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Weshalb glaubst Du?

Warum glauben Sie gerade das, was Sie glauben? Ob Sie nun in Ihrer religiösen Anschauung liberal sind oder ein Anhänger eines traditionellen Glaubens, warum haben Sie diese Anschauung? Vielleicht lieben Sie die Unabhängigkeit und wollen keiner Organisation beitreten, weil sie das Gefühl haben, Ihre Freiheit würde durch eine solche Bindung eingeengt; oder Sie halten sich vielleicht für einen Agnostiker, einen Atheisten oder Freidenker. Welchen Standpunkt Sie auch einnehmen, haben Sie jemals darüber nachgedacht, wieso Sie dazu gekommen sind?

Das mag eine komische Frage sein, weil die Antwort doch so klar ist. So sind die Dinge nun einmal. Sie wählen Ihren Glauben auf Grund der Tatsachen und Gegebenheiten dieser Welt. Sie sind ein Humanist, ein Christ oder ein Fatalist; oder Sie nehmen vielleicht einen weniger absoluten Standpunkt ein und meinen, daß Ihr Verstand Sie recht und schlecht zu dem geführt hat, was Sie denken. Dabei geben Sie vielleicht zu, daß andere Menschen in gleicher Weise durch logische Gründe in andere Richtungen gedrängt werden, aber Sie haben eben Ihren Standpunkt, weil Sie ihn gründlich durchdacht haben.

Wir haben hier eine grundsätzliche Frage über die Religion als Ganzes und den persönlichen Glauben eines jeden einzelnen vor uns. Es ist wichtig, einen Glauben zu haben, denn er bildet den Rahmen, der uns hilft, im Dasein einen Sinn zu finden. Ein Mensch ohne irgendeine Überzeugung ist allen Geschehnissen preisgegeben. Weiterhin ist es notwendig, sich an Vorstellungen zu halten, die mit dem Wissen über das Leben und die Welt übereinstimmen. Nur mit einem realistischen und auf Kenntnissen beruhenden Glauben können wir beginnen, unseren Platz im Gesamtplan angemessen zu erkennen, erfolgreich und zielbewußt in ihm zu leben und uns sinnvoll mit unseren Mitmenschen zu verbinden. Wenn die religiösen und sozialen Vorstellungen aber nicht mit den vorhandenen Realitäten des Lebens übereinstimmen, ist der Mensch unfähig, ein nützliches Glied im gegenwärtigen Existenzkampf zu sein. Er wird früher oder später ein Hindernis und bleibt am Wegesrande liegen, wenn der Strom des Fortschritts über ihn hinwegfließt.

Aber so wesentlich vernünftige, auf Erfahrung beruhende Überzeugungen sind, so lebenswichtig ist es auch für das Gedeihen und die Bedeutung unserer Religion, daß wir eine Vorstellung darüber haben, warum wir gerade das vorziehen zu glauben, was immer es auch sei. Danach forschen wir selten tief und eindringlich genug. Wir machen es uns zu leicht, wenn wir die Frage damit abtun, daß wir das und das glauben, weil es vernünftig und verständlich ist. Für Menschen, die in einer frei-religiösen Atmosphäre die Überlegenheit der Vernunft in der Religion betonen, ist dies besonders verlockend. Wir machen es uns aber ebenso zu leicht, wenn wir dem hier geforderten angestrengten Nachdenken ausweichen, indem wir überlegen lächelnd erklären: "Oh ja, die Menschheit ist nur spärlich mit Vernunft begabt, Gefühle beherrschen die Menschen, wir sind vor allem gefühlsbetonte Geschöpfe." Der Haken bei diesen Überlegungen ist dabei, daß sich die Verfechter dieser Anschauung meist selbst nicht zur Gruppe der gefühlsbeherrschten Menschen zählen!

Menschen, die nach bestem Können versuchen, in ihrer Religion sowohl den Erkenntnissen des Verstandes zu folgen als auch aufrichtig in ihren Gefühlen zu sein, sollten dieser schwerwiegenden Frage ernsthafter nachgehen. Der Verstand selbst ist verhältnismäßig spät in der menschlichen Evolution als bedeutsames Ergebnis der Entwicklung der Menschheit in Erscheinung getreten; und er ist auf der gegenwärtigen Stufe der Menschheitsgeschichte nicht die einzige und nicht einmal die hauptsächlichste, das menschliche Leben formende Kraft. Wir wünschen es vielleicht; wir mögen danach streben, daß der Einfluß der Vernunft in den täglichen Angelegenheiten wächst; aber um uns selbst und andere so zu verstehen, wie sie sind, haben wir keine andere Möglichkeit, als anzuerkennen, wie weit wir Menschen davon entfernt sind, vollkommen vernunftbegabte Geschöpfe zu sein und wie viele andere Faktoren tatsächlich unsere Gedanken, Gefühle und Entscheidungen gestalten.

Lassen Sie uns einer scheinbaren Abschweifung nachgehen. Einer der bedeutendsten heutigen Astronomen, Dr. Fred Hoyle von der Universität in Cambridge, gibt ein faszinierendes Beispiel für die Zweckmäßigkeit dieser Fragestellung, warum wir glauben. Er schrieb vor mehreren Jahren einen leicht verständlichen, aber gehaltvollen Aufsatz mit dem Titel "Als die Zeit begann". Der Artikel enthielt einen klaren Auszug der drei führenden, von den Astrophysikern vertretenen Theorien über Art und Zeitpunkt der Entstehung des Universums. Er betonte, daß heute Beobachtungen gemacht werden können, die vor etwa 10 Jahren unmöglich gewesen wären, weil wir heute über wesentlich bessere Funkanlagen und optische Fernrohre verfügen als damals. Wir beginnen sogar, die Störungen der Erdatmosphäre durch Instrumente zu überwinden, die in Raumkapseln montiert in die Umlaufbahn geschickt werden; und neue Fortschritte in bestimmten Sparten der Physik befähigen uns, genauer zu berechnen wie sich die Materie unter einigen der extrem verschiedenen, im Universum herrschenden Bedingungen verhält.

Hier behandelt ein Spezialist ein Problem, das Intelligenz und Vorstellungskraft des Menschen gefangen nimmt, seit er sich das erstemal fragte, was die Sterne seien und wie sie dorthin gelangten. Er versucht die gleiche Frage zu beantworten, die in der Genesis gestellt - und beantwortet wurde - und zwar von weit älteren Philosophen als die der alten Hebräer. Er gibt einige der besten Antworten, die der fortgeschrittene menschliche Verstand im Zeitalter der Wissenschaft zu geben imstande ist. Welche sind das nach Hoyle? Sie selbst gehören nicht zu unserer Untersuchung, denn wir befassen uns jetzt nicht damit, zu entscheiden, welche von ihnen richtig ist. Ihr Wert für uns liegt darin, daß sie uns eine neue Perspektive für unsere Grundsatzfrage bieten: "Warum wir glauben, was wir glauben."

Die erste der heute führenden Hypothesen über Entstehung und Ende des Universums ist die Explosions-Theorie. Sie verlegt den Anfang in eine bestimmte Zeit, sagen wir vor 10 Milliarden Jahren, als ein Körper aus ganz dichter Materie explodierte. Seitdem haben sich die Milchstraßensysteme voneinander fortbewegt und werden sich weiter entfernen, bis der Raum überall leer ist. Alle Tätigkeit innerhalb der Milchstraßensysteme wird aufhören, die Sterne werden nicht länger scheinen und alle Energiequellen werden verlöschen.

Die zweite - die Expansions-Kontraktions-Theorie - ist nichts weiter als eine Abwandlung der ersten. Sie nimmt die gleiche ursprüngliche Explosion an, glaubt jedoch, daß die Ansammlungen von Milchstraßensystemen ebenfalls auseinanderstreben, jedoch mit abnehmender Geschwindigkeit und daß schließlich die Expansion aufhört. Durch die Gravitationskräfte werden dann die Sternengruppen wieder anfangen einander zuzustreben. Eine neue Ausdehnung und Zusammenziehung werden folgen usw.. Jeder Zyklus dauert etwa 30 Milliarden Jahre, wobei es auf ein paar Millionen Jahre mehr oder weniger nicht ankommt. Wir befinden uns zur Zeit etwa in der Mitte einer Expansionsphase.

Die dritte Möglichkeit, die von den Astrophysikern angenommen wird, ist die Stetigkeits-Theorie. Sie unterscheidet sich in den wesentlichen Dingen vollständig von den beiden anderen. Statt anzunehmen, daß alle Materie, die heute existiert, auch früher vorhanden war, vertritt diese Theorie die Ansicht, daß eine Menge der heute existierenden Materie früher nicht da war, und eine Menge Materie der Zukunft heute nicht vorhanden ist. Kein Teilchen der Materie ist beständig, denn Materie wird zu allen Zeiten geschaffen. Neue Milchstraßensysteme werden laufend geboren, ändern und entwickeln sich. Das Universum hat keinen Anfang und wird niemals enden, obwohl sich die Milchstraßensysteme, die Sterne und Atome darin fortgesetzt im Prozeß der Entstehung, des Wechsels und der Zerstörung befinden.

Das sind natürlich alles nur Spekulationen, die sich auf die verfügbaren Befunde und auf Schlußfolgerungen aus diesen Befunden gründen. Es sind mehr Theorien als feststehende Tatsachen. Von unserer Fragestellung her gesehen ist das, was Dr. Hoyle über sie als Glauben sagt wichtiger als das, was er über sie als wissenschaftliche Möglichkeiten anführt. Indem er davon spricht wie ungewiß wir über die Wahrheit einiger der oben erwähnten Mutmaßungen sind, sagt er:

Unter diesen Umstünden wird nur große Ausdauer und Sorgfalt, vereint mit einem feinen Urteilsvermögen das Echte vom Unechten trennen. Deshalb ist eine Entscheidung zwischen diesen verschiedenen Theorien ein Problem, das nicht überstürzt werden kann. Nur die langsame Entwicklung der Astronomie wird es uns ermöglichen, eine eindeutige Entscheidung zu erreichen.

Nun kommen wir zum Kernpunkt seines Beitrages, soweit er unser gegenwärtiges Interesse betrifft: "In der Zwischenzeit müssen wir auf philosophische Kriterien zurückgreifen, wenn wir eine Theorie der anderen vorziehen." (Hervorhebung von uns.) In seinem Artikel berichtet er dann weiter, warum er die Stetigkeits-Theorie befürwortet und fügt mit wohltuender Offenheit hinzu: "Meine Gründe, diese Theorie den anderen vorzuziehen, sind zum größten Teil rein philosophischer Art", d. h. er hatte andere als streng wissenschaftliche Gründe dafür, zu glauben, daß sich das Universum in einem Zustand fortgesetzter Schöpfung befindet - ohne Anfang und Ende. Ihm sagte eine Vorstellung vom Universum, das sich im Werden befindet, mehr zu, als die eines schon vollendeten. Ihm gefiel der Gedanke, daß das Dasein durch alle Zeiten weitergeht, wie es immer war und immer sein wird. Es befriedigte sein innerstes Empfinden als Wissenschaftler und als Mensch, sich den Kosmos nach allen Seiten hin unbegrenzt vorzustellen und nicht in Raum und Zeit beschränkt.

Noch bedeutsamer ist die Tatsache, daß sich Dr. Hoyle kürzlich, zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung der Stetigkeits-Theorie, einer anderen Theorie zugewandt hat, die eine Abwandlung der Expansions-Kontraktions-Theorie zu sein scheint. Auf dem Jahrestreffen der Britischen Gesellschaft für den Fortschritt der Wissenschaften, am 6.9.1965 in Cambridge, verkündete er, daß "wahrscheinlich jetzt die frühere Idee verworfen werden muß, auf jeden Fall in der Form, die allgemein bekannt geworden ist."1 Er sagte, er stelle sich nun das Universum in einem Zustand ständiger Veränderung vor; oder wenigstens Teile von ihm pulsieren, Milchstraßensysteme treten in Erscheinung und, wenn sie dann zerstört werden, "dient die eine Generation von Milchstraßensystemen als Saat für die nächste Generation." Hier betont er wieder die Vorstellung des ständig weitergehenden Lebens.

Wir erinnern uns, was William James, der Pionier der Psychologie, vor einem halben Jahrhundert in seiner epochemachenden Studie Der Wille zum Glauben sagte: "Der Instinkt führt, der Intellekt folgt nur." Dr. Hoyle fordert alle diejenigen von uns heraus, Wissenschaftler oder Laien, die vielleicht annehmen, daß Menschen nur das glauben, was ihr rationaler Intellekt ihnen sagt. Die Wahrheit dieser Angelegenheit ist nicht so einfach, hier vertritt ein bekannter Astronom einen Standpunkt, zu dem er in erster Linie nicht allein durch den Intellekt oder durch Beweismaterial geführt worden ist, sondern durch "philosophische Kriterien", wie er offen feststellt. Er hat auch den Mut, sich den Weg offen zu halten, seine Anschauung zu ändern und zu erweitern, wenn weitere Entdeckungen und Überlegungen es ihm angebracht erscheinen lassen.

Vielleicht haben Sie nicht viel über Ursprung und Zukunft des Universums vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nachgedacht, weil Sie fühlten, daß das nicht Ihre Sache sei. Doch viele Fragen, die bei uns den religiösen Glauben betreffen, sind von gleicher grundsätzlicher Natur: Gibt es einen Gott, welcher Art ist er, wie wirkt er in der Welt, gibt es ein Leben nach dem Tode, hat das Leben einen tieferen Sinn, wo kommen wir her und wo gehen wir hin, und warum sind wir schließlich hier? Alle diese religiösen Fragen haben eines grundlegend gemeinsam, wenn sie sich auch in anderer Weise voneinander unterscheiden: Alle sind Spekulationen über Angelegenheiten, die noch immer größtenteils jenseits unseres menschlichen Wissens liegen; alle berühren Themen, die der Mensch völlig oder auch nur teilweise zu erforschen noch nicht in der Lage ist. Was geschieht unter solchen Umständen? Wir können unsere Schlußfolgerungen nicht völlig auf Beweise gründen, denn wir kennen nicht alle Tatsachen und werden sie wahrscheinlich in vielen Fällen niemals alle kennen, denn diese Probleme liegen anders.

Die Frage über Ursprung und Schicksal des Universums ähnelt den Spekulationen über Gott, da beide von Unbekanntem handeln, dem noch zu Erkennenden und dem niemals Erkennbaren. Mangels sicheren Wissens müssen sich die mit diesen Gedanken ringenden Menschen anderen Leitfäden als den reinen Tatsachen zuwenden. Dr. Hoyle trifft seine Wahl zwischen den verfügbaren, möglichen Theorien, wie er sagt, auf dem Boden der Philosophie. Andere haben andere Beweggründe, manchmal irdischere und menschlichere als Dr. Hoyle. Wenn jedoch ein ausgezeichneter Wissenschaftler freimütig bekennt, daß bestimmte Ansichten seines Glaubens auf persönlicher Vorliebe beruhen, könnte ähnliche Aufrichtigkeit andere von uns veranlassen, einzugestehen, daß wir oft etwas glauben, weil es uns so gefällt; oder weil wir so erzogen worden sind, weil Leute, mit denen wir verbunden waren, die Dinge in dieser Weise sahen; oder weil es für Leute in unserer Stellung einen guten Eindruck macht - was alles darauf hinausläuft, daß die Menschen sehr häufig so glauben, weil sie so glauben wollen.

Samuel Butler sagte einmal, sein Vater wollte sein ganzes Leben lang niemals zugeben, daß er irgend etwas einfach tat, weil er es wollte. Er konnte sich immer selbst einreden, daß er das, was er tun wollte, auch tun sollte. Benjamin Franklin bemerkte: "Wie bequem ist es, ein vernünftiges Geschöpf zu sein, denn es befähigt einen, für alles, was man zu tun beabsichtigt, einen Grund zu finden oder zu erfinden." Die Gefahr ist natürlich Unaufrichtigkeit, innerer Mangel an Redlichkeit mit sich selbst und keine innere Wahrhaftigkeit im Glauben, Denken und Handeln; folglich gelingt es nicht, sich im Glauben, Denken und Handeln von der Wahrheit der Dinge, wie sie wirklich sind, leiten zu lassen. Der pragmatische Philosoph Charles Pierce hat treffend gesagt: "Heilsamer als irgendein Glaube ist Redlichkeit im Glauben."

Diese Realität über die Art und Weise unseres Glaubens, Denkens und Lebens ist so machtvoll, daß sie jeden Teil unseres Wesens durchdringt. Nichts, was wir tun, sagen oder glauben, ist frei davon. Wohin wir uns wenden, zu Religion, Rassenvorurteil, Philosophie, Sportenthusiasmus, politischen Überzeugungen, Wirtschaftslehren oder unseren ganz gewöhnlichen persönlichen Liebhabereien in hundert Angelegenheiten, wir finden uns von Angesicht zu Angesicht mit derselben Tatsache über uns selbst: Was wir glauben und warum wir es glauben, ist nicht das Ergebnis eines Teiles von uns, nicht unseres schlußfolgernden Intellekts allein, sondern unseres ganzen Selbstes. Gleich welche Sache wir betrachten, wie gewaltig oder trivial sie ist, die Dynamik unseres Glaubens schließt nicht nur die Vernunft ein, sondern unsere ganze Gefühlswelt, nicht nur unseren bewußten Verstand, sondern unsere unbewußten Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte. Die Wurzeln unseres Glaubens sind die echten Wurzeln unseres Wesens.

Mit dieser Einsicht haben wir eine zweischneidige Wahrheit, die "uns in Versuchung führen", aber auch "von Übel erlösen" kann. Wir wollen lediglich die zwei gegensätzlichen Eigenschaften erwähnen, so daß wir sie in unseren Herzen erwägen mögen, um gewarnt zu werden, wo Warnung notwendig ist, und Ermutigung zu empfangen, wo dies angebracht ist.

Fußnoten

1. Vergleiche "Recent Developments in Cosmology", Nature ("Neuere Entwicklungen in der Kosmologie", Nature) 9. Oktober 1965. [back]