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Wahrer und falscher Okkultismus

Schon immer sind die Menschen vom Seltsamen und Geheimnisvollen, von unerklärlichen Erscheinungen und Andeutungen über ungewöhnliche Dinge gefesselt worden. Heute lebt ein derartiges Interesse erneut auf. Leider geht ein Teil des Skeptizismus, der den wissenschaftlich denkenden Westen gekennzeichnet - und geschützt - hat, dabei langsam verloren. Dadurch ist es möglich, daß gelegentlich flüchtige Blicke in das Unsichtbare getan werden, die dann ein quälendes Verlangen nach diesen Dingen zur Folge haben. Opportunisten, die nur wenig davon verstehen, sind schnell bereit, sich von dieser Traumwelt mitreißen zu lassen. Es hat schon immer ein paar "falsche Propheten" gegeben, die sich als Wahrheitsverkünder ausgegeben haben; aber jetzt werden sie große Mode. Einige von ihnen halten Kurse über Hypnose und Yoga1 ab, über Meditations-Methoden und andere Arten des sogenannten 'Okkultismus'. Ihre Anhänger, die teilweise sehr ernsthaft dabei sind, hoffen, Macht, Glück und die sofortige Erfüllung ihrer Träume zu gewinnen. Um welchen Preis für gewöhnlich! Ein paar dieser 'Lehrer' besitzen so viele Kenntnisse von der Wahrheit, daß sie ihre Behauptungen glaubhaft machen, und damit die Leichtgläubigen für sich einnehmen können. Jedermann sollte jedoch wissen, daß die Wahrheit nicht verkäuflich ist. Da aber niemand gern zugibt, daß er getäuscht wurde, werden für gewöhnlich die verfälschten Lehren von denen, die ihnen gefolgt sind, noch leidenschaftlich verteidigt.

Bedauerlicherweise können die Folgen viel ernster sein als nur physischer Schaden. Jene aber, die sich erlauben, auf den mächtigen psycho-magnetischen Feldern, die die physische Materie umgeben, herumzuexperimentieren, können mit einem kleinen Kind verglichen werden, das mit einem Schraubenzieher zwischen den Röhren und Drähten eines Fernsehapparates herumstochert, nur daß sie einer noch größeren Gefahr ausgesetzt sind, einen Stromschlag zu erhalten, als das Kind. Das Wort 'okkult' bedeutet geheim, verborgen, wie ein Stern, der hinter einem anderen Himmelskörper verschwunden ist. Alles, was wir nicht sehen oder verstehen, ist für uns so lange okkult, bis wir in dem Maße begreifen, in dem unser Erkenntnisvermögen wächst, und es damit nicht länger verborgen ist. Versucht man okkulte Kräfte zu manipulieren, so dringt man in Gebiete ein, die wir noch nicht verstehen - und das ist jedes Mal bestenfalls ein tollkühnes Unterfangen. Es ist ein seltsamer Widerspruch, daß die westliche Menschheit, die eine Vorliebe für Sicherheit hat und sich gegen physische Schäden auf jede nur mögliche Weise versichert, - infolge der weitverbreiteten Unkenntnis über die von ihr eingegangenen Risiken - ein gewagtes Spiel treibt und es riskiert, weit wichtigere Teile ihrer Natur zu verwirren oder zu zerstören.

Es gibt in der Tat "mehr Dinge zwischen Himmel und Erde", die zu lernen sind, und es wäre unsinnig zu sagen, daß wir sie niemals lernen sollen. Es ist vollkommen richtig, wenn ein Kind das Große Einmaleins lernt, wenn es reif dazu ist. Wissen Schritt für Schritt zu erlernen ist eine ungezwungene und richtige Art von 'Okkultismus'! Bevor jedoch das Kind die Logarithmentafel auswendig lernt, und um verstehen zu können, was sie bedeutet und wie man sie anwendet, muß es erst andere Dinge beherrschen. Es gibt eine natürliche Reihenfolge in diesen Dingen. Wir können den Gipfel des Berges nicht erklimmen, bevor wir die Vorberge erstiegen haben.

Der Mensch ist ein fester Bestandteil des Universums und alles, was im Menschen vorhanden ist, existiert auch im Universum, denn das Teilstück kann nicht größer sein als das Ganze. Beide Organismen sind aus unendlichen Ketten elektromagnetischer Schwingungen zusammengesetzt, die Gestalt angenommen haben und lebendiges Bewußtsein auf den verschiedenen Stufen des evolutionären Wachstums verkörpern. Das menschliche Selbstbewußtsein liegt irgendwo zwischen dem schlummernden Bewußtsein des Gesteins und dem strahlenden Kraftfeld einer Sonne und bildet als Teilnehmer in dem kosmischen Geschehen eine wichtige Sprosse auf der Jakobsleiter der Lebewesen. Als mitwirkender Faktor der gesamten Natur ist jedes Einzelwesen zu seiner Zeit und an seinem Platz unentbehrlich und sein Fortschritt oder Rückschritt wirkt auf das Ganze, wenn auch nur in unendlich geringem Maße. Alle sind voneinander abhängig und nicht einer kann ohne Hilfe und für sich alleine leben. Entlang der unsichtbaren Kraftlinien besteht ein beständiger Austausch von Substanz, Idee und Lebenskraft, die alles im Gleichgewicht halten. Jeder Versuch eines untergeordneten Organismus, sich abzutrennen und sich gesondert von den übrigen weiterzuentwickeln, ruft einen krebsartigen Auswuchs hervor. Mit ein wenig Imagination sehen wir klar, daß überhaupt kein Wesen auf irgendeiner Entwicklungsstufe ohne fortwährenden Austausch von Atomen - physischer, geistiger und spiritueller Art - unabhängig bestehen kann. Wäre es anders, so würde das zu vollständigem Stillstand führen. In diesem Bild essentieller Einheit finden wir die Erweiterung der Bedeutung des Satzes: "Gott ist die Liebe", etwas Universales, das alles durchdringt, was in ihm enthalten ist, das alles durch göttliches Mitleid oder wissenschaftlich ausgedrückt, durch ein magnetisches Kraftfeld zusammenhält. Um dem Innersten des kosmischen Lebens näher kommen zu können, muß der Mensch die kosmischen Eigenschaften in sich selbst finden: Unpersönliche Liebe, die ihn mit allem anderen verbindet, denn dieses individuelle Bindeglied ist der innere Christos, der ihn mit dem Vater im Innern vereint.

Grundsätzlich ist jeder Gedanke und jede Tat entweder zentripetal oder zentrifugal: sie engen das Blickfeld ein oder erweitern es. Handlungen, die aus Selbstsucht hervorgehen, ganz gleich in welcher Form und unter welchen Umständen, tragen dazu bei, daß die Seele verkümmert und verursachen Haß, getragen von Schuldgefühl und Selbstmitleid, während Taten, die aus Großherzigkeit, Freundlichkeit, Liebe und Zuneigung geboren sind, - also mitfühlende Eigenschaften - Zufriedenheit und innere Freude bringen. Sie kommen aus einer festeren Verbindung mit der spirituellen Quelle und bringen ein größeres Verständnis mit sich, ein erweitertes Tätigkeitsfeld des Seins. Wird diese Idee immer mehr erweitert, so wird das Bewußtsein, das sich in Taten des Mitleids zu verströmen vermag, ständig unpersönlicher, bis es ihm möglich ist, in die All-Einheit und Allwissenheit der alles umfassenden Göttlichkeit einzugehen.

Die östlichen Philosophien machen eine scharfe Trennung zwischen den zwei grundlegenden Arten von Religion: Der Suche nach persönlicher Rettung und dem Wunsch, der Menschheit zu dienen. Heilige vieler Religionen haben das erste Ziel erreicht. Sie haben die zeitweilige und teilweise Belohnung angenommen und eine gewisse Zeitlang weitere Anstrengungen hinausgeschoben. Alle exoterischen Sekten weisen besonders auf den Gewinn hin, den man erlangt, wenn man sich ihrem System anschließt. Dabei können ihre Methoden harmlos aber auch gefährlich sein. Etwas haben sie jedoch gemeinsam: Ihr Ziel ist die Seeligkeit des Einzelwesens, das sich um die übrige Menschheit nicht kümmert. In scharfem Gegensatz hierzu bietet der wahre Okkultismus keinen persönlichen Anreiz. Die Buddhas des Mitleids und die Bodhisattvas gehören einer Schule an, die sagt: "Kann es Seeligkeit geben, wenn alles, was lebt, leiden muß? Sollst Du gerettet werden und die Schmerzensschreie der ganzen Menschheit hören? Was für ein Glück kann das schon sein, wenn man sich dieser spirituellen Freude hingibt und weiß, daß zur gleichen Zeit Scharen von Wesenheiten in Unwissenheit leiden?"

Große Lehrer sind diejenigen, deren inneres Wesen sich durch einen völlig selbstlosen Beweggrund auszeichnet. Nachdem sie die Schule auf Erden absolviert haben, verbleiben sie noch, um durch das höhere Bewußtsein der Menschen Erleuchtung strömen zu lassen. Hätten Buddha oder Christus einer exoterischen Schule des Denkens angehört, würden sie dann von ihrem selbstverdienten Himmel Zeit geopfert haben, um unter der Menschheit zu leben? Hätten sie dann, wenn auch vergebens, versucht, die Stumpfheit der menschlichen Schüler zu durchdringen und hätten sie alle Enttäuschungen und schlechten Erfahrungen, die daraus entstehen mußten, hingenommen? Jedoch gerade das taten sie, und immer noch weilt ihr Geist unter uns, weil ihr innerstes Wesen Liebe und göttliches Mitleid ist, das Endergebnis echten inneren Wachstums.

Die Fähigkeit, scheinbare Wunder zu vollbringen, hat keinen Wert. Ein Dilettant im Bereich der Magie täuscht sich und andere auf die schreckliche Gefahr hin, den gesunden Verstand zu verlieren. Dem echten Okkultisten stehen diese Fähigkeiten zur Verfügung; sie sind Nebenprodukte, die von seinen größeren Kenntnissen und seinem tieferen Verständnis der Naturgesetze kommen. Bleiben wir bei unserem Vergleich mit dem Fernsehapparat, so wäre zu sagen, daß ein Mechaniker, der seinen Beruf versteht, 'erstaunlicherweise' das Flimmern und Rauschen auf dem Bildschirm verschwinden lassen kann. Das Kind kann die Störung vielleicht 'ganz zufällig' beheben. Viel wahrscheinlicher jedoch ist, daß es dabei zu Schaden kommen wird. Wichtig ist zu wissen, was zu tun ist, wenn man sich mit Dingen befaßt, die nach höheren Gesetzen arbeiten, sei es im Bereich der Technik oder der Natur. Die Ausbildung geht langsam vor sich und ist mühsam und fängt genau dort an, wo der einzelne sich gerade befindet. Okkultismus steht mit dem Leben in Zusammenhang. "Lebe das Leben, wenn Du die Lehre kennen möchtest." Nur wenn man bereit ist, wenn man ein geeignetes Gefäß wird, nur dann kann der menschliche Geist vermehrtes Wissen speichern. Wie in jeder anderen Wissenschaft verlangt das Anstrengung, Aufmerksamkeit und Selbstbeherrschung. Um erfassen zu können, müssen wir Fassungskraft entwickeln; wir müssen den Bereich unserer Interessen und unserer echten Anteilnahme erweitern, um in Räume eintreten zu können, die uns bisher durch unsere Ichbezogenheit verschlossen waren. Das alles schließt ein wachsendes Verständnis für unsere Mitmenschen und andere Lebensformen in sich ein. Es bedeutet einfach: selbstloser zu werden, freundlicher, hilfsbereiter und im allgemeinen der Menschheit durch eine innere Einstellung zu dienen, die ihren natürlichen Ausdruck darin finden wird, daß wir für die Eingebungen des Augenblickes aufgeschlossener sind. Darin liegt eine positive Wirkung. Der lange Evolutionsprozeß könnte ungeheuer beschleunigt werden, wenn jeder einzelne sich zu diesem Schritt entschließen könnte. Sollte jemand jedoch glauben, diese Schritte seien leicht, so braucht er nur anzufangen. Er wird entdecken, daß Selbstbeherrschung die mühsamste Aufgabe der Welt ist. Wenn er jedoch ausharrt, so wird er finden, daß es der Mühe wert ist, dem Kurs zu folgen.

Für jede neue Idee und für jeden, der Anspruch erhebt, ein okkulter Lehrer zu sein, muß das Motiv der Prüfstein sein, dem alles standhält. Hoffe ich zu gewinnen (Macht, Kenntnisse, Weisheit, Friede, Glück?) oder hoffe ich mit der Zeit eine namenlose Kraft zu werden, die das Gute in der Welt stärkt? Ist mein Bestreben zentripetal oder zentrifugal? Ist es selbstsüchtiges Wollen oder selbstlose Liebe? Wenn wir diese Möglichkeiten, unser wahres Sein irgendwann einmal hinzugeben, fördern können, wie die Sonne, die ohne Unterschied ihre Substanz verschwenderisch durch die Bereiche des Raumes verströmt, dann nähern wir uns dem Pfade des wahren Okkultismus.

Fußnoten

1. Erwähnt werden sollte, daß Yoga Vereinigung bedeutet, und daß es mindestens fünf verschiedene Arten von Yoga gibt. Im Westen wird im allgemeinen nur eine, die niedrigste, beschrieben und praktiziert. Ohne die anderen kann das jedoch ein gewagtes Unternehmen sein. [back]