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Der Einweihungs-Zyklus

Initiation ist eine Beschleunigung des Evolutionsprozesses, eine Belebung des inneren Menschen im Gegensatz zur äußeren physischen Erscheinung. Die höheren Stufen bringen Kräfte und eine Bewußtseinsentfaltung mit sich, die wahrhaft göttlich sind. Damit ist jedoch gleichzeitig die Übernahme göttlicher Verantwortung für den Betreffenden verbunden. Niemand wird durch seine bloße Unterschrift auf einem Stück Papier zu einem Esoteriker. Er kann kein Esoteriker werden, wenn nicht in seinem Herzen ein Schimmer buddhischen Lichtes scheint und sein Denken erleuchtet. Ein solcher Mensch wird früher oder später, so gewiß wie das Wirken Karmas seinen festen Lauf nimmt, zu diesem Pfad hingezogen, da dies die Auswirkung seines Schicksals ist, das, in der Vergangenheit vorbereitet und geformt, zu seinem heutigen Charakter führte und als Frucht eine instinktive Erkenntnis der Wahrheit hervorbrachte.

Der unbedeutendste und praktisch nebensächlichste Teil der Einweihung ist das Ritual. Keine Initiation kann auf einen anderen übertragen werden. Das gesamte Wachstum, jede spirituelle Erleuchtung findet in uns statt. Es gibt keinen anderen Weg. Symbolische Riten und äußeres Drum und Dran sind nur Hilfen für den Lernenden, Hilfen zur Entwicklung der Fähigkeit der inneren Schau, des inneren Auges. Daher ist jede Einweihungsprüfung, ganz gleich, wo sie stattfand oder unter welchen Umständen, im wesentlichen ein individuelles inneres Sichöffnen. Wäre es nicht so, gäbe es keine Einweihung; sie wäre nur ein leeres Ritual.

Die alten Mysterien in Griechenland zum Beispiel, die vom Staat in Eleusis, in Samothrake oder in Delphi durchgeführt wurden oder auch diejenigen, die beim Orakel des Trophonius vorgenommen wurden, waren größtenteils zeremonieller Art. Dennoch war in allen, selbst noch in der Zeit des Verfalls, ein gewisses Maß an echter spiritueller Erfahrung vorhanden. Ich sollte vielleicht hinzufügen, daß die Literaturhinweise über die schweren Prüfungen, die zu bestehen waren, nicht zu wörtlich ausgelegt werden sollten. Es handelt sich weniger um erfundene, sondern vielmehr um symbolische Darstellungen dessen, was dem Initianden in seinem Inneren begegnet. Gedanken sind ja mentale Wesenheiten und besitzen daher ihre eigene Form und Kraft. Der Betreffende muß entweder seine niedere Natur überwinden oder versagen.

Es gibt im Einweihungszyklus insgesamt zehn Grade, aber nur sieben, die den sieben geoffenbarten Ebenen des Sonnensystems zuzuordnen sind, können uns interessieren - da die drei höchsten weit über unserem gegenwärtigen menschlichen Begriffsvermögen liegen. Das wird auch weiterhin so bleiben, bis unser Bewußtsein wirklich universal oder übermenschlich geworden ist. Diese sieben Grade sind die sieben großen Tore, die der Pilger durchschreiten muß, ehe er Gottähnlichkeit erreicht.

Die ersten drei Stufen oder Grade bestehen aus Lernen, verbunden mit dem beständigen Streben, spirituell und intellektuell zu wachsen, sich zu entwickeln und erfolgreicher zu werden; dazu gehört auch die rechte Lebensführung. Diese ersten drei Stufen sind symbolisch, das heißt, die Riten werden in der Form eines Dramas ausgeführt. Es werden auch tiefere Lehren (die den Hauptteil dieser Riten bilden) über die Naturgeheimnisse gelehrt. Selten werden sie jedoch in einer klaren und zusammenhängenden Form gegeben, weil das die Methode des Verstandes ist. Die Lehren werden vielmehr durch einen Hinweis hier und eine Andeutung dort erteilt. Diese Methode füllt den Verstand des Lernenden nicht mit den Gedanken anderer Menschen, sie facht vielmehr das spirituelle Feuer in ihm selbst an, wodurch seine Erkenntnis geweckt wird, so daß der Neophyt in Wahrheit sein eigener Initiator wird.

Was man von außen an Gedanken und Ideen empfängt, sind nur die äußeren Anregungen, die die innere Schwingung erregen und zum Empfang des inneren Lichtes bereit machen. Die Übertragung von Ideen ist nur eine Methode der Sprache. Sie ruft Eindrücke hervor, die die entsprechende Schwingungssaite im psychischen Apparat des Empfängers anregen, und sofort stellt sich das entsprechende Wissen aus dem Denkbewußtsein, das noch über der Psyche des Empfängers liegt, ein. Wahrheitsliebe bis zur völligen Selbstvergessenheit öffnet den Empfangskanal. Licht und Wissen treten dann in Herz und Verstand ein - aus dem eigenen Selbst, aus dem eigenen inneren Gott, der auf diese Art erweckt wird oder, genauer gesagt, zu arbeiten beginnt, wenn auch vielleicht nur zeitweilig. Auf diese Weise initiiert sich der Mensch selbst. Der gesamte Prozeß basiert auf den Naturgesetzen, auf dem natürlichen Wachstum der Erkenntnis, auf der inneren Schau.

Mit der vierten Initiation beginnt eine neue Reihe innerer Entfaltungen - das heißt, in den zukünftigen Stufen werden nicht nur das Studium, das höhere Streben und die rechte Lebensführung fortgesetzt, sondern es tritt bei diesem Grad noch etwas Neues hinzu. Von diesem Moment an beginnt der Initiand sein persönliches Menschsein zu verlieren und in die Göttlichkeit einzutauchen; das heißt, es erfolgt der Anfang der Loslösung vom rein Menschlichen, und das Eintreten in den göttlichen Zustand beginnt. Es wird ihm gelehrt, wie er seinen physischen Körper verlassen kann, wie er sich von seinen physischen Sinnen trennen und nicht nur in die Unermeßlichkeit des physischen Universums, sondern hauptsächlich auch in die unsichtbaren Bereiche vordringen kann. Er lernt dann, in das innere Bewußtsein der Wesenheiten und Sphären einzutreten, mit denen er in Berührung kommt, um ein Teil von ihnen zu werden und zu sein.

Dafür besteht folgender Grund: Wenn man etwas völlig verstehen will, muß man es sein; wenigstens zeitweise muß man es selbst werden, wenn der Initiand genau verstehen will, was alles damit verbunden ist. Sein Bewußtsein muß sich mit dem Bewußtsein des Wesens oder Dinges, das er in diesem Augenblick ist, verschmelzen, um die Bedeutung von allem zu erkennen. Daher die quasi-mystischen Erzählungen über den 'Abstieg' des Initianden in die 'Hölle', damit er das Leben und die Leiden der Höllenbewohner kennenlernt, und teilweise auch, um das Mitgefühl in ihm zu wecken, während er erlebt, was diese Wesenheiten aufgrund der karmischen Folgen ihrer eigenen Missetaten durchmachen. Und ebenso muß der Initiand in der anderen Richtung lernen, sich mit den Göttern zu vereinen und unter ihnen zu verweilen. Um ihr Wesen und ihr Leben zu verstehen, muß er für diese Zeit selbst zu einem Gott werden; mit anderen Worten, er muß in sein eigenes höchstes Wesen eintreten.

Auf diese Weise gerät der Neophyt - beginnend mit dieser vierten Initiation - in neue Bewußtseinsbereiche. Die spirituellen Feuer der inneren Konstitution sind sowohl ihrem Wesen als auch ihrer Funktion nach äußerst wirksam. Die spirituelle Elektrizität, wenn man es so ausdrücken will, fließt mit einem weitaus stärkeren Strom. Diese mystischen Dinge lassen sich einfach nicht in Begriffe der Alltagssprache fassen.

Der fünfte Grad verläuft entlang der gleichen Erfahrungswege. Der Mensch entwickelt sich dabei zu einem Meister der Weisheit und des Mitleids. In diesem Grad kommt die endgültige Wahl: Will er wie die großen Buddhas des Mitleids zurückkehren, um der Welt zu helfen und ihr sein Leben zu widmen und nicht sich selbst, oder will er wie die Pratyeka-Buddhas auf dem Pfad für sich selbst voranschreiten - nur zu seiner Selbstentwicklung.

Die sechste Einweihung geht in noch höhere Bewußtseins- und Erfahrungsbereiche. Dann folgt die letzte und höchste Einweihung, die siebente, die aus einer Gegenüberstellung mit dem eigenen göttlichen Selbst besteht und zu einer Vereinigung mit diesem führt. Wenn das geschieht, benötigt er keinen anderen Lehrer mehr.

Jedem Grad liegt eine eigene Regel und eine eigene Schulung zugrunde. Eine Regel gilt indes für alle Grade: Sie besteht in der Erkenntnis, daß der höchste Führer des Neophyten sein eigener, innerer Gott ist; er ist sein höchster spiritueller und intellektueller Richter, und erst in zweiter Linie kommt sein Lehrer. Ihm hält der Schüler freudig die Treue. Er zollt ihm jedoch keinesfalls blinden Gehorsam, denn er weiß jetzt, daß sowohl sein eigener innerer Gott als auch der innere Gott des Lehrers Funken des Selbst des Alaya1 sind.

Jeder Schritt vorwärts ist ein Eindringen in ein größeres Licht, gegen das das Licht, das gerade verlassen wurde, nur ein Schatten ist. Wie hoch man auch auf der Evolutionsleiter stehen mag, es gibt immer noch eine Stufe darüber, selbst in den Höhen, wo die Gottheiten walten. Es gibt immer jemanden, der noch mehr weiß und vor ihm ist, eine stetig aufsteigende, noch höhere Reihe von Wesenheiten mit stufenweise höherem kosmischen Bewußtsein. Der hierarchische Strom ist das Grundsystem der Natur. Niemand ist daher ohne Lehrer, denn über uns ist das unendliche Universum - Hierarchien des Lebens und der evolutionären Erfahrung, die die unsrige weit übersteigen. Beweist das nicht eindeutig, daß in der Schule des Lebens jeder ständig ein Schüler ist, da immer neue Schleier das Gesicht der ewigen Wirklichkeit verhüllen?

Das höchste Ziel der Einweihung besteht darin, die Verbindung mit unserem essentiellen Höheren Selbst herzustellen. Das ist der Pfad zu den Göttern, in der Bedeutung, daß sich jeder zu einem individuellen göttlichen Wesen entwickelt. Das Betreten dieses Pfades ist ein sehr ernster, ein sehr heiliger Schritt. Wenn jemand dieses erhabene Ziel erreichen will, wird jedes bißchen Stärke, die ganze Willenskraft, die in dem Menschen vorhanden sind, benötigt. Das kann nur geschehen, indem die persönlichen Probleme völlig ignoriert werden, so daß man in den sanften, kreisenden Bewußtseinsstrom gerät, der um den zentralen Kern unseres Wesens verläuft, um sich dann schließlich mit dem erhabenen Wunder - der Gottheit im Inneren - zu verschmelzen und mit diesem eins zu werden.

Hinter jedem Schleier liegt ein weiterer Schleier; doch durch alle scheint das Licht der Wahrheit, das Licht, das ewig in jedem von uns lebendig ist, denn es ist unser innerstes Selbst. Jeder Mensch ist in seinem innersten Wesenskern eine Sonne, deren Bestimmung es ist, ein Teil der Sternenscharen in den Räumen des Weltalls zu werden, so daß gleich vom ersten Anfang an, wenn unser göttlich-spiritueller Teil seine Wanderung durch das universale SEIN beginnt, er bereits eine embryonale Sonne ist, das Kind einer anderen Sonne, die im Universum existierte. Die Einweihung bringt diese innere, latente Sternenenergie im Herzen des Neophyten zum Vorschein.

 

- Aus Fountain-Source of Occultism, Seite 56-62.

Fußnoten

1. Alaya (Sanskrit) = das Unauflösliche, die Ewigkeit. Nach buddhistischer Auffassung der Ursprung aller Wesen und Dinge. [back]