sein werde, oder ich heirate jemanden, der so ist, oder ich bringe ein solches Kind zur Welt. Es ist keine moralische Strafe, es geschieht einfach deshalb, weil ich diese Erfahrung brauche, um über das Gefühl, von diesen Eigenschaften getrennt zu sein, hinauszukommen. Ich brauche einfach eine Erfahrung, die mir hilft zu erkennen, daß es keine "die Anderen" gibt, sondern daß alle "wir" sind. 

Weil Karma in dieser Weise wirkt, um uns alle ganz weise und mitleidsvoll zu machen, sieht es so aus, als wäre es Bestrafung und Belohnung oder Verurteilung für Sünde. Doch es ist wahrhaftig nicht so. Karma gleicht eher dem Gesetz der Schwerkraft - es ist die Art, wie die Energie wirkt. Die Goldene Regel - "behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest" - ist wahrhaftig mehr eine wissenschaftliche Wahrheit als eine Moralpredigt. Wenn Christus sagt: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", sagt er einfach wie es ist; wir sind alle miteinander verbunden, und er kann das Bindemittel sehen. 

Die Welt, in der wir leben, ist wirklich nicht sehr groß, sie ist ein geschlossener Raum. Genauso wie unsere Verunreinigung nicht verschwindet oder "weggeht", genauso ist das bei unseren Bewegungen und unseren Handlungen, seien sie gut oder schlecht. Jeder von uns zählt. Jeder einzelne trägt die volle Verantwortung, die karmische Last dieses Planeten leichter zu machen. Und jeder von uns hat auch die Kraft, dies zu tun. 

bild sunrise 31983 s161 1Alles was uns im Leben geschieht, hat zwei Komponenten, wir könnten sie Fälligkeit und Gelegenheit nennen. Zum Beispiel: Wenn man ins Gefängnis geht, ist das die karmische Fälligkeit für Dinge, die wir in der Vergangenheit getan haben (nicht unbedingt das Verbrechen selbst); ins Gefängnis gehen, ist aber auch eine Gelegenheit für uns, der Wahrheit, Gott, dem Selbst, näher zu kommen - ganz gleich, wie wir es bezeichnen wollen. Das Gefängnisleben ist so schwer und so negativ, daß wir die Gelegenheit erhalten, in einigen Monaten Karma aufzuarbeiten und Stärke aufzubauen, wofür wir im gewöhnlichen Leben möglicherweise fünfzig Jahre gebraucht hätten, wenn nicht mehr. Die Prüfung dieser Fälligkeit liegt darin, ob wir ohne Scham, Bedauern, Bitterkeit usw. unser Karma akzeptieren können? Die Prüfung dieser Gelegenheit ist, ob wir imstande sind, jede Situation in unserem Leben zu nutzen, um unser zukünftiges Karma zu erleichtern und unsere Liebe, Stärke und Weisheit aufzubauen? 

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bild sunrise 31983 s162 1Sobald wir Karma verstehen, beginnen wir mehr Verständnis und Mitgefühl für die "Verfehlungen" anderer Leute zu haben. Unsere karmischen Rucksäcke sind alle einmalig - keine zwei Menschen der Welt haben genau das gleiche Karma. Aber die Reise, auf der alles auszuarbeiten ist, ist für uns alle prinzipiell die gleiche. Wenn wir bewußter werden oder mit mehr Aufmerksamkeit den Prozeß wahrnehmen, neigen wir immer mehr zur stärkeren Zusammenarbeit, und unsere Rucksäcke werden spürbar leichter: wir werden bewußte Wesen - Menschen die in allem was sie tun, vom Zähneputzen bis zur Lebensplanung, in Übereinstimmung mit der Wahrheit handeln. Wir tun dann das, was wir als richtig empfinden, und nicht das, was am leichtesten erscheint.

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Das Ende unserer karmischen Reise - wenn wir die Last unseres karmischen Packens vollständig abgetragen haben - wird Erleuchtung genannt. Wir sind wie ein Gott, der in einem Körper einhergeht. Jeder Gedanke, jedes Wort und jede Handlung ist wahr und erzeugt kein Gefühl des Getrenntseins in der Welt. Menschen wie Christus, Buddha, Abraham, Mohammed und viele andere haben diesen Zustand erreicht. Sie haben sich so mit Gott, Tao, Dharma, Wahrheit vereinigt, daß sie kein persönliches Karma mehr erzeugen. Für sie galt nur noch die Wahrheit. 

Die Pointe ist, daß wir alle erleuchtet werden müssen. 

Ob wir Heilige oder Mörder, Präsidenten oder Bankräuber sind, alle befinden sich auf der gleichen Reise, und jeder wird schließlich den Weg bis ans Ziel gehen. Ob heute, nächstes Jahr oder in einhunderttausend Leben von jetzt an, jeder von uns wird an einen Punkt kommen, an dem wir es müde werden, neues Karma zu erzeugen, wo wir genug haben vom Leiden und vom Ausbeuten und Ausgebeutetwerden, vom Streben "immer der Erste sein zu wollen." Wir werden genug haben vom Ausrutschen auf Bananenschalen und vom Stellen von Weckern. An diesem Punkt kommt Hilfe. Vielleicht in der Form von Yoga oder Meditation, oder indem wir Freunde auf dem Pfad treffen, oder einen erhebenden Sonnenuntergang betrachten, oder aber ein Buch oder einen Artikel lesen. In welcher Form auch die Hilfe kommen mag, sie kommt. Es mag nicht die Hilfe sein für das, was wir möchten, aber es wird die Hilfe für das sein, was wir brauchen

Von dem Augenblick an - unser Leben mag genauso sein wie immer - kommt jedoch eine Dimension hinzu, so etwas wie Frieden oder Sicherheit. Das kommt daher, weil wir nun wissen, was vor sich geht. Wir haben immer noch Unannehmlichkeiten, Karies und Ängste, Hämorrhoiden und Lüste und den ganzen weltlichen Wust; dennoch ist ein Teil in uns, der weiß, und darin liegt der große Unterschied. Inmitten des alten Unfugs und der Verrücktheit beginnen wir unser Leben um die Dinge herum zu ordnen, die helfen, unser Karma zu erleichtern. Unser Gemüt wird ruhig, wir helfen anderen, um Leiden zu mildern, und hüten uns stets, uns nicht zu stark in die Mâyâ oder Illusionen zu verlieren. 

Wenn wir umherschauen, erkennen wir klar, daß die meisten Menschen sich in dieser Illusion verlieren. Sie sind der Betriebsamkeit und der Tricks noch nicht überdrüssig genug geworden. Sie haben sich noch nicht nach oben und nach innen gestreckt, um zu verstehen, in welcher Weise ihr Leben wirkt. 

Augenblicklich gibt es nur eine sehr kleine Minderheit, die bewußt ihr Karma aufarbeitet und davon freier wird. Wenn das jetzt für Sie der richtige Augenblick ist - der Augenblick des Übertritts aus der leidenden Mehrheit in die bewußte Minderheit -, dann willkommen an Bord. Willkommen im unendlichen Hier und im ewigen JETZT. 

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Fußnoten

1. (Gefängnis-Ashram-Versuchsprojekt der Hanuman Stiftung.) [back]