Belebt oder unbelebt
- Sunrise 5/1972
Mit großem Interesse habe ich den Artikel von Ronald A. Oriti gelesen, der "Leben auf anderen Welten" betitelt war.1 Seine Betrachtungen erscheinen mir gleichermaßen begründet wie auch phantastisch zu sein. Die Vermutung, daß es "draußen" im Raum Wesen gibt, deren Gedanken ebenso auf uns gerichtet sind, wie die unseren auf sie, ist eine "logische Schlußfolgerung", obgleich wir keinen präzisen Beweis haben, der das bekräftigt. Unsere gesamte Ansicht über den Kosmos könnte sich jedoch ändern, wenn wir als Ausgangspunkt annehmen würden, daß alles lebt; wir würden damit die fatale Zweiteilung "belebt" und "unbelebt" vermeiden. Wenn wir sagen, daß bevor Leben erschien, alles tot war, dann bleibt unbestreitbar das Problem, zu erklären, wie irgend etwas aus dem Nichts erzeugt werden kann.
Man muß den gesamten Komplex der Organismen im Menschen betrachten, angefangen bei den winzigen Bakterien bis zum Hierarchen dieses Systems, das Milliarden lebender Komponente enthält, die zusammenwirken, wobei eine die andere unterstützt, während sie sich dem Willen und dem Intellekt ihres menschlichen "Gottes" unterwerfen. Nach der wissenschaftlichen Theorie müßten wir glauben, daß das alles spontan und ohne Anweisung gewachsen ist und mit den ersten uranfänglichen Zellen, die in irgendeiner weit zurückliegenden geologischen Periode zum Leben angefacht wurden, begann.
Wenn sich chemische Elemente vereinen, dann ist die daraus entstehende Verbindung oft völlig anders als die ursprünglichen Teile und besitzt viele neue Eigenschaften. Zwei Gase können sich vereinen und eine Flüssigkeit, wie das Wasser, erzeugen. Aus diesem Grunde nehmen wir an, daß die chemische Zusammensetzung an sich schon erklärt, warum die hohen organischen Verbindungen, die die lebende Materie bilden, ganz verschieden sind von ihren einfacheren Elementen aus dem sogenannten unbelebten Universum. Die weitere Folgerung daraus ist, daß während der geologischen Zeitalter, in denen sich diese Komplexe zur verfeinerten Struktur entwickelten, die Resultate großartiger und auffallender wurden. Die organische Materie entwickelte, nur weil sie lebte, die Fähigkeit, sich zu bewegen, zu fühlen, zu streben und schließlich zu denken!
Eine solche Erklärung beschreibt kurz gefaßt die Systeme der belebten Welt - Menschen, Tiere, Pflanzen - als sehr komplizierte chemische Organismen und nichts weiter. Auf diese Weise vermeidet es die Wissenschaft, sich mit so metaphysischen Dingen wie dem Bewußtsein oder dem Seienden beschäftigen zu müssen und mit der Möglichkeit, daß die Evolution durch innere immaterielle Kräfte und Agenten vorwärtsgetrieben und geleitet wird. Die Evolution wird daher gegenwärtig als eine Vermehrung komplizierter chemischer Systeme betrachtet, die von der Umgebung gestaltet, von der Vererbung aufrechterhalten und von genetischer Mutation unterstützt werden. Diese Prozesse wiederum werden durch die Fähigkeiten und Kräfte beeinflußt, die dabei entwickelt wurden, wie Gemüt, Gefühl und Wille, etc.
Bei dieser Betrachtung könnte man sich Gedanken machen, wie die Evolution für uns wohl aussehen würde, wenn wir annähmen, daß die Unterscheidung zwischen belebt und unbelebt, wie wir sie jetzt machen, falsch und unwirklich ist; daß sogar alle Dinge im Universum lebendig sind. Die Folge wäre, daß unsere Erklärung des Lebens selbst erweitert werden müßte und alle Bewegungen, Schwingungen, Aktionen und Reaktionen, Vereinigungen und Trennungen von Partikeln keine toten physikalisch-chemischen Erscheinungen, sondern vielmehr verschiedenartige Ausdrucksweisen der Lebenskraft in Manifestation sind.
Wir würden außerdem bemerken, daß alle diese Funktionen gesetzmäßig erfolgen - das heißt, nicht chaotisch. Ganz gleich, wie unberechenbar und unzusammenhängend sie erscheinen mögen, erzeugen sie relativ stabile Systeme, wie Atome, Moleküle, Zellen und Zellverbände - mit anderen Worten, die Geschöpfe der Welt und die Organe, die die Funktion ihrer Körper ermöglichen. Art und Ursprung der Gesetze, die die Entfaltung des Lebens als Wachstum regeln, müßten noch betrachtet werden. Die logische Schlußfolgerung ist: Wenn in einem Universum, in dem alles belebt ist, auch das Gesetz nur ein Ausdruck lebender Wesenheiten sein kann. Und wenn die Naturgesetze die wohlgeordnete Tätigkeit von Wesenheiten, die das Universum erfüllen, widerspiegeln und das Leben in symmetrische, sich entwickelnde Strukturen lenkt, dann können wir nur daraus schliessen, daß das Sein oder Bewußtsein die Wurzel allen Daseins, den "Grundstoff" eines solchen Universums bildet.
Es ist unmöglich, uns abstraktes Bewußtsein vorzustellen, so wenig wie wir solche Ideen wie unendlicher Raum oder unendliche Zeit fassen können. Doch wir können einige Aspekte des kosmischen Bewußtseins erfassen, indem wir einzelne Ausdrucksformen beobachten. Wissenschaftler und Philosophen haben das jahrtausendelang getan, angefangen bei den cosmoi und atomoi des alten Hellas, den brahmans und anus des archaischen Indien, bis zu den Universen und Atomen der modernen Wissenschaftler. Die Schlüsse, zu denen man in diesen, durch Zeit und Entfernung so weit voneinander getrennten Epochen gelangte, sind erstaunlich übereinstimmend, und zwar sind sie so einheitlich, daß man annehmen kann, daß je mehr sich eine menschliche Formulierung der Wahrheit über die Dinge, wie sie sind, nähert, desto mehr wird sie andere Versuche ergänzen, die genauso richtig sind, denn Religion, Wissenschaft und Philosophie schließen einander nicht aus. Jede von ihnen vervollkommnet die Annäherung der beiden anderen an die Eine Wirklichkeit.
Betrachten wir die gesamte Natur als lebend, so überwinden wir nicht nur die völlig willkürliche Unterscheidung zwischen belebt und unbelebt, sondern beseitigen auch die Schranken, die die verschiedenen Wissenszweige, geistige wie materielle, daran hinderten, sich gegenseitig zu erleuchten. Die Religion würde eine materielle Grundlage für ihre metaphysischen Begriffe finden, und die Wissenschaft würde Nutzen davon haben, indem sie in der Lage wäre, ihre Entdeckungen und ihre Philosophie in einen größeren Rahmen einzufügen. Für die Wissenschaft wäre es nicht mehr unwissenschaftlich, ihren tiefsten Intuitionen Ausdruck zu verleihen noch würde es für die Geistlichen von Nachteil sein, Dogmen, die für die heutige Welt nicht passen, in Frage zu stellen oder aufzugeben. In der Tat, auch Wissenschaftler und Philosophen könnten entdecken, daß die endgültigen Lösungen einiger ihrer schwierigsten Rätsel in nicht physischen Erklärungen zu finden sind.
Ebenso wie es für den menschlichen Geist unmöglich ist, sich abstraktes Bewußtsein, abstrakten Raum oder abstrakte Zeit vorzustellen, so ist es unvorstellbar, daß allumfassende Prinzipien örtlich begrenzt wirken können. Das wäre, als erwarte man, daß Elektrizität eine Spülmaschine in Betrieb setzt: das tut sie zwar, aber nur bedingt, denn die Kraft muß zuerst erzeugt oder angezapft, dann in die Wohnung geleitet, an einen Motor angeschlossen und unter Zuhilfenahme von Pumpen, Rührapparaten und anderer Einrichtungen zum Gebrauch bereit gemacht werden - wobei alles noch durch viele intelligente Leute entworfen, hergestellt, in Tätigkeit gesetzt und instand gehalten wird. Das gleiche gilt für Bewußtsein, Leben und Gesetz - bevor sie nicht in besondere Manifestationen heruntertransformiert werden, sind sie bloße Abstraktionen.
Das Herabtransformieren von Bewußtsein kann nur durch die Mithilfe großer und kleiner Wesen geschehen. Tropfen des Unendlichen Bewußtseins manifestieren sich als Universen, Sonnen, Planeten, Menschen, Zellen, Atome, Elektronen - die Felder des Grenzenlosen Raumes sind, wie H. P. Blavatsky in der Geheimlehre sagt, wirklich "der Spielplatz zahlloser Universen, die sich beständig manifestieren und wieder verschwinden." Und da wir mit der Voraussetzung begannen, daß alles lebt, muß das kosmische Leben ebenfalls ein wesentlicher Teil von jedem großen oder kleinen System oder Partikel sein.
Diese Art der Schlußfolgerung führt unvermeidlich zu einer Anschauung, die stark an den Pantheismus alter Denker erinnert, die es als unmöglich betrachteten, Bewußtsein, Intelligenz, Leben und Gesetz von den Wesenheiten zu trennen, die diese Eigenschaften zum Ausdruck brachten. Daher war der Kosmos für sie gedrängt voll mit Hierarchien von Wesen der verschiedensten Grade des Wachstums. Der Begriff der Evolution war (der wirklichen Bedeutung des Wortes entsprechend) ein Offenbaren innerer Darstellung und nicht das Hinzufügen von Attributen, die irgendwie von außenher kamen. In den höher entwickelten Individuen sah man jene, die mehr von der Göttlichkeit, der Intelligenz und dem Leben entfaltet hatten und so Verkörperungen des kosmischen Gesetzes geworden waren, Helfer im universalen Prozeß, bei denen jeder Funke des Göttlichen auf Grund ihrer eigenen "selbst geplanten und selbst in die Wege geleiteten Anstrengungen" gradweise mehr von ihren unbegrenzten Möglichkeiten hervorbringen konnte.
Dadurch wird nun klar, daß wir durch Aufheben der wissenschaftlichen Unterscheidung zwischen belebt und unbelebt, das Tor zu einem vollkommen "neuen" Universum geöffnet haben, zu einem Universum, das von Leben unendlichster Verschiedenartigkeit überquillt und von Gesetzen gelenkt wird, die der wohlgeordneten und harmonischen Tätigkeit größerer Intelligenzen entspringen, in denen die geringeren Wesen leben und sich bewegen.
Eine andere Grundwahrheit, die nun erforscht werden muß, ist die der Wiederholung oder der Zyklen. Es ist allgemein anerkannter, wissenschaftlicher Grundsatz, daß eines der grundlegenden charakteristischen Merkmale der sogenannten physischen Materie die Schwingung, Veränderung, das schnelle Kreisen, das Kommen und Gehen von Partikeln, Wellen und/oder elektrischer Ladungen und Massen ist. In der größeren Welt der Astronomie können die gleichen Eigenschaften wahrgenommen werden, aber in einem so gewaltigen Maßstab, daß wir nicht immer die engeren Zusammenhänge dabei sehen können: die sich um sich selbst drehenden Planeten, die ihre "Väter", die Sonnen, umkreisen, die sich wiederum selbst wie Riesenräder im Raum in majestätischen Kreisläufen innerhalb der sie umspannenden Zonen der Milchstraßen bewegen. Bilden sie alle zusammen das Protoplasma für ein Leben, das für uns zu umfangreich ist, um es verstehen zu können?
Der wichtigste Aspekt des zyklischen Gesetzes oder der Wiederverkörperung ist vielleicht der, daß wohl irgend etwas weiter bestehen muß, wenn das sichtbare oder greifbare Stadium aufhört, denn sonst könnte es keine Wiederholung geben. Der Ausgangspunkt des Schwingungsgrades verschiedener Materien liegt zum Beispiel in ihren unsichtbaren Teilen, die rhythmisch hin und her schwingen und dabei sichtbar werden und wiederum verschwinden. Das gleiche kann von allen manifestierten Einheiten, den Menschen eingeschlossen, gesagt werden. Sie werden geboren, leben ihr Leben, ziehen sich dann zurück, nur um wieder zu erscheinen, wenn das innewohnende Bewußtsein bereit ist, seine irdischen Erfahrungen fortzusetzen. Dieses Pulsieren muß (analog) auch in den Welten der Astronomie stattfinden, aber in einem so ausgedehnten Maßstab, daß Milliarden menschlicher Lebenszeiten und eine fast unberechenbare Anzahl atomischer Wiederverkörperungen dabei eingeschlossen sind. "Das Erscheinen und Verschwinden von Welten ist wie die regelmäßige Ebbe und Flut, und das Zurückfließen von Welten gleicht dem beständigen Kommen und Gehen der Gezeiten." (Op. cit.)
Wir gingen davon aus, daß alles lebt, und umschrieben eine kosmische Philosophie, die im Gegensatz zum wissenschaftlichen Darwinismus erklärt, daß in jedem lebenden Wesen ein alles überdauerndes Selbst existiert. Dieses Bewußtseinszentrum sucht in wiederholten Verkörperungen seine Vehikel zu veredeln, um mehr von seinen ihm innewohnenden Möglichkeiten zum Ausdruck bringen zu können. So bildet das Selbst, das seine Bewußtseinsfühler in jede Phase des universellen Lebens aussendet, den Antrieb, den Drang, die führende Kraft hinter allem Wachstum. Dadurch offenbaren sich Ordnung und Ausgewogenheit in allen Formen des Daseins, angefangen bei einer Bakterie bis zur kleinen Blume und zu der Ansammlung von einer Milliarde Sonnen. Da sie sich unfehlbar und klar selbst zum Ausdruck bringen, spiegeln sie die wunderbare Intelligenz und Weisheit der größeren Wesen wider, in denen die kleineren leben und sich bewegen. Indem wir einfach unsere Vision erweiterten, haben wir in die unproduktiven Felder des tiefsten Materialismus die lebendigen, intelligenten und anregenden Faktoren eingeführt. Das war notwendig, um eine Verbindung zwischen den religiösen, philosophischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten herzustellen, wodurch das Leben zu einem erhabenen Begriff wird.