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Die vielen Gewänder des Bewusstseins

Manchmal, wenn ich aus einem jener Halbträume erwache, die sich in dem dämmrigen Grenzland zwischen Schlafen und Wachen häufig einstellen, merke ich, daß ich weite Wege voller Aktivität gegangen bin, die sich mir nun entziehen. Da gibt es Gedanken, die ich nicht ganz verstehen kann; Erfahrungen, von denen ich weiß, daß sie vor nur einer Minute für mich noch real waren, jetzt aber sind sie nur schemenhaft wie Irrlichter.

Ich möchte wissen, was diese Eindrücke waren? Was bedeuten sie, wenn sie überhaupt eine Bedeutung hatten? Warum verbleibt keine deutliche Erinnerung daran? Alles, was ich weiß, ist, daß ich jene andere Welt betreten habe, sie aber nicht nach Belieben wieder besuchen kann; mein Bewußtsein war auf einer Ebene aktiv, die sich für mich geschlossen hat und nur flüchtige Eindrücke zurückließ.

Das alles ist, so nebelhaft es auch erscheinen mag, mehr als nur vorübergehend interessant. Es gibt Hinweise auf die unbekannte Ausdehnung und Verschiedenartigkeit des Bewußtseins; es unterstreicht das Seltsame und Wunderbare der unerforschten Welt des Menschen, denn von allen Mysterien, die im gesamten Universum zu finden sind - einem Universum, das voll ist von Rätseln, vom Infraraum bis zu der zwischengalaktischen Unermeßlichkeit -, ist keines schwerer zu erfassen oder zeigt keines so tiefe Verflechtungen wie unser eigenes Wesen.

Die Psychologen haben seit Jahrhunderten versucht, Licht in dieses Labyrinth zu bringen. Seit Descartes bis zu William James und weiter bis zu den modernen Theoretikern und Forschern wie William McDougall, Jung, Freud und Adler wurden ernsthafte, aber unzureichende Versuche unternommen, die tieferen Schichten des menschlichen Seelenlebens zu erforschen. Für gewöhnlich erfolgten die Forschungen an der Oberfläche, anstatt in die Tiefe zu gehen. Die zentralen Schatten blieben immer undurchdringlich. Probleme, wie die Bedeutung, der Ursprung und die Eigenart der Persönlichkeit, Fragen, wie nicht greifbares und immaterielles Denken und Gemütsbewegung, die weder Gewicht, Temperatur noch Ausdehnung oder Substanz haben, können mit sichtbarer und wägbarer Materie verbunden sein - diese Unklarheiten und der riesige Komplex verwandter Probleme wurden nie endgültig gelöst.

Bewußtsein ist für uns Leben. Obgleich Stunden des Lebens ohne Bewußtsein für uns alle eine tägliche Erfahrung sind. Bewußtsein ist das, was unserem Dasein Wirklichkeit verleiht; es ist die Quelle der Wahrnehmung und des Denkens, der Behälter des Verstandes und die Mutter des Gedächtnisses. Bewußtsein ist unser Verbindungsglied zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen, der Lenker und Erforscher der Handlungen, das Band zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen. Für die meisten von uns ist während der meisten Zeit unseres Lebens das Bewußtsein die Realisierung der Eigenpersönlichkeit und der Welt um uns. Es ist die Eigenschaft, die uns befähigt, zu hören, zu sehen und zu überlegen, kompakte Gegenstände wie Tische, Stühle, Häuser und Straßen zu erkennen und uns unter diesen äußerlichen Dingen zurechtzufinden.

Diese Art Bewußtsein ist eine Fähigkeit, ohne die wir nicht wir selbst wären oder auf Erden leben könnten, wenngleich alles nicht so einfach ist, wie es zu sein scheint. Es ist elementales Bewußtsein, wie es das Kind und ein junger Hund, junge Menschen und der Hundertjährige besitzen. Und doch nehmen wir es gern als etwas Selbstverständliches hin; wir kennen es nicht und können uns darunter kaum etwas vorstellen, auch nicht, wie es entstand, dieses Etwas, das sowohl jeden Hans und jede Marie in eine andere Welt versetzt als den Peter und die Johanna, indem es jedem sein eigenes Rüstzeug zum Begreifen, zum Fühlen und Wollen gibt. Solche alltäglichen Komplikationen wurden von den Psychologen tatsächlich kaum beachtet, nur in den Kliniken; aber auch da ist man weit entfernt, das Mysterium des Daseins zu enthüllen.

Dieses vorherrschende Bewußtsein ist jedoch nicht das einzige Bewußtsein, von dem wir zumindest eine fragmentarische Kenntnis haben, in dessen Randzonen wir uns wie ein Fremder in einem unerforschten Land bewegen. Manche Psychologen erkennen allmählich, daß persönliches Bewußtsein ein größeres oder "kosmisches Bewußtsein" nicht ausschließt.1

Unter anderem ist das Bewußtsein im Schlaf gar nicht so unbedeutend, wenn es auch in mancher Hinsicht ein Widerspruch zu sein scheint, da der Schlaf im allgemeinen wie ein Eintauchen in Bewußtlosigkeit erscheint. Doch diese Unbewußtheit ist, wie wir alle wissen, von seltsamen Streiflichtern durchdrungen, von denen einige klar, die meisten aber verschwommen und undeutlich sind. Alle aber stellen Erfahrungen ganz anderer Art dar als in der wachen Welt. Hier befinden wir uns trotz der intensiven modernen Forschungen in einem geheimnisvollen Land, indem wir selbst in unseren gewöhnlichen Träumen Gebiete betreten, die so merkwürdig sind wie jene von Alice in ihrem sagenhaften Wunderland, in dem die Gesetze von Zeit, Raum und Kausalität aufgehoben sind und wir ohne sichtliche Überraschung turbulente Abenteuer erleben, uns mit Verstorbenen unterhalten und in die Zukunft sehen.

Die Traumerlebnisse können tatsächlich so mannigfaltig sein wie jene, die wir in unserer Alltagswelt machen, vielleicht sogar noch mannigfaltiger. Während manche vielleicht auf körperliche Zustände oder unerfüllte Wünsche zurückzuführen sind, können uns andere - wenn auch nicht oft - mit einem seltsamen heiteren Gefühl durch dämmrige Räume fliegen lassen oder in Himmelsgewölbe, die vom Sonnenuntergang gefärbt sind, wunderbarer, als man ihn je auf Erden gesehen hat. Sie können aber auch mystische Enthüllungen und Führungen für die Prüfungen und Probleme des Lebens enthalten. Besonders in der Kindheit können uns phantastische Ungeheuer jagen; Personen, die wir nur dem Namen nach kennen und die schon lange gestorben sind, können uns besuchen wie alte Bekannte, und übermenschliche Wesen können uns mit ihren Flügeln berühren. Ich erinnere mich, wie einmal, vor vielen Jahren, eine Garbe überirdischen Lichtes von meinem Kissen auszustrahlen schien, und ich hatte ein Gefühl, als würde ich durch transzendentale Räume davonfliegen. Welche Ufer eines übernormalen Bewußtseins hatte ich berührt?

Kein Psychologe scheint zu wissen, wie solche Erfahrungen zu erklären sind. Auch die schöpferischen Träume, von denen verschiedene Schriftsteller berichten, kann kein Psychologe erklären: zum Beispiel Stevenson in seinen Geschichten, wozu auch seine berühmte Geschichte Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde gehört; ebenso Coleridge beim Abfassen seines phantastischen Kubla Khan, dessen Inspiration in der Mitte unterbrochen wurde und nicht wieder aufgenommen werden konnte, weil der Lehrling eines Handwerkers dazwischenkam.

Hier handelt es sich zweifellos um Bewußtsein auf einer unbekannten höheren Ebene. Doch das unterscheidet sich durchaus nicht von der schöpferischen Ekstase, die sich auf dieser Seite des Schlafes manifestiert. Wenn der Schriftsteller von seinem Werk ganz in Anspruch genommen wird und in seiner Imagination Dome und Türme aus luftiger Gedankensubstanz baut, dann kann er jede Verbindung mit der Umwelt verlieren oder gänzlich von ihr getrennt werden. Er kann davon so in Anspruch genommen sein, daß er gar nicht wahrnimmt, was um ihn herum vorgeht, so wie es mir vor vielen Jahren eines Nachmittags erging, als ich in New York in meiner Wohnung im dritten Stock saß und ein Gedicht verfaßte. In meiner Versunkenheit nahm ich nur undeutlich einen Tumult außerhalb meiner Wohnung wahr. Erst am nächsten Morgen erfuhr ich, daß unser Hausmeister tödlich abgestützt war, als er versuchte, ein Fenster zu öffnen, das nur einige Meter von dem meinen entfernt war.

So kann der schöpferische Prozeß sichtbare Türen schließen und gleichzeitig Tore öffnen, die in ungewöhnliche Höhen führen. Das mag in mancher Hinsicht dem Versunkensein des Mystikers gleichen, der beim Suchen nach Erleuchtung die materielle Welt verläßt. Ein solches inspiriertes Suchen ist wahrscheinlich weit entfernt von dem erweiterten Bewußtsein, das jene suchen, die Drogen einnehmen. Doch auch hier kann man beobachten, daß manches die gleiche Grundlage hat: den Versuch, neue Ebenen der Wahrnehmung und ein neues Bewußtwerden der Wirklichkeit zu erreichen, selbst mit Hilfe physischer Mittel. Wenn nicht in manchen Fällen andere Ebenen des Bewußtseins erreichbar erscheinen würden, wäre es fraglich, ob irgendwelche weiteren Anstrengungen dazu gemacht würden.

Andere Bewußtseinsebenen werden in der Hypnose und unter Anästhesie angedeutet (wenn diese auch, wie im Schlaf, eine vorübergehende Auslöschung des Bewußtseins einschließen mögen) sowie bei verschiedenen außergewöhnlichen Erscheinungen, angefangen beim Medium im Trancezustand - ob es seine Erfahrungen dabei richtig mitteilt oder nicht - bis zu jenen, die das Abenteuer "außerhalb des Körpers" suchen, die Hellseher und automatischen Schreiber.

Träumereien und Meditation, Erinnerungen des sogenannten photographischen Gedächtnisses, Änderungen im Zeitgefühl sowie Genialität, wie wir sie bei mathematischen Wundern der Gelehrsamkeit vorfinden, können auch ihre eigenen Bewußtseinszustände hervorbringen. Aber die bereits erwähnten Bewußtseinszustände reichen bei weitem nicht aus, um zu bekunden, daß das Leben breiter und tiefer gefaßt und das menschliche Gemüt komplizierter ist, als wir normalerweise vermuten.

Hier rennen wir gegen eine Behauptung an, die charakteristisch für moderne Psychologen ist, die die nichtmateriellen Elemente im Menschen beiseite schieben oder herabsetzen und die Evolution des Lebens analysieren und dabei das innerste Wesen der sich entwickelnden Arten in ihrem Kampf ums Überleben außer acht lassen. Um die Dinge anders auszudrücken: damit wird der Wagen vor die Pferde gespannt, der Topf wird bedeutsamer als der Pudding. Es wird angenommen, daß das zoologische Überleben an sich wichtiger ist als das, was überlebt - sogar wichtiger als das Bewußtsein.

Eine weniger forcierte Schlußfolgerung würde sein: daß der Mensch ohne Bewußtsein unmöglich in irgendeiner bedeutungsvollen Weise existieren könnte. Wenn aber Bewußtsein das Allerwichtigste ist, konnte es nicht einfach als Mittel zur Erhaltung der Arten entwickelt werden - vielmehr müßte man sagen, daß die Arten geschaffen wurden, um ein Vehikel für das Bewußtsein zu liefern. Wenn aber andererseits Bewußtsein nur ein für die Fortdauer der Rasse notwendiger Mechanismus ist, wie die Beine des Rehes, die Stacheln des Stachelschweines oder wie die das Netz spinnenden Werkzeuge der Spinne, dann besteht kein denkbarer Grund, warum auf den verschiedenen Ebenen, die wir beobachtet haben, Erfahrung möglich sein sollte, wie zum Beispiel bei den meisten übersinnlichen Vorfällen und Ereignissen in Träumen, die uns wie ein Eindringen aus anderen Zuständen des Seins kurz bewußt werden und keinem ersichtlichen biologischen Zweck dienen. Man könnte fragen, welchen anhaltenden Wert hat die schöpferische Ekstase? Worin liegt der bleibende Wert des Hypnoseeinflusses, des Traumlebens, das zur Wirklichkeit des Alltags in keiner Beziehung steht; worin liegt der Wert der Phantasien des Drogensüchtigen oder der Offenbarungen des Mystikers? Gehören diese zur gleichen Kategorie wie der Knochenbau der gegenüberliegenden Daumen, wie die Zusammensetzung der Verdauungssäfte oder wie die Form oder Stärke der Zähne? Von den zuletzt genannten Entwicklungen kann man wohl mit Recht sagen, daß sie für das Überleben der Arten von untergeordneter Bedeutung sind, da sie an sich keinen Wert besitzen.

Wie verhält es sich nun mit den verschiedenen Bewußtseinszuständen, die nicht wie die Verdauungssäfte, die Zähne und die Daumen hier und jetzt erforderlich sind und die keine erkennbare Beziehung zum Fortbestand der Rasse haben? Wenn die weniger üblichen Bewußtseinszustände für unser gegenwärtiges Leben nicht notwendig sind, warum existieren sie dann? Die logische Antwort ist, daß sie wahrscheinlich anderwärts, in anderen Sphären des Seins, ob verkörpert oder nicht verkörpert, gebraucht werden. Und das führt natürlicherweise zu dem alten Glauben an eine lange Reihe aufeinanderfolgender Verkörperungen, während welcher wir uns spirituell entwickeln. Die erschreckende Kompliziertheit und Vielseitigkeit des menschlichen Gemüts in seinen verschiedenen Phasen - etwas, das weit über der Fähigkeit der Psychologen liegt, es genau zu untersuchen, oder der Anatomen, es zu erklären - ist zugleich ein Zeugnis für unsere Unsterblichkeit und ein Hinweis auf ein Gebiet, eine Kompliziertheit und eine Großartigkeit, die die grandiosesten Begriffe unserer irdischen Erfahrung übersteigen.

Fußnoten

1. Robert E. Ornstein, The Psychology of Consciousness, The Viking Press, New York, 1972, Seite 177. [back]