Auffällige Übereinstimmung
- Sunrise 4/1974
Diese Lehren sind daher keine Neuigkeiten, keine Erfindungen von heute, sondern wurden schon vor langer Zeit verkündet, wenn sie auch nicht besonders betont wurden! Unsere Lehre, die wir jetzt bringen, ist die Erklärung einer früheren. Das Alter der vorgebrachten Meinungen wird schon durch Plato belegt.
- Plotinus, Enneaden, V, I, 8
Es hat etwas für sich, die Erzählungen alter Völker und ihre Überlieferungen zu lesen, die oft aus Quellen stammen, die durch das Dunkel der Vorgeschichte getrübt sind. Obgleich es möglich ist, daß sie mit Geheimnissen und Magie durchtränkt sind, können wir doch bei vielen genügend Ähnlichkeiten finden, die uns fesseln und die Möglichkeit offen lassen, daß wenigstens in einigen der Erzählungen Wahrheit enthalten ist. Man sollte nicht alle diese Legenden als naive Ausdrucksweise einer primitiven Vorstellung betrachten. Es ist durchaus möglich, daß wir unter diesen literarischen Bruchstücken auf eine eigenartige Redewendung, ein doppelsinniges Symbol oder eine verschleierte Allegorie stoßen, deren Bedeutung durch Vergleichen mit anderen, ähnlichen Überlieferungen sichtbar wird. Möglicherweise wird dadurch auf die Frühgeschichte des Menschen und seinen Werdegang etwas Licht geworfen.
Beim Studium dieser archaischen Überlieferungen lesen wir oft Berichte über hohe Zivilisationen, goldene Zeitalter und göttliche Dynastien, wo Menschen sich mit erhabeneren Wesen frei vermischten und die spirituelle Intuition anscheinend heller und leuchtender war. In jenen Zeiten wurde dem Menschen gelehrt, woher er kam, was er war und wohin seine Reise geht. Doch immer stärker werdende Selbstsucht verdüsterte in vielen das Licht der Erkenntniskraft. Große Kämpfe zwischen den getreuen Schülern der Weisheit und jenen in Unwissenheit und Torheit befangenen Menschen folgten. Die Natur, deren Gleichgewicht durch diese Aggressionen gestört wurde, antwortete, - mit kataklysmischen Umwälzungen und großen Versenkungen, die zu verheerenden Erdbeben und Überschwemmungen führten - indem sie die zerstörten Beweise der menschlichen Erfindungen in der Erde verschwinden ließ. Die Legenden berichten, daß Millionen Menschen umkamen. Doch einige überlebten und wanderten in neue Länder aus. Mit der Zeit war bei jenen, die nach diesen Katastrophen geboren wurden, nur noch eine schwache Erinnerung an den früheren Glanz vorhanden, und für noch weniger Menschen blieb die Quelle der alten Weisheit, die den Menschen regenerieren könnte, erhalten. Dieses Wissen wurde als edelstes Geschenk von Mund zu Mund weitergegeben und in Symbolen und Allegorien, auf Papyrus und in Stein, in Mythen und Legenden aufgezeichnet, um spätere Generationen dadurch zu inspirieren.
Aber für gewöhnlich betrachten wir Mythen als etwas, das nur in der Vorstellung existiert oder unrealistisch ist und in Wirklichkeit nichts Wahres als Grundlage hat. Ist es nicht trotzdem interessant, daß das Wort Mythe vom griechischen Wort Mythos abgeleitet ist, was 'eine Erzählung', d. h. ein Bericht oder ein 'Vortrag', bedeutet, und daß man annimmt, es sei mit dem gotischen maudjan verwandt, was 'erinnern' heißt.
Wenn wir in den Überlieferungen forschen, deren Wurzeln sich schon lange vor der Ära, in der die Geschichte aufgezeichnet wurde, ausbreiteten, dann finden wir oft eigenartige Parallelen der Ideen und Ereignisse. Besonders auffallend ist jene völlige Gleichheit, die auf Kontinenten und bei Kulturen gefunden wurde, die voneinander getrennt waren und hier wie dort von ganz bestimmten 'außergewöhnlichen' Ereignissen berichten. Betrachten wir jeden Fall für sich, so neigen wir dazu, die märchenhaften Schilderungen als Produkte einer irrtümlichen Auffassung des Altertums oder vielleicht als ein 'ins Übernatürliche' übertragenes weltliches Ereignis zu sehen. Wenn gleiche Ereignisse verschiedener Kulturen festgestellt werden und sie nicht nur in allgemeiner Hinsicht, sondern auch in bestimmten Einzelheiten übereinstimmen, dann stoßen wir bei den Erklärungen auf Schwierigkeiten. Man kann nämlich finden, daß sie nicht nur im allgemeinen, sondern auch in wesentlichen charakteristischen Einzelheiten zusammenpassen. Eine solche Wechselbeziehung fanden wir vor einigen Jahren.
Alexandra David-Neel, die Autorin mehrerer Bücher über tibetischen Buddhismus, gab in With Mystics and Magicians in Tibet (Seite 227-229) eine interessante Beschreibung eines Wettstreits zwischen Adepten in der Yoga-Ausübung von tum-mo1, der Fähigkeit, durch eine besondere Art von Meditation Körperwärme zu erzeugen und zu bewahren:
In einer eiskalten Nacht werden jene, die glauben, imstande zu sein, den Test erfolgreich zu bestehen, an das Ufer eines Flusses oder Sees geführt. Wenn in diesem Gebiet alle Flüsse zugefroren sind, wird ein Loch in das Eis geschlagen. Man wählt dafür eine mondhelle Nacht, in der ein starker Wind weht. Solche Nächte sind in Tibet während der Wintermonate nicht selten.
Die Neophyten sitzen nackt und mit gekreuzten Beinen auf dem Boden. Decken werden in das eisige Wasser getaucht, jeder wickelt sich in eine davon und muß sie an seinem Körper trocknen. Sobald die Decke trocken ist, wird sie wieder ins Wasser getaucht und erneut um den Körper des Novizen gelegt, bis sie wieder trocken ist. Die Prozedur wird bis zum Tagesanbruch fortgesetzt. Wer dann die meisten Decken getrocknet hat, gilt als Gewinner des Wettstreits.
Wie Madame David-Neel dann weiter berichtet, wird dem Gewinner der Titel repa zuerkannt, was bedeutet: 'Der in Baumwolle Gekleidete.' Von da an kann man ihn an dem dünnen Baumwollgewand, das er als Schutz gegen die Elemente trägt, als einen der repas erkennen, zu denen auch Tibets hoch verehrter Heiliger Milarepa gehört.
Anderwärts fanden wir noch eine Geschichte. Vor mehr als hundert Jahren gab ein englischer Journalist in Indien seinen Augenzeugenbericht mit allen Einzelheiten über den "Trick" der Hindus mit der wachsenden Pflanze. Ein indischer "Gaukler" pflanzte einen kleinen Mangosamen in einen besonders dazu bereitgestellten, mit Erde gefüllten Topf. Dann begann er über dem Topf zu singen und zu psalmodieren. Innerhalb einiger Minuten keimte der Same, wuchs, reifte und brachte eine Frucht hervor, die "die richtige Größe hatte ... reif wurde und süßsauer war." (Siehe Isis Entschleiert, I, 141/142)
Keines der oben beschriebenen Ereignisse ist einmalig, denn der Osten ist voll von Geschichten mit gleichen Vorkommnissen. Ob die Berichte wahr, übertrieben oder voller Phantasie sind, das zu untersuchen soll in diesem Zusammenhang nicht unsere Aufgabe sein. Interessant ist jedoch in diesem Falle die "seltsame Übereinstimmung", wie sie in den Legenden der Hopi-Indianer zu finden ist - einem Volk, das vom Orient durch den Pazifischen Ozean und eine Zeitspanne getrennt ist, die von den Anthropologen nur geschätzt werden kann. In dem Book of the Hopi (Seite 39, Viking Press edition) finden wir folgende bemerkenswerte Beschreibung über eine Wanderung der Hopi im Altertum, die nach der Zerstörung ihrer "Dritten Welt" durch Erdbeben und Überflutung stattfand:
Nordwärts und immer weiter nordwärts führte sie der Stern, bis sie in ein Land mit immerwährendem Schnee und Eis kamen. Für die Nacht gruben sie sich in Schneegruben ein und hielten sich durch die Wärme warm, die sie selbst erzeugen konnten. Um Wasser zu bekommen, stellten sie den kleinen Wassertopf, den sie immer bei sich hatten, fest auf den Boden. Er wurde zu einer Quelle, die hier genauso Wasser hervorsprudelte, wie in der trockenen Wüste, die sie im Süden durchquert hatten. Sie trugen auch einen kleinen Topf mit Erde mit sich. In diese steckten sie Samen von Mais und Melonen; und während sie über der Erde sangen, wuchsen die Samen zu Pflanzen, und die Pflanzen trugen Mais und Melonen. Solcher Art waren die Kräfte, die sie besaßen, denn sie waren noch unverdorben rein in dieser neuen vierten Welt. (Kursivschrift vom Verfasser)
Solche Kräfte scheint unsere gegenwärtige Menschheit verloren zu haben. Doch ob wir diese Fähigkeiten entwickeln könnten oder nicht, ist für uns jetzt ohne Interesse. Wichtig ist, daß wir beginnen, über die Folgerungen nachzudenken, die sich durch diese kulturelle Gegenüberstellung ergeben. Dieses Studium veranschaulicht das überall vorhandene Wiederauftreten bestimmter allgemeiner Ideen und Erfahrungen bei fast allen alten und neuen Völkern.
Die Überreste der Vergangenheit nach Schlüsseln zu "verlorenen Mysterien" zu durchsuchen, mag für manche eine romantische Idee sein. Aber gegen die Funde in der Archäologie und Anthropologie, die den Menschen der Neuzeit fast täglich zwingen, sich für viele Errungenschaften unserer 'abergläubischen' Vorfahren mehr zu interessieren, sind kaum Einwände zu machen. Beachten wir zum Beispiel die Arbeiten von Thor Heyerdahl, Gerald Hawkins und Alexander Marshak2 (ob man nun mit ihren entsprechenden Hypothesen übereinstimmt oder nicht). Darüber hinaus beweisen diese Entdeckungen, daß sie auf anderen Gebieten der Wissenschaft, auch in der Religion und Philosophie, weitreichende Verzweigungen aufweisen, so daß zeitgenössische Theoretiker oft in Verlegenheit geraten. Auch nur eine einzige überprüfte und anerkannte Entdeckung kann alle verwandten Tatsachen und Theorien in eine neue Perspektive bringen und einige neue Erkenntnisse erzeugen, indem sie gleichzeitig weitere Fragen aufwirft.
Betrachten wir doch einmal diese "Entdeckung" der miteinander übereinstimmenden Phänomene bei den Hopi und den orientalischen Yogis. Wenn ihre Behauptung wirklich stimmt, - daß ihre Vorfahren eine fortgeschrittene wissenschaftliche Erkenntnis gewisser psycho-physiologischer und botanischer Prozesse hatten, die heute allgemein unbekannt sind, was wiederum auf eine Art prähistorischen kulturellen Kontakt hindeutet - wie würde dieses Wissen unsere Vorstellung von der menschlichen Entwicklung und den zyklischen Zivilisationen verändern? Welche Errungenschaften hatte der prä-historische Mensch wirklich, denn auch damals existierten primitive und fortgeschrittene Kulturen nebeneinander, genau wie heute? Wenn es damals eine fortgeschrittene angewandte Naturwissenschaft gab, warum ging sie verloren? Und in einer Welt, die mehr denn je mit ihren ethischen Maßstäben unzufrieden ist, erhebt sich die Frage, was für eine moralische Haltung die Menschen des Altertums erreicht haben und, in näherliegender Betrachtung, welche Anwendungen finden ihre Prinzipien heutzutage bei uns?
Bildtext: Ritual eines Hopi-Jungen mit dem magischen Wassertopf.
Weil wir die Vergangenheit gern als rückständig oder 'unter' uns suchen (wie wahr das geologisch auch sein mag), sind wir oft der Meinung, die älteren Völker hätten wenig zu bieten, das der gegenwärtig von uns erreichten Höhe entsprechen würde. Das dürfte eine falsche Annahme sein - besonders angesichts der sich mehrenden Tatsachen. Die Synthese des Wissens ist das Ergebnis davon, daß jeder Wissenszweig erforscht wird, ganz gleich, ob die zeitlosen Gesetze der physikalischen Natur oder die Überreste und Schriften untergegangener Kulturen erforscht werden. Die Früchte der Zukunft werden gegenwärtig gesät; genauso geschah es in der Vergangenheit.
Entdeckung, Erkenntnis, Erklärung, - hierauf Anwendung - langsam bewegt sich die Karawane des menschlichen Fortschritts weiter, einer klareren Vorstellung von "woher, was, warum und wohin" entgegen. Aber die verflochtenen Strähne der archaischen Geschichte zu entwirren, Tatsache von Phantasie, und Wahrheit von Hypothese zu trennen, ist keine leichte oder von der Öffentlichkeit belohnte Aufgabe. Doch die Belohnung kommt - in der Offenbarung der allgemeinen Zusammenhänge einer zeitlosen, für die Menschheit universalen Weisheit, einer Tradition, die heute noch von gleicher Bedeutung ist wie in der Vergangenheit. Ob wir diese Fäden nun in den Legenden und Phänomenen der Hopi und der orientalischen Adepten, in der Philosophie Platos, in der Theosophia der Weltreligionen oder anderswo finden, das ist gleich. Doch es gibt noch eine größere Belohnung: Die Entdeckung, was diese Weisheit-Wissenschaft-Religion bedeutet, indem sie uns neue Ausblicke und immer wieder neue Hoffnung für die Zukunft des Menschen vermittelt.