Das Wiederanzünden schöpferischer Feuer
- Sunrise 1/1976
... so groß ist die geheimnisvolle Kraft der okkulten Symbolik, daß die Tatsachen, die zahllose Generationen von initiierten Sehern und Propheten zu ihrer Ordnung, Aufzeichnung und Erklärung in der verwirrenden Reihe des Entwicklungsfortschrittes tatsächlich gebraucht haben, alle auf ein paar Blättern in geometrischen Zeichen und Glyphen aufgezeichnet stehen. Das blitzartige Schauen jener Seher ist in den innersten Kern der Materie eingedrungen und hat dort die Seele der Dinge aufgezeichnet, wo ein gewöhnlicher profaner, wenn auch noch so gelehrter Beobachter nur das äußere Formenwerk bemerkt haben würde.
- Die Geheimlehre, I. 293
In diesen Worten von H. P. Blavatsky liegt einer der Schlüssel, die die geheimnisvolle Macht der Künste, die uns anregen, enthüllen. Für sie war das Universum beseelt. Seine Bestandteile und Vorgänge sind in alten und modernen Symbolen und Glyphen aufgezeichnet, die von einem Strom der Weisheitslehre abgeleitet sind, der in die fernsten Zeiten der Vergangenheit zurückreicht. Diese Embleme oder Diagramme stellen fundamentale Ideen über das Universum dar: seine periodischen Manifestationen und Ruhezustände - Embleme, die uns erleuchten, weil sie eher Ideen und Vorstellungen eingeben als das definieren, wofür sie verwendet werden. Doch am Ende des vorigen Jahrhunderts war es nur "das äußere Formenwerk", das die Aufmerksamkeit der Künstler in Anspruch nahm, und obwohl es manches Talent gegeben haben mag, war es ein Risiko, wenn man zur Kunst der reinen, vollständig leeren Form gelangen wollte, wie es ein aufmerksamer Beobachter ausdrückte.1
William Butler Yeats, der große irische Dichter, wurde von dem theosophischen Impuls der 1880er Jahre angezogen, weil er den Eindruck hatte, daß ihre Lehren darauf hinwiesen, wie bedeutungsvoll und tiefgründig die 'Formen', sogar geometrische, sein konnten. Er und andere benutzten den Schlüssel der Universalität, um das Tor zu den alten Mythen zu öffnen. Sie schrieben über das Eintauchen des Geistes in die Materie, über die spiralförmigen Zyklen (von Yeates "gyres" (Kreisbewegungen) genannt) der sich entfaltenden Anlagen und insbesondere über die Persönlichkeit, die wie eine Maske von dem fortdauernden Element im Menschen, von der Zeitalter überdauernden inhärenten Individualität, zeitweilig getragen wird. George W. Russell, als Æ bekannt, war ein anderer bedeutender irischer Dichter und Essayist, der von Blavatskys Ideen tief beeindruckt war. Mystischer veranlagt als Yeats, schrieb er ein Gedicht über den noch unentwickelten Gott, den er tief in den Augen der irischen Farmer 'sah', für deren Angelegenheiten er sich in den Landbezirken einzusetzen versuchte. Einen Monat vor seinem Tod, im Juli 1935, schrieb Russell an seinen Schriftstellerkollegen Séan O'Faoláin:
Sie tun H. P. Blavatsky ziemlich vorschnell als "Hokuspokus" ab. Noch nie hat jemand das Denken so vieler fähiger Männer und Frauen durch "Hokuspokus" angeregt. Die wirkliche Quelle ihres Einflusses ist in der Geheimlehre zu finden, einem Buch über die Religionen der Welt, das auf eine allen großen Religionen zugrunde liegende Einheit hinweist oder sie offenbart. Es ist ein Buch, von dem Maeterlinck sagte, daß es die grandioseste Kosmogonie der Welt enthalte. Und selbst wenn man es nur als ein romantisches Sammelwerk lesen würde, so ist es doch eines der anregendsten und spannendsten Bücher, die in den letzten hundert Jahren geschrieben wurden.
Man macht Männern wie Yeats, Maeterlinck und anderen ein armseliges Kompliment, wenn man annimmt, daß sie durch "Hokuspokus" angezogen würden. Zu ihnen gehören auch Männer wie Sir William Crookes, der größte Chemiker der neueren Zeit, der Mitglied ihrer Gesellschaft war, sowie der Anthropologe Carter Blake, F. R. S., und Gelehrte und Wissenschaftler in vielen Ländern, die H. P. Blavatskys Bücher lasen. Sollten Sie jemals in die Nationalbibliothek in der Kildare Street kommen und ein paar Stunden erübrigen können, dann sollten Sie sich in die "Einleitung" zu der Geheimlehre vertiefen, und Sie werden das Geheimnis des Einflusses dieser außerordentlichen Frau auf ihre Zeitgenossen verstehen.2
Edward Carpenter, der bekannte englische Schriftsteller und Sozialreformer, hielt die Gründung von Madame Blavatskys Theosophischer Gesellschaft als Zeichen für "das Kommen einer großen Reaktion infolge des selbstzufriedenen Kommerzialismus der mittleren viktorianischen Epoche und als eine Vorbereitung für das neue Universum des zwanzigsten Jahrhunderts."3
H. P. B.s erstes Buch Die entschleierte Isis, ein gewaltiges Kompendium von Ideen und ungewöhnlichen Informationen aus verschiedenen Quellen, erschien 1877. Seine Auswirkung auf die Literatur und die Künste kann zumindest bis zu einem gewissen Grad ermessen werden, wenn man die alten Bündel von Zeitschriften und Zeitungen jener Periode durchsieht. Es leitete eine gelehrtere objektivere Einstellung zur vergleichenden Religionswissenschaft ein, während frühere Bemühungen, heilige Schriften nichtchristlichen Ursprungs zu übersetzen, dadurch beeinträchtigt wurden, daß die Geistlichen, die diese Übersetzungen anfertigten, voreingenommen waren.
Nachdem H. P. B. gemeinsam mit dem Präsidenten der Gesellschaft, Oberst Henry S. Olcott, im Jahre 1878 New York verlassen hatte, um in den Orient zu reisen, nahm sie in England während einer kurzen Fahrtunterbrechung mit bestimmten, in wissenschaftlichen und literarischen Kreisen wohlbekannten Persönlichkeiten Kontakt auf. Als sie in Indien ankamen, unternahmen H. P. B. und Oberst Olcott ausgedehnte Reisen durch das Land und auch durch Ceylon. Ihre Erlebnisse beschrieb sie in farbenprächtigen Berichten für russische Zeitschriften. Eine Auswahl wurde später ins Englische übersetzt und als From the Caves and Jungles of Hindostan (1892) veröffentlicht.4
Die theosophische Betonung der Bruderschaft aller Menschen, ohne Unterschied der Rasse, Hautfarbe oder des Glaubens, und H. P. B.s Bemühungen, die Kenntnis und Wertschätzung für Indiens eigenes spirituelles Erbe wiederzuerwecken, wirkte dem Trend entgegen, diese spirituelle Erbschaft gegen die pragmatische, glitzernde, aber egoistische Technologie des Westens auszutauschen. Aubrey Menon, ein moderner indischer Schriftsteller, stellt fest: "Madame Blavatsky gebührt das Verdienst, das indische Denken im allgemeinen dem westlichen Geist nahegebracht zu haben, das dem Westen bis dahin im Grunde genommen unbekannt war" (The Mystics, New York, 1974).
Der reiche spirituelle Schatz Indiens wurde durch ihre Arbeiten der Öffentlichkeit vorgestellt und konnte nachgeprüft werden. Übersetzungen der Upanishaden, der Bhagavad-Gita und anderer alter heiliger Schriften wurden immer mehr bekannt, nicht nur in Indien, wo sie den Brahmanen und Theologen vorbehalten gewesen waren, sondern auch in Europa und Amerika. Ihre Zeitschrift The Theosophist (gegründet 1879) gab den Grundton an, der über den eigentlichen Text und die akademischen Kommentare hinausging. Zusätzlich wurde das Studium des Sanskrit angeregt, um damit diese metaphysischen Ideen in den westlichen Sprachgebrauch einzupflanzen, da diese Sprachen für diese Ideen keine Ausdrücke hatten. Sanskritkenntnisse waren bisher die Domäne für wenige.
Zwei prominente Engländer schlossen sich in Indien dem neuen Wagnis an und wurden mit H. P. Blavatsky befreundet. Der eine war A. O. Hume, ein hoher Regierungsbeamter, der später dem indischen Volk politisch half, besonders durch die Gründung der indischen Kongreßpartei. Der andere war A. P. Sinnett, Herausgeber von The Pioneer, der einflußreichen englischsprachigen Zeitschrift. Zu der Zeit arbeitete auch Rudyard Kipling als jüngerer Mitarbeiter für sie. Eine von Kiplings besten Kurzgeschichten, "Die schönste Geschichte der Welt", beschäftigt sich mit der Reinkarnation. Über seine Geschichte "Die Sendung der Dana Da" wurde geschrieben, daß sie "die indische Einstellung zur Theosophie" günstig beeinflußt hat.5 Sinnett gab seine journalistische Tätigkeit auf und begann ernsthafte Bücher und zwei Novellen zu schreiben, die sich alle mit theosophischen Themen befaßten. Seine bedeutendsten Werke sind The Occult World und Esoteric Buddhism (Die okkulte Welt und Die esoterische Lehre oder Geheimbuddhismus), von denen er selbst sagt, daß sie das Wesentliche seiner Korrespondenz mit zwei Lehrern von H. P. B. und mit H. P. B. selbst wiedergeben.6
Durch die theosophische Arbeit in Ceylon, besonders durch die von Oberst Olcott, wurde das Interesse am Buddhismus unter der Bevölkerung neu belebt. Im Jahre 1884 erbat Angarika H. Dharmapala, der damals erst sechzehn Jahre alt war, H. P. B.s Rat über seinen zukünftigen Werdegang. Sie schlug ihm vor, Pali zu studieren, um die in dieser Sprache geschriebenen buddhistischen Texte unter seinem Volk weiter bekannt machen zu können. Dies tat er mit Eifer und Hingabe und steuerte dadurch viel auf diesem Gebiet bei. Im Jahre 1893 hielt er als Theosoph und Repräsentant des Buddhismus in Asien vor dem Weltparlament der Religionen in Chicago eine Ansprache.
Im Frühling 1885 verließ H. P. B. Indien; sie ging nach Europa und ließ sich schließlich in London nieder, wo die Schlußphase ihrer über die ganze Welt reichenden Arbeit trotz schwerer Erkrankungen durchgeführt wurde. Hier veröffentlichte sie ihr Hauptwerk The Secret Doctrine (Die Geheimlehre), eine Schatzkammer von Ideen über die Geburt und die Evolution von Welten und Menschen, Ideen, deren Einfluß in unserem eigenen Jahrhundert immer mehr wächst. Viele Bezeichnungen, die nur Spezialisten bekannt waren, führte sie in die allgemeine Literatur ein. Worte wie Karma, Avatara und Reinkarnation erscheinen heute auch in anderen Werken und können in modernen Wörterbüchern gefunden werden.
Dr. Tom Gibbons wies in seinem scharfsinnigen Buch Rooms in the Darwin Hotel (1974)7, bei dem es sich um eine Studie über die in der englischen Literatur von 1880-1920 üblichen Vorstellungen handelt, nicht nur auf H. P. B.s Hauptwerk hin, sondern auch auf ihre Zeitschrift Lucifer (der 'Lichtbringer') und deren mächtigen Einfluß. Diese Zeitschrift druckte viele bedeutsame Artikel. Einige davon kritisierten die Sitten jener Zeit. Bedeutende Aufsätze waren: "The Esoteric Character of the Gospels" ("Der esoterische Charakter der Evangelien"), worin unklare Stellen und Ausdrücke erläutert werden, wie: die Bedeutung von 'Christus'; "Occultism versus the Occult Arts" ("Okkultismus gegen okkulte Künste") und "Psychic and Noetic Action" ("Psychische und Noetische Handlungen"), die insbesondere heute ganz aktuell sind; und schließlich noch ein eindringlicher "open letter" ("offener Brief") an den Erzbischof von Canterbury - ein dynamischer Aufruf, zum ursprünglichen Christentum seiner Gründer zurückzukehren. In diesem Brief verglich sie unter anderen Punkten die luxuriöse Lebensweise der Prälaten mit dem Los der Armen in den Hauptstädten des Westens. Ihre Kommentare über solche Themen waren nicht an eine Glaubensrichtung allein gerichtet, sondern an die Theologen jeder Religion, die hinter den Absichten der Gründer zurückgeblieben waren. Im Verlauf der Zeit waren alle Religionen durch Dogmen derart verkrustet worden, daß das ursprüngliche Licht der Weisheit verdunkelt wurde.
The Voice of the Silence / Die Stimme der Stille ist ihr Leitfaden für Männer und Frauen, die über die Ungerechtigkeiten bestürzt sind, die für die moderne Zivilisation charakteristisch sind. Eine Sonderausgabe von 1927 enthielt die Photokopie einer Empfehlung des Panchen Lama von Tibet. Er bestätigte die Echtheit der darin enthaltenen im Mittelpunkt stehenden Darstellung des "Bodhisattva-Ideals", nämlich auf Selbstfortschritt anderen zuliebe zu verzichten, die nur mühsam vorwärtsschreiten. Die Stimme wurde in einer neuen Pinguin-Paperback-Ausgabe Mysticism, A Study and an Anthology von F. C. Happold (Seite 82-83) und früher in William James' klassischen Varieties of Religious Experience zitiert. Die universale Botschaft der Stimme wurde von Bhikshu Sangharakshita in Vorträgen, die unter der Schirmherrschaft des Indian Institute of World Culture im Jahre 1954 vorgetragen wurden, gepriesen.8
Während der Jahre 1887-1891, als H. P. B. in London lebte, stand sie mit literarischen Persönlichkeiten, Wissenschaftlern und Gelehrten auf dem Kontinent und in Großbritannien in Verbindung. Mohandas K. Gandhi wurde ihr 1890 vorgestellt, als er in London war, um für seine Promotion in Jura zu arbeiten. In seiner Autobiography erinnert er sich, ihren Key to Theosophy / Schlüssel zur Theosophie gelesen zu haben. "Dieses Buch regte in mir den Wunsch an, Bücher über den Hinduismus zu lesen, und es befreite mich von der Meinung, die von den Missionaren genährt worden war, daß der Hinduismus voller Aberglauben sei" (S. 91). Er wurde auf die Bhagavad-Gita aufmerksam gemacht, die sein Leben begleitete und leitete.
In Frankreich waren der Orientalist Emile Burnouf und der Astronom Camille Flammarion Mitglieder ihrer Gesellschaft und korrespondierten mit ihr. In Deutschland nahmen Dr. Wilhelm Hübbe-Schleiden und die bekannte Familie Gebhard an H. P. B.s Bemühungen teil. Jedes Land besaß eine eigene, regelmäßig erscheinende Zeitschrift in seiner Sprache, für die sie brillante Beiträge oder polemisierende Artikel gegen den Dogmatismus schrieb. In Rußland erschienen die ganzen Jahre über, in denen sie für die Öffentlichkeit schrieb, zahlreiche Artikel und Geschichten aus ihrer Feder. Diese wurden den Arbeiten von Autoren, wie Turgenjew und Dostojewski, gleichgestellt. Von deren Novellen übersetzte und veröffentlichte sie im November 1881 in The Theosophist Ausschnitte wie "Der Großinquisitor" aus Die Brüder Karamasow.
Anfang dieses Jahrhunderts las der russische Komponist und Dichter Alexander Skrjabin eine französische Übersetzung von Der Schlüssel zur Theosophie. Am 5. Mai 1905 schrieb er aus Paris, "La Clef de la Théosophie ist ein bemerkenswertes Buch. Sie würden erstaunt sein, wie nahe es meinem Denken steht."9 Verschiedene Freunde erinnerten sich, "Skrjabins Gespräche drehten sich viel um Theosophie und die Persönlichkeit Blavatsky." In einem Brief, den er am 24. März 1914 in London schrieb, teilte er mit, daß er sich darauf freue, "mit einigen Theosophen zu speisen", insbesondere mit G. R. S. Mead, H. P. B.s letztem Privatsekretär. Skrjabin war ein eifriger Leser der Geheimlehre, von der er eine französische Übersetzung besaß. Nach seinem Tod im Jahre 1915 waren seine persönlichen Habseligkeiten überall verstreut, deshalb bemühte man sich 1922, sie zusammenzutragen. Dabei wurde seine eigene Kopie der Geheimlehre aufgefunden und zurückgekauft, damit sie ihren Platz im Bücherschrank in seiner Wohnung, die jetzt ein Skrjabin-Museum ist, wieder einnehmen konnte. Bowers berichtet, daß von dieser Wohnung ein sehr starker Einfluß auf aufstrebende Komponisten ausging und daß sie auch "ein Versammlungsort für junge Leute" war.
Die Künstler Wassili Kandinsky, Piet Mondrian und Paul Klee10 wurden bis zu einem gewissen Grade direkt oder indirekt von Skrjabin beeinflußt. Kandinsky stellte in seinem Werk Concerning the Spiritual in Art (Das Geistige in der Kunst) fest, daß Madame Blavatsky "die erste war, die eine Verbindung sah" zwischen unserer Zivilisation und der indischen, und daß aus ihren Bemühungen "eine der bedeutendsten spirituellen Bewegungen ... von innerem Wissen entstand", eine Bewegung, die für ihn "eine starke Kraft in der allgemeinen Atmosphäre darstellte, die den bedrückten und mutlosen Herzen eine Befreiung ankündigt." Er sah die Emanzipation vom Materialismus voraus und schloß seine Einführung mit den Worten: "Jeder, der sich in die verborgenen Schätze seiner Kunst versenkt, ist ein beneidenswerter Mitarbeiter an der spirituellen Pyramide, die zum Himmel reichen wird."
Ein hervorragendes Beispiel des durch H. P. B.s Bemühungen gegebenen Ansporns auf die Künste zeigt die irische literarische Renaissance, die mit der "Keltischen Erneuerung" eng verbunden ist. Charles Johnston war achtzehn Jahre alt und ein vielversprechender junger Mann, als er im Hause von Professor Ernest Dowden in Dublin an einer abendlichen Diskussion teilnahm, deren Thema Sinnetts Buch Esoteric Buddhism / Die Esoterische Lehre oder Geheimbuddhismus war. Johnston und der zwanzigjährige William Butler Yeats waren von dem Buch gefesselt. Als Johnston etwas später zur Aufnahmeprüfung für den indischen Zivildienst nach London reiste, bat er um eine Unterredung mit H. P. B. Die sich daraus ergebende Verbindung war sehr tief und beständig und beeinflußte den Rest seines Lebens.
Die Dubliner Loge der Theosophischen Gesellschaft, die er im April 1886 gründen half, zog George W. Russell, Yeats, Fred J. Dick, die Normans und einige führende Persönlichkeiten der Künste und Wissenschaften an, die später bei der Wiedererneuerung der brachliegenden irischen Kultur eine große Rolle spielen sollten. Johnston fühlte sich mehr von den alten klassischen Werken Indiens angezogen, und nach seiner Dienstzeit in diesem Land wurde er ein bekannter Übersetzer und Kommentator von Sanskritwerken.
James Joyce, der in Paris lebende irische "Verbannte", beeinflußte mit seinen Ulysses und Finnegans Wake die moderne Prosaliteratur nachhaltig. Ulysses schildert einen einzigen Tag im Leben eines Dubliners und ist sehr unklar. Stuart Gilbert verbrachte einige Zeit mit Joyce und bemühte sich, es zu erläutern.11 Joyce fragte Gilbert, ob er Madame Blavatskys Isis Unveiled / Die entschleierte Isis und die Schriften von Sinnett gelesen habe. Gilbert, der in seinem Buch über Joyce oft auf Die entschleierte Isis und Die esoterische Lehre oder Geheimbuddhismus hinweist und viele Zitate daraus bringt, ist überzeugt, daß "Joyce gewiß einiges für seine Unterlagen daraus entnommen hat." Er sagte: "Es ist unmöglich, die Bedeutung von Ulysses, seine Symbolik und seine Leitmotive zu verstehen, ohne die esoterischen Theorien zu kennen, die dem Werk zugrundeliegen."
Welche Begriffe waren das? Metempsychose oder Transmigration der Seelen, Karma, universale Manifestationen und Ruheperioden, "hermetische Entsprechungen" - oder das "Gesetz der Analogien" - unter anderen.
Es ist nicht notwendig, hier noch einmal zu untersuchen, was Yeats H. P. B. und der Theosophie verdankt, es ist überall gut bekannt und dokumentiert. Doch drei der einfühlendsten Studien möchten wir erwähnen: das bereits zitierte Werk von Giorgio Melchiori und die beiden Bücher von F. A. C. Wilson, W. B. Yeats and Tradition und Yeats' Iconography.12 Alle drei Werke untersuchen sorgfältig, welche von H. P. B. zum Ausdruck gebrachten Schlüsselbegriffe Yeats verwendet hat. Im März 1965 wurde zum Gedenken an seinen hundertsten Geburtstag eine Ausstellung von Büchern von und über Yeats in The King's Library, Britisches Museum, London, veranstaltet. Der Ausstellungskatalog enthielt auch Yeats Huldigung an H. P. B.: "Eine große, leidenschaftliche Natur, eine Art weiblicher Dr. Johnson." Dieses Zitat war seinen Autobiographies entnommen.
Der schöpferische Einfluß, den H. P. B.s Werk ausübte, wurde auch von dem berühmten und weitgereisten russischen Maler Nicholas Roerich und seiner Frau Helena stark hervorgehoben. Seit Anfang 1900 waren Skrjabin und Roerich miteinander befreundet. Nach der Revolution von 1917 verließ Roerich Rußland und ging nach Amerika, wo er versuchte, die Idee der Bruderschaft unter den Menschen durch das Medium der Kunst zu unterstützen. Freunde halfen ihm, in New York eine Institution zu errichten, um charakteristische Beiträge von Malern aus allen Ländern auszustellen. Damit wollte er zeigen, daß wahre Kunst keine Barrieren kennt. 1925 malte er "The Messenger", wobei er H. P. B. bildlich darstellte und das Bild ihr widmete. Helena Roerichs Briefe, die in zwei Bänden veröffentlicht wurden, offenbaren, wie stark H. P. B. und ihre Bemühungen deren Denken beeinflußt hatten.
Professor William Gates, ein Pionier auf dem Gebiet der Maya-Forschung, trat noch zu Lebzeiten H. P. B.s in die Gesellschaft ein und studierte eifrig ihre Schriften; ebenso Professor Oswald Sirén, der große schwedische Sinologe, der chinesische Kunst und chinesische Schriften mit den Erkenntnissen interpretierte, die er durch das Studium ihrer Lehren gewonnen hatte. Beide Gelehrte wußten um die spirituellen Strömungen Bescheid, die hinter allen wahren schöpferischen Bemühungen zu finden sind.
Dr. W. Y. Evans-Wentz, der berühmt wurde wegen seiner Übersetzungen aus tibetischen Klassikern und durch seine Kommentare zu ihren Lehren, wodurch er diese dem Westen zugänglich machte, studierte H. P. B.s Schriften seit seiner Jugend. Er stellte in The Tibetan Book of the Dead / Das Tibetanische Totenbuch fest:
Der verstorbene Lama Kazi Dawa-Samdup war der Meinung, daß, ungeachtet der ablehnenden Kritik, die H. P. Blavatskys Arbeiten erfuhren, eine adäquate innere Evidenz die intime Vertrautheit ihrer Autorin mit den höheren lamaistischen Lehren erkennen läßt, in die sie den Anspruch erhob, eingeweiht worden zu sein.
- S. 8, deutsche Ausgabe
Der Lama war ein initiiertes Mitglied der Nyingma-Kargyupta-Sekte und vor seinem Tode Dozent für Tibetisch an der Universität von Kalkutta. Zuvor war er amtlich bestellter Dolmetscher für die tibetischen Gesandten in Indien und gehörte auch zur "auserwählten Begleitung" des früheren Dalai Lama, wenn dieser Indien besuchte.
Talbot Mundi, "der hervorstechendste Verfasser orientalischer Abenteuergeschichten", war von 1900 bis 1909 Beamter im Dienst der britischen Regierung in Indien und Ostafrika. Nachdem er sich von diesem Dienst zurückgezogen hatte, schrieb er das Buch King - of the Khyber Rifles, das als Film und Roman erfolgreich war. In den zwanziger Jahren lebte er für kurze Zeit im Hauptquartier der Theosophischen Gesellschaft in Point Loma, wo er Om - the Secret of Ahbor Valley schrieb. Es ist ein Zeugnis für die umfassenden Beweise seiner Hochachtung für H. P. B. In dem nach seinem Tode herausgegebenen Werk I Say Sunrise, schreibt er:
Man kann mit absoluter Sicherheit sagen, daß, wenn alle Kritiker von Madame Blavatsky - ohne Auslassung eines einzigen, wie intelligent er auch sei - während einer durchschnittlichen Lebenszeit ihre größten Anstrengungen und ihre höchste Intelligenz auf diese Aufgabe konzentrieren würden, sie alle gemeinsam nicht ein solches Meisterstück wie Die Geheimlehre schreiben könnten. ...
Madame Blavatsky beschrieb und analysierte die Illusion, der wir irgendwie entrinnen müssen, wenn wir nicht weiterhin hoffnungslos in den Schwierigkeiten verstrickt bleiben wollen, für die wir unsere Staatsmänner, Wissenschaftler und Geistlichen tadeln - Schwierigkeiten, die zu lösen sie so wissenschaftlich versagt haben. Sie befassen sich nur mit der Oberfläche der Illusion. Sie reiten auf ihren Wellen oder sie gehen unter. Madame Blavatsky erklärte, was diese Wellen sind.
Eine Anzahl bedeutender, neuerer Bewertungen des Einflusses von H. P. B. sind sehr positiv. Eine von ihnen ist in Literature and the Occult Tradition von Denis Saurat, Professor für französische Literatur an der Universität von London, King's College, zu finden. Er widmet ein Kapitel der Überprüfung des Einflusses der Geheimlehre auf die Literatur, denn er betrachtete sie als einzigartige Fundgrube okkulter Ideen:
wir haben in Madame Blavatsky eine wertvolle Zeugin: sie gibt uns in unverfälschtem, rohem Zustand das einzige Material aus dem großen okkulten Steinbruch, das von den Dichtern verarbeitet werden kann.
- S. 69
Er entwarf ein Diagramm, in dem er eine Anzahl der hauptsächlichsten Begriffe über den Menschen und den Kosmos verzeichnete, die er in H. P. B.s Büchern gefunden hatte. Dabei benutzte er ihre Ausarbeitung als Maßstab und wies nach, daß diese Begriffe auch in anderen Schriften, insbesondere aber in der Folklore und in den Mythen aller Völker vorkommen.
H. P. B. schrieb Briefe in alle Welt, säte dabei neue Ideen und pflügte den Boden, um das künftige Keimen zu ermöglichen. So ermutigte sie z. B. William Q. Judge in den Vereinigten Staaten, Übersetzungen östlicher religiöser Schriften zu veröffentlichen. Aus dieser Veranlassung und auf Grund ihrer Verbindungen, die sie mit Indien hatte, entstanden unter der Mitwirkung von Charles Johnston und anderen seine Oriental Department Papers. Judge selbst gab eine revidierte Textausgabe der Bhagavad-Gita heraus und verfaßte einen Kommentar dazu. Sie (H. P. B.) sah voraus, daß eine Woge östlichen Gedankenguts kommen und den Westen überfluten werde. Sie warnte zwar vor einigen Erscheinungen dieser Woge, hoffte aber andererseits, daß der kulturelle Austausch "brüderlichere Gefühle zwischen den so verschiedenen Nationen entwickeln würde."
Dieser Bericht kann nur andeuten, was H. P. B. zur Umgestaltung der geistig amorphen Kultur ihrer Zeit beigetragen und wie sie auf diese eingewirkt hat, so daß sie sich zu der kulturellen Struktur von heute wandeln konnte. Eine bloße Aufzählung oder Beschreibung ihrer Werke und ihrer anderen Bemühungen oder deren Wirkung kann weder ihren Anstrengungen gerecht werden noch ihre besondere Qualität wiedergeben. Ein unbeschreiblicher Zauber wird geschaffen, wenn die ewige Flamme der alten Weisheit die aufeinanderfolgenden Wogen der Kultur entzündet. Besonders die religiöse, philosophische und wissenschaftliche Basis der Geheimlehre macht sie zum Katalysator für die fortschreitenden Veränderungen, die für den Rest unseres Jahrhunderts ein immer besseres, spirituelleres Klima in der Welt entstehen lassen, dieses Jahrhunderts, welches der Vater des kommenden Jahrhunderts ist.
Fußnoten
1. The Whole Mystery of Art, Pattern and Poetry in the Work of W. B. Yeats, von Giorgio Melchiori, 1960. [back]
2. Zitiert in A Memoir of Æ, George William Russell, von John Eglinton (W. K. Magee), 1937, Seite 164-165. [back]
3. My Days and Dreams, Being Autobiographical Notes, 1916, Seite 240. [back]
4. Jetzt in einer revidierten und erweiterten Auflage von Boris de Zirkoff, 1975, herausgegeben. (Alte deutsche Ausgabe In den Höhlen und Dschungeln Hindustans, Verlag Wilhelm Friedrich, Leipzig, vergriffen.) [back]
5. Siehe Rudyard Kipling, von Martin Fido, 1974. Der Autor stellt fest, daß Rudyard mehr "Aufgeschlossenheit" zeigte als sein Vater, John Lockwood Kipling, der bekannte Künstler, der die Theosophie brandmarkte. Fido selbst sympatisiert nicht mit ihr, stellt aber in bezug auf Britisch-Indien fest: "Theosophie war einer seiner vortrefflichen Beiträge für die Welt" (S. 52). [back]
6. Die Originalbriefe, jetzt im Britischen Museum aufbewahrt, sind in Buchform als The Mahatma Letters to A. P. Sinnett und The Letters of H. P. Blavatsky to A. P. Sinnett veröffentlicht worden. [back]
7. Dr. Gibbons ist Dozent für Englisch an der Universität von Westaustralien. [back]
8. In der Einleitung zum gedruckten Text berichtet er, daß er im Alter von vierzehn Jahren die beiden Bände der Isis Unveiled / Die entschleierte Isis gelesen habe, und er fügt hinzu, "obwohl ich nie ein Theosoph wurde, sympatisiere ich sehr mit gewissen Aspekten der Theosophischen Bewegung. [back]
9. Scriabin, A Biography of the Russian Composer 1871-1915, von Faubion Bowers, 1969, 2 Bände. [back]
10. Die Verbindung dieser drei Künstler wird in Kandinsky, His Life and Work von Will Grohmann, 1958, hervorgehoben. [back]
11. James Joyce's Ulysses, A Study, erste Ausgabe, 1930; revidierte Ausgabe, 1955. [back]
12. Siehe auch "The Wild Swan of Coole", englischer Sunrise, Dezember 1965. [back]