Die Eklektische Schule von Alexandrien
- Sunrise 3/1975
Eine kurze Darstellung ihrer Lehren und bedeutendsten Lehrer
In den zurückliegenden Jahrhunderten gab es in Europa und Amerika hin und wieder einzelne Menschen, - manchmal kannten sie sich, oft aber auch nicht - die unabhängig voneinander nach einer geheimen Weisheit suchten, deren Ursprung, wie sie glaubten, in den Anfängen der menschlichen Rasse zu suchen war. Diese geheime Überlieferung wurde, nachdem sie vorher unter vielen Namen bekannt gewesen war, seit dem dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung mit dem Namen Theosophia bezeichnet, 'Weisheit, die sich auf das Göttliche bezieht.' Ein solcher Sucher war auch der nordamerikanische Philosoph, Platoniker und Arzt, Dr. Alexander Wilder, geboren 1823 im Verwaltungsbezirk Oneida, New York.
Dr. Wilder kannte Henry S. Olcott schon vor dem Bürgerkrieg; es war daher unvermeidlich, daß er mit H. P. Blavatsky zusammentraf. Die Verbindung erwies sich für beide als Vorteil; sie wurden enge Freunde. Dr. Wilder half H. P. Blavatsky bei ihrem ersten großen Werk Isis Entschleiert (1877). Sie berichtet, daß er einen großen Teil der Einleitung schrieb und auch die vielen hebräischen, griechischen und lateinischen Ausdrücke korrigierte. Er wiederum fand seine tiefempfundene Intuition bestätigt, daß sich ein goldener Faden theosophischer Weisheit durch alle religiösen und philosophischen Darstellungen zieht.
Es ist besonders interessant, daß der nachfolgende Artikel, der einen Überblick über das theosophische System der Eklektischen Schule gibt, einer Broschüre mit dem Titel "New Platonism and Alchemy" (Neuplatonismus und Alchimie) entnommen ist, die Alexander Wilder schon 1860 geschrieben und veröffentlicht hatte, also sechs Jahre bevor er mit der modernen theosophischen Bewegung in Berührung kam. Er schrieb dann weiterhin, fast bis zum Tage seines Todes im Jahre 1908, für philosophische, medizinische, pädagogische und theosophische Zeitschriften.
- Der Herausgeber
Ammonius Sakkas bezeichnete sich selbst und seine Schüler als Philaletheier oder "Freunde der Wahrheit." Zuweilen wurden sie auch Analogetiker genannt, weil sie versuchten, alle heiligen Legenden und Erzählungen, Mythen und Mysterien nach der Regel oder dem Prinzip der Analogie und der Übereinstimmung auszulegen. Somit waren die Ereignisse, die in der äußeren Welt stattfanden, den Regungen und Erfahrungen der menschlichen Seele gleichzusetzen. Im allgemeinen sprach man von ihnen jedoch als den Neoplatonikern oder Neuplatonikern, und unter diesem Namen sind sie auch tatsächlich allgemein bekannt.
Die Geschichtsschreiber legen das Entstehen des Eklektisch-theosophischen Systems im allgemeinen in das dritte Jahrhundert der christlichen Ära. Anscheinend hat es aber viel früher begonnen. Diogenes Laertius verfolgt es tatsächlich zurück bis zu einem ägyptischen Propheten oder Priester mit Namen Pot-Amun1, der in den ersten Jahren der ptolemäischen Dynastie lebte.
Der Errichtung des mazedonischen Königreiches in Ägypten folgten Gründungen wissenschaftlicher und philosophischer Schulen in der neuen Hauptstadt. Alexandrien wurde bald als literarische Metropole gefeiert; jeder Glaube und jede Sekte waren dort vertreten. Zwischen den Weisen Baktriens, Oberindiens und den westlichen Philosophen bestand immer Verbindung. Die Eroberungen Alexanders, Seleukos und der Römer hatten dazu beigetragen, daß Alexandrien bekannt geworden war. Die Gelehrten strömten nach Alexandrien. Die Platoniker scheinen am zahlreichsten gewesen zu sein und sich am längsten behauptet zu haben. Unter Philadelphos wurde auch der Judaismus dorthin verpflanzt, und die hellenistischen Lehrer wurden die Rivalen des Kollegs der Rabbis zu Babylon. Die buddhistischen, vedantischen und magischen Lehren wurden ebenso vorgetragen wie die griechischen Philosophien. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß verantwortungsbewußte Menschen der Meinung waren, der Wortstreit solle aufhören, weil es doch möglich sein müßte, aus den verschiedenen Lehren ein einziges harmonisches System zu bilden.
Ammonius Sakkas, der große Lehrer, der dazu bestimmt zu sein schien, die verschiedenen Systeme zu versöhnen, war in Alexandrien als Sohn christlicher Eltern geboren; er fühlte sich aber auch den Anhängern der Staatsreligion eng verbunden. Er war ein Mann von großer Gelehrsamkeit und Begabung, untadeligem Leben und freundlichem Wesen. Sein fast übermenschliches Wissen und seine vielen vortrefflichen Eigenschaften brachten ihm den Titel Theodidaktos oder "von Gott Belehrter" ein. Er aber folgte dem mahnenden Beispiel des Pythagoras zur Bescheidenheit und nahm nur den Titel Philaleth oder "Verehrer der Wahrheit" an.
Als erstes schlug Ammonius vor, ein grundlegendes theosophisches System zu schaffen. Anfangs war dieses System in allen Ländern im wesentlichen gleich. Es war seine Absicht und sein Ziel, unter diesem gemeinsamen Glauben alle Sekten und Menschen zu versöhnen und sie zu bewegen, ihre Zänkereien und Streitigkeiten beiseite zu legen und sich zu einer Familie, als Kinder einer gemeinsamen Mutter, zu vereinen.
Der Kirchenhistoriker Mosheim sagt, daß Ammonius lehrte, daß -
die Religion der Menge mit der Philosophie Hand in Hand ging und beide das gleiche Schicksal erfuhren, nach und nach verfälscht zu werden, und durch rein menschliche Vorstellungen, durch Aberglauben und Lügen verdunkelt wurden: Daß sie deshalb von ihren Schlacken gesäubert und, indem man sie auf ihre philosophischen Prinzipien festlegte, zu ihrer ursprünglichen Reinheit zurückgeführt werden sollten: Und daß Christus die Weisheit der Alten in ihrer ursprünglichen Reinheit wieder einsetzen und wiederbeleben wollte - den allgemein vorherrschenden Aberglauben in Grenzen halten - und die mannigfaltigen Irrtümer, die ihren Weg in die verschiedenen Weltreligionen gefunden hatten, zum Teil korrigieren und zum Teil ausrotten wollte.
Ammonius erklärte, daß das System dieser Lehre und moralisches Leben, Weisheit genannt, in den Büchern von Thoth oder Hermes Trismegistos gelehrt wurde, von deren Aufzeichnungen Pythagoras und auch Plato ihre Philosophie ableiteten. Nach seiner Anschauung stimmten sie mit den Lehren der Weisen des fernen Ostens im wesentlichen überein. Die indischen Schreiber behaupten, daß die Yadus, oder der heilige Stamm, während der Regierung des Königs Kansa Indien verließen und nach Westen auswanderten, wobei sie die vier Veden mitnahmen. Zwischen den philosophischen Lehren und religiösen Bräuchen der Ägypter und denen der östlichen Buddhisten bestand bestimmt große Ähnlichkeit; ob jedoch die Hermetischen Bücher und die vier Veden irgendwie identisch waren, weiß man bis jetzt noch nicht.
Gewiß ist jedoch, daß es in jedem Land, das damals existierte und Anspruch auf Zivilisation erhob, eine esoterische Lehre gab, und jene, die danach lebten, wurden Wissende oder weise Menschen genannt. Pythagoras nannte dieses System Gnosis tôn ontôn oder "die Wissenschaft von den Dingen, welche sind." Unter der erhabenen Bezeichnung Weisheit haben die alten Lehrer, die Weisen Indiens, die Magier Persiens und Babylons, die Seher und Propheten Israels, die Hierophanten Ägyptens und Arabiens und die Philosophen Griechenlands und des Westens alles Wissen erfaßt, das sie in seinem Wesen als göttlich betrachteten, wobei sie einen Teil als esoterisch und das Übrige als exoterisch einstuften. Die hebräischen Rabbis nannten die äußeren und weltlichen Lehren die Mercavah, den Körper oder das Vehikel, worin das höhere Wissen enthalten ist. Theologie, Verehrung, Weissagung, Musik, Astronomie, Heilkunst, Moral und Staatskunst waren somit alle vereint.
So fand Ammonius die für ihn bereitstehende Arbeit vor. Seine tiefe spirituelle Intuition, seine umfassende Gelehrsamkeit, seine Vertrautheit mit den Kirchenvätern Pantaenus, Clemens und Athenagoras und mit den gelehrtesten Philosophen seiner Zeit, das alles machte ihn für seine Arbeit geeignet, die er denn auch gründlich tat. Erfolgreich konnte er die größten Gelehrten und Staatsmänner des römischen Reiches, die wenig Lust hatten, ihre Zeit für dialektische Studien oder abergläubische Bräuche zu verschwenden, für seine Anschauungen gewinnen. Die Ergebnisse seines geistigen Wirkens sind heute in jedem Land der christlichen Welt erkennbar. Jedes bedeutende Lehrsystem trägt die Merkmale seiner schöpferischen Hand. Jede alte Philosophie hat unter den Menschen der Neuzeit ihre Anhänger gefunden; und sogar der Judaismus, der älteste unter den Philosophien, hat Veränderungen erfahren, die von dem "von Gott Belehrten" Alexandriens angeregt wurden.
Wie Orpheus, Pythagoras, Konfuzius und Jesus hat auch Ammonius nichts Schriftliches hinterlassen. Seinen Zuhörern prägte er statt dessen die moralischen Wahrheiten ein, während er seine wichtigeren Lehren den ordnungsgemäß angeleiteten und geschulten Leuten mitteilte, die er zur Geheimhaltung verpflichtete, wie es zuvor bei Zoroaster und Pythagoras sowie in den Mysterienschulen gehandhabt wurde. Um feststellen zu können, was er wirklich lehrte, haben wir, außer einigen Abhandlungen von seinen Schülern, nur die Aussagen seiner Widersacher.
Das war jedoch nichts Außergewöhnliches und wich auch nicht von der allgemeinen Regel ab. Der ältere Kult, der bis zu einem gewissen Grad in den Mysterien noch erhalten war, verlangte von den Neophyten oder Neulingen einen Eid. Sie durften nicht weitergeben, was sie gelernt hatten. Der große Pythagoras teilte seine Lehren in exoterische und esoterische ein.
Die Essener in Judäa und vom Karmel machten ähnliche Unterschiede. Sie teilten ihre Anhänger in Neophyten, Brüder und Vollkommene (Eingeweihte) ein. Jamblichus sagt, daß Pythagoras eine geraume Zeit auf dem Karmel verbrachte. Ebenso Jesus, der seinen Jüngern erklärte, ihnen sei es gegeben, die Mysterien des Himmels zu kennen, während sie der Menge nicht gegeben würden, und er deshalb in Gleichnissen zu ihr spräche, die eine zweifache Bedeutung hätten.
Die östlichen Magier empfingen Unterweisung und Einweihung in den Höhlen und geheimen Logen Baktriens; und vom Propheten Daniel wird gesagt, daß er von Nebukadnezar in sein Amt als Rab Mag oder Haupt des gelehrten Ordens eingeführt wurde. Aus den Worten von Josephus, Philo und Moses Maimonides könnte man entnehmen, daß auch die Hebräer im Besitz von geheimen Lehren waren. Clemens, der in die Eleusinischen Mysterien eingeweiht worden war, soll gesagt haben, daß die dort gelehrten Lehren die höchsten Unterweisungen enthalten, und daß sie von Moses und den Propheten übernommen wurden.
Bei der allgemeinen Ähnlichkeit im Charakter der alten Religionen und philosophischen Anschauungen schien der einzuschlagende Weg für Ammonius festzustehen. Ermuntert durch Clemens und Athenagoras in der Kirche, und die gelehrten Männer der Synagoge, der Akademie und des Haines, erfüllte er seine Aufgabe, indem er eine allgemeine Lehre für alle verkündete. Er hatte nur seine Unterweisungen "gemäß den alten Säulen des Hermes vorzubringen, die vor ihm Plato und Pythagoras schon gekannt hatten, und die ihre Philosophie davon herleiteten." Nachdem er in der Einleitung zum Evangelium Johannes die gleiche Einstellung fand, vermutete er mit Recht, daß Jesus die große Weisheitslehre in ihrer ursprünglichen Reinheit wieder herstellen wollte. Die Erzählungen in der Bibel und die Legenden über die Götter betrachtete er als Allegorien, die die Wahrheit erläuterten, oder aber als Fabeln, die abgelehnt werden mußten. Die Besonderheit der Philaletheier, ihre Einteilung in Neophyten, Eingeweihte und Meister, war aus den Mysterien übernommen.
Das eklektische System wurde von drei verschiedenen Merkmalen charakterisiert, nämlich: Von seiner Theorie über die Gottheit, seiner Lehre von der menschlichen Seele und von seiner Theurgie. Schriftsteller der Neuzeit haben über die besonderen Ansichten der Neuplatoniker, die diese Dinge betreffen, geschrieben, sie aber selten richtiggestellt, auch wenn sie es gewollt hätten oder vorhatten. Außerdem hat der gewaltige Unterschied in der Art der alten und modernen Lehrmethode es den Schülern der späteren Jahrhunderte meist unmöglich gemacht, die wichtigsten Elemente der philalethischen Theosophie zu erfassen. Der Enthusiasmus, der heute oft als Frömmigkeit betrachtet wird, ist kaum geeignet, eine Erklärung für die Begeisterung der alten mystischen Philosophen zu finden, oder diese damit in Zusammenhang zu bringen.
Die Neuplatoniker stellten sich vor allem eine einzige höchste Wesenheit vor. Diese ist Diu oder der "Herr des Himmels" der arischen Völker, der identisch ist mit dem Iao der Chaldäer und Hebräer, dem Iabe der Samaritaner, dem Tiu oder Tuisco der Skandinavier, dem Duw der Briten, dem Zeus der Thrakier und dem Ju-piter der Römer. Diese Wesenheit war das Sein, das eine und höchste Fazit. Aus ihr gingen alle anderen Wesen durch Emanation hervor. Die Menschen der Neuzeit scheinen dafür die Theorie der Evolution aufgestellt zu haben. Ein kluger Weiser wird vielleicht diese zwei Hypothesen vereinen.
Alle die alten Philosophien enthielten die Lehre, daß theoi - Götter oder Mittler, Engel, Dämonen und andere spirituelle Vermittler - von dem höchsten Wesen emanierten. Ammonius übernahm die Lehre aus den Büchern des Hermes, daß die göttliche Weisheit oder Amun aus dem göttlichen All hervorging; daß aus der Weisheit der Demiurg oder der Schöpfer hervorging, und aus dem Schöpfer die untergeordneten spirituellen Wesen; die Welt und ihre Menschen sind die letzten. Das erste ist im zweiten enthalten, das erste und zweite im dritten usw., die ganze Reihe hindurch. Damit verwandt ist die Lehre (von den 10 Sephiroth) der jüdischen Kabbala, die von den Pharsi oder Pharisäern gelehrt wurde, und die sie wahrscheinlich von den Magiern Persiens übernommen haben. Ihre sektiererische Bezeichnung scheint es jedenfalls anzudeuten.
Aus der Verehrung dieser untergeordneten Wesen wurde die den Alten zur Last gelegte Idolatrie (Götzenanbetung) gebildet, eine Beschuldigung, die die Philosophen nicht verdienten. Diese anerkannten nur ein höchstes Wesen, erklärten aber, die "andere Betrachtung" zu verstehen, in der Engel, Dämonen und Helden eine Bedeutung haben. Epikur sagt:
Die Götter existieren, aber sie sind nicht das, wofür sie die hoi polloi oder das ungebildete Volk hält. Nicht der ist ein Ungläubiger oder ein Atheist, der die Existenz der von der Menge angebeteten Götter leugnet, sondern derjenige, der ihnen zuschreibt, was die Menge von ihnen annimmt.
So waren die Erzählungen von Jupiter, von der Belagerung Trojas, den Wanderungen des Odysseus und den Abenteuern des Herkules zwar nur Sagen oder Fabeln, denen aber eine tieferliegende Bedeutung zugrunde lag. "Alle Menschen haben ein sehnsüchtiges Verlangen nach den Göttern", sagt Homer. Alle alten Kulte deuten auf die Existenz einer einzigen Theosophie hin, die älter ist als alles andere. "Ein Schlüssel, der einen Kult erklären kann, muß alle erklären können, sonst kann er nicht der richtige Schlüssel sein."
Die Eklektiker oder Philaletheier nahmen das Wesentliche dieser Lehren an. Der größte Unterschied bestand nur in den Namen. Wie alle alten Weisen lehrten sie, daß alle Dinge und Wesen nacheinander oder in unterschiedlichen Graden der Emanation aus der höchsten Gottheit hervorgingen. Diese Theosophie erklärt auch die Verkündung von Paulus "alle Dinge kamen aus Gott" und die Behauptung von Jesus "das Reich Gottes ist in Euch." Sie wollten damit nicht gegen das Christentum vorgehen oder das Heidentum neu beleben, wie Lloyd, Mosheim, Kingsley und andere behaupten, sondern sie wollten aus allen Systemen die wertvollsten Schätze entnehmen und darüber hinaus noch neue Nachforschungen anstellen. Einen Avatara gab es allerdings nicht.
Plotin, der aus Lykopolis in Ägypten stammte, war der erste große Erklärer des neuplatonischen Systems. Im Jahre 233 - er war damals 28 Jahre alt - begann er in Alexandrien Plato und Aristoteles zu studieren, und kurz darauf stieß er auf das berühmte Werk von Philostratos, das Leben des Apollonius von Tyana und die Schriften von Plutarch und Apulejus. Mitten in diesen Studien wurde er mit Ammonius Sakkas bekannt. Er wurde ein würdiger Schüler für die Lehren dieses großen Lehrers. Was Plato für Sokrates war, und der Apostel Johannes für das Haupt des christlichen Glaubens, das wurde Plotin für den von Gott belehrten Ammonius. Plotin, Origenes und Longinus verdanken wir, was über das Philalethische System bekannt ist. Sie waren entsprechend unterwiesen, eingeweiht und mit den inneren Lehren vertraut. Von Origenes blieb wenig erhalten. Longinus reiste lange Jahre umher und lebte zum Schluß in Palmyra. Eine Zeitlang war er Berater der gefeierten Königin Zenobia. Nachdem Palmyra erobert worden war, suchte diese Kaiser Aurelian zu versöhnen, indem sie Longinus die Schuld für ihr Verhalten zuschrieb; dieser wurde dann auch hingerichtet.
Der Jude Malek, der für gewöhnlich als der hervorragende Autor Porphyrios bekannt ist, war ein Schüler Plotins und sammelte die Werke seines Meisters. Er schrieb ebenfalls mehrere Abhandlungen, in denen er eine allegorische Auslegung von Teilen der Schriften Homers gab. Auch Jamblichus schrieb über die in den Mysterien gelehrten Lehren und außerdem eine Biographie des Pythagoras. Diese ist dem Leben von Jesus so ähnlich, daß sie als eine Travestie betrachtet werden kann. Diogenes Laertius und Plutarch berichten über den Werdegang Platos in ähnlicher Weise.
Als Plotin neununddreißig Jahre alt war, begleitete er die Armee des römischen Kaisers Gordian nach dem Osten. Er wollte von den Weisen Baktriens und Indiens unmittelbar belehrt werden. Doch der Kaiser wurde unterwegs getötet, und der Philosoph rettete mit knapper Not sein Leben. Er kehrte nach Hause zurück und begab sich später nach Rom, wo er eine Schule gründete, in der man Belehrung in Philosophie durch Konversation erhalten konnte. Diese wurde von Männern und Frauen jeden Alters und jeden Standes besucht. Der Kaiser und die Kaiserin schätzten Plotin sehr, und seine Schüler verehrten ihn fast wie ein höherstehendes Wesen. Einer von ihnen, der Senator Rogentianus, ließ seine Sklaven frei und verzichtete auf seine Würden, um Zeit für die Erlangung der Weisheit zu haben. Der Ruf Plotins war so bedeutend, daß man ihn immer wieder als Vormund für Waisenkinder bestellte und mit der Verwaltung großer Besitztümer betraute. Er lebte achtundzwanzig Jahre in Rom und hatte sich keinen einzigen unter den Leuten, denen er zur Verfügung gestanden hatte, zum Feinde gemacht.
Er lehrte, daß es drei Grade der Gnosis oder der Erkenntnis gibt - Urteil (Meinung), Wissenschaft und Erleuchtung. Dabei muß anerkannt werden, daß dieses System die Vorbereitung für die höchste spirituelle Entwicklung bot. Plutarch sagt:
Das Ziel der ägyptischen Riten und Mysterien war die Erkenntnis des einen Gottes, der der Herr aller Dinge ist und nur von der Seele erkannt werden kann. Ihre Theosophie hatte zwei Bedeutungen - die eine war heilig und symbolisch, die andere öffentlich und wörtlich. Die Tierfiguren, die in ihren Tempeln so reichlich vorhanden waren und die wahrscheinlich angebetet wurden, waren einzig und allein die göttlichen Eigenschaften in Hieroglyphen ausgedrückt.
Dazu muß bemerkt werden, daß diese Mysterien die Grundlage für das eklektische System bildeten.
Da die menschliche Seele als Sproß oder Emanation der Gottheit betrachtet wurde, war das ganze philaletische Lehrgebäude auf die Entwicklung und Vervollkommnung ihrer göttlichen Fähigkeiten gerichtet. Plotin lehrte, daß in der Seele ein Impuls immer wiederkehre: Liebe, die sie nach innen zu ihrem Ursprung und Mittelpunkt, dem ewig Guten hinzöge. Während die Persönlichkeit, die nicht begreifen kann, wie die Seele die Fülle der Schönheit in sich selbst haben könne, darnach strebt und sich anstrengt, Schönheit von außen zu erfahren, findet sie der Weise in seinem Innern.
Das Unendliche kann durch den Verstand nicht erkannt werden, der unterscheidet und definiert, sondern durch eine Fähigkeit, höher als die der Vernunft, durch das Eintreten in einen Zustand, in dem das Individuum gleichsam aufhört, sein endliches Selbst zu sein, in welchem Zustande ihm göttliche Essenz mitgeteilt wird. Die Hilfsmittel, das vollbringen zu können, sind folgende: Liebe zur Schönheit im Dichter, Ergebenheit für die Wissenschaft im Philosophen, Liebe und Gebet beim Frommen.
Plotin versichert, diese erhabene Ekstase sechsmal erlebt zu haben, und Porphyrios erklärt, daß Apollonius von Tyana viermal in seinem Inneren auf diese Weise mit der Gottheit vereint war, und er selbst einmal, als er schon über sechzig Jahre alt war.
Folgendes sind Platos eigene Worte:
Gebet ist ein heftiges sich Hinwenden der Seele zu Gott; nicht um irgendeinen besonderen Vorteil zu erbitten, sondern zu Ehren des Guten - zu Ehren des universalen höchsten Guten. Wir verwechseln oft das Schädliche und Gefährliche mit dem Nützlichen und Wünschenswerten. Deshalb verhalte Dich in Gegenwart der Göttlichen still, bis sie die Schleier von Deinen Augen entfernen und Dich befähigen, mit Hilfe des Lichts, das von ihnen ausstrahlt, nicht nur zu sehen, was für Dich gut zu sein scheint, sondern was wirklich gut ist.
Plotin lehrte auch, daß jeder Mensch den inneren Sinn oder die innere Fähigkeit besitzt, die man Intuition oder inneren Instinkt nennt. Sie kann durch richtige Pflege entwickelt werden, und sie befähigt den Menschen, die wirkliche und absolute Wahrheit vollkommener wahrzunehmen und zu begreifen, als wenn man die Verstandeskräfte und äußerliche Wahrnehmungsfähigkeit anwendet. Wir beginnen mit dem Instinkt; das Ende ist Allwissenheit. Es ist ein direktes Schauen, so daß der Mensch, sozusagen aus sich selbst herausgelöst, göttliche Gedanken denkt, alle Dinge von ihrem höchsten Standpunkt aus betrachtet, und, um einen Ausspruch von Emerson zu gebrauchen, "ein Empfänger der Weltseele wird."
Diese Menschen scheinen die Gabe der Weissagung, allgemein das "zweite Gesicht" genannt, besessen zu haben. Apollonius erklärt mit folgenden Worten seine eigene Fähigkeit in dieser Beziehung:
Ich kann die Gegenwart und die Zukunft in einem klaren Spiegel sehen. Der Weise braucht nicht auf die Dünste der Erde und die Verschmutzung der Luft zu warten, um Seuchen und Fieber vorauszusehen; er erkennt sie später als Gott, aber früher als die Menschen. Die theoi oder Götter sehen die Zukunft; gewöhnliche Menschen die Gegenwart; die Weisen, was bald geschehen wird.
Das kann geistige Photographie genannt werden. Die Seele ist die Kamera, in der Tatsachen und Ereignisse der Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart gleichsam fixiert werden; und das Gemüt (mind) wird sich ihrer bewußt. Jenseits der Grenze unserer Alltagswelt ist alles wie in einem Tag zusammengedrängt - das heißt, es herrscht ein Zeitbewußtsein, in dem Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart mit inbegriffen sind.
Philostratus, der Biograph des Apollonius, sagt aus, daß dieser Kranke heilte und Tote auferweckte; und auch von anderen aus jener Zeit wird berichtet, daß sie außergewöhnliche Heilungen vollbrachten. "Was die Bruderschaft besonders auszeichnete", sagte ein deutscher Schriftsteller, "war das erstaunliche Wissen über alle Hilfsmittel der ärztlichen Kunst. Sie heilten nicht mit Zaubermitteln, sondern mit Heilkräutern." Ihre Geschicklichkeit im Heilen hat ihnen vielleicht oft den Ruf eingebracht, sie vollbrächten Wunder.
Diese Mystiker waren ganz offensichtlich in der ärztlichen Kunst bewandert und mit der Kräuterkunde vertraut, doch ihre Entdeckungen gingen durch die Zerstörung der Alexandrinischen Bibliothek verloren. Wäre diese nicht zerstört worden, dann hätte es vielleicht in der Welt eine Eklektische Schule der Medizin gegeben, das Ergebnis des Wissens jener "weisen Männer aus dem Osten." Statt dessen hinterließen sie jedoch eine Alchimie oder mystische Philosophie, deren allegorische Bedeutung die späteren Nachforschenden vergaßen, weil sie sie zu wörtlich auslegten, und indem sie die Materie weiterstudierten, gründeten sie die Wissenschaft der Chemie.
Jamblichus übertraf die übrigen Eklektiker und fügte deren Theosophie die Lehre von einer Theurgie hinzu. Er lehrte, daß der einzelne zu einer Verbindung mit spirituellen und himmlischen Wesen erhöht werden kann, deren Wissen und Willen besitzt und die Fähigkeit, wie ein Gott untergeordnete Wesen zu beherrschen. Die Phänomene des mesmerischen Trancezustandes und des Hellsehens scheinen ihm vollkommen vertraut gewesen zu sein, denn er beschreibt sie genau. Er lehrte, daß die göttliche Idee nicht durch den Verstand oder durch vernunftmäßiges Überlegen in die Seele eingepflanzt wurde, sondern durch eine spirituelle Konzeption, die ewig anhält und so alt ist wie die Seele selbst. Die verschiedenartigen Rangordnungen der spirituellen Wesen sind Mittler zwischen Gott und dem Menschen. Sie sind überall und in allem, was dafür geeignet ist. Auch im wachen Zustand der Seele geben sie Hinweise und vermitteln ihr die Kraft, die Dinge soweit wie möglich zu begreifen. Darunter fällt die Gabe zu heilen, die Befähigung zur Kunst und neue Wahrheiten zu entdecken. Von dieser Inspiration gibt es verschiedene Grade; mancher besitzt sie im höchsten Grad, ein anderer hat etwas davon und mancher nur ganz wenig.
Proklos war der letzte große Lehrer der Eklektischen Schule. Seine Schriften sind möglicherweise tiefgründiger und sorgfältiger abgefaßt als die seiner Vorgänger. Er arbeitete die Theurgie des Jamblichus in ein vollständiges System aus, und während dieser das Gebet als Mittel zu spirituellem Fortschritt preist, lobt er den Glauben. Proklos zufolge waren die Lehren des Orpheus der Ursprung der später verbreiteten Systeme. Er sagt:
Was Orpheus in verborgenen Allegorien vortrug, lernte Pythagoras, als er in die orphischen Mysterien eingeweiht wurde; und als nächster empfing Plato eine vollkommene Kenntnis derselben aus den orphischen und pythagoräischen Schriften.
Die Eklektiker waren mehrere Jahrhunderte hindurch tätig. In ihren Reihen befanden sich die fähigsten und gelehrtesten Männer jener Zeit. Ihre Lehren wurden von Nichtchristen und Christen in Asien und Europa angenommen, und eine Zeitlang schien alles für eine allgemeine Verschmelzung der religiösen Überzeugungen günstig zu sein. Die Kaiser Alexander Severus und Julian nahmen die Lehre an. Ihr überwiegender Einfluß auf religiöse Ideen erregte die Eifersucht der Christen Alexandriens. Hypatia, die berühmte Predigerin, Lehrerin des Bischofs Synesius und Tochter des Theon, wurde vom Mob, der von einem Geistlichen angeführt wurde, überfallen, in eine Kirche geschleppt und brutal ermordet. Die Schule wurde nach Athen verlegt und schließlich auf Befehl des Kaisers Justinian geschlossen. Ihre Lehrer zogen sich nach Persien zurück und gewannen dort viele Schüler.
Der Einfluß dieser großen Lehrer hielt auch in den folgenden Jahrhunderten an. Im Mittelalter traten verschiedentlich bemerkenswerte Männer auf, die die eine oder andere der grundsätzlichen hermetischen Lehren verbreiteten. Die Mystiker und Quietisten, Sufis und Theosophen jeder Schattierung entnahmen großzügig von dem Schatz, den die philaletischen Neuplatoniker so reichlich angehäuft hatten. Emanuel Swedenborg und Jakob Böhme scheinen dabei keine Ausnahmen gewesen zu sein. In der christlichen Welt gibt es kaum einen religiösen Glauben, der nicht auf diese Weise bereichert wurde; und das Beste in der Literatur ist diesem Schatz entnommen.
Der Charakter dieser Menschen, die ein so vergeistigtes Lehrsystem aufrecht erhielten, war, wie nicht anders zu erwarten ist, dementsprechend großartig. Ihr Moralkodex ist von M. Matter in seiner Abhandlung über den Gnostizismus gut beschrieben:
Die Moral, die dem Menschen von der Gnosis vorgeschrieben wurde, war vollständig seiner Natur angepaßt: Der Körper soll mit allem versorgt werden, was er braucht, aber alles Überflüssige soll gemieden werden; der Geist soll mit allem genährt werden, was ihn erleuchten kann, ihn stärkt und Gott gleich macht, von dem er ein Ebenbild ist; er soll mit Gott vereint werden, von dem er eine Emanation ist - so ist die Moral. Sie ist die Moral des Platonismus und die Moral des christlichen Glaubens.
Welche Mängel die philaletischen Lehren scheinbar auch haben mögen, die großen zugrundeliegenden Ideen menschlicher Bruderschaft und menschlicher Vervollkommnungsfähigkeit müssen generell anerkannt werden. Ihr eigentliches Ziel war die Erreichung vollkommenen Friedens auf Erden anstatt der Herrschaft des Schwertes vergangener Zeiten, die nur dazu bestimmt war, in den kommenden Jahrhunderten Millionen Menschen in Schlachtordnung gegeneinander aufzustellen, um im mörderischen Kampf, im Namen der Religion, Länder und Landstriche zu entvölkern.
Fußnoten
1. Dieser Name ist koptisch und bedeutet, daß sein Träger, Amun, dem Gott oder Genius der Weisheit, geweiht ist. [back]