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Das Abenteuer unserer Zeit

Es ist eine Binsenwahrheit, daß unsere Zeiten verwirrend und besorgniserregend sind. Schlagzeilen in den Zeitungen, Autoaufkleber und Schutzumschläge beleuchten die kritischen Punkte: Gott ist tot. Abtreibung ist Recht. Generationenkluft. Stop dem Uranabbau. Verbietet die Bombe. Söhne und Töchter angesehener Freunde haben ihre Köpfe glatt rasiert und die gelben Gewänder der Hare-Krishna-Sekte angezogen. Wenn sie ihre kleinen Glocken läuten und in den Straßen betteln, werden sie von der Polizei verhaftet. Die sensationshungrige Menge strömt zu den Unterhaltungsstätten, um Uri Geller zu sehen, wie er Teelöffel magisch verbiegt. Ein leichtgläubiges Publikum reißt sich in den Buchläden um die Taschenbuchausgaben von Däniken, sobald sie ausgepackt sind. Die Welt ist ruhelos, unstetig, voller Ängste, seltsamer Faszinationen und Drohungen.

Ein Interpret der modernen Szene, der hilft, einen Sinn in allem zu finden, ist der Historiker Theodore Roszak.1 Er sieht in diesen Erscheinungen die weitverbreitete Entfaltung eines echten spirituellen Suchens neben einer evolutionären Verlagerung des Bewußtseins. Er hat viele Kulte und neue Philosophien aus dem Bewußtseinskreis, wie er es nennt, gesammelt und klassifiziert. Aber er meint, daß sein Inventarverzeichnis der Anzahl, die es hier gibt, kaum gerecht wird. Seine Auswahl reicht von jüdisch-christlichen Erneuerungsbewegungen, östlichen Religionen, Psychotherapien, geistigen Heilweisen, Organizismen (Holismus) bis zu Pseudowissenschaft und Pop-Kultur mit ihrer Erfahrung eines durch Drogen und Rockmusik gesteigerten Bewußtseins. Die Sprache hat kein Wort, das das ganze Gebiet der psychisch-mystisch-parawissenschaftlich-spiritualistisch-therapeutischen Bemühungen umfaßt. Roszak faßt sie unter der Überschrift "An der Grenze zum Wassermann-Zeitalter" zusammen, "eine schwierige Landschaft ... eines zeitgenössischen Abenteuers."

Die gesamte Bewegung - und es ist charakteristisch, daß es sich um eine große Massenbewegung handelt - ist eine Reaktion auf die unpersönliche "wissenschaftliche Weltbetrachtung", die die Religion ausgeschlossen hat. Roszak behauptet, daß wir uns mitten in einer religiösen Renaissance befänden, daß sie aber keine Rückkehr zur Orthodoxie bedeute. Für viele empfindliche Gemüter bedeutet orthodoxe Religion "seelische Bindung" und Zensur von Erfahrungen. Die orthodoxe Religion ist ihren seelischen Nöten gegenüber taub und blind. Das religiöse Suchen zeigt sich in unkonventionellen Tätigkeiten: in mystischem Speisekult, unkonventioneller Medizin und vergeistigtem Sport und Turnen.

Roszak erinnert uns daran, daß es in den letzten fünfhundert Jahren zwei Epochen mit bedeutenden Gegenkulturbewegungen gegeben hat. Die Renaissance-Periode war wegen ihrer Wiederentdeckung der Schriften des klassischen Altertums von Bedeutung, aber auch wegen des Interesses an Magie und Mystik, wie es von Marsilio Ficino und Pico della Mirandola in Italien dargestellt wurde. Für letzteren "besteht des Menschen Würde in seiner erhabenen Beziehung zu Gott und, wenn er ein Magus ist, in der Kraft, die er aus dem Universum ziehen kann."2 Quelle dieses Glaubens war die hermetische Literatur und die Kabbala mit ihren magisch-religiösen Techniken.

Die zweite Ära war die romantische Bewegung im späten achtzehnten bis zum frühen neunzehnten Jahrhundert. Die romantische Periode war eine Reaktion auf die Lehren der Aufklärung. Die Künstler dieser Zeit schauten nach innen, um fremdartige Empfindungen zu suchen. Sie betrachteten das Leben mit erwachter Empfindsamkeit und aus einer neuen Sicht. Sie beschäftigten sich mit den Problemen des Seins, des Schicksals: Wer sind wir? Wohin gehen wir? Gibt es ein Leben nach dem Tode? Träume, Alpdrücken und Ängste, heidnische Empfindungen und religiöse Mysterien ...

In allen Zeitaltern besteht für die Menschen die Notwendigkeit des Wachstums, indem sie moralische Würde und einen persönlichen Sinn nur darin finden, ihr Leben zu leben. In unserer Zeit ist der Erwerb von Wohlstand und beruflichem Status für manche erniedrigend und befremdend. Sie suchen eine klare Trennung und einen neuen Anfang. Deshalb rasieren sie sich ihre Köpfe und legen gelbe Kleider an oder schließen sich Erfahrungsgruppen oder anderen Organisationen an, die versprechen, was sie in der etablierten Gesellschaft nicht finden können. Manche entrüsteten Beobachter können nicht verstehen, daß ein bedeutungsloses Leben nicht bedeutungsvoller wird, indem man sich den Konventionen und Gebräuchen, die es in erster Linie bedeutungslos machten, anpaßt.

Wie alle Wege zur Erneuerung, so ist auch die Gegenkultur voller Gefahren. Roszak hat den Verdacht, daß einige Konzepte "schändlich weit hergeholt sind." Einfache Gemüter können zu Tätigkeiten verleitet werden, die ohne tieferen Sinn und unnütz sind. Andere mögen ausgenutzt und zu Gewalttätigkeit und Schlechtigkeit veranlaßt werden. Nicht alle sind echte Suchende. Da gibt es am Rande jene, die die psychologisch Einfältigen und Naiven betrügerisch manipulieren. Es mag wohl sein, sagt Roszak, daß wir eine mißlungene Gattung sind, besonders wenn wir nicht erkennen, daß die Zeiten von uns spirituelle Intelligenz verlangen, um zwischen dem Echten und dem Falschen zu unterscheiden. Jede neue Bombe, noch schrecklicher als die vorherige, oder vom Menschen verursachte Hungersnöte können das physische Überleben bedrohen. Spirituelle Intelligenz muß uns warnen, daß, wenn der Mensch nicht träumen kann, keine Visionen hat und weder Wunder noch Begeisterung kennt, sich nicht nur Gott zurückzieht, sondern der Mensch auch stirbt.

In einem gewissen Sinne sucht diese große Bewegung nichts Neues. Obwohl heute oft über Kirlian-Photographie oder Bewußtseinsspaltungs-Forschung gesprochen wird, entdecken doch viele an der Grenze des Wassermann-Zeitalters, daß das, was sie suchen, in früheren Kulturen verborgen liegt, mit denen die Überlieferung begann. Die Reise nach vorn ist paradoxerweise eine Reise rückwärts und nach innen - "ein radikaler Traditionalismus". Bei diesem Suchen in der Vergangenheit werden die Außenseiter - die vereinzelt in der Mythe vorkommen - gefunden werden. Sie hatten entdeckt, daß unter allen Geschöpfen der Mensch wählen muß, um das zu werden, wozu er geboren wurde. So wie er jetzt ist, ist er ein unvollendetes Wesen, das erst beginnt, Mensch zu werden, wenn es nachdenkt und entdeckt, daß Menschsein eine Aufgabe des Willens ist. Roszak lenkt uns dahin, indem er uns die wenigen als Schöpfer der ursprünglichen menschlichen Kultur vorstellt, von denen mündlich und rituell etwas übermittelt wurde. Die Riten und Bilder, die ursprünglich als Sprache gedacht waren, um die Wahrheit über den Menschen zu lehren, müssen als Symbole verstanden werden. Diese Symbole aus der visionären Erkenntnis der wenigen sind die abenteuerlichen Geschichten der Mythen und Legenden. Die wahre Entwicklung des Menschen ist sein spirituelles Abenteuer, das in den Geschichten über das heldenmütige Suchen, über das Sterben und Wiedergeborenwerden der Heilande, über gefährliche Reisen und Wanderungen und über magische Prüfungshindernisse herausgearbeitet wurde. Diese wenigen wurden sich in einzigartiger Weise bewußt, daß der nächste Schritt in der menschlichen Entwicklung nicht die weitere Evolution des physischen Körpers betraf, sondern die graduelle Entfaltung der Seele und des Geistes. Diese Entfaltung sollte so verstanden werden, daß sie für den Menschen so normal und natürlich ist, wie die Entwicklung der Eichel für die Eiche natürlich ist.

Mit dem Wort Evolution meint Roszak nicht "bloße kulturelle Veränderung". In seiner Auslegung bedeutet die Evolution des Bewußtseins etwas mehr und etwas anderes als Veränderungen des physischen Gehirns. Die orthodoxe Biologie schließt spirituelle Notwendigkeit und menschliches Schicksal nicht in ihr Konzept ein. In ihrem Lehrsystem wird der alte Gott durch einen anderen Gott ersetzt: Allmächtiger Zufall. In den Lehrsystemen gibt es Modeerscheinungen, und das wissenschaftliche Ansehen hängt von der jeweiligen Zeit ab. In der Geschichte der Wissenschaft folgt eine Lehre der anderen, und "genau gesehen, beherrscht letztlich das gerade gültige Bild, das sich eine Zeitepoche über die Natur ihrer Welt macht, das gesamte Denken."3 Roszak glaubt, daß die modernen Erklärungen über den Menschen die nichtphysischen Elemente, die genauso beständig sind wie die körperlichen Eigenschaften, ignorieren: Sprache, Kunst, das Herstellen von Werkzeugen (man beachte: nicht der Gebrauch von Werkzeugen), religiöse Verehrung. Diese Eigenschaften sind angeborene Leistungsfähigkeiten. Ihre Verwirklichung in der Kultur verändert sich mit Zeit und Ort. Das Unorthodoxe im Denken und Verhalten, das sich an der Grenze zum Wassermann-Zeitalter zeigt, so roh, ängstlich und unsicher es auch ist, ist eine Verwirklichung des Menschen als ein "Sucher nach dem Sinn, ein Schöpfer von Visionen."

Erklärungen darwinistischer Art können nicht sagen, was das Leben auf der Erde mit sich selbst anzufangen beabsichtigt. Ist es wirklich ein ständiges Karussell der Anpassung an die physische Umgebung? Unorthodoxe Biologen empfinden die Notwendigkeit, eine Art integrierende Kraft in das evolutionäre Bild einzuführen: "irgendeine Kraft, die in verstandesmäßiger (mindlike) Weise dahin wirkt, einen Zweck zu erreichen."4 Eine viel ältere Überlieferung als die moderne Biologie spricht von der Evolution des Bewußtseins. In dieser Überlieferung liegt der ursprüngliche Begriff der Evolution - ein Begriff, den Darwin und seine Nachfolger zur Metapher der natürlichen Selektion abgewertet haben. Roszak nennt diese sich durch die Jahrhunderte hinziehende Überlieferung die Verborgene Weisheit. Dies ist ein "Drama der Umwandlung: Evolution mit allem, was die Biologie ausließ."5 Dies ist der Weg, dem der menschliche Geist in der Evolution seines Bewußtseins folgt.

Dieser verborgene Strom kam in alten Zeiten als Neuplatonismus und Gnostizismus an die Oberfläche. In neuerer Zeit fanden seine Lehren während der Romantik Eingang in das europäische Denken. Im 19. Jahrhundert und anfangs des 20. Jahrhunderts entgegneten Außenseiter wie Blavatsky, Steiner und Gurdjieff Darwins Evolutionsideen mit Ausführungen, die so abwegig erschienen, daß sich orthodoxe Köpfe in ihrer Blindheit nie die Mühe machten, sie zu widerlegen. Ihre Philosophien enthalten Mythen, Legenden, persönliche Visionen und antiken Sagenschatz. Roszak meint, daß diese Schriftsteller das evolutionäre Bild erstmals als neuen Maßstab menschlicher Vernunft gebrauchten. Ihre Sprache und Anspielungen seien für moderne Augen eigenartig. Diese okkulten Evolutionisten beabsichtigten, die visionären Reichweiten des Geistes zu enthüllen. Roszak erinnert uns daran, daß oft vergessen wird, daß Helene Blavatsky die erste war, die in den Jahren nach der Veröffentlichung von Der Ursprung der Arten gute Gründe für ein transphysisches Element in der Evolution gegen die darwinistischen Theoretiker vorbrachte. Sie lehnte Darwins Arbeit nicht ab, sondern betonte beharrlich, daß diese die mentale, schöpferische und visionäre Seite des menschlichen Lebens völlig ausgelassen habe, d. h. das Bewußtsein wurde weggelassen. Es handele sich um eine durchaus faire Kritik, in der gesagt wird, daß die Darwinisten und Neo-Darwinisten nur die biologische Phase der menschlichen Entwicklung erklären können, wenn ihr Begriffsschema keine Fuge für die spirituelle Dimension des Menschen offen läßt. Die Theosophen werden Roszaks Beurteilung von H. P. B. nicht ganz zustimmen, aber sie werden mit ihm darin übereinstimmen, daß sie ein "geschultes Auge für die tiefe Bedeutung von Mythen und Symbolen hatte."6

In Steiners Weltbild ist die evolutionäre Vorstellung von der menschlichen Natur entscheidend. Er lehrte seine Studenten eine wohldurchdachte kontemplative Disziplin, um die Fähigkeiten des Bewußtseins zu stärken, weil diese allgemein durch Tagträumen und Halluzinationen geschwächt würden. Lobenswerterweise bestand Steiner darauf, Mitleid und persönliches Opfer zu üben, um jede Selbstbezogenheit zu korrigieren, die bei der Hebung des Bewußtseins entstehen könnte.

Der dritte Evolutionist, George Gurdjieff, glaubte, daß es Evolution nur für einige wenige Auserwählte der menschlichen Tiere gibt, für jenen "bewußten Kern", der sich seiner menschlichen Identität bewußt geworden ist und evolvieren will. Gurdjieff scheint ein Mensch ohne feste Grundsätze gewesen zu sein, aber er verwendete die Evolutionsidee in neuartiger Weise. Viele der zeitgenössischen Psychotherapien sind, wie Roszak sagt, Echos seiner merkwürdigen Experimente in bezug auf menschliche Beziehungen - Encounter-Gruppen, transaktionale Analyse, Synanon-Spiele.

Im konventionellen Humanismus und im konventionellen Christentum gehörte zum Menschsein anscheinend stets die strikte Wahl zwischen dem absolut Guten und dem absolut Bösen. Ein Aspekt der Wassermann-Szene ist die Weigerung, dieses "Entweder-Oder" anzuerkennen. Es gibt dort keine Bindungen an die Regeln der Konvention - alles ist eine ungeheuer weit ausgebreitete Möglichkeit. Wieviele von uns, die nicht an dieser Grenze stehen, sind mit ihren Lebenserfahrungen wirklich zufrieden? Wie können wir darauf reagieren, wenn wir uns vom Standpunkt der Tugend aus nur in Richtung Sünde bewegen können? Von der Überlieferung der verborgenen Weisheit können wir lernen, daß das Sichbewußtwerden der spirituellen Evolution der Anfang für die Entwicklung unseres eigenen inneren visionären Wachstums ist.

Nach Roszak bilden Mythe, Magie und Mystik die Dreiheit, die das spirituelle Wachstum anregt. In dem allgemein üblichen Verständnis dieser Dreiheit sieht er den Grad des spirituellen Niedergangs in der westlichen Gesellschaft. Mythen werden als Lügen oder Kindermärchen angesehen. Magie ist Schaugeschäft, 'Kaninchen aus dem Hut'. Die Mystik ist ein 'Krimi' geworden, bestenfalls ein Puzzle. In Unfinished Animal zwingt uns Roszak zur Erkenntnis, daß Mythen den geschichtlichen Ereignissen eine Rangfolge geben müssen, sonst wird alles gleich wissenswert, gleich wertlos, und die Vergangenheit hätte uns nichts zu lehren. Wenn Magie die Leute nicht mit der Natur verbindet, warum sich um die Umwelt kümmern? Wenn die Mystik uns nicht dazu führt, unsere wahre spirituelle Identität zu entdecken, dann werden wir unvollendete Tiere bleiben.

Fußnoten

1. Unfinished Animal: The Aquarian Frontier und the Evolution of Consciousness (Unvollendetes Wesen: An der Grenze zum Wassermann-Zeitalter und die Entwicklung des Bewußtseins), Harper & Row, New York, 1975, 271 Seiten, $ 10.00. [back]

2. Frances A. Yates, Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, S. 161. [back]

3. Edwin Arthur Burtt, The Metaphysical Foundations of Modern Physical Science, S. 3. [back]

4. Unfinished Animal, S. 101. [back]

5. Ibid., S. 110. [back]

6. Ibid., S. 123. [back]