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Ein neues Weltbild entfaltet sich

Die Ansicht eines Laien über die Verantwortung der Wissenschaft1

 

 

 

Wir reisen durch ein Land, von dem wir nur flüchtige Eindrücke erhaschen können. Wohin wir gehen, wissen wir nicht.

In unserer Generation sind wir jedoch in eine Phase eingetreten, in der die Horizonte immer schneller zurückweichen. Unsere Forschung hat uns in der letzten Generation mehr über den Menschen enthüllt, über seine Welt und über den Kosmos, in dem wir leben, als auf der gesamten bisherigen Reise.

Der Mensch wird dadurch als intelligentes Wesen gekennzeichnet, daß er sich innerlich von der äußeren Wirklichkeit, die er wahrzunehmen glaubt, ein Bild machen kann. Dieses Bild beginnt sich grundlegend neu zu gestalten.

Wenn wir unseren Globus betrachten, so sehen wir plötzlich, daß die Kontinente, auf denen wir uns vermehren und sogenannte Weltgeschichte machen, nicht das unbewegliche Felsgestein sind, für das wir sie noch vor ein paar Jahrzehnten gehalten haben. Statt dessen glauben wir, daß sie wie Schollen auf dem plastischen Innern der Erde treiben. Wir nehmen an, daß da, wo diese Schollen sich voneinander lösen, Ozeane entstehen und daß an den Stellen Bergketten aufgetürmt werden, wo treibende Schollen während von Menschen unbemerkten, aber geologisch berechenbaren Zeiträumen unerbittlich gegeneinander drücken. Doch genauso wie die kontinentalen Felsen in treibende Schollen umgewandelt wurden, so werden auch andere Formen aufgelöst, die bisher für unveränderlich galten. Selbst der Globus, der eingehüllt in den Schleier seiner Atmosphäre und eingeschlossen in das, was man beginnt die Sonnenatmosphäre zu nennen, hat keine feste Begrenzung, sondern tauscht fortwährend mit dem Universum Partikel aus. Wenn wir auf das radioaktive Ticken der Uhren der Materie hören und den alten, jedoch von neuem entdeckten Kode der magnetischen Partikel lesen, die Zeitalter hindurch unseren Globus erreichten und sich hauptsächlich in der Ablagerung auf dem Meeresboden in bestimmten Strukturen gruppierten, dann fangen wir an, ein neues und überzeugenderes Bild von der Geschichte der Erde zu bekommen.

Gleichzeitig können wir aber auch mit unseren Radioteleskopen nach außen in das Universum Milliarden Lichtjahre vordringen, bis vor die Zeit, in der unser Sonnensystem begann aus einer wirbelnden Gasmasse Gestalt anzunehmen. Wir entdecken im Kosmos eine Erscheinung nach der anderen, die mit den Naturgesetzen, die bisher für uns gültig waren, nicht vereinbar sind.

Aus diesen vielen Facetten, die schwer zu deuten und vielleicht für immer unerklärlich sind, taucht das Bild eines Universums auf, in dem alles miteinander in Beziehung steht, in dem der Mikrokosmos der einzelnen Zelle von den gleichen Kräften regiert wird wie der Makrokosmos der Milchstraßen. In diesem Universum lebt der Mensch als flüchtige Erscheinung mil allem anderen Leben auf diesem Himmelskörper genetisch verbunden. Er ist ein Teil des gesamten gärenden Lebens und wurde letzten Endes aus dem Rohmaterial der Sterne geboren. In diesem neuen Bild, das Gestalt annimmt, sehen wir uns, die wir aus elementarischen Partikeln aufgebaut sind, die aber nun nicht mehr elementar und auch keine Partikel mehr sind. Sie scheinen vielmehr irgendwelche Eigenschaften zu sein, die durch elektromagnetische Kräfte zusammengehalten werden, die sich über den wahrnehmbaren Körper hinaus erstrecken und in irgendeiner Weise, die noch nicht feststellbar ist, zu Ereignissen im Kosmos in Beziehung zu stehen scheinen, die vielleicht viele Lichtjahre entfernt stattfinden.

Unser Horizont bleibt allerdings begrenzt, so sehr wir unser Wissensgebiet auch ausdehnen. Arnold Toynbee sagte einmal: "Der Mensch muß sich von dem Punkt im Raum und von dem Augenblick in der Zeit aus orientieren, an dem wir uns befinden." Wir können im Raum, dem Grenzenlosen, und in der Zeit, dem Unergründlichen, nur beobachten, was uns am nächsten liegt. Bei der Betrachtung dieses erhabeneren Entwurfs ergeht es uns wie dem Weber, der an dem Einzelabschnitt eines großen Wandteppichs auf der Rückseite arbeitet, dessen Gesamtentwurf er aber nie sieht.

Dessenungeachtet sind es überwältigende Perspektiven, die uns die Forschung eröffnet hat, indem sie immer weiter in den kosmischen Raum vordrang und immer tiefer in das Innere der Materie eingedrungen ist. Die Aussichten sind faszinierend - aber auch beunruhigend. Während die Forschung unser Weltbild neu gestaltet, gibt sie uns auch neue Macht über uns selbst und über unsere Umgebung, was für die Zukunft des Lebens auf diesem kleinen Splitter im Raum entscheidend sein kann.

Vielleicht befinden wir uns gerade am Anfang von etwas, das für unsere Spezies geradeso umwälzend sein kann, wie es einst die aufrechte Haltung und die wachsende Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen, waren.

Alles ereignete sich mit verwirrender Schnelligkeit. Alte Grundsätze, an denen man hing, haben beständig neuen Platz gemacht, die vielleicht auch nur kurzlebig waren.

Es gibt ein Trägheitsgesetz, das in gleicher Weise für Axiome (Grundsätze, die keines Beweises bedürfen) gilt wie für das Geistige. Diese Trägheit wehrt neue Einflüsse und neue Gesichtspunkte ab. Max Planck veranschaulichte das, als er in seiner Selbstbiographie verbittert schrieb: "Eine neue wissenschaftliche Wahrheit siegt nicht, weil sie ihre Opponenten überzeugt und sie das Licht sehen läßt, sondern vielmehr, weil die Opponenten einmal sterben und neue Generationen heranwachsen, denen die Wahrheit vertraut ist."

Max Plancks Notiz macht nur ersichtlich, daß die Männer und Frauen, die wissenschaftliche Forschungen betreiben, nicht unbedingt und immer rezeptorischere (aufnahmefähigere) Organe besitzen als Menschen außerhalb der Laboratorien und Observatorien. Vom Forscher wird aber erwartet, daß er bereit ist, seine hochgeschätzten Hypothesen zu opfern, wenn neue Entdeckungen auftauchen - das sollte die wissenschaftliche Methode vom theologischen Dogma unterscheiden. Wenn es auch zahlreiche Beispiele wissenschaftlicher Orthodoxie gibt, so folgt die Forschung doch im großen und ganzen dem Grundsatz ergebenen Suchens und Prüfens. Wenn das nicht der Fall wäre, würden wir nicht diese Entwicklungsstufe erreicht haben, auf der neue Erfindungen in einem solchen Maße auf uns zukommen, daß ein wissenschaftlicher Text schon überholt ist, wenn er sich noch im Druck befindet, wie gesagt wurde.

Die Hauptverantwortung der Wissenschaft liegt auf einer anderen Ebene: Die breite Öffentlichkeit muß mit der neuen Weltanschauung bekanntgemacht werden, zu der die Raumforschung und die Kernphysik, die Ökologie und die Ethologie, die Geophysik und die Parapsychologie ihre Bausteine beitragen. Man könnte sagen, die Verantwortlichkeit liegt hauptsächlich in der bevorrechtigten Stellung der Forschung. Unsere Sinne mögen als biologische Schöpfungen noch so wunderbar sein. Kohlenstoff, der nicht sehen kann, Wasserstoff, der nicht hören kann, Sauerstoff, der nicht denken kann, haben sich in uns verbunden, wodurch der Kosmos sich selbst beobachten und über sich nachdenken kann. Das Betätigungsfeld der 'gewöhnlichen' Sinne ist jedoch beschränkt. Die Naturwissenschaften - hervorgegangen aus den Bemühungen des Menschen, sich selbst zu verstehen - waren durch künstliche Sinne in der Lage, Entdeckungen zu machen. Mit diesen künstlichen Sinnen konnten wir unter anderen Dingen die bisher unbekannten Sinnesorgane in uns entdecken. Diese neuen Gebiete muß die Forschung für uns alle so weit wie möglich lebendig darstellen.

Diese Aufgabe ist dringend, aber auch bedrückend.

Viele Dinge, die nur durch komplizierte Gedankengänge und hochentwickelte Instrumente erreichbar sind, beeinflussen unser Alltagsleben. Da unsere Bewertungen und folglich unsere Einstellungen jeweils von den Vorstellungen über das Universum und über uns selbst, die in jedem Augenblick bei uns vorherrschen, bestimmt werden, wird die Art, in der wir die Welt heute erfahren und wie wir unsere Rolle innerhalb des Ganzen sehen, von entscheidender Bedeutung für die Zukunft sein, die das Jetzt der nächsten Generation sein wird.

Mit Schrecken haben wir festgestellt, daß Teile des Wissens, das von der suchenden Menschheit gewonnen wurde, voller Gefahren sind und daß dieses Wissen, wenn es fahrlässig benützt wird, den Lebenskern bedrohen kann. Die größten wissenschaftlichen Errungenschaften schließen auch die größten Gefahren ein. Wir dürfen unser Wissen nicht nachlässig gebrauchen. Entscheidend ist, wie wir es anwenden.

Vermehrte technische Möglichkeiten und Mangel an Erkenntnis über die gegenseitigen Beziehungen haben bisher zu einer Erschöpfung des Bodens geführt, zum Raubbau an unersetzlichen Hilfsquellen, zur Vergiftung lebenhervorbringender Elemente und zur unbekümmerten Vermehrung unserer eigenen Gattung. Obwohl viele besorgte Nichtwissenschaftler die grundlegenden Beziehungen erkannt haben, geht die Ausbeutung weiter, vorangetrieben von bewußten wirtschaftlichen Interessenkreisen und unterstützt von der unbewußten Opposition aus Abneigung gegenüber einem neuen Weg.

Noch schicksalsschwerer als die bis jetzt bekannten Folgen unserer Handlungen sind vielleicht die noch unbekannten Folgen. Bisher dachten wir, die Atombombe, die die Verkörperung von Einsteins Theorien und Rutherfords Experimenten ist, was die Urheber nicht vorausgesehen hatten, sei die größte Gefahr für das Leben auf Erden. Nun werden wir plötzlich durch eine neue Erkenntnis auf eine viel größere Gefahr aufmerksam gemacht. Es ist die Kernexplosion, die salpeterhaltige Oxyde in die höheren Schichten der Atmosphäre trägt und die dünne Ozonschicht zerreißen kann, die uns vor den todbringenden Strahlen des Raumes schützt. Wir wurden mit der Tatsache bekannt gemacht, daß alle zur Erzeugung von Energie benützten Methoden negative Wirkungen auf die Umgebung haben, doch nun müssen wir befürchten, daß die Hitze, die durch die gesamte Energieerzeugung entstanden ist, die schlimmste Verunreinigung sein kann und an irgend einem Punkt, der noch unbekannt ist, zusammen mit anderen Luftverschmutzungen die empfindliche Ausgewogenheit unseres globalen Klimas umkippen kann. Ironischerweise fragen wir uns jetzt allmählich, ob wir nicht unvernünftige Energiemengen aufwenden, um Energie zu gewinnen. Parallel zu unserer Manipulation der Umwelt, von der der Mensch ein Teil ist, beginnen wir auch noch die Gene und Gehirnzellen in einer Weise zu manipulieren, die unvorstellbare Gefahren für die menschliche Rasse zur Folge haben kann. Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaft in den USA und der Vereinigung für den Fortschritt der Wissenschaft Großbritanniens schlugen kürzlich Alarm und forderten die Einstellung gewisser Genexperimente, weil nicht gänzlich auszuschließen sei, daß möglicherweise Mikroorganismen erzeugt werden, die - wenn sie den Laboratorien entweichen - schreckliche Wirkungen auf die Menschheit haben und sich in einer unkontrollierbaren Kettenreaktion ausbreiten könnten. Punkt für Punkt hören wir die Wissenschaft über unseren Fortschritt sagen: "Wir kennen die Folgen nicht, wir können die Resultate nicht voraussehen."

Wir haben in unserer Entwicklung eine Stufe erreicht, auf der wir unser Schicksal selbst bestimmen müssen. Es wäre wirklich verhängnisvoll, wenn die Entscheidung einer Verbindung von Trägheit und Unwissenheit überlassen bliebe - einer Verbindung jener, die Bescheid wissen, aber nicht handeln, und jener, die nicht Bescheid wissen und daher handeln. In dieser Situation fällt den Wissenschaftlern eine schwere Verantwortung zu, aufzustehen und die Verantwortung für ihre Einsichten und Befürchtungen zu übernehmen, die sich aus den Möglichkeiten und Gefahren jeder neuen Entdeckung ergeben. Damit wird in keiner Weise erwartet, daß die Forscher immer voraussehen können, wie die Politik und die Technik ihre Entdeckungen gebrauchen oder mißbrauchen werden.

Gemeint ist, daß der Forscher sich nicht länger in sein Laboratorium einschließen und sich nur mit seinen Zyklotronen und Retorten beschäftigen kann, ohne danach zu fragen, wie andere seine Theorien und Beobachtungen verwenden werden. In einem Entwicklungsstadium, für das es in der menschlichen Geschichte keinen Vergleich gibt, kann sich der Forscher nicht mehr damit zufrieden geben, zu zeigen, was geschehen kann; er hat eine neue Verantwortung, seinen Mitmenschen auch zu sagen, was getan oder nicht getan werden sollte und warum etwas getan oder nicht getan werden sollte. Angesichts unserer äußeren Lebensbedingungen, die voller Fragen über die Folgen unseres bisherigen Verhaltens sind, könnte man sich wohl überlegen, ob die Forschung nicht etwas gebremst werden sollte und zuerst die Antworten auf diese Fragen gesucht werden müßten, ehe wir weiter vorwärtsstürmen. Das ist nicht länger eine Sache der reinen Forschung. Es kann Leben oder Tod bedeuten.

In Verbindung mit diesen konkreten Aufgaben erhebt sich die logische Notwendigkeit, unsere gesamten Handlungen dem neuen Weltbild, das sich allmählich entwickelt, zu unterwerfen. Wenn wir unsere Beziehungen unserer Umwelt anpassen wollen, müssen wir wissen, was diese Ganzheit ist, von der wir ein Teil sind, und wir müssen unseren Platz und die Rolle bestimmen, die wir in diesem Zusammenhang spielen. Hiermit kehre ich zur Verantwortung der Wissenschaft zurück, die neuen Dimensionen der Wirklichkeit für uns lebendig werden zu lassen.

Das alles erfordert eine aktivere Haltung, als sie in der Regel bisher mit der Wissenschaft für vereinbar angesehen wurde. Der Forscher kann und muß das Klima beeinflussen, in dem politische Entscheidungen getroffen werden und unser Geschick bestimmt wird.

Ich kann mir vorstellen, daß es für viele Forscher ein gewisses Maß an Selbstunterordnung bedeutet, an die Öffentlichkeit zu treten, und es wird auch gewisse technische Schwierigkeiten geben. Eine solche Schwierigkeit kann bei der Kommunikation (Verbindung untereinander) auftreten. Es mag recht schwierig sein, einer Nachricht in der Informationsflut Gehör zu verschaffen, wo wichtige Dinge allzuleicht im Strudel von Nebensächlichkeiten untergehen, die unverhältnismäßig groß aufgebauscht werden. Außerdem müssen wissenschaftliche Erkenntnisse in Formeln ausgedrückt werden, die in der Alltagssprache schwer zu erklären sind, wenn es darum geht, alle Schattierungen und Vorbehalte zu erörtern. Die Sprache ist ein zu grobes Werkzeug, um die Akkorde gleichzeitiger Einsätze zu ermöglichen, wie es die Musik oder eine mathematische Formel kann. Viele Wissenschaftler, die in den letzten Jahren als Aufklärer und Warner hervorgetreten sind, haben jedoch gezeigt, daß die trennenden Schranken zwischen Wissenschaftlern und Laien durchbrochen werden können.

Eine weitere Schwierigkeit ist: Je umfangreicher das Wissen wird, desto mehr ist eine strenge Spezialisierung notwendig. Je zwingender die Spezialisierung wird, desto schwieriger wird es, in der Menge von Fakten die Verbindungen zu erfassen. Der Laie, der nach bestem Vermögen versucht, sich in dem veränderten Weltbild zurechtzufinden, ist erstaunt über den Mangel an Literatur, die unser Wissen auf den verschiedenen Gebieten zu einem zusammenhängenden Muster zu koordinieren versucht. Da unser Wissen so mannigfaltig und kompliziert geworden ist und sich das Material auf vielen Gebieten so verändert hat, gibt es nicht mehr nur einzelne, die alles auf einen gemeinsamen Nenner bringen, so wie sie in der Renaissance hervorgebracht wurden. Die umfassende Synthese, wie sie die heutige Zeit fordert, muß im wesentlichen eine Gemeinschaftsarbeit sein. Die interdisziplinäre wissenschaftliche Gesetzgebung, die an einigen Lehranstalten erprobt wird und für die diese Stadt ein Zentrum auf schwedischem Boden geworden ist, stellt ein willkommenes Zeichen dar, daß die Wissenschaftler den Ruf unserer Zeit hören.

Vielleicht brauchen wir einfach eine neue umfassendere Wissenschaft, eine Ökosophie, die das "Erkenne dich selbst!", das den Kern der alten Philosophie bildete, lebendig werden lassen kann. Mit Ökosophie meine ich einen Weg, das Dasein zu betrachten, die Bemühung, einen Überblick über das Ganze zu bekommen. Einem Laien, der sehr dankbar ist, daß ihm hauptsächlich die Naturwissenschaften in seinem Streben nach einer persönlichen Philosophie ein führendes Licht gegeben haben, mag es erlaubt sein, den Rahmen der Erwartungen, die an die Wissenschaft gerichtet sind, vielleicht etwas zu erweitern.

Wenn wir unsere irdische Lage richtig sehen wollen, genügt es letzten Endes nicht, daß der Verstand in dem Grundsatz verharrt, die Forschung schreite beständig fort. Wahrscheinlich ist es notwendig, darüber hinaus in eine tiefere Ebene einzudringen.

Als der Mensch seine Identität als eine Spezies (besondere Art einer Gattung) erlangte, lebte er im Einklang mit den Rhythmen und Bedingungen der Natur. Intuitiv ging er in der Umgebung auf. Er kleidete seine Verehrung für die ihn umgebenden Kräfte in Mythen und bildliche Ausdrücke, die anfangs etwas von der Frische des Taues gehabt haben müssen. Die Mythen verloren ihre Vitalität, als sie verdogmatisiert, als sie buchstäblich aufgefaßt wurden. Das enge und genau festgelegte Weltbild als Resultat dieses Prozesses stand in klarer Opposition zu der sich entwickelnden wissenschaftlichen Methode. Die letzten Jahrhunderte waren daher einerseits durch die Trennung zwischen der unvoreingenommenen Beobachtung und dem rationalistischen Denken gekennzeichnet und andererseits durch Glaubensbekenntnisse, die abseits vom Strom der Entwicklung standen.

Diese Spaltung war nicht ungefährlich. Während der fortschreitende Rationalismus damit beschäftigt war, den Menschen als biologische und soziale Erscheinung in ein umfassenderes Bild zu stellen, wurde es einer nachhinkenden Metaphysik überlassen, sich für den inneren Menschen zu interessieren. Die Kluft, die sich zwischen den Ansichten, die in einem ehemaligen Weltbild erstarrt sind, und unserem neuen Wissen über das Universum und über uns selbst aufgetan hat, muß jetzt durch eine richtige Vorstellung von der Welt und vom Leben ausgefüllt werden. Wenn das nicht geschieht, dann werden immer mehr Menschen einen Ersatz in okkulten Dingen, Rauschgiften und militanten Heilslehren suchen, was sich sehr bald zu einer ernsthaften Bedrohung der Gemütsverfassung auswirken kann, und zwar bezieht sich das sowohl auf deren Anwendung als auch auf die Demokratie im Hinblick auf das Gemeinschaftsleben. Ich denke, was wir brauchen, ist eine Wiedervereinigung von Verstand und Gemüt, von Forschung und Lebensführung.

Die Forschung sollte fähig sein zusammenzuarbeiten, um alles, was unser Suchen auf den verschiedenen Gebieten offenbart hat, zu verbinden, damit wir eine Vorstellung von unserem Schicksal vermittelt bekommen. Aus der kosmischen Perspektive gesehen, mag der Mensch eine so flüchtige Erscheinung sein wie der Reif am Morgen - aber wir gehören doch zur Menschheit, einer Spezies, die sich auf diesem kleinen Fleck im Raum bis dahin entwickelt hat, wo sie vor der Wahl zwischen Selbstvernichtung und Selbstverwirklichung steht. Die Forschung muß sich mehr als bisher für die inneren Bedürfnisse des Menschen interessieren.

Tief unter den vielen Schichten des Bewußtseins liegt der Drang, zu etwas vorzudringen, das größer ist als das Selbst. Vielleicht ist es letzten Endes ein Verlangen, unsere Verwandtschaft mit einem Kosmos, aus dessen Stoff wir gewoben sind, zu fühlen und zu erkennen. In der kurzen Geschichte der Spezies Mensch waren die Funde und Grundsätze der Wissenschaft nie besser geeignet, dieses Verlangen zu erfüllen.

Im Lichte dessen, was wir heute zu wissen glauben, sollte es möglich sein, auf einer neuen Ebene einiges über die enge Gemeinschaft mit den schöpferischen Kräften der Natur wieder zu entdecken, die der primitive Mensch intuitiv wahrnahm und in Mythen festlegte. Je weiter wir mit unseren Instrumenten in den Raum vordringen, desto mächtiger erleben wir das Mysterium eines Universums, das nicht so mechanisch ist, wie Newtons unmittelbare Nachfolger annahmen - das Mysterium ist da und ist in mancher Hinsicht größer geworden, seitdem wir die Mythen nicht mehr beachteten. Wenn wir die Entdeckungen der Wissenschaft richtig auswerten, kann uns die Tatsache, daß es uns als beobachtenden und suchenden Bewußtseinseinheiten gestattet ist, einen wenn auch noch so flüchtigen Blick in die wirbelnde Totalität von Zeit und Raum zu tun, mit Verehrung erfüllen. Vielleicht brauchen wir letzten Endes eine solche Haltung, um unsere Situation als Erdbewohner zu klären.

Die Wissenschaft kann uns die letzte Wahrheit nicht vermitteln, sie kann uns auch nicht klipp und klar beantworten, wohin wir steuern. Sie kann jedoch ein Leitstrahl sein, so daß es uns leichter fällt, die Regionen zu beschreiten, die unserem Schicksal vorbehalten sind.

Fußnoten

1. Die Ansprache wurde am 19. Oktober 1974 an der Universität Gothenburg gehalten. Anlaß war die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Philosophie. Dr. Edberg ist Gouverneur der Provinz Värmland und ein bekannter schwedischer Autor. [back]