Jenseits der Lebensschwelle
- Sunrise 2/1979
Es ist bemerkenswert, wie viel freimütiger heute über den Tod gesprochen wird als früher. Seit langem bestehende Tabus gelten nicht mehr, und zwar nicht nur unter den einzelnen Menschen, sondern auch für die verschiedenen Medien. In Holland führte zum Beispiel Professor Tenhaeff, ein im westlichen Europa wohlbekannter Parapsychologe, in seinem Laboratorium mit einer großen Anzahl sich freiwillig zur Verfügung stellender Personen bahnbrechende Experimente durch. Unlängst erklärte er in einer Fernsehsendung, daß seine Forschungen zweifelsohne gezeigt hätten, daß das Dasein mit dem Tode nicht aufhört. Als er gefragt wurde, ob Reinkarnation eine Tatsache in der Natur sei, antwortete er, daß sie wahrscheinlich sei, wissenschaftlich aber nicht bewiesen ist. Er fügte hinzu: "Wir erforschen den Raum außerhalb von uns, aber das Wichtigste ist, tief in den inneren Menschen einzudringen, des alten Ausspruchs eingedenk, 'Mensch erkenne dich selbst'."
Vor kurzem an der Universität Iowa durchgeführte Forschungen, bei denen 104 Menschen über ihre Erfahrungen befragt wurden, haben ergeben, daß bei Unfällen, in denen jene, die darin verwickelt waren, glaubten, daß sie sterben müssen, einen Augenblick heiterer Gemütsruhe und nicht der Furcht erlebten. Alle bestätigten, daß sie ihr Leben in langsam sich bewegenden Bildern vorüberziehen sahen, begleitet von glücklichen Erinnerungen. Eine junge Frau, die überzeugt war, daß sie einen Autounfall nicht überleben würde, erinnerte sich, "die Zeit schien still zu stehen." Sie hatte den Eindruck, daß sie einen Filmstreifen ablaufen sehe. Ein anderer sprach davon, daß er das Gefühl unbeschreiblicher Ruhe und Gelassenheit hatte, als er am Ertrinken war, und "seitdem immer sehnlichst wünscht, dieses Empfinden noch einmal zu erleben." Der Schweizer Alpenverein, der diesen Gegenstand seit 1892 untersucht, berichtete über ähnliche Aussagen von Bergsteigern, die vom Tode bedroht waren.1
Es ist wahrscheinlich nicht so sehr eine Frage neuer Entdeckungen, als der Wiederentdeckung von Tatsachen jenseits der Lebensschwelle. Theosophie lehrt, daß unser höchstes Element, das in der Endlosigkeit der Zeit und des Raumes unsterblich ist, immer wieder auf Erden geboren wird und daß die Seele unmittelbar vor ihrem Dahinscheiden ihr ganzes Leben wie in einem Filmstreifen vorüberziehen "sieht", wobei sie begreift, daß alles, was sich ereignet, sich zu ihrem Vorteil auf diese Weise ereignen mußte.
Sind nicht viele von uns am Totenbett eines geliebten Menschen gestanden und haben während jener letzten Stunden - oder auch Tagen, in denen sich die Seele nach und nach zurückzog, wie die Dämmerung allmählich in die Nacht übergeht - klar gefühlt, daß der Tod etwas Erhebendes ist? Trotz persönlicher Gefühle kann man sich durch die erhabene Atmosphäre, die vorherrscht, erhoben fühlen, und man weiß, "daß letzten Endes alles gut ist und daß alles vorbereitet war." Das Durchschreiten der Pforte des Todes ist für die menschliche Seele in Wirklichkeit eine Befreiung vom Körper: sie kann dann ihre Reise auf den inneren Pfaden unseres Universums antreten, bis nach einer langen Periode totaler Ruhe und ausschließlich glücklicher "Träume" das Sehnen wieder erwacht, auf diese Erde zurückzukehren und die Verantwortlichkeiten da wieder aufzunehmen, wo sie im letzten Leben zurückgelassen wurden.