Informationen über Theosophie in anderen Sprachen:     ENGLISH    ESPAÑOL    ITALIANO    NEDERLANDS    РУССКИЙ    SVENSKA  

Mithras, der Unbesiegbare – 1. Kapitel

Nur wenigen Göttern der alten Welt, wie dem Sonnengott Mithras, dem Töter des Stiers, ist es gelungen, in die Herzen und Gemüter der Menschen einzudringen. Seine Altarflamme brannte in weit voneinander entfernten Erteilen und wenn sie ausgelöscht wurde, dann nur um anderswo wieder aufzulodern. Wenn wir zum Beispiel lesen, daß 1954 in London eine Tempelanlage dieses Sonnengottes Mithras ausgegraben wurde und wir uns nun bemühen, daraufhin festzustellen, woher er ursprünglich stammte, so wird uns klar, daß wir weit durch die Jahrhunderte zurückgehen müssen. Zuerst nach Rom, dann nach Griechenland und Kleinasien, von dort entlang dem Kaspischen Meer nach Iran und weiter bis nach Indien. Durch ein Netz von Verstrickungen mit anderen religiösen Strömungen können wir dann dem Gott Mithras bis zum Anbruch unserer eigenen indogermanischen Zivilisation folgen.

Die grauen Nebel der Zeit haben einen Schleier über die Wanderungen gelegt, die zu einer Zeit etwa um 2000 v. Chr. in gigantischem Ausmaß in der asiatisch-europäischen Welt stattgefunden haben müssen; und obwohl wir diesen Vorfahren einen beträchtlichen Teil unserer kulturellen, religiösen und sozialen Vorstellungen und verschiedene Bräuche verdanken, wissen wir außerordentlich wenig über ihren Ursprung. Man nimmt an, daß sie aus irgendeinem Gebiet Zentralasiens kamen. Wir wissen aber mit Bestimmtheit, daß diese auf der Wanderung befindlichen Massen, ohne daß sie es wußten, die ursprünglichen Samen aller späteren indogermanischen Sprachen, vom alten Sanskrit bis zum modernen Englisch, vom Altnordischen bis zum heutigen Spanisch, in sich vereinten. Und was noch wichtiger ist, sie trugen eine heilige Überlieferung mit sich, ein Wissen über das Göttliche, das ihnen einst, in ihrer weit zurückliegenden Vergangenheit, mitgeteilt worden war und das sich wie ein Strom über die weiten Länder ausbreitete und, je nach Gebiet und Örtlichkeit, vielfältige Formen annahm. Einige dieser Zweige gingen ihren eigenen Weg, andere trafen nach Jahrhunderten wieder zusammen und tauschten oder vermischten Werte und Begriffe, die sie inzwischen gesammelt hatten.

Nachdem sich eine Gruppe losgetrennt hatte, - sie drang in die westeuropäischen Länder vor - bewegte sich der Hauptstrom in die Nähe des Kaspischen Meeres. Von da ab können wir glücklicherweise der Spur folgen und können beobachten, wie dieser Hauptstrom, der mit der gleichen Sprache und Religion behaftet war, sich in zwei Hauptrichtungen fortbewegte. Die eine führte in das Becken des oberen Indus, die andere nach Persien. Die Indogermanen brachten die Religion des Veda, aus der später der Brahmanismus und der Hinduismus hervorgingen, nach Indien, während die gleiche überlieferte Weisheit im Iran und den angrenzenden Gebieten schließlich die Form des Avesta annahm. Von da ab gelingt es allmählich, einige dieser Stämme auseinanderzuhalten: die vedischen Hindus, die Hethiter, die Perser, die Meder u. a., und wir erfahren auch etwas über ihre Geschichte, ihre Sprache und ihren religiösen Glauben. Selbst eine oberflächliche Bekanntschaft mit dieser alten Gedankenwelt genügt, um uns klar erkennen zu lassen, daß diese wandernden Völker, die über die Länder vorwärts drängten, nicht nur unzivilisierte Horden mit einfältigem Aberglauben und unentwickelter Theologie waren. Irgendwie und irgendwo waren sie mit einer tiefgründigen, höchst moralischen Philosophie in Berührung gekommen und waren sensibel und intelligent genug, sie anzunehmen. Zumindest waren ihre Führer befähigt, sie zu erfassen, zu bewahren und zu verbreiten.

Die gemeinsame Herkunft ihrer Sprachen ist leicht erkennbar: selbst die Worte Veda und Avesta werden von der gleichen Wurzel, von vid, abgeleitet; das bedeutet Wissen (verwandt mit dem altenglischen Verb to wit). Aber die Ähnlichkeiten gehen viel tiefer als die Tatsache, daß beide, Sanskrit und Altpersisch, von einer weit älteren Sprache abstammen, von der keine Spur übriggeblieben zu sein scheint. Das ganze Gefüge ihrer religiösen Begriffe in bezug auf den Menschen, die Götter und das Universum geht ganz offensichtlich auf eine Quelle zurück. Der ursprüngliche vedische Glaube und der des alten Iran sind so eng miteinander verkettet, sie sind in ihrer Ausdrucksweise so ähnlich, daß sie oft als indo-iranische Religion bezeichnet werden. Die indischen devas (oder die "Strahlenden") findet man neben den iranischen daivas, und es werden die gleichen fundamentalen Kräfte und Mächte, die im Universum und auf Erden herrschen, verehrt. Der vedische Gott Indra z. B., der als Töter des Drachen Vritra und später als Schöpfer des Lichtes und der Meere verehrt wird, hat sein Gegenstück in Intar oder Indara, dem Drachentöter und Regengott Irans.

Unter der Vielzahl der vedischen Gottheiten entdecken wir als Helfer des obersten Gottes Varuna, der als "Hüter der kosmischen und moralischen Gesetze" betrachtet wird, den Gott Mitra. Sein Name bedeutete "Freund" oder "Gefährte", und seine Hauptaufgabe war, im ewigen Kampf gegen die Finsternis auf der Seite des Lichts zu kämpfen. Von Anfang an wurde er nicht nur mit der Sonne in Verbindung gebracht (er wurde "das Auge des Mitra und Varuna" genannt), sondern auch mit der ewigen Erneuerung des Lebens. Er war oftmals in heftige Kämpfe für das Gute verwickelt und fand deshalb lebhaften Anklang bei dem gewöhnlichen Volk, das ja selbst nur allzuoft im Leben von Mühsalen geplagt war, die unumgänglich sind, ehe der Sieg errungen werden kann.

Später werden wir wieder auf Mitra zurückkommen, doch jetzt führt unser Weg erst nach Persien, wo wir ihm als Mithra oder Mithras begegnen, ein vom Volk verehrter Gott der Mitanni, ein Volksstamm, der nördlich des Euphrat lebte und wegen seiner Unruhen mit Ägypten berüchtigt war. Wir begegnen ihm bei den Hethitern, die um 1400 v. Chr. auf einem Monument seinen Namen als Miidraashshiil schrieben. Der Name Mithras bedeutete hier "Pakt" oder "Mittler" - also nicht allzuweit entfernt vom indischen "Gefährte." Er war nicht nur der Gott des Krieges, sondern auch des Lichts und der Rechtschaffenheit, und alle Verträge wurden in seinem Namen besiegelt. Er war mit Anahita, der Göttin der Erde, des Wassers und der Fruchtbarkeit, eng verbunden. Beide wurden unter offenem Himmel durch das heilige Feuer verehrt und nahmen einen hohen Rang ein. Eine andere wichtige Gottheit war Haoma (in Indien Soma genannt), der Stiergott, der im Sterben der Welt sein Blut schenkte und auf diese Weise den Pflanzen und Menschen Leben verlieh. Die Priester ehrten ihn, indem sie den heiligen Haomasaft tranken. Dann gab es noch die Weisen, die viele Jahrhunderte lang ihren Einfluß ausübten, der sich über den ganzen Mittleren Osten erstreckte. Wir kennen sie später als Astrologen, als Heilende und Magier, doch ihre ursprüngliche Hauptaufgabe lag darin, eine überlieferte Weisheit, die nicht öffentlich verkündet wurde, zu hüten.

Das Avesta (manchmal Zend-Avesta genannt, das Wort Zend bezieht sich auf die Auslegung) war die Heilige Schrift dieser alten iranischen Religion und bestand aus weit mehr Büchern, als gegenwärtig noch existieren. Arabische Historiker berichten, daß von den zwei Kopien, die zur Zeit Alexanders des Großen noch vorhanden waren, eine vernichtet wurde, als seine Truppen auf dem Marsch nach Osten den königlichen Palast in Persepolis niederbrannten. Im dritten Jahrhundert n. Chr. wurden alle Fragmente, die schriftlich und durch mündliche Überlieferung noch vorhanden gewesen waren, gesammelt und in Dokumenten niedergelegt. Aber auch diese Sammlung ging im siebenten Jahrhundert während der Eroberung durch die Moslems zum Teil verloren. Alles in allem soll der gesamte Text 12 000 Kuhhäute umfaßt haben, aber nur ein Buch, betitelt Vendidad (bestehend aus einundzwanzig Kapiteln oder fargards), blieb bis in unsere Zeit vollständig erhalten, alle übrigen sind verstreute Überreste.

Dieser alten Religion, in der Mithras eine absolut führende Stelle einnahm, wurde durch das Erscheinen des persischen Propheten Zoroaster neue Lebenskraft eingeflößt. Es wird notwendig sein, einige Aspekte seines Einflusses besonders hervorzuheben, um die künftige Entwicklung des Mithras-Kultes in Persien und später in Rom zu verstehen. Zoroaster schuf keine neue Religionsphilosophie, sondern baute auf bestehenden Glaubensbekenntnissen auf. Er reinigte sie von Infiltrationen, erklärte ihren Sinn und lenkte seine Anhänger in eine monotheistische Richtung. Es wird gesagt, daß er um 660 v. Chr. geboren wurde. Man weiß jedoch nichts Genaues über seine Geburt und über seinen Tod. Viele moderne Experten neigen dazu, das siebente Jahrhundert v. Chr. dafür anzunehmen, andere dagegen haben seine Lebenszeit beträchtlich früher angesetzt. Betrachtet man alles nur oberflächlich, so wird die Sache noch verworrener, denn einige alte Überlieferungen erwähnen nicht nur einen, sondern sieben, dreizehn oder vierzehn Zoroaster, die durch die Jahrtausende in regelmäßigen Zeitabschnitten erschienen sind. Der letzte von ihnen kann tatsächlich die geschichtliche Gestalt gewesen sein.

Die Vorliebe, weit zurückliegende Epochen in Zeitabschnitte neueren Datums zusammenzudrängen, d. h. gezwungenermaßen zu versuchen, Andeutungen in den heiligen Schriften über Ereignisse und Örtlichkeiten in den vorhandenen Rahmen archäologischen Wissens einzufügen, hat viele moderne Forscher in die Irre geführt und hat sie für die tatsächliche Bedeutung des Inhalts solcher Schriften blind gemacht. Doch wenn wir eine alte Mysterienüberlieferung als Arbeitshypothese übernehmen, die allen heiligen Schriften zugrunde liegt und die periodisch in die Lehren von Propheten und Weisen der verschiedensten Länder aufgenommen und wieder gebracht wird, werden wir nicht ganz so verblüfft sein. Wenn die Legenden und die historischen Berichte nicht immer übereinzustimmen scheinen, dann sollten wir uns an diese "Zusammendrängung der Zeit" erinnern.

Deshalb ist es sehr gut möglich, daß das Avesta, wenn es den großen persischen Reformator erwähnt, sich auf einen Zoroaster-Prototyp bezieht, durch den in der dunkeln Vergangenheit der Rasse dem Menschen die Weisheit übermittelt wurde, die im Verborgenen lag. Durch diese Möglichkeit könnte man die überlieferten Sagen Persiens erklären, zum Beispiel mit den Worten von Will Durant (Die Geschichte der Zivilisation I.):

Die persische Legende berichtet uns, daß viele Jahrhunderte vor Christi Geburt in Airyana-vaejo, der alten "Heimat der Arier", ein großer Prophet erschien. Sein Volk nannte ihn Zarathustra, die Griechen aber ... nannten ihn Zoroaster.

Dieses legendäre Heimatland, das die Perser in Erinnerung haben, wird von modernen Forschern häufig als das Gebiet in der Nähe des Kaspischen Meeres angesehen. Von dort war diese Rasse gekommen; und wenn dem so wäre, dann hatte Zoroaster natürlich vor 2000 v. Chr. gelebt. Doch Airyana-vaejo ist andererseits auch das persische Paradies, und so könnte es wohl sein, daß das Rassengedächtnis eine weit ältere Erinnerung an ihr ursprüngliches Heimatland in Zentralasien festhält, an eine Zeit, lange bevor die eigentliche Wanderung begann.

Wenn das der Fall ist, so mögen wohl manche der Lehren, von denen im Avesta berichtet wird, und auch jene im Veda, ihren Ursprung zur Zeit der "Geburt" des arischen Volkes haben, die Tausende von Jahren vor der Ansiedlung an den Ufern des Kaspischen Meeres erfolgte. Diese Überlieferungen können wesentliche Fakten bewahren, die nicht nur von vorübergehendem geschichtlichen Interesse sind, sondern für die gesamte Lebensanschauung des Menschen über das Leben von bleibendem Wert sind. Wenn wir göttliche Inspiration überhaupt für möglich halten, - wenn wir für möglich halten, daß die Seele eines Menschen, auch nur für einen Augenblick, in ihrem Innern die Einheit mit dem höchsten, spirituellen Zentrum erleben kann und sein ganzes Wesen durch das Aufblitzen einer plötzlichen universalen Einsicht erleuchtet wird - dann sollten wir selbst die einfachste Interpretation nicht so ohne weiteres als unbrauchbar beiseite legen.

Jedenfalls gab es aller Wahrscheinlichkeit nach in den nun aus der Erinnerung verlorenen Zeiten jener Rasse verschiedene große Propheten mit dem gleichen Namen oder dem gleichen Titel, die dem gemeinen Volke ihre Inspiration und Weisheit übermittelten. Das scheint durch die überlieferten Worte Zoroasters bekräftigt zu sein, der sich als einen aus einer Reihe anderer bezeichnete. Er prophezeite, daß ihm in einem eintausendjährigen Intervall jeweils seine drei "Söhne" folgen würden. Die ersten zwei würden als Propheten erscheinen, der letzte aber sei der neue Messias, der Saoshyant, dessen Ankunft "am Ende der Zeit" den Sieg der Wahrheit und der Tugend über die dunklen Kräfte des Bösen kennzeichnen würde.

Der Einfachheit halber wollen wir uns hier auf den "geschichtlichen" Zoroaster beschränken und auf jene Lehren, die im weiteren Verlauf zur Mithras-Religion führten. Das Avesta berichtet, daß Spitama Zoroaster auf göttliche Weise empfangen wurde, von einer Jungfrau geboren, die durch einen Lichtstrahl gesegnet ward. Man hört aber auch, daß er als einsamer Mensch aufwuchs und in seinem Heimatlande Medien (im Altertum Name des nordwestlichen Teils von Iran - Volk der Meder) nicht anerkannt wurde und in Persien, wo er sich bemühte, Anhänger zu finden, nicht viel mehr. Während der Zeit seines verzweifelten Suchens verbrachte Zoroaster viele Jahre mit Meditation in einer Höhle in der Wüste. Dort wurde er von schrecklichen und auch höchst subtilen Verlockungen heimgesucht. Dort hatte er auch seine erste Vision, und von da an weihte er sein Leben der Reformierung des weitverbreiteten polytheistischen Glaubens. Offensichtlich fand er manche religiöse Begriffe und Bräuche seiner Zeit entartet und ohne wahren spirituellen Inhalt. Die Magier oder "Weisen Männer" hatten ihre heilige Aufgabe vernachlässigt. Sie entwürdigten sie, indem sie bloße Zauberei und Wahrsagerei daraus machten. Auch manche Formen der bestehenden Mithrasanbetung waren zu Exzessen entartet. Zoroaster griff mit großem Eifer und voller Zorn die Haoma-Verehrung, die Tieropfer und die teuflische Macht der Magier an. In den Gathas (ein alter Teil des Avesta, von dem angenommen wird, daß er Offenbarungen enthält, die von dem Propheten selbst gegeben wurden) scheint der Gott Mithras jedoch absichtlich nicht erwähnt worden zu sein.

Statt dessen war die einmalige Größe und Souveränität von Ahura-Mazda, der einer der vielen ahuras (Götter) der älteren iranischen Religion war, in den Vordergrund gestellt worden. Der "Weise Gott" hatte zu Beginn der Schöpfung zwei Söhne. Beide hatten zwischen Gut und Böse zu wählen. Der eine wählte das Gute und Wahre, der andere - Angra-Mainyu - wählte das Böse und die Falschheit. Im Laufe der Zeit wurde der gute Sohn dem Vater gleichgestellt. Es ist der stets gleichbleibende Gegensatz zu Angra Mainyu (später Ahriman genannt), was zur Entstehung einer mehr dualistischen Philosophie führte. Doch Zoroaster selbst unterstrich den monotheistischen Aspekt, indem er lehrte, daß es Ahura Mazda vorausbestimmt sei, im Laufe der begrenzten Zeit, die aus vier Perioden von je 3 000 Jahren bestehen würde, Ahriman und die Heere der Finsternis zu besiegen.

Ahura Mazda schrieb er sechs heilige Attribute oder Wesenheiten zu, die "segensreichen Unsterblichen", wie die Wahrheit, die Religiosität, die Unsterblichkeit, die jedoch nach Zoroasters Tod bald wieder zu getrennten Gottheiten erhoben wurden. Er erklärte die daivas (devas), die ursprünglich eine Klasse von Göttern waren (wenn auch niedriger als die in hohem Grade ethischen ahuras), zu Dämonen und üblen Kräften, die nicht der Verehrung würdig seien. Aber einen wesentlichen Bestandteil des älteren Glaubens hielt er aufrecht: die Verehrung des heiligen Feuers, das er als Symbol des Lichtes und des Guten bezeichnete, für das alle seine Anhänger vermutlich kämpften, denn - und das war ein wichtiger Bestandteil seiner Lehre - die Wahl mußte jeder Mensch selbst treffen. In diesem Kampf wurde jeder Seele durch ihren individuellen fravashi oder ihren beständigen Elementargeist beigestanden, der, als Höheres Selbst, sie wie ein Schutzengel anspornte und beschützte. Diese geistige Kraft kann mit dem Âtman der Hindus verglichen werden oder auch in gewisser Hinsicht mit dem Nous der Neuplatoniker. Nicht nur der sterbliche Mensch, der bereits geborene oder auch noch nicht geborene, sondern auch die zukünftigen Erlöser, die Saoshyants, die "die Welt wieder in Ordnung bringen sollen", und sogar Ahura Mazda selbst, hatten ihre sie führenden fravashis.

Dieser unsterbliche Funke existierte nicht nur in unserer irdischen, endlichen Zeit (die enden wird, wenn Ahura Mazda seinen endgültigen Sieg erringt), sondern auch in der "Unendlichen Zeit", in die ein Mensch nach dem Tode eingehen wird, wenn er seinem fravashi gegenübertritt und die Brücke Chinvat überschreitet. Diese Brücke der Vergeltung muß "am Ende der Zeit" von allen Seelen überquert werden, wenn drei Richter (von denen, wie später angenommen wurde, einer Mithras sein wird) diese Seelen durch einen feurigen Strom führen, in dem die Bösen verbrennen, der aber für die Guten wie "warme Milch" sein wird.

Daß Zoroaster um die bedeutungsvolle Verwandtschaft zwischen Sonnensystem, Universum und unserem irdischen Dasein gewußt hat, - was aus der alten chaldäischen Überlieferung auffallend ersichtlich ist - wird durch die Legende veranschaulicht, daß er das Gewölbe seiner Höhle mit Nachbildungen der Sonne, des Mondes, der Planeten und der Sternbilder schmückte, die alle aus Gold und kostbaren Edelsteinen bestanden. In seiner History of Initiation schreibt George Oliver: "Die vier Lebensalter der Welt waren durch viele Globen aus Gold, Silber, Bronze und Eisen dargestellt."

Zu dieser Mithras-Höhle (es wird gesagt, daß Zoroaster dieses Heiligtum dem "Mittlergott oder dem Vermittler" Mithras weihte) kamen viele Anhänger aus weit entfernten Ländern, um von diesem großen Weisen belehrt zu werden. Besonders in Griechenland blickte man mit Ehrfurcht und Bewunderung auf ihn. Nur für Pythagoras dürfte es in seinem hohen Alter kaum möglich gewesen sein, daß er nach Bokhara gereist war, um die Mysterien kennenzulernen. Von Plato aber wird berichtet, daß er die Lehren des Zarathustra unmittelbar am Ursprungsort studieren wollte, aber durch den Ausbruch des Krieges zwischen Sparta und Persien im Jahre 396 v. Chr. daran gehindert wurde.

Nach dem Tode Zoroasters verbreiteten sich seine Lehren und gewannen nun auch in seiner engeren Heimat Anhänger. Kyros der Große - Gründer des altpersischen Reiches - der 539 v. Chr. die Macht des Chaldäischen Reiches durch die Einnahme Babylons brach, war ein Anhänger, wenn auch sein Interesse anscheinend nicht allzu groß war. Er war der Herrscher, der im Jahre 538 v. Chr. den Juden die Freiheit gab, und aus dieser Zeit mag wohl ein gewisser zoroastrischer Einfluß auf den Judaismus stammen. Sein Nachfolger Darius I. und Xerxes waren ernsthafter interessiert. Sie bemühten sich, die Lehren von den Elementen freizuhalten, die vor Zoroaster da waren, indem sie die primitiven Methoden der Magier ablehnten. Doch auch unter deren Anhängern müssen einige gewesen sein, die die von dem großen Propheten überbrachten inneren Wahrheiten erkannten. Sie schlossen sich bald dem 'neuen Glauben' an und wurden tatsächlich die erfolgreichsten Verbreiter seiner Lehren im Mittleren Osten und darüber hinaus. Damit kam nun wieder einiges vom älteren Glauben zurück, und somit finden wir den Gott Mithras wieder in seinem vollen Glanze, furchtlos, als aktiven Helfer Ahura Mazdas, dessen Armee er befehligte, die gegen das Böse kämpfte.

Mithras kam nun anscheinend in einer etwas mehr glorifizierten Form leuchtender zurück. Auf Inschriften um das Jahr 400 v. Chr. wird sein Name regelmäßig mit dem des Weisen Gottes Ahura Mazda zusammen erwähnt, und nach und nach wurde er wieder der Repräsentant der Göttlichen Sonne. Die Könige jener Zeit begannen, ihn als ihren besonderen Schutzherrn zu betrachten. In den Kapiteln des Avesta, die nach der Zeit Zoroasters geschrieben wurden, ist er als Gott des Lichtes eine hervorstechende Gestalt und wird als "der Himmlische, der Höchste angerufen, der von Mitleid erfüllt ist; ... der Sieger ... der Stärkste der Starken ... der mächtige Gott, der Gott, der alles weiß, der nicht getäuscht wird." Sein Ruf als "Mittler" bezog sich nicht nur auf die Aufsicht über die auf Erden zwischen den Sterblichen geschlossenen Abmachungen; er wurde mehr noch mit dem feierlichen Bündnis zwischen dem Menschen und dem Göttlichen in Verbindung gebracht. So gesehen, bildete Mithras die geheiligte Verbindung zwischen der Erde (und allem Leben auf ihr) und dem sie umgebenden Kosmos. Die alte Philosophie betrachtete das Universum - Sonne, Mond, Planeten - als die Verkörperung gottgleicher Wesen, die durch Aktion und Reaktion in majestätischer Harmonie miteinander verbunden sind. Dieser Glaube beruhte nicht auf einfältigem Aberglauben, sondern auf dem höchsten Bewußtsein, daß diese verschiedenen Hierarchien von Wesen in einem System verbunden sind, in einer universalen Ökologie, um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen. Wie grundverschieden ist das von dem mittelalterlichen Dogma, welches behauptete, daß die Himmelskörper ihren Platz am Himmel nur deshalb haben, um dem Menschen nachts zu leuchten! Es ist klar, daß Mithras, selbst wenn er der Sonnengott oder der "Schöpfer" genannt wurde, nicht den gleichen Rang einnahm, wie der höchste Gott Ahura Mazda (der, nebenbei gesagt, wiederum Zurvan Akarana, der Unendlichen Zeit, oder der absolut Höchsten Gottheit, dem Unerkennbaren, untergeordnet gewesen ist).

Die Legende berichtet, daß Mithras aus einem Felsen geboren wurde (oder aus dem "feuerspeienden Berg" Bordj, der als Vulkan die Elemente Feuer und Erde vereinigt) und von goldenem Licht umhüllt, voll erwachsen in Erscheinung trat. In der einen Hand hielt er eine Erdkugel, in der anderen einen Dolch. Beide, Fels und Höhle, waren Symbole des Himmelsgewölbes, von dem das Licht zur Erde strahlt. Der Globus symbolisierte den kosmischen Charakter, die Erde die heilige Aufgabe, die er hatte, und der Dolch war die Waffe, mit der er später den Stier töten sollte. Diese Tat wurde zum höchsten Ereignis in seinem Dasein und für uns wird es von Nutzen sein, sie etwas genauer zu betrachten, obwohl höchstwahrscheinlich auch dann noch nicht die ganze Symbolik erfaßt werden kann.

Im Bundahishn (einem wesentlich neueren Text aus dem 9. Jahrhundert) heißt es, daß Ahura Mazda die Welt in mehreren Etappen erschuf. Zuerst war der Zustand embryonal oder nichtstofflich, später dann materiell. Er gestaltete der Reihe nach Himmel, Wasser, Erde, Pflanzen, Tiere und den Menschen. Doch der Mensch war nur teilweise Mensch, der andere Teil war Stier. Als Ahriman zu mächtig wurde, vernichtete Ahura Mazda seine erste Schöpfung und schuf einen zweiten Menschen, der wiederum Mensch und Stier war. Erst nachdem eine Sintflut die Erde reinigte, entstand die dritte Rasse der Menschheit. Hier könnten wir eine mögliche Bedeutung der Tötung des Stieres einfügen: Mithras ist demzufolge der Töter der tierischen Natur im Menschen, wodurch er die höheren, wahren Eigenschaften des Menschen frei machte.

Doch das ist nicht alles! Wie wir gesehen haben, ist in vorzoroastrischen Zeiten der Stiergott Haoma verehrt worden. Sein lebenspendendes Blut wurde von den Priestern in Form des Saftes der Somapflanze getrunken. Professor H. Lommel stellte verschiedene Parallelen der vedischen und iranischen Überlieferung zusammen, die einige interessante Betrachtungen in bezug auf die Tötung des Stieres zulassen. In den indischen Veden manifestiert sich der Gott Soma (der nicht nur eine vergöttlichte Form des Somasaftes darstellte, wie manche Schriftsteller glauben, sondern der den Mond repräsentierte und dort seinen Sitz hatte) als Regen, dem Samen des himmlischen Stieres, der auf diese Weise der Vegetation Leben gibt. Beim Tode gehen alle Seelen von der Erde fort. Sie ziehen am Monde vorbei, wo, während der zunehmenden Phase, der Somasaft geerntet wird. An diesem Unsterblichkeitstrunk können die Götter einmal im Monat teilnehmen. Die Götter sind jedoch mit dieser Anordnung nicht zufrieden und schmieden ein Komplott, um Soma zu töten. Sie ersuchten Mitra um Beistand, doch der lehnte anfangs ab, denn "er war ein Freund aller." Schließlich gibt er widerstrebend nach und tötet mit Varuna zusammen Soma. Eine ähnliche Episode wurde zur Heldentat für Mithras, den "Stiertöter." Sie bildete den Mittelpunkt in der iranischen Religion wie auch später in den westlichen Mysterienschulen des Mithras-Kultes. Der Gott Haoma verschwindet, läßt jedoch den Stier als Sinnbild des Mondes zurück.

In der alten Mythologie sind oftmals verschiedenartige, bedeutungsvolle Überlagerungen zu finden, Symbol steht gegen Symbol. Sie reichen von der materiellen, menschlich ethischen Bedeutung bis zur kosmischen, wobei jedoch keines das andere ausschließt. So ist es auch hier. Mithras, der Helfer der Sonne, konnte der Gott sein, der das Leben auf Erden möglich macht; er konnte aber auch der höhere Mensch sein, der seine niedere Natur überwindet; und auf einer mehr kosmischen Stufe konnte er die große Macht darstellen, die imstande ist, über den Einfluß des Mondes auf die Erde Herr zu werden (in alten Schriften wurde der Mondeinfluß gewöhnlich für den Menschen als schädlich angesehen, wenn er stärker war als der Einfluß der Sonne, obgleich er für die Vegetation wiederum von Nutzen ist). Symbolisch kann Mithras jedoch auch als der tatsächliche "Töter" des Mondes betrachtet werden. Nach dem Tode des Mondes konnte dann die neue Erde ins Dasein treten, sich schnell entwickeln und gedeihen. Diese letzte Interpretation ist gar nicht so phantastisch, wie sie klingt, jedenfalls nicht für die Zeit und unter den Umständen jener Ära, in der einige der Mysterienlehren bis zu einem gewissen Grade noch erhalten waren. In diesen wurde der Mond als ein "toter Körper", als ein Leichnam betrachtet. Er galt als materieller Überrest eines Planeten, der vor langer Zeit existiert hatte. Das ist eine sehr alte Theorie, die im Altertum vorherrschte, nach der Mithras der "Repräsentant" der Göttlichen Sonne gewesen sein mußte, und seine besondere Aufgabe: Die Obhut der jungen Erde und der Menschheit, der Mittler zwischen dem Menschen und seinem früheren paradiesähnlichen "Heimatland", in das dieser wohl einmal zurückkehren wird.

In den letzten Jahrhunderten vor der Geburt Jesu verbreitete sich der Mithras-Kult über die Länder des Mittleren Ostens, wobei die Magier viel dazu beitrugen. In diesen religiösen Strom floß viel von der Überzeugung der Lehren Zarathustras, die in ihrer reineren Form bis heute noch von den Parsen1 in Indien und den Gabaren im Iran gepflegt werden. Etwa bis 200 v. Chr. wurde Mithras öffentlich als Sonnengott angebetet, nicht als Töter des Stieres; aber aus jener Zeit hören wir ebenso von den geheimen Mithras-Mysterien, die eine Zeitlang Seite an Seite neben den öffentlichen Formen der Verehrung bestanden, bis dann beide aus dem Blickfeld verschwanden. Wenn wir wieder auf den unbesiegbaren Gott stoßen, so wird es in Rom sein, und wir werden dann sehen, welch beträchtlichen Einfluß er auf die Entwicklung der christlichen Philosophie hatte.

Fußnoten

1. Im 8. Jahrh. aus Persien in die Gegend von Bombay eingewandert. [back]