Hoffnung, eine himmlische Gabe an den Menschen
- Sunrise 1/1983
Allein die Hoffnung verweilt gütig unter den Sterblichen.
Die anderen Götter sind zum Olymp entflohen.
- Theognis, Sententiae
Hoffnung erhellt, wie die Strahlenkrone bei Tagesanbruch, unsere Dunkelheit mit großen Erwartungen. Warum wird sie dann in der weithin bekannten griechischen Sage mit Dämonen und Furien in eine Büchse eingeschlossen, welche die Pandora, die Allbeschenkte, den Menschen vom Himmel gebracht hatte, aber nur so lange offen hielt, bis alle Sorgen und Leiden entkommen konnten und nur allein die Hoffnung zurückblieb? Diese Hoffnung ist offensichtlich etwas ganz anderes als die phantastischen Träume, die unsere Egos aufblähen und die dann wie Seifenblasen in der Luft zerplatzen und uns in Verzweiflung zurücklassen. Die Hoffnung der Pandora ist jene vertrauenswürdige Führung aus dem Inneren, die beruhigt, ermutigt und uns manchmal umwenden läßt, damit wir den strahlenden Glanz unseres spirituellen Selbst sehen und in uns aufnehmen. Dabei lassen wir die Schatten unserer Enttäuschungen und Ängste effektiv hinter uns. Die Hoffnung verdrängt dem Sterbenden Angst und Schmerzen durch das Gefühl des Friedens und durch eine Vorahnung von den kommenden Wundern.
Die drei Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe versetzen "Berge"; aber es ist das Gegenteil - die Plagen der Pandora - die das Wachstum anregen. Wie oft werden geniale Werke von solchen Menschen geschaffen, die anscheinend unüberwindbare Schwierigkeiten zu meistern haben, aber im Herzen die hoffnungsvolle Vision von Schönheit und Wahrheit aufrechterhalten. Das ist offenbar eine Botschaft, die in der Mythe von Prometheus und Pandora verborgen liegt. Ihre Gaben des Feuers und der Hoffnung beleben unser Gemüt und helfen uns, die Schwierigkeiten zu meistern, denen wir gegenüberstehen.
In einer anderen Erzählung brachte die liebliche Pandora vom Olymp ein Gefäß, das alle Segnungen der Götter enthielt, die für die menschliche Rasse aufbewahrt worden wären, wenn sie nicht unvorsichtigerweise den Deckel geöffnet und die geflügelten Segnungen mit Ausnahme der Hoffnung herausgelassen hätte. In dieser Fassung entspricht Pandoras Büchse - oder Schachtel, Vase oder Korb - in gewisser Beziehung dem mythischen Kessel, dem Gral, dem Kelch oder dem Füllhorn, der Urne, dem Korb oder dem Schiff, welche Inspiration und neubelebende Kraft symbolisieren. Es ist eine Tatsache, daß Körbe und Kästchen bei den Eleusinischen Zeremonien der griechischen Welt eine bedeutende Rolle spielten. Ein Terrakottarelief stellt Herakles und die Göttin Demeter dar, welche die Mysterien von Eleusis ins Leben rief, wie sie auf der cista mystica (dem Mysterienkorb) sitzt, während Herakles seine Hand nach der Schlange ausstreckt, die sich um den Korb windet. Damit wird angedeutet, daß Herakles bereit ist, sich den Einweihungsprüfungen zu unterziehen.
Bildtext: Priesterin mit der cista mystica. Karyatide1 aus den Kleineren Propyläen. Museum in Eleusis.
Andere Reliefs und Statuen, die jetzt im Museum von Eleusis stehen, stellen Priesterinnen dar, die während der feierlichen Prozession auf der vierzehn Meilen langen heiligen Straße von Athen nach Eleusis Körbe oder Kästchen auf dem Kopf tragen. Diese Körbe oder Kästchen waren fest verschlossen; niemand durfte einen "unvorsichtigen Blick" auf ihren Inhalt werfen. Dieser Blick gebührte allein dem Initianden, der nach Jahren der Reinigung und Erprobung den Augenblick der epopteia oder Offenbarung erreicht hatte. Wenn er schließlich das Behältnis öffnet, erblickt er das letzte Geheimnis, das Worte nicht beschreiben können: seine menschliche Natur, jetzt "vollkommen geworden" (teletê), ist mit Glanz überströmt. Er ist wieder zu seiner wahren Heimat aufgestiegen. Die vorchristlichen Griechen glaubten, daß die Menschen göttliche Seelen sind, die periodisch aus ihrer erhabenen Sphäre herabsteigen. In einen physischen Körper eingekerkert und von den Freuden und Leiden des materiellen Lebens gefesselt und verwirrt, vergessen sie beinahe ihre wirkliche Heimat. Weltlicher Erfolg oder Mißerfolg können jedoch ihre intuitive Sehnsucht nach einem edleren Dasein nie völlig verdunkeln. Schließlich kommt eine Zeit, in der die Hoffnung den Menschen dazu führt, den Weg der spirituellen Schulung, der von den Mysterien vorgeschrieben wird, zu versuchen. Auf diese Weise steigt er wieder zu jener Vollkommenheit des Seins auf, die als die olympische Wohnung der Unsterblichen in prächtigen Farben beschrieben wird. Danach wird er, wenn er will, ein Gabenbringer wie die Pandora oder ein Fackelträger wie Prometheus, deren Beispiel und Unterweisung das menschliche Leben segnen und erleuchten.