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Keine Stimme geht ganz verloren...

Die Worte von Menschen, die schon lange tot sind, werden meine Seele aus den dunklen Tiefen der alles verschlingenden Zeit erreichen. - Vusamazulu C. Mutwa, Inbada, My Children

 

 

 

Im Mittelalter verloren wir in Europa das Vermächtnis aus den Kulturen der Völker, die vor uns da waren. Mit Mühe und Anstrengung entdecken wir, oft durch Inspiration geleitet, mit Hilfe der manchmal sehr wertvollen, aus der Beschäftigung mit Liebhabereien gewonnenen Begeisterung, die Verbindung wieder. An vielen Stellen verborgen existiert noch manches von der früheren Gelehrsamkeit in zerstreuten Fragmenten, entweder als Zitate in den Schriften einiger Autoren oder unter den Trümmern der Städte, im Staub der Gewölbe alter Klöster, Synagogen und anderer Gebäude. Geschichten darüber, wie das, was verloren war, gefunden wurde, werden in einem neuen Buch von Leo Deuel1 in sehr lebendiger Weise erzählt. Genauso wie viele Verbindungen zwischen dem alten Europa und den benachbarten Zivilisationen in Vergessenheit gerieten, verblaßte im Gedächtnis Asiens in ähnlicher Weise die Erinnerung an Kapitel aus der eigenen Geschichte. In China zum Beispiel bedurfte es der Anstrengungen von Sir Aurel Stein, um uns den Glanz der T'ang und der Sung Periode wieder vor Augen zu führen. Denn nicht nur die Spuren von Tun Huang mit seinen "Höhlen der Tausend Buddhas" wurden durch den Sand der Wüsten Innerasiens ausgetilgt, sondern auch die Existenz solcher Städte wie Sha Chou war späteren Generationen nicht mehr bekannt.

Das gleiche gilt von einst bevölkerten Stätten im nahen und mittleren Osten. Von den frühen Bewohnern des Gebietes von Palästina wurde lange Zeit angenommen, daß sie so unbedeutend waren, wie sie im Alten Testament geschildert wurden. Französische Archäologen gruben dann 1929 in Ras Shamra (Syrien) eine Tempelbibliothek aus, die aus Tontafeln bestand. Diese reichte bis in das fünfzehnte Jahrhundert v. Chr. zurück. Weitere Ausgrabungen förderten die Überreste der einst bedeutenden Stadt Ugarit zutage - die Bedeutung ihres Namens kann nur nach Entzifferung ihrer Sprache gegeben werden - wodurch wir erst erfuhren, daß ein solcher Ort überhaupt existierte und somit ein greifbarer Beweis geliefert wurde, daß Syrien-Palästina schon lange ehe sich das jüdische Volk dort niederließ, eine hoch entwickelte Literatur besaß. Der Inhalt der in den verschiedenen Bibliotheken entdeckten Tontafeln ermöglicht uns den Zugang zu einer ganz neuen Kategorie alter Schriften, einschließlich "einer eindrucksvollen mythologischen Sammlung", die einem Vergleich mit der griechischen stand hält. Bibelstellen, die uns früher zu unklar erschienen, um sie verstehen zu können und über die endlose Kommentare und Erklärungen geschrieben wurden, sind jetzt verständlich, denn sie wurden von der alten kanaanitischen Kultur übernommen. Während der Lehrplan vieler unserer theologischen Seminare früher für das Studium des Alten Testaments Arabisch obligatorisch einschloß, nimmt jetzt Ugaritisch diesen Platz ein. Mr. Deuel bemerkt hierzu: "Die Sprache und der Ort waren jedoch vor knapp fünfunddreißig Jahren noch vollkommen unbekannt.

Diese und andere Beispiele, die wir anführen könnten, deuten eine fast zyklische Aufeinanderfolge schöpferischer Perioden und Unterbrechungen an, wobei Höhepunkte des Fortschrittes und der ästhetischen Verfeinerung von Aberglauben und Dogma wieder zusammenbrechen, und dann wieder frühere Anstrengungen zu neuen Höhepunkten führen.

Hesoid sagte, daß "Keine Stimme, welche die Stimme vieler Menschen ist, gänzlich verloren geht." Das ist wahr, denn sie wird im Verlauf von Generationen über weite Gebiete und lange Zeiträume verbreitet. Sie kann von einem Schauplatz verschwinden und früher oder später wieder ertönen, oder sogar in einem ganz anderen, weit entfernten Volke in Erscheinung treten, denn Verstehen und Erkenntnis bahnen sich überall einen Weg. Verwandte Seelen tauschen aus, was sie zu bieten haben, wobei sie oft unsichtbare Verbindungswege benützen. Hierfür kann es von Nutzen sein, Worten und Ausdrücken im Labyrinth der menschlichen Sprachen nachzuspüren.

Stellen wir uns vor, unsere großen Bibliotheken würden alle von Eindringlingen aus einem anderen Universum zerstört und nur siebzehn Bücher gerettet - jene siebzehn Bücher bestünden aus Kalendern, astronomischen Aufzeichnungen, einem Buch über schwarze Magie, einem Verzeichnis religiöser Feste und nationaler Feiertage, einem astrologischen Horoskop, einer Beschreibung der Siege des ersten Weltkrieges und dem Stammbaum einer prominenten Familie! Was würden die Eindringlinge von unserer Zivilisation denken, wenn ihre Historiker begännen, sie auf Grund des Inhalts jener siebzehn Dokumente zu analysieren? - Frederick Peterson, Ancient Mexico

Wenn die abgrundtiefe Unwissenheit in der europäischen Geschichte die vorhergehenden Epochen des freien Denkens und der duldsamen Aufgeklärtheit verfinsterte, war das kein dauernder Verlust. Auf die Jagd Petrarchs durch die Klöster Italiens nach Schriften des römischen Redners und Autors Cicero folgte eine Renaissance. Seine Begeisterung für seinen Helden steckte andere Florentiner an ebenfalls eifrig nach Manuskripten zu suchen, und aus ihrem vereinten Enthusiasmus erwuchs die humanistische Bewegung, die für "den Wert und die Vervollkommnung des Menschen" eintrat. Ihre Bemühungen retteten uns Schriften, die wir sonst nicht besitzen würden, denn von gewissen Werken, die sie mit viel Mühe abschrieben, sind Kopien alles, was uns jetzt noch verblieben ist. Wären wir solcher Hingebung fähig, mit der diese Menschen ihr Ziel verfolgten und wie Sklaven arbeiteten, um Faksimile von Dingen zu reproduzieren, die sie von ihren Besitzern nicht kaufen konnten? Aber es wäre ein Irrtum, anzunehmen, daß diese äußerlichen Umstände allein zu einer Wiederbelebung der Gelehrsamkeit führten. Der klassische Gärungsprozeß und der Platonismus, die im 14. und 15. Jahrhundert in Florenz ihren Ursprung und ihre Blütezeit hatten, wurden tatsächlich aus solchen Entdeckungen geboren; aber diese waren nur die Werkzeuge, die von der fragenden menschlichen Geist-Seele jener benützt wurden, die mit viel größerer Macht arbeiteten, als sie ahnten.

Es ist für uns schwer zu begreifen, daß noch vor wenigen Jahrhunderten in Europa viele bekannte Persönlichkeiten auf ihre Unwissenheit sehr stolz waren! In Italien, einst der Mittelpunkt des mächtigen römischen Reiches, wußten spätere Generationen nichts mehr von den Errungenschaften ihrer Vorfahren: den Werken der lateinischen Schriftsteller, von denen sogar die Namen in Vergessenheit geraten waren. Den wenigen bekannten Namen wurden gegenseitig die verschiedenen Schriften zugeschrieben. So wurde zum Beispiel von Pindar gesagt, er habe die Ilias geschrieben. Kein Wunder, daß wir so wenig über die Zivilisationen der Etrusker, Phönizier und Karthager wissen, um nur einige anzuführen. In gleicher Weise sind die Lücken in unserer Kenntnis der Zivilisationen Altamerikas und Chinas sehr groß. Was die Zeit auszulöschen versäumte, haben die Hände der Fanatiker zerstört.

Die unproduktive Periode zwischen der früheren schöpferischen Epoche und unserem eigenen Zeitalter ergab sich aus dem Untergang der ursprünglichen Kulturzentren. Die Glieder in der Kette zerrissen, als die großen Bibliotheken vernichtet wurden. Wir empfinden mit dem Historiker Edward Gibbon den enormen Verlust, als mit den Büchern und Kunstwerken, die einst der Stolz unserer Vorgänger waren, ein Freudenfeuer angezündet wurde. Wenn sich die Namen von Alexandrien und Pergamon wie ein bis ins 20. Jahrhundert ertönendes Grabgeläute anhören, so ist ihr Schicksal dennoch nicht einmalig - denn Buchverbrennungen erfolgten in China schon vor über 2000 Jahren, und zur Schande des modernen Menschen auch in unserer Zeit! Sie gehören zu einer langen Liste seltsam klingender Namen, die amerikanischen Völker eingeschlossen, deren Kulturen verschwanden, nachdem die spanischen Konquistadoren die Wunder der alten Neuen Welt zerstörten. Und weil unsere Aufzeichnungen so dürftig sind, setzen wir herab, was frühere Rassen hervorbrachten und was sie uns mit der Zeit näher bringt, als es eine vollkommen unabhängige Prüfung des Beweismaterials zuwege brächte.

Jede kleine Gemeinde hat heute ihre öffentliche Bibliothek, und die Bürger der größeren Städte weisen mit Stolz auf ihre Gebäude, in denen große Schriftensammlungen in vielen Sprachen über alle möglichen Themen untergebracht sind. Sie schließen sich den großen Literatursammlungen an, die mit den Namen der Gelehrten Assyriens, Babyloniens, Sumers, Akkadiens, Altägyptens, Griechenlands und Chinas und mit denen der indischen Philosophen verbunden sind, denn in unserer Zeit ermöglicht die fortschreitende Bildung jedem den Zugang zu allen Wissensgebieten. Wir können unbehindert an den neuen Entdeckungen alter Schriften teilhaben, die unter in Jahrtausenden angehäuften Schutt gefunden werden.

Leo Deuels Buch eröffnet uns ein sich immer mehr weitendes Panorama menschlicher Errungenschaften. Es zeigt, daß Ägypten als entsprechendes Beispiel, weit mehr ist als ein Museum seiner eigenen Zivilisation. Am Kreuzungspunkt der Wege von Europa und Asien liegend, hat Ägypten über die Zeitalter hinweg sowohl die Werke von Griechen und Römern, Gnostikern und sich abspaltenden jüdischen Gemeinden als auch das Strandgut individueller Schöpfungen in Briefen an Familien und Freunde bewahrt. Die verschiedensten Schriftrollen waren den Verstorbenen ins Grab mitgegeben worden - ein Überbleibsel des ehrwürdigen ägyptischen Brauches, den Mumien den Text des sogenannten 'Totenbuches' beizulegen. Aus all dem entsteht ein neues Bild vom früheren Leben Europas; selbst die Kreuzzüge erscheinen uns in anderem Lichte, wenn wir Mitteilungen lesen, die Menschen austauschten, die in Gebieten lebten, in denen Tausende von Kreuzfahrern ihre Spuren hinterließen. Wie ist es möglich, daß dieser ganze Reichtum an Information begraben und vergessen werden konnte? Vielleicht können wir die Bibliothek von Alexandrien näher betrachten, um zur Fülle der Angaben, die Mr. Deuel anbietet, noch etwas beizutragen, da er sich hauptsächlich mit der Entdeckung und Aufbewahrung alter Manuskripte und Bücher befaßt.

Das mit Recht berühmte Zentrum in Alexandrien wurde von Ptolemäus Sotor, einem der Generäle, denen Alexander der Große am "meisten vertraute", unter der Aspiration seines Freundes Demetrius gegründet, der ein Schüler von Theophrastus, dem Nachfolger des Aristoteles war. Es wurde etwa am Anfang des dritten Jahrhunderts v. Chr. neben dem Museion, der ersten Universität im modernen Sinne, errichtet und umfaßte in der ersten Zeit über 500000 Werke mit einem Katalog, der aus 120 Bänden bestand. Das ist die "Mutter"-Bibliothek. Sie wurde um 48 v. Chr. durch ein von Julius Cäsar gelegtes Feuer zerstört.

Kleopatra erneuerte die Institution im Serapeum, einer Gruppe von Gebäuden, die das Zentrum der veränderten, 'modernisierten' Religion des Osiris bildeten. (Um sie von der älteren zu unterscheiden, wurde sie die "Tochter"-Bibliothek genannt.) Diese Sammlung wuchs auf über 700000 Rollen an. Alles zusammengenommen überlebte die Alexandrinische Bibliothek viele Feuer und Plünderungen. Der christliche Patriarch Theophilus ermutigte 391 n. Chr. 30000 rasende Mönche, sie auszuplündern. Sein Neffe, der Patriarch Cyril, führte 415 n. Chr. einen weiteren Überfall auf die Bibliothek durch. Dabei wurde auch Hypatia, die letzte der neuplatonischen Philosophen Alexandriens, ermordet. Wenn sie auch bedeutend kleiner geworden war, hörte die Bibliothek nicht auf zu bestehen, bis sie im siebenten Jahrhundert n. Chr. schließlich bei einem Überfall auf das Serapeium von den kriegerischen Anhängern des Islam dem Erdboden gleich gemacht wurde.

bild_sunrise_21967_s64_1Die Alexandrinische Bibliothek war mehr als eine bloße Sammlung von Büchern, denn in ihr nahm eine wissenschaftliche, religiöse und philosophische Bewegung ihren Anfang, die von der Zeit Ptolemäus Soters an über tausend Jahre währte. Obgleich bei jedem Aufruhr Manuskripte verbrannt, zerstreut oder verborgen wurden, wurde das, was sie verkörperte, in Untergrundbewegungen und, was noch wichtiger ist, in menschlichen Herzen bewahrt. Genauso wie Platos Werke vor vier- oder fünfhundert Jahren nach vielen Jahrhunderten der Mißachtung und Unterdrückung wieder entdeckt wurden und von neuem ein Aufflammen freien und individuellen Denkens bewirkten, so können die Funde des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts eine ähnliche Wirkung haben. Die 1945 bei Nag-Hammadi in Oberägypten gefundenen gnostischen Bücher und die kurz nachher in Jordanien entdeckten Schriftrollen vom Toten Meer, sind nur eine der wenigen Möglichkeiten, um Licht in die Gedankenatmosphäre zu Beginn der uns bekannten europäischen Zivilisation zu bringen. Wir erneuern unsere Bekanntschaft mit den spirituellen Eigenschaften, die damals unbestreitbar vorbanden waren und durch Materialismus und in der sich daraus folgernden verstärkten Selbstsucht verdunkelt wurden.

Bildtext: Eine ägyptische Papyrusrolle in hieratischen Schriftzeichen.

Wir mögen uns machtlos fühlen, den Zug der Zeit nach der einen oder anderen Richtung zu beeinflussen, aber in Wirklichkeit kann selbst unsere Passivität, unsere Trägheit oder negative Haltung, eine so starke Wirkung haben, wie die positive Einstellung. Deshalb sollten wir den individuellen Standpunkt nie zu gering einschätzen. Um die Sache zu erläutern, wollen wir Mr. Deuel ergänzen und uns den chinesischen Annalen zuwenden, in denen wir von Menschen erfahren, die in der Lage waren, trotz aller Widerwärtigkeiten wertvolles Material aufzubewahren.

Im 3. Jahrhundert v. Chr. überwältigte der Herzog von Ch'in seine Nachbarn und Rivalen durch Kriege, grausame Ermordungen und Intrigen, um Huang-ti, Kaiser eines wiedervereinigten Landes, zu werden. Er ist in der Geschichte als Shih Huang-ti, Begründer der Ch'in Dynastie, bekannt, von welcher die ganze Nation ihren gegenwärtigen Namen hat: China. Wie ein Diktator modernen Stils befahl er die erste Verbrennung von Büchern, über die wir einen schriftlichen Bericht haben - er wollte, daß man annahm, die chinesische Zivilisation begänne mit seiner Regierung. Aber an vielen Orten, die sein starker rechter Arm nicht erreichen konnte, wurden alte Texte aus weit zurückliegenden Tagen der ersten erleuchteten Regenten und die Schriften von Konfuzius, Laotse und ihrer Anhänger verborgen, bis Shih sterben würde. Nach elf Jahren despotischer, wenn auch sehr tüchtiger Regierung, wurde die eiserne Hand fortgenommen und jene, die die alten Bücher sicher aufbewahrt hatten, brachten sie wieder ans Licht.

Andererseits muß allerdings auch gesagt werden, daß die sich ansammelnde Menge Literatur, die in den Jahrtausenden aufeinanderfolgender chinesischer Zivilisationen entstand, das schöpferische Potential jüngerer Generationen leicht zu Staub hätte zermalmen können, wenn nicht alle paar Jahrhunderte ein Aussieben stattgefunden hätte. Jene Werke, die von den kaiserlichen Beamten der Erhaltung wert befunden wurden, bewahrte man entweder ganz oder in einer Zusammenfassung auf. Selbst das verhinderte aber nicht, daß die Bedeutung dieser kurzen, ausgesuchten Texte im Verlauf der Zeit späteren Generationen unverständlich wurde. Die Aufeinanderfolge der Dynastien fiel, wie das Rollen von Woge um Woge, häufig zeitlich zusammen mit dem Aufstieg einer Kultur zu ihrem Höhepunkt, die dann in sittliche und geistige Verkommenheit ausartete, aus der dann wiederum die folgende Woge kam. So schuf der emporstrebende menschliche Geist in der T'ang, Sung, Ming und Ch'ien Lung Periode in der Kunst und im Denken packende Darstellungen - um nur jene wenigen, dem Westen am besten bekannte Glanzpunkte zu erwähnen.

Gleichermaßen bezeugen in der alten Synagoge von Kairo gefundene Belege, daß Rabbis in der Geniza (Vorratskammer oder Geheimzimmer) verschiedene Rollen und andere Schriften aufbewahrten, die sie geheim hielten. Mr. Deuel beschreibt die Entdeckung des Geniza Schatzes durch Dr. Solomon Schechter vor nahezu siebzig Jahren. Die dem Vergessen entrissenen Fragmente werfen auf das allgemeine Leben im Mittelalter eine Fülle von Licht. So wurden auch klassische Werke in Bibliotheken der Vornehmen aufbewahrt, die in Pompeji und Herkulaneum lebten oder häufig vorübergehend aus Rom kamen, als die Lava des Vesuvs die beiden Städte begrub. Trotz der massenhaften Zerstörung durch Menschen, die nicht wußten, was sie in Händen hatten, wurden viele Bücher sorgfältig wieder hergestellt, eine gewaltige Aufgabe, wenn man bedenkt, wie brüchig sie nach dem Verkohlungsprozeß, den sie durchgemacht hatten, waren. Das bringt uns sozusagen "von den Toten" die Stimmen, wie die des Stoikers Chrysippus und die der Dichter und Philosophen zurück. Wir wußten nicht einmal, daß sie gelebt hatten, oder wir dachten bestenfalls, die spärlichen Hinweise in den Schriften anderer seien nur Legenden.

Doch der beste Träger von Stimmen der Menschen alle Zeiten hindurch ist die Seele: denn was diese Stimmen auch immer zum Ausdruck bringen, kommt von dort: Sie ist die Quelle ihrer Inspiration, der Ursprung ihrer tiefsten Gedanken und sogar des Denkprozesses selbst. Wir brauchen uns wegen des noch unentdeckten Goldes, das unsere Vorfahren aus dem kostbaren Metall der Erfahrung und den Eigenschaften des menschlichen Geistes gewonnen haben, nicht zu grämen. Der durch die Alexandrinische und andere Bibliotheken verkörperte unermeßliche Reichtum des Denkens und Empfindens der Vergangenheit wurde nicht mit diesen vernichtet. Wir alle haben die "Rollen" der wunderbarsten Erkenntnisse über die Bedeutung des Lebens und unseres Anteils daran in uns eingeschlossen. Wir können der Intuition lauschen und die in den scheinbar unbedeutenden Ereignissen unseres Alltags verborgenen Bedeutungen wahrnehmen. Das schöpferische Feuer, das all diese früher allgemein verbreiteten Bücher schuf, - einige davon sind jetzt wieder entdeckt - brennt noch in unseren Herzen. Wir können neue und bedeutendere, als all jene, die verloren gingen, hervorbringen - unser innerstes Selbst sorgt für den dauernden Verbindungskanal.

Fußnoten

1. TESTAMENTS OF TIME: The Search for Lost Manuscripts and Records von Leo Deuel. Alfred A. Knopf, New York, 1965. 590 Seiten mit Bibliographie, Index und umfangreichen Illustrationen, $ 8.95. [back]