Alles Leben hat einen gemeinsamen Ursprung
- Sunrise 5/1971
Alle Geschöpfe der Erde stammen aus einer gemeinsamen Quelle - die gleiche Lebenskraft, die ursprünglich durch Vulkane hervorbrach und sich zur materiellen Welt verdichtete, brachte uns alle hervor. An der Spitze der Gestalter von Morgen stehen die Ökologen, jene Wissenschaftler, die uns von unserem separatistischen Standpunkt abbringen möchten, damit wir unsere Heimat als die Biosphäre sehen, die sie ist: Die nicht nur Quelle und Erhalter unseres äußeren Wesens ist, sondern ein fein geknüpftes und eng miteinander verwobenes Ganzes. Wir alle zusammen, als Bewohner des Planeten, unterscheiden uns nur, wenn wir alles nach einem äußeren Maßstab vergleichen. Im tiefsten Grunde unseres Wesens haben wir etwas gemeinsam: jenen geheimnisvollen, vorwärtstreibenden Faktor "X", den wir "Leben" nennen. Die Unterschiede zwischen uns erscheinen nur als verschiedene Aspekte der Ausdrucksweise dieses ursprünglichen Impulses, der alles ins Leben rief. Es ist jene Serie von Manifestationen, aus der die Welt, so wie wir sie kennen, jetzt besteht.
Weil aber nun alle Lebensformen einen gemeinsamen Ursprung haben, ist Universale Bruderschaft eine schon immer vorhandene Tatsache im Leben der Schöpfung, und daher nicht nur ein zukünftig zu erringendes Ziel oder ein frommes Gefühl, das manche mehr oder weniger aufrichtig hegen. Wir erkennen diese tatsächliche innere Verwandtschaft zwischen uns nur nicht an. Wir sehen das innere, universale Band nicht, weil unsere Wahrnehmung durch persönliche Spitzfindigkeit und Verbildung verdunkelt ist. Wir klammern uns an das, was uns lieb geworden ist, an Gefühle und Meinungen, weil sie unsere Kinder sind. Wir wollen sie nicht aufgeben. Doch in Wahrheit verfärben sie unsere Vorstellungen über unsere Mitmenschen und somit unsere Anschauungen über die ganze irdische Familie aller Wesen, ob sie nun zum Menschenreich oder zu anderen Naturreichen gehören.
Mehr und mehr fangen wir an, uns als Wesenheiten oder Ansammlungen verschiedenartiger Kräfte zu sehen, die sich auf elektromagnetischem Wege oder auf andere Weise manifestieren. Es ist undenkbar, pulsierende Energien als "leblos" oder "wesenlos" zu betrachten, denn schon Bewegung allein deutet auf einen lebendigen Zustand oder auf eine lebendige Quelle - Lebenskraft - hin, und die beobachtete Präzision und Aktion, die mit den Dingen, die wir kennen, übereinstimmen, und die wir angeborene, charakteristische Eigenschaften oder Naturgesetze nennen, lassen auf eine gewisse Intelligenz schließen, die im Innersten dieser vielfältigen Geschehnisse tätig ist. So sollte man annehmen, daß 'Universale Bruderschaft' viel mehr ist, als nur ein Begriff oder ein Ideal, das uns in unserem Verhalten anderen gegenüber führen soll. Es hat Philosophen und Religionslehrer (auch Wissenschaftler im strengen Sinne dieses Wortes) gegeben, die den nachfolgenden Generationen ihre Erkenntnisse über die gegenseitige Abhängigkeit aller Wesen weitergaben. Sie betrachteten alles als eine große Kette planetarischen Lebens, die sich von den Atomen bis zum Menschen erstreckt und, wie sie vermuteten, noch darüber hinaus.
Drei "fundamentale Lehrsätze"1 legen die Grundlage dieser Auffassung ausführlich dar: Erstens, der Raum ist nicht nur unendlich, sondern auch von einem Prinzip durchdrungen, das so grenzenlos ist, daß es mit unseren Verstandeskräften nicht beschrieben oder benannt werden kann. Zweitens, diese ungeheure Weltbühne mit großen und kleinen Universen, die von supergalaktischen Systemen bis zu den Atomen mit ihren eigenen, sie zusammensetzenden Partikeln reichen, pulsiert beständig - die Ebbe- und Flutbewegung führt alle ins Dasein getretenen Wesenheiten aus einem Zustand der Ruhe heraus und wieder in diesen zurück. Drittens, wir sind alle Sprößlinge der Lebenskraft, die die ungeheuren Bereiche des Unendlichen durchdringt. Dieser Prozeß von Ebbe und Flut bewirkt ebenfalls, daß die Wirkungen ihren Ursachen auf den Fersen folgen, so daß sich jedes Wesen und jedes Ding in der kosmischen Welt, die wir wahrnehmen und an der wir teilhaben, beständig verändert: nicht durch Zufall, sondern als Kinder, die durch alles, was vorher war, geformt wurden.
Deshalb sind alle Naturreiche, die sich heute auf dem Planeten Erde befinden, eng miteinander verbunden; Heerscharen von Unterfamilien, die sich ihrerseits in noch größere Familien von Wesen einfügen, sind insgesamt in unserem gegenwärtigen Heim im Raum mit eingeschlossen. Wir sind hier in Erscheinung getreten, in die Lebenskraft hineingeboren oder durch sie erzeugt, eine Kraft, die das innere und äußere Magnetfeld unseres Globus' in seiner ganzen Ausdehnung hervorgebracht hat. Das winzigste Teilchen des kleinsten Partikels, das wir kennen, ist in diese Energie eingetaucht, die sich als Elektromagnetismus offenbart, vergleichbar mit dem magnetischen Strom oder "dem Schweif" der Erde, der sich in beträchtliche Entfernung über uns hinaus erstreckt.
In diesem Lichte gesehen ist unser planetarisches Heim ein mächtiges Wesen und gleicht unserer persönlichen Situation, wenn wir daran denken, wie unser Körper für ein selbstbewußtes Molekül aussehen würde, das sich mitten in einer riesigen Ansammlung von Zellen befindet, die zusammenarbeiten und die Vehikel unserer Seelen bilden, deren wesentlichste Eigenschaften für gewöhnlich unserem Blick verhüllt sind.
Die kosmische Wesenheit, die uns hervorgebracht hat, muß in sich alle die Eigenschaften enthalten, die wir zum Ausdruck bringen, sonst wäre es für uns nicht möglich, so zu sein, wie wir sind. Wie wir das Rohmaterial verwenden, ist jedoch zum größten Teil unsere individuelle Angelegenheit. Selbst die Intuition, die eine Facette eines höheren Teiles unserer Natur ist, muß letzten Endes aus einer Quelle stammen, die sich im magnetischen Feld der Sonne befindet. Wenn uns wunderbare kurze Augenblicke der Erkenntnis kommen, wenn wir "Licht" sehen dann, wenn unsere Schwächen schlafen und in uns Verständnis in Momenten unpersönlichen Verhaltens erwacht, so geschieht das nur, weil ein Teil unserer Konstitution den zündenden Funken aussandte, dessen Quelle in unserem Ursprungszentrum ihren Sitz hat. Wenn dem nicht so wäre, dann könnten wir uns mit Recht fragen: Woher kommt die blitzartige Erleuchtung, die zuweilen ein Problem klärt oder einen Teil der "Wahrheit" der Betrachtung preisgibt.
Ganz bestimmt muß es im Inneren, über unser organisches Leben hinaus, etwas geben, das alle Partikel zusammenhält, die uns formen, aus denen wir zusammengesetzt sind und die vom ätherischsten bis zum materiellsten reichen. Dieses Miniatur-"Sonnenfeuer" - unser individuelles Bewußtseinszentrum - ist als ein Atom des Göttlichen beschrieben worden, das sich in den vielen Ebenen des immer gröber werdenden Stoffs zum Ausdruck bringt. Wenn wir wollten, so könnte unser persönliches Selbst für diese innewohnende Göttlichkeit ein durchscheinendes Vehikel werden. Weil unsere Seelen jedoch bis jetzt noch nicht voll erwacht sind, sind diese Vehikel noch allzu oft mehr oder weniger für die Erhabenheiten des wahren Menschen undurchlässig. Dieser ist noch in der Materie begraben und von den kreuz und quer laufenden Strömungen seines kleinen Kosmos eingehüllt.
Evolution ist mehr als die Entfaltung physischer Faktoren, die nur die Folge der Reaktionen sind, die wir auf die Herausforderungen der allgemeinen Situation gezeigt haben, oder die aus der Wechselwirkung von Umweltbedingungen stammen. Sie ist die Entfaltung von Fähigkeiten, die aus dem Inneren der Wesenheit kommen: Wenn ein Ding evtl. nur möglich ist, so bedeutet das nicht, daß es nicht existiert. Die Gefäße, die wir Körper nennen, sind nicht alles, was wir sind; unsere Körper sind nicht unbewohnt. Eines der verhängnisvollen Resultate aus der Vorherrschaft der Philosophie des Aristoteles in Europa war die Unkenntnis in bezug auf den wahren Charakter des Menschen und des Universums. Aristoteles glaubte nämlich, daß er durch die Aufzeichnung vieler Daten über die Materie, durch beschreibendes Material, qualitatives Wissen erlangen könne, das heißt, daß sich damit die Welt, die Dinge und das Leben selbst erklären könnten. Das aber war unmöglich. Ein Geschichtsforscher drückte es vor zehn oder zwanzig Jahren so aus: Die tote Hand des Aristoteles hat den wissenschaftlichen Fortschritt Europas ungezählte Jahrhunderte aufgehalten. Sein Einfluß wurde erst überwunden und Fortschritt möglich, nachdem die im Grunde zutiefst einschränkende und autoritäre Macht des Aristoteles abgeschüttelt wurde. Galilei war der erste, der Aristoteles' Naturlehre fallen ließ und die Freiheit des Handelns, verbunden mit Platos undogmatischer Betrachtungsweise, wieder einführte. Dadurch wurden in der Naturphilosophie und anderen Wissenschaften die Fesseln abgeschüttelt, und die Forscher eröffneten neue Wissensgebiete oder entdeckten alte, im Laufe der Zeit vergessene, wieder.
Die Suche nach Wahrheit ist einerseits schwer und andererseits leicht, denn offensichtlich beherrscht sie niemand vollkommen, noch unterläßt sie jemand überhaupt. Aber jeder fügt ein wenig hinzu, und all die angesammelten Darstellungen von Tatbeständen ergeben eine gewisse Größe. - Aristoteles
Dieser Text, der am Gebäude der Nationalakademie der Wissenschaften in Washington in griechischer Sprache angebracht ist, besagt alles. Die Erde und das ganze Universum hängen zusammen. Sie sind nicht wie einzelne Sandkörner am Meeresstrand, über die wir Betrachtungen anstellen und eine intellektuelle Theorie aufstellen können, die sie nur im Lichte unserer Definition verbindet, nicht aber ihrem Wesen nach. Hie und da hört man Stimmen, die vor den Gefahren warnen, die in der 'Philosophie des Getrenntseins' enthalten sind: Luft- und Wasserverschmutzung zum Beispiel, zerstören viele Wesen und sind die Ursache dafür, daß die Lücken in den sich gegenseitig durchdringenden Lebensprozessen der ganzen Welt größer werden. Die Auffassung, daß die Erde eine Biosphäre aller Arten lebender Wesen ist, die in einem System biologischer Ökonomie, in gegenseitiger Abhängigkeit und in symbiotischen Verhältnissen zusammenleben, gewinnt langsam Anhänger, nicht nur auf dem Gebiet der Biologie, sondern auch auf anderen Gebieten einschließlich der Kunst. Außerdem erfreut sich die Wissenschaft der Ökologie immer größerer Anerkennung. Serengeti in Ostafrika und ein paar andere solcher Reservate wurden zu dem Zwecke angelegt, um jede Erscheinungsform des Lebens in ihrem natürlichen Lebensraum zu erhalten.
Die Vorstellung von der 'Welt als einer Einheit' ist keine neue Betrachtung der Natur und der Heere planetarischer Wesen. Die alten Verfasser der indischen Upanishaden und, unter vielen anderen, einige der alten griechischen Philosophen hielten an dieser Auffassung fest. Das sogenannte dunkle Mittelalter in Europa hat dieses Erbe in Unwissenheit unterdrückt, das uns hätte überliefert werden sollen. Wenn wir das Wesentliche dieser Kulturen und Traditionen unversehrt hätten übernehmen können, dann würden wir heute wahrscheinlich die Wahrheit des Gedankens verstehen:
In allen Bereichen des Universums ist Bewußtsein, das heißt, alles ist mit Bewußtsein seiner eigenen Art und auf seiner eigenen Wahrnehmungsebene ausgestattet. Wir Menschen sollten daran denken, daß wir kein Recht haben, zu behaupten, daß zum Beispiel im Stein kein Bewußtsein vorhanden ist, nur weil wir keine Spuren von Bewußtsein wahrnehmen, die wir prüfen können.
Von den Göttern bis zu den Menschen, von Welten bis zu den Atomen, von einem Stern bis zum matten Schein eines Nachtlichtes, von der Sonne bis zur Lebenswärme des geringsten organischen Wesens, bildet die Welt der Formen und Wesen eine ungeheure Kette, deren Glieder alle miteinander verbunden sind.
- H. P. Blavatsky
Wenn wir im Sinne dieser Ideen über die Einheit des Lebens nachdenken, dann werden Fragen über den "Ursprung des Lebens" sinnlos, weil sie sich auf die irrige Annahme gründen, daß das Leben "entstanden" ist. Nehmen wir aber an, daß das Leben zum Kosmos gehört, daß es ein wesentlicher Bestandteil davon ist, dann ist die Frage über den Ursprung bedeutungslos. Vielleicht sollte man sich hier an die Grundlehre der Indetermination2 von Heisenberg erinnern, die zeigt, daß "Gesetze" nur für geschlossene, begrenzte Systeme gelten. Aber das Leben selbst ist unbegrenzt, es hat nirgends ein Ende. Wenn es auch scheint, als würden uns diese weitreichenden Betrachtungen von unserem Hauptthema, der wirklichen, bereits existierenden, wenn auch unerkannten Bruderschaft aller lebenden Wesen ablenken, so besteht doch eine ganz enge Verbindung. Das ist so klar wie die Anwendung von Mikroskopen und Teleskopen. Konzentrieren wir uns nach innen, so halten wir das kleine Universum für unsere Beobachtung und unser Verstehen für groß genug. Wenden wir unseren Blick nach außen, dann bringen wir die entfernten Universen mit der Gesamtheit ihrer Wesen unserem Blickfeld nahe. Diese Erscheinungen werden dann nicht getrennt gesehen, denn, nachdem sie in unserem Bewußtsein, das sie wahrnimmt, an einem Punkt zusammentrafen, besteht ebenso eine Verbindung, die alle Wesen und Erscheinungen vereint. Wir nehmen mehr und mehr wahr, daß der Antrieb, das Verhalten und die Wesen von Atomen vom gleichen Ursprung sind, wie jene von Sternen und Milchstraßen oder von Sonnen und Planeten. Das Wirken einer Klasse bildet nur eine Parallele zu vielen anderen.
Was daher unseren unmittelbar vorangegangenen Generationen als 'Trennungen' verschiedener Art und verschiedenen Grades erschienen sein mag, erweist sich jetzt als Teile einer zusammenhängenden Natur.
Im Vorwort zu seinem interessanten Buch The View From A Distant Star schrieb der hervorragende Astronom Dr. Harlow Shapley:
Die Menschheit ist aus dem Stoff der Sterne geschaffen und wird von universalen Gesetzen regiert. Der Faden der kosmischen Evolution läuft durch ihre Geschichte, wie durch alle Phasen des Universums - durch den Mikrokosmos von atomistischer Struktur, durch molekulare Formen und mikrokosmische Organismen und durch den Makrokosmos von höheren Organismen, von Planeten, Sternen und Milchstraßen. Die Evolution schreitet in den Milchstraßen und im Menschen fort - zu welchem Zweck, können wir nur vage vermuten.
Diese erweiterte Betrachtung führt uns direkt aus uns heraus, und wahrscheinlich kann jeder von uns seine eigene Antwort auf Dr. Shapley's Schlußworte finden: "zu welchem Zweck, können wir nur vage vermuten." Wenn wir als Mikrokosmos in uns alle Möglichkeiten des Makrokosmos, des größeren Universums, besitzen, dann ist in uns auch jener goldene Keim vom Größten des Großen, von jenem "Etwas", das in anderen Disziplinen als der naturwissenschaftlichen, das Höhere Selbst, der verborgene Adam oder der Sohn Gottes genannt wird - Ausdrücke, die vielen zusagen, weil ihre Bildhaftigkeit mehr anregt, beeinflußt und einleuchtender ist als die fest umrissenen, die in einer Definition eingeschlossen sind.
Der bekannte englische Naturwissenschaftler E. L. Grant Watson zitiert an einer Stelle in seiner wertvollen und aufschlußreichen Studie3 über die Biosphäre (obgleich er sie nicht ausdrücklich so nannte) den deutschen Dichter Rainer Maria Rilke:
Hierher gehört auch unbedingt das Kreatürliche,
Das, wie die trittsicheren Tiere der Berge,
Verharrt, um dann weiterzuziehen.
Und der einsam wohnende große Vogel
Schwebt nicht länger mehr einsam in großer Höhe
Um die reinen und abschreckenden Gipfel,
Er schwebt hierher zu den hohen Hügeln des Herzens.
Diese Art künstlerischer Wahrnehmung der Natur des Menschen, die die Aspekte der vielen Facetten des Bewußtseins in "die Kreatur, die Berggipfel und in den großen Vogel" verlegt, der höchsten Seele in uns, sagt uns vielleicht viel mehr, als manche noch so gelehrte akademisch pragmatische Abhandlung.
Aber letztlich ist die konstruktivste Seite des Dilemmas und seine Auflösung nicht das, was wir über uns selbst, unsere Mitgeschöpfe und unsere Umgebung, lernen, sondern wie wir dieses neu gefundene Wissen zum Segen aller Kinder der Natur anwenden.