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Denn der Herr, dein Gott

Denn ich, Jehova, dein Gott,

bin ein eifernder Gott, der die Ungerechtigkeit

der Väter heimsucht an der Kindern, ja,

am dritten und am vierten Gliede derer,

die mich hassen.

- 5. Mose 5, 9

 

 

 

Diese schreckliche Erklärung blieb in meinem Gedächtnis haften seit dem Tage, an dem ich sie als Kind in der Schule auswendig lernte. Für mein kindliches Gemüt war das absolute Ungerechtigkeit und Grausamkeit. Das reifere Alter hat meine Meinung nicht gemildert, und ich glaube, dieser einzige Vers bei Moses hat seitdem immer meine Vorstellung von Religion beeinflußt. Dieser Gott Jehova ist sicherlich nicht der Gott der Liebe von Jesus? Ein Gott, der durch Jesus sagen konnte: "Lasset die Kindlein ... zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich", konnte nicht die Sünden irgendeines anderen an unschuldigen Kindern heimsuchen.

Wir müssen zugeben, daß wir Gott, wenn er unendlich, allmächtig und allwissend ist, überhaupt nicht beschreiben können, aber es ist fast ebenso schwer, sich vorzustellen, daß er eifersüchtig, rachsüchtig und voller menschlicher Schwächen ist. Gibt es dann in dem christlichen Pantheon zwei Götter? Können wir wirklich sagen, daß das Christentum eine monotheistische Religion ist? Sicherlich würde es Staub aufwirbeln, wenn wir das bezweifeln würden, denn der Monotheismus ist die Lehre, über die Christen und Juden wahrhaft einig sind, und gerade hierin fühlen sie sich den heidnischen Religionen und der himmlischen Ordnung der Hindus gegenüber überlegen. Doch, wenn es nur einen Gott gibt, welcher ist es - der Gott Jehova oder der Vater, von dem Jesus spricht?

Eine orthodoxe Kirchenlehre, die die meisten von uns vergessen haben, ist, was man die Hierarchie von Himmel und Hölle nennen könnte. Wir machen uns keiner Ketzerei schuldig, wenn wir von Engeln, Erzengeln, Fürsten, Mächten, Würdeträgern, von Patriarchen und Heiligen sprechen. Was sind diese Wesenheiten in der christlichen Ordnung nun wirklich? Ich glaube, um Erklärungen über manche von ihnen zu finden, müßten wir uns neben der Bibel an gnostische Dokumente, an griechische und andere Quellen wenden, aber ich möchte mich auf die in der Bibel enthaltenen Hinweise beschränken. Die ersten Christen dachten viel über Angelologie (Lehre von den Engeln) und ihre charakteristischen Merkmale nach. Über die Ophiten1 sagt Petrus: "Sie sind frech, eigensinnig, sie erzittern nicht, die Majestäten zu lästern." (2. Brief 2, 10). Judas unterstützt Petrus darin; auch er spricht von dem Erzengel Michael, aber, "da er mit dem Teufel stritt, wagte er das Urteil der Lästerung nicht zu fällen", (Brief Judas 9) vermutlich weil der Teufel als ein gefallener Engel selbst eine dieser Majestäten war.

Auch Paulus bejahte die Existenz dieser Mächte, warnte aber die Kolosser (2, 18) vor der "Anbetung der Engel." Dann gibt es die wohlbekannte Stelle aus seinem Brief an die Epheser (6, 12): "Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel." Und wiederum an die Kolosser (1, 16): "Denn durch ihn ist alles geschaffen, ... das Sichtbare und Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Obrigkeiten ..." Für die Jünger wie für Paulus gab es nur einen Vater im Himmel, aber sie erkannten ohne Zweifel die Existenz anderer Wesenheiten zwischen Himmel und Erde an. Man wird an die Leiter Jakobs erinnert und an seine Vision einer auf- und absteigenden Hierarchie zwischen Mensch und Gott.

Hat Jehova einen Platz auf dieser hierarchischen Leiter? Augenscheinlich ist er eine vermenschlichte Gottheit - das vollkommene Modell jenes alten Herrn im Gehrock und mit wehendem Bart. Nach der Bibel war er auch der Schöpfer von allem, das Böse in der Welt eingeschlossen: "Der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe, den Frieden mache und das Unglück schaffe; ich, Jehova, bin es, der dieses alles wirkt." (Jesaia 45, 7). Ein anderer Vers lautet: "Ich bin Jehova, und sonst ist keiner, außer mir ist kein Gott." (Jesaia 45, 5). Für das am Buchstaben hängende Gemüt ist das eine kategorische Entscheidung für die höchste Gewalt des Herrn der Heerscharen. Doch wir wollen weiter nachschlagen: "Ich habe die Erde gemacht und den Menschen auf ihr geschaffen; meine Hände haben den Himmel ausgespannt ..." (Jesaia 45, 12). Augenscheinlich haben wir hier jemanden vor uns, der erschafft, der Formen hervorbringt. Er ist tatsächlich ein Baumeister; und selbst wenn wir zugeben, daß es keine geringe Arbeit ist, die materielle Welt, so wie wir sie kennen, ins Dasein zu rufen, muß es einen Architekten geben, der dahinter und darüber steht. Übrigens ist dieses physische Universum, wie wir es sehen, aus Paaren von Gegensätzen aufgebaut. Nichts was wir sehen, hören, schmecken, riechen oder fühlen, kann ohne sein Gegenteil bestehen - Licht und Dunkelheit, Lärm und Stille, Gut und Böse, das Süße und das Bittere, das Harte und das Weiche. Das seltsame ist, daß das Wort Jehova selbst eine Zusammensetzung aus Gegensätzen darstellt: Jod (oder Yodh) und He-Va, das mit Adam-Eva übersetzt werden kann!

Wenn wir Jehova entpersonifizieren, indem wir unseren Begriff von Gott über die Stufe von Gehrock und Bart erheben, scheinen wir zu einem Prinzip zu gelangen, das sich mit der aufbauenden und gestaltenden Seite der Natur befaßt. Das Alte Testament betont die "rachsüchtige" Seite der Natur, aber es enthält auch Hinweise auf Zusammenleben und Zusammenarbeit: "und der Güte erweist, auf Tausende hin, an denen, die mich lieben und meine Gebote beobachten." (5. Mose 5, 10). Man wird an ein Gebot aus einer anderen Schrift, diesmal aus dem Osten, erinnert: "Hilf der Natur und arbeite mit ihr; und die Natur wird dich als einen ihrer Schöpfer betrachten und dir gehorsam sein."

Es wäre sonderbar, wenn sich dieser schreckliche Gott Jehova nur als ein der Tätigkeit des Naturgesetzes verliehener Name erweisen würde. "Auge um Auge, Zahn um Zahn" ist nicht der ausdrückliche Befehl, den wir von dem "Vater", von Jesus erwarten würden, aber es ist sicherlich ein Weg, wissenschaftlich Ursachen zum Ausdruck zu bringen. Wenn ich einen elektrischen Draht berühre, werde ich elektrisiert; wenn ich Wind säe, werde ich Sturm ernten. In der Tat, die zehn Gebote, die Moses von dem Herrn gegeben wurden, bilden eine einigermaßen wissenschaftliche Darstellung der dem menschlichen Wohlergehen zu Grunde liegenden Prinzipien. Und diese bête noire meiner Kindheit, jener eifrige Gott, der die Sünden der Eltern an ihren Kindern heimsucht - wie verhält es sich mit ihm? Von der Seite der Vererbung gesehen ist es eine Tatsache, denn wir 'erben' Anlagen von unseren Eltern und ohne Zweifel viel weiter zurück als nur vier Generationen! Der Hauptpunkt ist hier, daß als Ursache hinter alledem nicht irgendein mißgünstiger Gott steht, sondern eben natürliches Gesetz.

Ich weiß, daß jene, die Jehova und seinem Regiment der Furcht ergeben sind, sich mit "gerechtem Zorn" von dieser Gedankenrichtung abwenden werden - wenn wir glauben, daß Zorn je gerecht sei! In jeder Religion wird es immer Extremisten geben, aber haben wir nicht das Recht, vom starren Festhalten am Buchstaben abzuweichen? Es mag hier am Platze sein an eine Stelle im Zohar, dem Hauptbuch der hebräischen Kabbalisten, zu erinnern, die uns warnt, in der Thora oder dem "Gesetz" (die ersten fünf Bücher der Bibel) nur "alltägliche und allgemeine Erzählungen" zu sehen:

Nein. Jedes Wort des Gesetzes enthält einen erhabenen Sinn und ein wahrhaft himmlisches Geheimnis. ... So wie die spirituellen Engel irdische Gewänder anlegen mußten, als sie auf diese Erde herabstiegen und auf ihr hätten weder bleiben können noch verstanden worden wären, wenn sie nicht solche Gewänder angelegt hätten, so ist es auch mit dem Gesetz. ... Die Verständigen sehen dabei nicht auf das Gewand (die bloßen Erzählungen), sondern auf den darunter befindlichen Körper (die innere Bedeutung), wogegen die Weisen, die Diener des himmlischen Königs, ... auf nichts als auf die Seele (die geheime Lehre) sehen. - Kap. III, 152 b

Der Gott oder die Götter, die wir verehren, können letzten Endes nur verschiedene Erscheinungsformen des Einen Höchsten Geistes sein, obwohl sie gegensätzlich erscheinen.

Fußnoten

1. Schlangenanbeter (gnostische Sekte, die die Schlange des Paradieses als Vermittlerin der Erkenntnis verehrte) [back]