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Technik und geistiger Fortschritt

Von dem Philosophen und Mathematiker Archytas von Tarent - einem Zeitgenossen Platons - wird berichtet, daß er eine hölzerne Taube konstruiert habe, die mittels eines sinnreichen Mechanismus fliegen, mit den Flügeln schlagen und eine beträchtliche Zeitlang in der Luft bleiben konnte. Archytas, der 400 Jahre v. Chr. lebte, soll auch die Schraube, den Kran und verschiedene hydraulische Maschinen erfunden haben. Einige Jahre später berichtet der Philosoph Aristoteles über die zu seiner Zeit allgemeine Verwendung von Robotern, die er als "einen Apparat" beschrieb, "in dem bestimmte Teile durch einen äußeren Kontakt mit einem anderen Teil des Gerätes in Bewegung gesetzt werden."

Als Marcellus 212 v. Chr. Syrakus belagerte, erlitten die Römer schwere Verluste durch Maschinen und Geräte, die Archimedes konstruiert hatte: Kräne, die mit riesigen Zangen versehen waren, die von den Stadtwällen aus die feindlichen Schiffe packten, in die Luft hoben und dann zu Boden fallen ließen; Katapulte, die einen Hagel riesiger Steine auf die Fußtruppen schleuderten. Auch sollen sie ein großes Brennglas besessen haben, mit dem Schiffe angezündet und verbrannt werden konnten.1

Sicherlich wußten die Alten mehr, als wir anzunehmen bereit sind. Wieviele Herstellungsgeheimnisse haben sie wohl mit ins Grab genommen, Geheimnisse, deren Wiederentdeckung in unserer Zeit wer weiß was für revolutionäre wirtschaftliche Folgen haben könnte!

Diese Beispiele zeigen, welche Erfolge die alten Griechen erzielen konnten; Erfolge, die eine hoch entwickelte Technik, experimentelle Forschung und tiefe Einsichten in die Struktur der Materie und in die von uns als Naturgeschichte, Physik, Chemie und Mathematik bezeichneten Gebiete voraussetzen. Das alles erweckt unsere Bewunderung. Und wir, die wir im 20. Jahrhundert leben, finden es ganz in Ordnung, daß die Menschen der Antike ihre Kenntnisse zum Nutzen des materiellen Fortschrittes und zur Vervollkommnung der Technik anwendeten. Wir neigen dazu, die wissenschaftliche Forschung mit dem Begriff der Zweckmäßigkeit zu verbinden. In unserer Zeit ist die sogenannte Grundlagenforschung, die als "systematisches und methodisches Suchen nach Kenntnissen ohne spezifische Nutzanwendung" bezeichnet wird, verhältnismäßig selten.

Aber die Alten sahen diese Dinge mit etwas anderen Augen an. Alles, was mit Technik und Mechanik zu tun hatte, wurde als nicht ganz angebracht befunden. Selbst der geniale Erfinder Archimedes schenkte seinen Erfindungen auf diesem Gebiet keine große Beachtung, wenn wir Plutarch glauben dürfen. Plutarch schrieb in einer seiner "Lebensbeschreibungen" (das Leben des Marcellus) folgendes über Archimedes:

... obwohl er den Ruf übermenschlicher Klugheit erlangt hatte, ließ er sich nicht dazu herab, irgendeine schriftliche Abhandlung über diese Dinge zu hinterlassen. Er betrachtete vielmehr die Beschäftigung mit der Mechanik und jeder anderen Art von Kunst, die auf Nutzen und Gewinn gerichtet ist, als unwürdig und niedrig. Er richtete sein ganzes Streben auf jene Überlegungen, deren Schönheit und Feinheit von jeder Vermischung mit allgemeinen Lebensnotwendigkeiten frei waren.

Plutarch schrieb auch, daß Plato die gleichen Ansichten zum Ausdruck brachte, als er mißbilligte, daß Euxodus und Archytas mechanische Apparate konstruierten, um die Richtigkeit ihrer geometrischen Postulate2 zu beweisen. Dadurch kam es zum Verfall der Geometrie, meinte er. Sie verlor ihre Würde und wurde wie ein Sklave gezwungen, vom Immateriellen zum Physischen herabzusteigen. Die Maschinenbaukunst trennte sich von der Geometrie und wurde dadurch degradiert. Das Bauen von Maschinen wurde von der Philosophie lange Zeit verachtet und der Kriegskunst zugeordnet. Die militärischen Instrumente betrachtete Platon, lt. Plutarch, als Geräte der Zerstörung.

Man muß sich diese Einstellung vor Augen halten, wenn man den Einfluß in Betracht zieht, der von den Mysterienschulen im Altertum ausgeübt wurde, auch wenn die Anzeichen des Verfalls zur Zeit Platons bereits in Erscheinung traten. In den Mysterienschulen wurde das Wissen über den Bau des Universums, über die innere Struktur der Materie, über den Platz des Menschen im Kosmos, über seine göttliche Bestimmung, über die Kräfte der Natur und ihre Kontrolle gelehrt. Hier wurden Kunst und Wissenschaft, Religion und Philosophie als verschiedene Erscheinungsformen der Wahrheit gelehrt. In gleicher Weise behandelten sie esoterische Astrologie, Alchemie, Medizin, Poesie, Musik, Mathematik, Geologie, Geographie, Meteorologie usw. Die Lehren über diese "Wissenschaften" wurden streng geheim gehalten, weil mehr ihre ursächlichen Aspekte als ihre Wirkungen studiert wurden. Die Kenntnis der Ursachen, die die Wirkungen hervorbringen, schließt natürlich die Macht über die Kräfte der Natur ein, eine Macht, die leicht für selbstsüchtige Zwecke mißbraucht werden kann. Daher die Geheimhaltung, die die Mysterienlehren umgab.

Die Eingeweihten der Mysterien besaßen zweifellos eine tiefe Kenntnis der Natur. Aber sie besaßen eine gleich tiefe Abneigung, diese Kenntnisse für materielle Zwecke und Annehmlichkeiten anzuwenden. Ihre Hauptabsicht war es, die im Menschen schlummernden göttlichen Kräfte zu erwecken und seinen Charakter seinen Fähigkeiten entsprechend zu schulen. Trotzdem wurde der Grundstein für die moderne Physik, Mathematik, Astronomie, Medizin, Geographie und verwandte Gebiete, die Labortechniken eingeschlossen, in den antiken Mysterienschulen gelegt.

Im Altertum, speziell in Ägypten, war jede wissenschaftliche Tätigkeit und die Tätigkeit in den verschiedenen Künsten mit den Mysterien verbunden. Handwerker der Keramik-, Emaillier-, Goldschmiede-, Schmiedeeisen- und Glasblasekunst arbeiteten alle in den Tempeln und unter deren Schutz. Sie unterstanden unmittelbar den Priestern und befaßten sich bei ihren Arbeiten nur mit heiligen Motiven. Mit der Degeneration der Mysterienschulen zerbrachen allmählich die Bindungen zwischen den Handwerkern und dem Heiligen. Die besonderen Fertigkeiten, die sie aus ihrer Tätigkeit in den Tempeln mitbrachten, beschränkten sich allgemein auf "Berufsgeheimnisse", die innerhalb der Gilden weitergegeben wurden, da sie ihrer Art nach nicht so heilig waren, daß sie nicht ohne schwere Folgen hätten enthüllt werden dürfen. Selbst nach der endgültigen Schließung der Mysterienzentren im 6. Jahrhundert n. Chr. unter Justinian wurden die Bande zwischen dem Handwerk und dem Heiligen nicht völlig abgebrochen. Das profunde Wissen über die innere Struktur der Materie, das die Initiierten besaßen, lebte in gewissen Klöstern, in bestimmten, von der Außenwelt abgeschiedenen Künstlerkreisen, unter Metallurgen, Schmieden und Bauleuten weiter. In diesem Zusammenhang ist das hohe Ansehen bedeutsam, dessen sich die gentilshommes verriers (die Herren Glasmacher) im Mittelalter unter Königen und Fürsten erfreuten. Hier tritt die Alchemie in Erscheinung.

Dieses von den Initiierten der Mysterien bewahrte Wissen war den Alchemisten des Mittelalters auf verschiedenen Wegen übermittelt worden, die unter verschiedenartigen Deckmänteln in Geheimgesellschaften, in Gilden und in Klöstern arbeiteten: Repräsentanten eines alten, heiligen, königlichen Wissens und Könnens. Ihr Ziel bestand nicht nur darin, den Menschen in den Zustand zurückzuführen, den er vor dem sogenannten Sündenfall einnahm, sondern auch die göttlichen Kräfte wieder zu erwecken, die latent in der ganzen Schöpfung vorhanden sind. Mit anderen Worten, das Ziel der Alchemie war es, den Menschen zu einem höheren, spirituelleren Bewußtseinszustand zu führen. Obwohl die Alchemie ihre Wurzel in dem hat, was wir Religion und Philosophie nennen, dürfen wir nicht vergessen, daß sie eine streng selbständige Wissenschaft ist, deren Praktiker behaupten, sie bringe greifbare Ergebnisse, unter anderem in Form der legendären Substanz, die als Stein der Weisen, lapis philosophorum, bezeichnet wird.

Kehren wir nun zu den hoch geachteten Glasbläsern zurück. Man sagt z. B., daß die Kirchenfenster von Saint Chapelle in Paris ihren unnachahmlichen Glanz dem Stein der Weisen zu verdanken hätten. Eine durchaus wahrscheinliche Theorie, wenn es zutrifft, daß Pierre de Montereau, der Saint Chapelle erbaute, im Pariser Kloster Saint Martin des Champs Alchemie betrieb.

Als weiteres Beispiel dafür, daß der Stein der Weisen verwendet wurde, wird das formbare Glas angesehen. Historische Schriftsteller, wie Plinius, Dion Cassius und Isodorus, berichten von einem Mann, der in Gegenwart des Kaisers Tiberius einen Weinkelch auf den Boden schleuderte, ohne daß er zerbrach. Er war nur eingebeult, aber die Beule konnte leicht beseitigt werden.

Als drittes Beispiel für die Anwendung des Steins der Weisen wird jener Brennstoff genannt, der Grablampen viele Jahrhunderte hindurch brennen ließ, die sogenannten ewigen Feuer, über die viele Geschichten erzählt werden.

Daß die Herstellung eines Stoffes geheim gehalten werden mußte, der die wunderbaren Eigenschaften des Steins der Weisen besitzt und seinem Besitzer Weisheit, Reichtum und Gesundheit ohne die Beschwernisse des Alterns schenkt, ist selbstverständlich. Wenn es den Stein der Weisen im Bereich der durch Sinne faßbaren Welt gibt, so würde sein Besitz für uns gewöhnliche Menschen natürlich eine schreckliche Versuchung darstellen, ihn für eigennützige Zwecke zu mißbrauchen.

Lange vor der Antike, und sogar noch bis vor einigen Jahrzehnten, ist daher die Befreiung der Energie, die in der Materie schlummert, ein Geheimnis gewesen. Ein Geheimnis, das aber den Initiierten der Mysterien und den Adepten der Alchemie bekannt gewesen sein muß. Heute ist es kein Geheimnis mehr, aber sind wir für dieses Wissen, das früher als heiliges Erbe gehütet und von Generation zu Generation weitergereicht wurde, reif genug? Sitzen wir nicht auf einem Pulverfaß? Liegt nicht eine schwere Gefahr in einer objektiven Forschung, die von allen religiös-philosophischen Elementen völlig getrennt ist - von Elementen, die in alten Zeiten einen weiten Raum in der Forschung einnahmen? Und doch haben unsere Kernphysiker ihre Verantwortung begriffen. Kurz bevor die Bombe auf Hiroshima geworfen wurde, versuchten die Wissenschaftler aus Los Alamos, diesen Abwurf zu verhindern. Aber es war zu spät. Das Geheimnis der Kernspaltung war bekannt.

Solange der geistige Fortschritt mit dem materiellen nicht Schritt hält, solange das zunehmende Wissen über die Beherrschung der Naturkräfte nicht durch ein wachsendes spirituelles Verständnis für die geeignete Anwendung dieser Kräfte ausgeglichen wird, solange befinden wir uns auf einem gefährlichen Weg, der zur Zerstörung der westlichen Zivilisation führen könnte.

Alfred Nobel war naiv, wenn er glaubte, daß die schreckliche Explosivkraft des Dynamits die Menschheit abhalten würde, Krieg zu führen. Drei Jahrhunderte vor ihm hatte der Jesuit Francesco Lana, der einen offenen Blick für die Gefahren der Ausbeutung der Naturkräfte und des technologischen Fortschritts hatte, einen ähnlichen Gedanken geäußert.

Lana war der Erfinder eines Luftschiffs und wird von manchen als Vater der Aerostatik betrachtet. Er betonte in seiner 1670 erschienenen Schrift Prodromo, daß die grundlegenden Probleme von Gewicht und Gravitation gelöst seien und daß in naher Zukunft Luftfahrzeuge von beträchtlicher Größe entwickelt würden, mit denen sogar Flüge zum Mond möglich wären. Aber, so fügte er hinzu: "Ich kann keine anderen Schwierigkeiten voraussehen, welche die Erfindung zunichte machen könnten, als nur die eine, die am bedeutungsvollsten ist, nämlich, daß Gott sicherlich das Gelingen einer solchen Maschine nicht zulassen würde." Man stelle sich, sagte er, die möglichen Konsequenzen vor: Luftschiffe könnten über öffentliche Plätze, über ankernde Schiffe in einem Hafen gesteuert werden. Eisengewichte, Feuerkugeln und Bomben könnten abgeworfen werden.3 Wie oft sind nicht seitdem Bomben aus der Luft abgeworfen worden?

Lana glaubte wie Nobel, daß Gott dies nicht zulassen würde. Realistischer wurden diese Dinge und die wirkliche Gefahr zunehmender Kenntnisse über den Aufbau der Materie von dem Nobelpreisträger Frederik Soddy gesehen, der in seinem Buch The Interpretation of Radium and the Structure of the Atom (Die Deutung des Radiums und der Bau der Atome), das 1920 erschienen ist, schrieb: Er glaube, daß es in der Vergangenheit Kulturen gegeben habe, denen die Atomenergie bekannt war, die aber durch Mißbrauch dieser Energie vollständig ausgelöscht wurden. Vielleicht hat er sich dabei auf die Mythe über die Zerstörung von Atlantis bezogen. Der Überlieferung nach hatten die Atlantier eine große materielle Entwicklung erreicht, ihre Kenntnisse über die Naturkräfte aber mißbraucht und so ihren Untergang bewirkt.

Trotz alledem wollen wir nicht annehmen, daß materieller Fortschritt schlecht sei. Wesentlich ist, daß dabei die spirituellen Werte nicht in den Schatten gestellt werden. Die Technik sollte eine Hilfe für die Kultur sein. Die Errungenschaften der Technik könnten ein Segen für die Menschheit sein, wenn dadurch ein Leben ermöglicht würde, das genügend Zeit für die Kultivierung der Seele übrig ließe. Welchen Sinn haben sie jedoch für einen Menschen, der nicht weiß, wie er in seinen Mußestunden die Zeit "totschlagen" soll (ein schreckliches Wort). Die Einstellung des Archimedes kann ein Ausdruck spiritueller Weisheit sein, wenn er mechanische Erfindungen mit Verachtung ansah und es vorzog, sich jenen Wissenschaften zu widmen, die ausschließlich dem Edlen und Schönen dienten.

Fußnoten

1. Vergleiche Zeitschrift Times vom 26. November 1973. Dieses Verfahren wurde von der Mannschaft der griechischen Flotte in den Gewässern bei Athen erfolgreich wiederholt. [back]

2. Postulat - nicht streng beweisbare, aber zur Erklärung eines Tatbestandes geforderte Annahme. [back]

3. Siehe "Two Voices: Science and Literature - I" von Marjorie Hope Nicolson, engl. Sunrise, Febr. 1965. [back]