Bruderschaft in der Bildhauerkunst
- Sunrise 5/1968
"Alles Lebende, wo es auch sei, ist für immer eins mit uns." Das ist die Überzeugung des Bildhauers William Ricketts, dessen einfühlende Modellierkunst die Situation der australischen Ureinwohner in der Neuzeit dramatisiert hat. Tief berührt von der grausamen Behandlung, die sie durch die Hände früher europäischer Siedler erlitten, fühlte er sich zu einer Art Wiedergutmachung gedrängt. Er entdeckte, daß die Eingeborenen Zentralaustraliens eine nicht weniger gültige "Kultur" besaßen, wie der Westen, lediglich anders als unsere und viel mehr naturverbunden. Erst in letzter Zeit erhielt er die offizielle Anerkennung, als das von der Regierung geförderte Schutzgebiet, das sich rund um die Wohnung Ricketts' ausbreitet, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.1 Dieses Ereignis gibt die Veranlassung, einen eingehenderen Blick auf die Lebensanschauung des Künstlers zu werfen, eine Lebensanschauung, die das Herz erwärmt in einem Zeitalter, in dem unsere Nachrichtenmedien es vorziehen, den exzentrischen und schockierenden Vorfällen mehr Raum zu widmen als konstruktiven und inspirierenden Ereignissen.
Billy Ricketts ist ein freundlicher, von "einer großen Liebe" zu seinen australischen Brüdern durchdrungener Mann, der vor mehr als dreißig Jahren seinen Wohnsitz in dem abgelegenen Gebiet des Mount Dandenong in der Nähe von Melbourne aufschlug. Im Jahre 1906 geboren, wuchs er in einer sehr ärmlichen Umgebung auf, und seine suchende Seele verwarf bald das damals übliche Erziehungssystem, das auf mechanischem Auswendiglernen und Wiederholen beruhte. Ebenso verneinte er den am Buchstaben hängenden Formalismus, der als Religion gelehrt wurde. "Gott ist Geist", sagte er, "und er umgibt uns überall, in allen Lebenserscheinungen. Er sitzt nicht da oben mit gekreuzten Beinen in den Wolken, darauf wartend, einem etwas zu geben, wenn man sich gut benimmt." Er berichtet, was er empfand, als er zuerst das Fleckchen Erde fand, wo er sein Heim errichten wollte: "Mein Geist war verwirrt von alldem, was man mir in der Schule beigebracht hatte und von all dem Unsinn, den die Menschen glauben. Ich mußte meinen Geist reinigen - ich mußte noch einmal geboren werden."
Er nahm seine Mutter mit, und gemeinsam lebten sie unter außerordentlich primitiven Bedingungen, bis er ein Blockhaus baute. Als es eingerichtet war, begann er in Ton zu modellieren - Menschen, Tiere, Vögel und Reptilien. Obwohl er nie irgendeine formale Ausbildung als Bildhauer durchgemacht hatte, werden seine Arbeiten ihrer Vortrefflichkeit und der unfaßbaren Beseeltheit wegen, auf die der Betrachter sofort reagiert, weithin gepriesen. Die meisten seiner Werke verkörpern den Ur-'Geist' - jene unantastbare Mischung von Aussehen, Tradition und Vertrautheit mit dem Leben in der Natur, die diese Überlebenden einer uralten Rasse charakterisiert. Er fühlt sich verwandt mit ihnen, seinen Mitmenschen. Er studiert Abhandlungen über sie, sowohl von Baldwin, Spencer und Gillen, die der älteren Generation angehören, wie auch der Gelehrten der Gegenwart auf diesem Gebiet, wie Strehlow, Elkin und Tanner. Sein zeitweiliger Aufenthalt im Busch hat ihn davon überzeugt, daß die Uraustralier in ihrer Einstellung zur Erde und zum Himmel, zu allen Kreaturen, die sie als Glieder einer großen Einheit betrachten einen wertvollen Beitrag zum Schatz der menschlichen Erkenntnis leisten können. Diese Erkenntnis der fundamentalen Einheit des Lebens ist etwas, das wir Modernen größtenteils verloren, als wir unseren Intellektualismus entwickelten.
William Ricketts' Einstellung (engl.: plea) bedeutet jedoch mehr als das vertraute "Zurück zur Natur", das Chateaubriand nachdem er auf seiner Reise in die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1791 die "edlen amerikanischen Indianer" getroffen hatte und die Einfachheit und Ehrlichkeit ihrer Lebensweise über die Unaufrichtigkeit seiner eigenen Umwelt stellte. Ricketts betont im Gegensatz dazu nachdrücklich die grundsätzliche Einheit des Lebens aller Bewohner der Erde ohne Ausnahme oder Begünstigung, die in Wahrheit miteinander verbunden sind wie die Mitglieder einer einzigen Familie. Vielleicht erscheint aus diesem Grunde der berühmte Churinga-Stein, das Symbol der Quelle des Lebens, das stets mit den Ureinwohnern in Verbindung gebracht wird, in irgendeiner Form bei fast allen Schöpfungen von Ricketts.
Er ist besonders mit den Arandas (Aruntas) von Zentralaustralien befreundet. Dieser Stamm hat übrigens außerordentlich komplizierte Totem-Heiratsbestimmungen, die eine Inzucht verhindern. Darüber hinaus bewahrte er eine Reihe von Glaubenslehren, die während besonderer Übungen übermittelt werden, und die mehr als die rein physiologischen Einführungsriten anderer Stämme umfassen. Daraus läßt sich schließen, daß sie das Erbe einer sehr alten Kultur pflegen. In der Tat ist das die Behauptung bestimmter Ureinwohner einer früheren Generation, die eine Hochschulerziehung im europäischen System erhalten hatten. Einige dieser Leute, wie zum Beispiel David Unaipon, erklärten nicht nur die Bedeutung des 'goldenen Zeitalters der Vorfahren' im Alcheringa in der weiteren Vergangenheit, sondern berichteten von Lehren über Reinkarnation und der unerbittlichen Folge der Wirkungen auf den Fersen der Ursachen, die wir in Bewegung gesetzt haben; ebenso berichteten sie von verschiedenen Einblicken in die Seele und ihre Bestimmung - Begriffe, die weit über die erfundene Wertung 'nur Wilde' hinausgehen.
Außerdem enthält die zentralaustralische Mythologie, in die sich Ricketts versenkt hat, eine eindrucksvolle Geschichte über den Eintritt des Kosmos in das Dasein. Es wird erzählt, daß die Erde und die Himmel schon immer existieren und vor uns von übermenschlichen Wesen bewohnt wurden. Als unsere Planetenphase begann, war die Erde unbewohnt, die zukünftigen Lebensformen schliefen, sie warteten auf die erweckende Berührung durch den Großen Geist. Die Zeit begann, als sie erwachten, "geboren aus ihrer eigenen Ewigkeit", ein Satz, der an die "Funken der Ewigkeit" aus den Stanzen des Dzyan2 erinnert. Diese frühen Wesen, die "Totem Ahnen", arbeiteten mit dem verfügbaren Material, um die verschiedenen Reiche zu bilden, die uns vertraut sind, und sie umfaßten eine Familie von Wesenheiten. Durch sie alle flossen die Energieströme, die Menschen, Tiere und Pflanzen antreiben.
Diese Ideen bestätigten Ricketts' Vorstellung von der Unteilbarkeit der Lebewesen. Er fühlt sich so sehr eins mit den Abkömmlingen der Uraustralier, daß er über seine Kunst sagt: "Das sind nicht meine Werke. Es sind unsere Werke, die eine Botschaft meiner Brüder, der Ureinwohner, tragen. Das ist nicht nur so hingesagt. Es ist die Wahrheit über das Leben." Atirantuka, ein Ältester der Arandas, ist in einer der bedeutendsten Skulpturen, die nun über das Schutzgebiet verstreut sind, als "Die geflügelte Gestalt" nachgebildet. Er zeigt in beredter Weise seinem begnadeten Freund und Bruder seine Hochachtung:
Das grausamste Verbrechen, das durch die Hände der Weißen gegen den australischen Busch begangen wurde, ist die Verbrennung der heiligen Wälder und die Vernichtung der einheimischen Tiere, die darin lebten.
Das Feuer, das die Wälder verbrannte, hat sich tief in die Seele meines Bruders eingebrannt, den ich, Atirantuka, seit dem Alchera immer gekannt habe. ...
Meinem Bruder wurde große geistige Macht gegeben, als er das Gesetz jedes Stammes empfing, und er wird diese Macht zur Verteidigung des australischen Busches gebrauchen, der heute in diesem letzten Angriff der Gleichgültigkeit und Torheit des weißen Mannes hinweggefegt wird.
Reine Imagination, dem Menschen auf der Stufe wahrer Freiheit eingeboren und entzündet, ist vor allen Dingen zu erstreben. Darin liegen die Quellen der Gesundheit, Schönheit, großer Liebe und selbst des Wunderbaren und der Freiheit. Das menschliche Leben ist eins mit diesen Dingen. Alles, was den Menschen von ihnen trennt, kann nur von Übel sein, von dem uns gesagt wird, daß wir ihm widerstehen sollen.
Können Sie nun verstehen, daß mein Bruder entschlossen ist, dieses Übel der Trennung des Menschen von Schönheit, Freiheit und Liebe zu bekämpfen?
Im Jahre 1960, als er sich eine Zeitlang unter den zentralaustralischen Ureinwohnern aufhielt, überfielen Räuber Ricketts' Heim und richteten großen Schaden an. Die Regierung von Victoria nahm schließlich das Anwesen in ihren Schutz, fügte gleichzeitig 14 Morgen angrenzenden Landes hinzu und erklärte es zu einem Waldheiligtum. Es wurde auch für Ricketts ein modernes Ziegelhaus errichtet, mit einem großen Atelier und Möglichkeiten, seine Werke angemessen auszustellen. Jetzt besitzt er einen elektrischen Brennofen, und während er den Nutzen, den dieses Gerät und vieles andere gebracht hat und zugleich die Möglichkeiten, die sich ihm dadurch eröffnen, anerkennt, erinnert er sich - und uns - daran, daß "Wissenschaft, wenn sie nicht vom rechen Geist geführt wird, ein blutiges Ungeheuer ist."
Ricketts' ungewöhnliches Eindringen in das Seelenleben der Ureinwohner kommt, wie er sagt, aus seiner Versenkung in sich selbst. Was er dort entdeckt hat, gibt den Buschleuten die Möglichkeit, in ihm eine Fähigkeit des Gefühls der Zusammengehörigkeit zu erkennen, und so verstehen sie, was seine Skulpturen darstellen. Daher teilen sie bereitwillig mit ihm ihr Dasein. Aber vielleicht beschreiben es seine eigenen Worte am besten:
Die Bedeutung meiner Werke ist religiös, und grundsätzlich brauchen sie keine Worte zur Erklärung. Sie können auf ihren eigenen Füßen stehen; aber die Leute fragen mich so oft über meine Absichten in meinen Werken...
Seit ich versuche, die tiefste Bedeutung des Lebens zu verstehen, wurde ich erfüllt von einem einzigartigen Wachsen der Liebe zum australischen Busch.
Durch diese mächtige Liebe wurde ich ein integraler Teil meiner Umgebung: Vogel, Tier, Wald, Berg, Wüste, Felsen, Wasser - alles, überall, zur gleichen Zeit. Ich bin untrennbar mit allen verbunden. Auf diese Weise kam ich zu der Erkenntnis, daß Absonderung der Feind wahrer Religion ist.
Als einer von denen, die viele Proben seiner Arbeit gesehen haben, gibt es für mich keinen Zweifel über die strahlende Kraft, die davon ausgeht. Sie kann nur aus dem Charakter des Mannes kommen, der tiefgründig der innersten Wirklichkeit anderer Menschen antwortet, ohne Rücksicht auf ihr Äußeres oder die Verschiedenheit ihrer Verhältnisse.
Fußnoten
1. Die hübsche Broschüre "A Living Voice of the Living Bush", herausgegeben von The Forests Commission of Victoria (Aust.) 1965, enthält zahlreiche Farbreproduktionen der Werke des Bildhauers, zusammen mit einer einfühlenden Zusammenfassung der heiligen Mythologie des australischen Buschs von T. G. H. Strehlow, M. A., Dozent australischer Sprachen an der Universität von Adelaide. [back]
2. Aus Die Geheimlehre von H. P. Blavatsky [back]