Die Gedanken und ihr Einfluß
- Sunrise 4/1973
In einer der ältesten buddhistischen Schriften, dem Dhammapada, steht in den Anfangsversen, daß der Mensch das Produkt seiner Gedanken ist. Wenn er unaufrichtigen Herzens spricht oder handelt, dann folgt daraus Leiden, so sicher wie ein Wagen dem Fuß des Ochsen folgt; wenn er aber reinen Herzens spricht oder handelt, wird ihm das Glück immer folgen wie ein Schatten.
Unsere ganze Zukunft hängt daher von der Art unseres Denkens und inneren Strebens ab; denn so sehr die Umwelt unser Leben auch beeinflussen mag, letzten Endes kommt es doch auf die Qualität unserer Gedanken und Motive an, die den bleibendsten Einfluß auf unseren Charakter ausüben. Die gleichen Gedanken können wir aber auch in allen anderen heiligen Schriften der Welt niedergelegt finden, nicht zuletzt in der Bibel, denn auch die Aufforderung Jesu an die Pharisäer lautete:
Setzet entweder einen guten Baum, so wird die Frucht gut; oder setzet einen faulen Baum, so wird die Frucht faul. Denn an der Frucht erkennt man den Baum.
Ihr Otterngezücht, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.
Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz.
- Matthäus 12, 33-35
Darin liegt die ganze Philosophie der "rechten Lebensweise": Aus der Fülle des Herzens - nicht unbedingt mit dem Verstand - spricht und handelt der Mensch. Aber was sind Gedanken und woher kommen sie? Mit dieser Frage stoßen wir direkt zum Mittelpunkt des Schöpfungsmysteriums vor, der Evolution aller Dinge, vom Universum bis zum Atom. Unsere Welt, ja selbst das ganze Universum wurde durch einen Gedanken hervorgebracht - und nicht aus dem Äther, aus dem Nichts gemacht. Alles entstand aus einer Idee, geboren von einer Gottheit. Was ist ein Mensch, eine Pflanze, ein Tier oder ein Kosmos? Die Schöpfungsberichte der alten Völker erzählen immer wieder die gleiche Geschichte: Nur Dunkelheit allein erfüllte die grenzenlose Unendlichkeit des Raumes und "das Weltall war noch im Gottesgedanken und im göttlichen Busen verborgen."1 Dann aber mit dem ersten Beben des erwachenden Lebens, als das Licht durch die Dunkelheit der Leere brach, 'erdachte' die kosmische Intelligenz das Universum mit all seinen Gattungen von Wesen.
Prinzipiell kann man also sagen, daß Gedanken Äußerungen manifestierter Wesen sind, die in ihrer Entwicklung von den selbstbewußten Göttern, deren Körper Sonnen und Sterne sind, bis zu den Wesen reichen, die noch als Gottesfunken im Anfangs- oder Elementarstadium ihres Werdegangs 'schlafen'. Wir selbst können somit durchaus das Produkt der Gedankenenergie unseres inneren Gottes sein.
Weil alles relativ ist, so können die inspirierenden Gedanken, die anscheinend von nirgendwoher zu uns gelangen, tatsächlich auch die Gedanken eines großen Wesens sein, das sich im und durch den Kosmos bewegt. Andererseits können aber auch die gelegentlich schlechten Gedanken, von denen selbst sehr gute Menschen bedrängt werden, Gedankenelementale ganz niedriger Herkunft sein, unentwickelte Lebensfunken, die sich zeitweilig in der menschlichen Sphäre befinden. Die durchschnittlichen Gedanken, mit denen wir uns am meisten beschäftigen, sind zweifellos die Gedankenenergien, die uns gegenwärtig ganz natürlich erscheinen, weil ihr Aktionsfeld hauptsächlich im menschlichen Bereich liegt.
"Gedanken sind wirklich Geschöpfe", denn es sind Elementalwesen, die sich genauso entwickeln wie wir; wenn wir sie auch nicht erschaffen, so sind wir doch voll verantwortlich für die Art der Gedankenwesen, die wir anziehen und für die Prägung, die wir ihnen geben. Sobald sie in unser Denkorgan ein- oder ausfließen, werden sie durch den Kontakt mit uns entweder positiv oder negativ beeinflußt - darin liegt unsere Verantwortung; nicht nur uns selbst gegenüber, sondern auch gegenüber dieser Schar von Gedankenenergien, deren Schicksal wir beeinflussen. Angenommen, ein schöner Gedanke flackert in unserem Bewußtsein auf, wir sind aber zu träge oder zu selbstsüchtig, um darauf zu reagieren. Zwei Dinge resultieren daraus: Wir verlangsamen die Entwicklung dieses Gedankenwesens bis zu einem gewissen Maß und außerdem versäumen wir selbst die Gelegenheit für einen Vorwärtsimpuls und möglicherweise für eine echte Inspiration. Möchte uns aber andererseits ein übler Gedanke - in Wirklichkeit ein Gedankenelemental, das sich auf einer sehr niedrigen Wachstumsstufe befindet - zu einer nichtswürdigen Handlung verleiten, dann brauchen wir nicht zu erschrecken; wir stellen einfach fest, wes Art er ist und entlassen ihn wieder.
Wenn wir verstehen, was diese Gedanken, die unser Bewußtsein bedrängen, wirklich sind, - nicht nur in ihrem eigenen Bereich, sondern für unsere gesamte evolutionäre, menschliche Erfahrung - dann wissen wir auch, wie wir mit ihnen in unserem Bewußtsein umgehen müssen. Das Wichtigste dabei ist, daß wir nicht unbedingt ihre Opfer sind, sondern vielmehr bewußte Empfänger der Gedanken aller Ebenen, denn wir können wählen, welche Art Gedankenwesen Einfluß auf uns haben soll. Es stimmt, wenn behauptet wird, daß wir wahrscheinlich nicht vermeiden können, daß die Vögel über unsere Köpfe fliegen; wir müssen aber nicht dulden, daß sie Nester in unseren Haaren bauen!
Alle Gedanken können für uns Gelegenheiten darstellen, ganz gleich, ob sie nun gut oder böse sind. Viele gehören zu diesem gegenwärtigen Leben, andere jedoch, die auf uns einstürmen, sind Mitbringsel aus früheren Leben und deshalb schwer zu verstehen. Niemand ist immun; manchmal sogar nicht einmal gegen ganz schreckliche Gedanken, denn wir Menschen haben eine Zeitalter lange Entwicklung hinter uns und wurden in viele Erfahrungen verstrickt, die weit unter der heutigen Norm liegen. Die Folgen dieser Gedanken haben wir zum größten Teil abgetragen, doch bevor ihr Einfluß nicht gänzlich gewichen ist, müssen wir immer noch mit den Überresten fertig werden. Je mehr ihre ursprüngliche Kraft aufgelöst worden ist, desto schwächer ist ihre Reaktion auf uns. Jedesmal, wenn sie zu uns kommen, können wir unsere Einstellung ihnen gegenüber ändern und dadurch ihre Fähigkeit, uns aus der Bahn zu werfen, abschwächen.
Wir sollten sie jedoch nie verwerfen, ohne sie geprüft zu haben. Tun wir es doch, dann werden sie versuchen, ihren Einfluß auf unser Bewußtsein zu verstärken. Schlechte Gedanken zu verabscheuen, ist fast ebenso gefährlich, wie sie zu lieben, denn Haß und Liebe sind die beiden Kräfte, die ihnen Stärke verleihen. Indem wir ruhig und leidenschaftslos sind, befreien wir unser Wesen von ihrem Gift und die Belästigung hört auf. Das Wunderbare dabei ist, daß derartige Gedanken, die auf diese Weise behandelt werden, sofort ihre gegensätzliche oder komplementäre Art anziehen. So wie jede Farbe ihren sie ergänzenden Farbton besitzt, genauso hat jeder Gedanke seinen Gegenpol.
Die subtilen Wachstumsprozesse, die uns auf der Leiter der Evolution vorwärtsdrängen, lassen uns nie zur Ruhe kommen. Wenn wir unsere Imagination und unsere Verstandeskräfte anwenden, dann werden wir sehen, daß die Gedanken, die zu uns kommen und anscheinend ganz unwillkürlich ein- und ausströmen, nicht neu sind. Der Schlüssel zu ihrem Verständnis liegt in der Weitsicht, die wir gewinnen müssen. Das gilt sowohl für uns selbst als auch für die enge und wesentliche Verbindung zum Universum, von dem wir ein wesentlicher Teil sind. In den vielen Zyklen unserer Erderfahrung sind wir mit zahllosen Gedankenenergien in Berührung gekommen, mit zahllosen Lebensatomen, die von Göttern, Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien ausgingen, - und zweifellos auch von elementalen Lebewesen - da jeder einzelne Lebensfunke in und durch den Kosmos zirkuliert.
Kurz, das Gedankenreservoir aus vergangenen Leben und die Gedanken unseres gegenwärtigen Lebens stehen gemeinsam zur Verfügung und ermöglichen dem reinkarnierenden Ego, sich nur jene Art Karma auszuwählen und heranzuziehen, die es in einem bestimmten Leben bewältigen kann. Wir werden immer in die besondere Gedankenströmung hineingeboren, die für unsere Erfahrung in dieser Lebenszeit den karmischen Rahmen bietet. Und jene Gedankenenergien stellen, mit jedem Aspekt unserer spirituellen und materiellen Umgebung, für uns eine Aufforderung, aber auch eine Verpflichtung dar. Sie folgen bei der Zirkulation in und durch das Meer des Bewußtseins, in dem wir leben, regulär einem Kreis; sie kommen und gehen, und kommen und gehen, genauso wie die Luft, die wir atmen. Das Gesetz von Anziehung und Abstoßung, von Liebe und Haß, von Ursache und Wirkung hat seine Gültigkeit überall, vom Materiellsten bis zum Göttlich-Geistigsten. Deshalb folgen die Gedanken und Ideen auf jeder Ebene dem kosmischen Plan und hinterlassen, wenn sie unser Bewußtsein durchqueren, ihren unauslöschlichen Eindruck.
Ein altes hebräisches Sprichwort sagt: "Wie ein Mensch in seinem Herzen denkt. so ist er." Nicht was er sich einbildet, sondern was er wirklich ist, tief innen - das ist es, was sich seiner Seele unauslöschlich zum Wohl oder Wehe einprägt. Erziehung, religiöse und soziale Hintergründe sind formende Faktoren, sie sind jedoch nicht die entscheidenden Einflüsse, denn der Mensch ist mehr als ein Produkt seiner Umwelt. Er ist im innersten Zentrum seines Wesens ein göttlicher Gedanke, eine kosmische Energie, mit der Macht, schöpferisch zu denken und dementsprechend sein Schicksal nach seinem Willen zu formen.