So alt wie die Zeit…
- Sunrise 2/1977
Veränderung ist das Wesen unseres Universums. "Es gibt nichts Unveränderliches, alles ist dem Wechsel unterworfen", erklärte Gautama Buddha, und die alte Überlieferung besagt, das Universum als Ganzes ist "eine grenzenlose Sphäre, die periodisch der Spielplatz ist von zahllosen unaufhörlich erscheinenden und verschwindenden Universen."1 Wir sprechen natürlich von Äonen, von unendlich langen Zeiträumen. "Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache", singt der Psalmist (90:4), und da der Nacht gewöhnlich ein Tag folgt und dann wieder eine Nacht, muß man annehmen, daß es viele solche "Tage und Nächte von Brahmâ" gegeben hat, wie die Hindus sie nennen.
Wenn wir daher von der "Schöpfung" sprechen, ist es vernünftig, anzunehmen, daß wir über eine lange oder sogar unendliche Reihe von Schöpfungen, und von Schöpfungen innerhalb von Schöpfungen, einschließlich dem ins Dasein treten von Welten und von neuen Menschenrassen sprechen. Das ist die Auffassung, die in der walisischen Darstellung zu finden ist. Das Universum offenbart sich periodisch und zieht sich wieder zurück.
Es gibt ein Wort adfyd, das "wiedererstandene Welt" bedeutet, und man sagt, daß es ursprünglich auf das Stadium der erneuten Reise durch Abred2 angewandt wurde. Abred wird gewöhnlich als diese sichtbare Welt erklärt, und wir haben die Möglichkeit, adfyd auf das Wiedererscheinen physischer Welten oder auf das Wiedererscheinen von Menschen auf Welten oder auf beides anzuwenden. In der Philosophie der Druiden wird übrigens die Wiederverkörperung für Menschen in der Region von Abred als Mühsal und als Bestrafung für Sünden angesehen. Der "vollkommen gewordene" Mensch würde sich auf Erden nicht wieder verkörpern, es sei denn als Lehrer. Seine Heimat ist die Region von Gwynfyd - Seligkeit.
Somit haben wir ein Bild von "alten" Welten und "neuen" Welten und "alten" Menschheiten und "neuen" Menschheiten, wie auch von Bewohnern anderer Naturreiche - die sich alle in die unendliche Vergangenheit erstrecken und zweifellos auch in eine unendliche Zukunft. Dies meinte wohl William Blake, als er sagte: "In seinem reinsten Zustand florierte das Druidentum vor Adam."
Wenn wir die walisische Schöpfungsgeschichte näher betrachten, stellen wir ohne Überraschung fest, daß diese bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit biblischen und anderen Darstellungen aufweist. "Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott", sagt Johannes (1:1). Die walisische Version, wie sie in den Barddas aufgezeichnet ist, ist nur etwas lauter - am Anfang waren die "Drei Rufe":
Als nur ER lebte und vorhanden war, rief Gott Seinen Namen, und gleichzeitig mit dem Wort brachen alle lebenden und vorhandenen Dinge in einen Freudenruf aus; und die Stimme war die melodischste, die man je in der Musik gehört hat. Gleichzeitig mit der Stimme ward das Licht, und im Licht Form; und die Stimme wurde in drei Tönen, in drei Vokalisationen, im gleichen Augenblick ausgesprochen.3
Es war der "Tod Gottes", behauptet Kenneth Morris, der walisische Dichterphilosoph, als ER Seinen eigenen Namen ertönen ließ und "alles Sein aus der Verborgenheit ins Dasein trat." Denn ER war die Essenz von eben der Materie, die in der Region von Annwn (der Unterwelt) enthalten ist, nämlich Cythraul. Heute ist Cythraul ein Name für den Teufel, und gleicherweise ist ER die Wirklichkeit hinter manred (kleine Wege) oder atomare physische Materie in der Region von Abred. Ebenso ist ER die Essenz der gesegneten Region von Gwynfyd, während er dennoch in Ceugant oder in der Unendlichkeit verborgen bleibt.
"Wer bist du, und wo kommst du her?" fragt der Lehrer, und der Schüler antwortet: "Ich bin ein Mensch in der Region von Abred, und mein Anfang lag in Annwn."4
"Kein Mensch hörte je Seinen Namen aussprechen, und niemand weiß, wie er ausgesprochen wird; aber er wird mit Buchstaben dargestellt, damit man weiß, was gemeint ist und für Wen er steht." Die "Buchstaben" sind drei Striche, wie die Strahlen der Sonne. Dabei bezeichnet ein Strich den Sonnenstrahl im Morgengrauen, ein senkrechter Strich den Sonnenstrahl zur Mittagszeit und ein dritter Strich den Sonnenstrahl am Abend, und das Ganze sieht wie folgt aus: "Aber statt dessen und als Ersatz hierfür werden die drei Buchstaben O I W [der bardische Name für Gott] eingesetzt; ... um die Mißachtung und Entehrung Gottes zu vermeiden, ist es einem Barden verboten, IHN beim Namen zu nennen, außer im Innern und in Gedanken."5 Wenn jedoch ein Barde den Namen im Innern aussprechen würde, würde er ihm wie "O - II - UU" klingen.
Oeaohu, sagt H. P. Blavatsky, ist "der Keim aller Dinge":
Er ist "der unkörperliche Mensch, der in sich die göttliche Idee enthält" - der Erzeuger von Licht und Leben, um einen Ausdruck von Philo Judäus zu gebrauchen. Er wird der "feurige Drache der Weisheit" genannt, erstens, weil er das ist, was die griechischen Philosophen den Logos, das Wort des Göttlichen Gedankens, nannten; und zweitens, weil in der esoterischen Philosophie diese erste Manifestation, als die Synthese oder das Aggregat der universellen Weisheit, Oeaohu, "der Sohn der Sonne", in sich die Sieben Schöpferischen Heerscharen (Sephiroth) enthält und somit die Essenz der geoffenbarten Weisheit ist.6
Von diesen drei Buchstaben des Namens Gottes stammen die Erkenntnisse der ursprünglichen Barden und auch ein Alphabet, das nach Robert Graves vor dem klassischen griechischen Alphabet entstanden sein kann.7
Viele von uns kennen als Schöpfungsgeschichte vor allem die von Adam und Eva, ein allegorischer Bericht, wie es dazu kam, daß die frühe Menschheit von der Frucht des Baumes der Erkenntnis aß; wie, mit anderen Worten, Menschen ohne Intelligenz mit dem Feuer des Geistes begabt und dadurch menschliche Wesen wurden. Von da an war die kindliche Unschuld des Menschengeschlechts verlorengegangen, und damit auch das "Goldene Zeitalter" der Menschheit. Es war in einem gewissen Sinne der Sündenfall, in einem anderen Sinne war es jedoch eine unvermeidliche Phase des "Erwachsenwerdens" des Menschen.
Es ist wohl eine feststehende Tatsache, daß Kinder, wenn sie nicht von Eltern, Verwandten, Lehrern oder von anderer Seite Anregungen bekommen, nur eine langsame und gehemmte geistige Entwicklung erfahren. Ähnlich würde es unseren frühen Vorfahren ergangen sein, wenn sie keine "Lehrer" gehabt hätten. Im griechischen Mythos war es Prometheus, der das Feuer des Geistes vom Himmel stahl und es der Menschheit brachte. In vorkeltischen Zeiten war es Gwydion, der erste der Barden, den sogar Taliesin, "der anspruchsvollste aller keltischen Barden", als über ihm stehend anerkannte. Professor John Rhys betrachtete Gwydion in The Hibbert Lectures of 1886 als identisch mit Ogmios, "in Übereinstimmung mit Lucians Bericht über ihn ... die Personifizierung der Sprache", und stellt den irischen Ogma, den Erfinder der Schrift, beiden gleich. Er zeigt ferner, daß Hermes und Merkur nur andere Namen für dieses Wesen sind, dessen Eigenschaften wiederum bei dem nordischen Wotan, bei Odysseus und bei dem Polyphemos der Unterwelt wiedergefunden werden. Auch der Hindugott Indra gehört derselben Art an wie Gwydion und Wotan, wie man uns sagt. Kurz, "Gwydion, oder welchen Namen man ihm auch geben will, war ein komplettes und komplexes Wesen, das unseren entfernten Vorfahren vertraut war, schon bevor man sie als Kelten bezeichnen konnte."
Aus diesen Vergleichen schloß Professor Rhys, daß "die arischen Völker vor ihrer Trennung an einen Helden oder an einen Gott glaubten, dem sie alle ihre Lebensannehmlichkeiten verdankten: Er war es, der die Sonne scheinen und die Morgendämmerung ihre Zeit einhalten ließ, und von ihm erwarteten sie das Wetter, das sie wünschten." Er brachte ihnen das Feuer, lehrte sie, Tiere zu zähmen, und erschloß ihnen die Quellen der Inspiration. Aber man glaubte, daß ihr Gönner, wie Prometheus, "für die Wohltaten, die er ihnen zukommen ließ, unaussprechliche Mühsale" erdulden mußte.
Die Bezeichnung Schlange oder Drache oder nâga im Sanskrit diente lange Zeit als Symbol für einen Weisen oder Eingeweihten. "Ich bin eine Schlange", sagte der Druide, und wenn man die kleine Stadt Callander im schottischen Tiefland besucht, das keltisches Gebiet war, findet man dort einen hohen, von Menschen hergestellten Erdwall in Schlangenform, der sich über ein Feld und dann hinunter zum Fluß windet.
Die alten Wächter der Menschheit, jene "Druiden", die vor Adam existiert hatten, werden in den walisischen Lehren die Gwynfydolion genannt, Wesen, die in einem vorhergegangenen Weltenzyklus oder Zeitalter vollkommen geworden sind und Bewohner von Gwynfyd waren, der Region der Seligkeit. "Als Gott seinen aus drei Buchstaben bestehenden Namen ertönen ließ und das Universum erwachte, erwachten sie als erste und hielten von den Bergesspitzen in Gwynfyd Ausschau, wobei sie in weiter Ferne das Haus Gottes in Ceugant (Unendlichkeit) erblickten.8
Sie waren die Luzifer (wörtlich "Lichtbringer") des Himmels, die in der hinduistischen Tradition Mânasaputras oder "Söhne des Denkens" genannt werden, die wegen ihrer Liebe zu der entstehenden Menschheit aus eigenem Entschluß in die Region von Abred oder in die physische Manifestation "fielen" und sich mit den manred-Atomen der gemütslosen Menschen vereinigten. Daher ist der Mensch halb Gott, halb Tier; sein edlerer Teil der Gwynfydol, sein niedrigeres Element das manred. Und eines Tages ist es vielleicht in dem zeitlosen Lauf der Himmelskörper das Schicksal des Menschen, es ihnen, den Gwynfydolion, gleichzutun und ihren Platz in dem Entwicklungsplan der Lebensleiter einzunehmen. Er ist dann zu einem Meister jenes "Druidentums" geworden, das so alt ist wie die Zeit selbst.
Fußnoten
1. H. P. Blavatsky, Die Geheimlehre, aus dem Englischen der dritten Auflage übersetzt von Dr. phil. Robert Froebe, Neudruck J. J. Couvreur, Den Haag, Band I, Seite 44. [back]
2. Rev. J. Williams ab Ithel, Barddas, D. J. Roderic, 1862; I, XXV. [back]
3. Ebendort; Seite 47. [back]
4. Kenneth Morris, "The Welsh Story of Creation", The Theosophical Forum, Oktober 1947; Seite 607. [back]
5. Williams ab Ithel, op. cit.; Seite 21. [back]
6. Blavatsky, op. cit., I, 100-101. [back]
7. Robert Graves, The White Goddess: A Historical Grammer of Poetic Myth, Faber and Faber, 1966; Seite 236. [back]
8. Morris, op. cit.; Seite 608. [back]