Die Ursprünge des alten Amerikas – I.
- Sunrise 3/1966
Der Schöpfer mochte die Welt - komm und sieh sie Dir an. - Gebet der Pimas
Die alte Festung Sacsayhuaman schaut auf die vorinkaische Stadt Cuzco in Peru herab. Ihre mächtigen Anlagen bedecken mehrere hundert Morgen einer Bergspitze, die nivelliert wurde. Die in Zickzacklinien verlaufenden, mit Durchgängen versehenen Mauerreihen sind aus Steinen gehauen, die ein Gewicht von 200 und sogar 300 Tonnen aufweisen und so kunstvoll zusammengefügt sind, daß es noch heute, nachdem Jahrhunderte vergangen sind unmöglich ist, eine dünne Messerklinge in die Fugen einzuschieben. Zement oder Mörtel wurde nicht verwendet. So exakt wurden die Mauerarbeiten durchgeführt, die sich stellenweise bis zu 20 m erheben, daß diese Hilfsmittel nicht benötigt wurden. Noch bemerkenswerter ist es, daß die Steine nicht in regelmäßiger, geometrischer Würfelform zugeschnitten wurden. Die Arbeit ist zyklopischer Natur, d. h. die Blöcke sind in Größe und Form verschieden, einige mit vielen Flächen und Winkeln, wobei sie so hergerichtet sind, daß wie bei einem Zusammensetzspiel ein vollkommenes Ineinanderpassen erreicht wurde. Das Material ist Andesit "aus den Anden", mit einer Härte, die dem besten Stahl widersteht. In Ollantay verwendeten diese unbekannten Ingenieure rosa Granit in demselben zyklopischen Stil. Aus dem Steinbruch transportierten sie gewaltige Steine einen steilen Bergabhang hinauf, überquerten zwei große Flüsse, trugen diese Steine viele Kilometer und hoben sie schließlich empor, um die oberen Reihen massiver Mauern damit auszufüllen. Wer waren diese urzeitlichen Erbauer? Wie und wann wurden diese Ingenieurleistungen und viele andere gleichartige Arbeiten ausgeführt?
Um uns herum sind überall Kontinente, die von Leben strotzen. Heutzutage ist wenigstens etwas über beinahe jedes Gebiet der Erde und seine Bevölkerung bekannt. Das war nicht immer der Fall. Im Mittelalter war Europa vollständig abgeschlossen gewesen ohne Kenntnis der Dinge außerhalb seiner Grenzen. In jenen Tagen war der Orient zu einem unbestimmten Begriff geworden, Afrika war mit einem Geheimnis umgeben und der amerikanische Kontinent vollständig unbekannt. Die Kreuzzüge brachten eine Änderung. Als ein Religionskrieg angefangen, endeten diese seltsamer Weise in einem kulturellen Austausch. Die Sarazenen halfen nur dabei, uns an das verlorene klassische Erbe zu erinnern, und sie brachten uns wieder in Verbindung mit dem Nahen und Fernen Osten. Dann begab sich Marco Polo im dreizehnten Jahrhundert auf seine berühmte Reise. Verwegene Seefahrer umsegelten Afrika, erreichten Indien und als sie westwärts segelten, um mit China in Verbindung zu kommen, entdeckten sie schließlich eine neue Welt zwischen Europa und dem Orient - eine Welt, die von Millionen "Indianern" verschiedener Zivilisationsstufen bevölkert war.
Der Einfluß des amerikanischen Kontinents auf die übrige Welt ist ganz gewaltig gewesen. Die unmittelbarste Wirkung ergab sich seinerzeit anscheinend aus geplündertem Gold und Juwelen, die sich in spanische Truhen ergossen, so daß Spanien mehr als die Hälfte des Goldes in Europa besaß. Nach A. H. Verrill1 hat allein Pizarro von den Inkas Wertgegenstände im Betrage von über 100 Millionen Dollars geraubt! Wunderbare Kunstgegenstände wurden in Barren eingeschmolzen. Und wie wurde dieser Kontinent durchwühlt! Schließlich setzte jedoch eine Gegenbewegung ein, und eine ständig wachsende Zahl von Kolonisten ergoß sich aus allen Teilen Europas in die neuen Länder. Das übrige ist Geschichte.
Was man sich im allgemeinen nicht vergegenwärtigt ist der Einfluß, den der amerikanisch indianische Beitrag auf die übrige Menschheit ausgeübt hat. Man schätzt z. B., daß beinahe die Hälfte der menschlichen Ernährung in der gesamten Welt aus Pflanzen herrührt, die bis zur Entdeckung Amerikas unbekannt waren. Darunter fallen die Kartoffel (einschließlich der süßen Abart), der Mais in verschiedenen Arten, die Tomate, die Schokolade, Kürbisarten, die Erdnuß, Kaschunuß, Paranuß, andere tropische Nußarten, Lima- und weiße Bohnen, die Ananas, die Erdbeere, die Avocadofrucht und Topinambur. Nicht lange nach den Reisen von Kolumbus wurde Schokolade in Spanien so populär, daß Kirchenbesucher durch das Essen von Schokolade den Gottesdienst störten! Auf dem amerikanischen Kontinent wurde eine Anzahl von Arzneimitteln verwendet, wovon viele in Europa unbekannt waren. Darunter befinden sich Kokain, Chinin, Faulbaumrinde, Sarsaparille, Rhabarber, Wintergrün, Sassafras, Arnika, Alraune, die Schafgarbe und viele andere. Gummi und Chicle fanden in der "Alten Welt" zum erstenmal Eingang. Dies trifft auch für Tabak in allen Formen zu. Diese Zusammenstellung könnte noch beliebig erweitert werden. Indianische Beiträge haben das moderne Leben verändert und haben sich als weitaus wertvoller erwiesen als alles Gold und die Juwelen, die den sogenannten wilden Heiden entrissen wurden. Oft wurden von den 'zivilisierteren' Eroberern Torturen durchgeführt, um die Verstecke der Reichtümer in den betreffenden Ländern ausfindig zu machen oder den christlichen Glauben unter der Drohung von Todesqualen und Verdammnis aufzuzwingen.
Als die Spanier an den Küsten landeten, wurde die Bevölkerungszahl in Nord- und Südamerika auf insgesamt 75 Millionen geschätzt. Viele und wahrscheinlich die meisten Gebiete schienen entweder besiedelt zu sein, erweckten den Anschein, daß dies einmal der Fall gewesen war oder waren unbewohnbar. Von Anfang an haben Gelehrte und später Wissenschaftler den Ursprung dieser interessanten und mannigfaltigen Rassen zu ergründen versucht. Diese Frage ist noch längst nicht geklärt. In jedem Jahrzehnt werden Entdeckungen gemacht, die unsere Kenntnis über das Leben auf dem amerikanischen Kontinent bereichern und die bisher bekannte Geschichte der Menschheit hier auf immer ältere Zeiten zurückverlegen. Möglicherweise werden die Ergebnisse dieser Entdeckungen eines Tages Anthropologen völlig neue und erweiterte Informationen über den Ursprung des Menschen vermitteln. Wir sollten wenigstens unvoreingenommen allen Schlußfolgerungen, die aus diesen Ergebnissen hergeleitet werden können, gegenüberstehen ohne Rücksicht darauf, ob traditionelle Ansichten dagegenstehen. Wie sagt doch Kenneth Macgowan in seiner Early Man in the New World (Frühen Menschheit in der neuen Welt): "Der Student muß genauso wie der Wissenschaftler aufgeschlossen sein. Er darf weder an einem Dogma festhalten noch Theorien zurückweisen. Die Wahrheit liegt doch noch weit davon entfernt."
Leider hat Aufgeschlossenheit nicht immer die Geisteshaltung der Wissenschaftler dem Studium der Altertümer in der Neuen Welt gegenüber bestimmt. Da ihre Vorstellungen über die Evolution des Homo Sapiens auf gewisses Beweismaterial in der Alten Welt beruhen, wurde ständig versucht alle amerikanischen Funde in diese vorgefaßten Kategorien einzuzwängen. Die Vorgeschichte in Europa ist jedoch nicht zwangsläufig der Rahmen für die Vorgeschichte eines anderen Landes. Macgowan betont, daß sogar die Zeitalter der Menschheit, wie sie im Stein-, Bronze- und Eisenzeitalter zum Ausdruck kommen wenig bedeuten, außer in den Gegenden in welchen diese Entwicklungsstufen stattgefunden hatten. In Bezug auf die Menschheitsgeschichte auf dem amerikanischen Kontinent sagt er:
Die Arbeiten haben natürlich durch manche begrenzte menschliche Vorstellungen gelitten. Nicht zuletzt waren diese auf den Wunsch zurückzuführen Kenntnisse zu schnell zu interpretieren und in Formen und Gruppen festzulegen, wobei man dann starr an diesen Formen und Gruppen festhielt, wenn sie durch neuere Erkenntnisse erschüttert wurden. ...
Die Schematisierung ist eine Zeitlang ausgezeichnet, aber dann häufen sich neue Beweise, die nicht in den Rahmen passen. Zu jenem Zeitpunkt ist es leider zu spät die festgelegten Einteilungen zu ändern. In ganz allgemeiner Sprache ist dies die gegenwärtige Situation und wir haben uns hierin festgelaufen.
Eine der Annahmen, an der wir uns "festgelaufen" haben ist die, daß alle Völker der Neuen Welt aus Asien einwanderten. Sie hatten ihren Ursprung nicht in Amerika im Sinne Darwins durch die Fortentwickelung aus den niederen Tieren. Sie kamen über die Bering Straße in mehreren Wellen und fanden allmählich den Weg nach Süden, bis sie im Laufe von Tausenden von Jahren sogar die Südspitze von Südamerika erreichten. Eine andere Phase dieser Theorie ist die, daß einst der Mensch bei seiner Ankunft auf dem amerikanischen Kontinent von der übrigen Welt völlig isoliert wurde. Deshalb ist alles was wir vorfinden, alles was an Erfindungen, Charakterzügen, Leistungen existiert auf eigenem Boden gewachsen, d. h. es wurde von den Völkern in Amerika entwickelt. Mit anderen Worten gesagt, wurden diese Völker nach ihrer Wanderung durch Kontakte mit Zivilisationen in anderen Gebieten der Welt nicht mehr beeinflußt. Es wäre von Interesse zu wissen, wie lange diese platten Behauptungen unser Denken noch beherrschen werden.
Als Forscher anfingen über die amerikanischen Rassen nachzudenken, gerieten sie in eine Falle bei der Annahme, daß alle Indianer, bzw. alle Bewohner der Neuen Welt von Anfang an aus Asien kamen und daher asiatischen Ursprungs sein müßten, weil einige Indianer heutzutage mongoloides Aussehen zu haben scheinen. Die mongoloiden Völker sind durch glattes schwarzes Haar, hohe Backenknochen, braune Augen und die Falte über den Augen gekennzeichnet. Sie haben auch einen Flecken am unteren Teil des Rückgrats und eine charakteristische Schädelform. Alle vorerwähnten Kennzeichen scheinen bei vielen Indianern ebenfalls vorzuliegen.
Jedoch ist die Tatsache interessant, daß viele der vorgeschichtlichen Rassen in Amerika überhaupt nicht mongoloid zu sein scheinen. Anthropologen stimmen jetzt in der Auffassung überein, daß lange vor den sogenannten Indianern eine Invasion australoider Völker (mit langen Köpfen) stattgefunden hatte. Professor Hooton von der Harvard Universität gibt an, daß sich darunter Teile von Mittelmeer- und negroiden Rassentypen (wie auch Pygmäen) befanden. Beträchtlich später kamen überwiegend mongoloide (rundköpfige) Völkerstämme, aber auch diese waren mit andersartigen Rassemerkmalen durchsetzt, wie z. B. ein erhöhtes Nasenbein, das nicht mongoloid ist, aber bei vielen Indianern ein charakteristisches Merkmal darstellt. Man vermutete, daß dann die Algonkin Völker ca. 1000-500 v. Chr. und schließlich die Eskimos kamen, aber auch die letzteren bereits mit anderen Völkern vermischt waren. Nach den meisten Anthropologen ist dies die Reihenfolge der Wanderungen, wobei beharrlich daran festgehalten wird, daß alle Wanderungen über die Bering Straße erfolgten.
Es ist die allgemeine Ansicht, daß die Anwesenheit des primitiven Menschen in Amerika beweist, daß er zu einer Zeit in diesen Kontinent einwanderte, als die Völker in Asien und Europa gleichfalls primitiv waren. Später kamen höherstehende Rassen auch über "die nördliche Passage" in der Neuen Welt an, welche die amerikanischen Indianer wurden. Auf den Eroberungszügen nach dem Süden vermischten sie sich entweder mit den Eingeborenen oder trieben diese in entfernte Gegenden, wie Neufundland, das Amazonas Becken und Patagonien, wo sie bis zu der heutigen Zeit verblieben, an den alten Lebensgewohnheiten festhielten und allen Änderungen widerstanden. Professor Hooton betont, daß die Völker dieser späteren Wanderungen "zu einer höheren kulturellen Entwicklung befähigt gewesen sein mußten" als die zuerst gekommenen Völker. Daher sehen wir erst bei ihrer Ankunft die wirklichen Anfänge der landwirtschaftlichen Bearbeitung und andere Phasen zivilisierter Lebensformen. Somit gibt es die zwei Typen: der frühe, primitive Mensch und die späteren amerikanischen Indianer.
Wenn man genau studieren will, wie und wann der primitive Mensch nach Amerika gekommen sein könnte, ist es zunächst erforderlich die Eiszeiten in Betracht zu ziehen. Wenn wir in der Zeit zurückgehen, kommen wir zu ungeheuer langen Perioden, in welchen ein großer Teil Asiens und ganz Nordamerika ziemlich weit bis in den Süden der U. S. A. mit Eis bedeckt waren. Geologen schätzen in der Tat, daß es während der letzten hunderttausend Jahre nur drei Intervalle gab, in welchen das Eis soweit geschmolzen war, daß Tiere und Menschen über Land von Asien kommend auf dem Wege der Bering Straße und südwärts wandern konnten. Man glaubt, daß die Eismenge auf dem amerikanischen Kontinent dreimal so groß war wie in der Alten Welt und zweimal die Fläche bis zu einer durchschnittlichen Tiefe von 3000 Metern bedeckte. Soviel Wasser war in dieser gefrorenen Unwegsamkeit gebunden, daß die Ozeane möglicherweise 70-100 Meter zurückgetreten sind. Hierdurch wäre die Bering Straße zu einer trockenen Landbrücke geworden!
Wenn wir unsere Vorstellungen der Wanderungen auf die Bering Straße allein begrenzen, müssen wir die beinahe unüberwindlichen Schwierigkeiten in Betracht ziehen, die der frühe Mensch hätte auf sich nehmen müssen. Er mußte den Gletschern Asiens entfliehen und nach Überschreiten der Landbrücke sich Tausende von Meilen auf der amerikanischen Seite fortbewegen und auch hier den Gletschern ausweichen. Und das war noch nicht alles, denn anschließend stand der lange Treck nach Süden bevor - Männer, Frauen und Kinder mit allem Eigentum, was sie besitzen mochten - über langgestreckte Ebenen und durch Wüsten, durch beinahe unpassierbare Urwälder, 8-10000 oder noch mehr Kilometer bis Feuerland, wo nach den vorliegenden Anhaltspunkten der Mensch genau so primitiv ankam wie an dem Tage seines Aufbruchs. Wie lange würde so eine Reise dauern, besonders, wenn man berücksichtigt, daß die betreffenden Völker nicht wußten wohin sie wanderten und ebensogut nach Osten oder Westen wie nach Süden gewandert oder sich sogar unterwegs für die Dauer niedergelassen haben konnten?
Überreste von Stein- und Feuersteinwerkzeugen des frühen Menschen auf dem amerikanischen Kontinent sind erstaunlich verschieden. Oft sind die am besten gearbeiteten die ältesten, wie z. B. die schönen Folsom Spitzen, die in vielen Gebieten der U. S. A. zu finden sind. Einige davon stecken noch in den Rippen ausgestorbener Tiere. Vor ca. 8-10000 Jahren bewohnten Menschen eine Höhle (Fell's Cave) in der südlichen Spitze von Südamerika. Zur selben Zeit lebte ein ähnlicher Volksstamm in Nevadas Gypsum Cave 6-8000 km entfernt im Norden und beide Volksstämme töteten das Riesenfaultier für ihre Nahrung. In Fort Rock Cave, Oregon, fand man die Überreste Dutzender hervorragend geflochtener Sandalen, die man nach der Kohlenstoffbestimmungsmethode auf ca. 7000 v. Chr. datierte. Man weiß jetzt mit Bestimmtheit, daß vor 10-15000 Jahren Menschen Mammuts, vorgeschichtliche Auerochsen und Pferde (jetzt alle ausgestorben) jagten. Weiterhin wurden 1959 vier Bruchstücke von Knochen eines urzeitlichen Elefanten in der Nähe von Puebla, Mexico, entdeckt, in denen Tierköpfe in sorgfältiger Arbeit eingraviert waren, wie auch Abbildungen von Urelefanten und Jagdszenen, die "außerordentlich künstlerische Fähigkeiten" offenbaren. Diese Bruchstücke sind ungeheuer alt und haben möglicherweise ihren Ursprung vor der Eiszeit in Wisconsin, die von einigen auf 60-80000 Jahre zurückliegend geschätzt wird.
Wissenschaftler vergleichen und verarbeiten diese Informationen noch, denn infolge der dauernden Verlängerung des geschichtlichen Alters des amerikanischen Menschen und der Mannigfaltigkeit der gefundenen Überreste, beginnt die Theorie der Bering Straße auf unsicheren Füßen zu stehen. Einige Anthropologen glauben, daß im frühen Altertum andere Wege zur Neuen Welt bestanden haben mußten. Paul Rivet fand Parallelen zwischen der Sprache der Tshon in Patagonien und den Ureinwohnern von Australien, die Macgowan zu nahe beieinanderliegend fand, um auf bloßer Zufälligkeit zu beruhen. Gebogene Wurfhölzer, wie die Bumerangs in Australien, wurden in West Texas gefunden. Das gleiche gilt für die Speerwerfer und Rasseln, die dort typisch sind. Einige der ältesten Schädel haben Augenbrauen, die für die Eingeborenen von "dort unten" charakteristisch sind.
So bestand sogar unter den sogenannten Primitiven der Neuen Welt, die uns verstreute Überreste von Feuerstein und Steinwerkzeugen zurückließen, wie auch einige wenige Schädel, Gravierungen und Abbildungen, ein großer Unterschied in der rassischen Abstammung und Entwicklung. Aber wenn wir uns jetzt den neuzeitlicheren Bewohnern des amerikanischen Kontinents, wie wir sie im allgemeinen bezeichnen, zuwenden, nämlich den amerikanischen Indianern, den Azteken, Mayas, Inkas etc., die volkstümlich und einheitlich mehr oder weniger als mongoloide Abkömmlinge angesehen werden, erleben wir noch bemerkenswertere Überraschungen. Der Begriff "indianische Rasse" ist absurd, denn es ist unmöglich, die Völker, die man zu Kolumbus Zeiten vorfand, in eine einzige Kategorie zusammenzufassen. Alfred Kroeber führt aus, daß auf dem amerikanischen Kontinent 367 verschiedene Volksstämme existieren. Sie unterscheiden sich durch eine ungeheure Mannigfaltigkeit in allen körperlichen Merkmalen und Eigenschaften, ganz abgesehen von ihren Sprachen und ihrem kulturellen Niveau. W. W. Howells betont, daß sich die Indianer in den U. S. A. schon allein im Hautpigment, in der Größe und der Gesichtsform mehr unterscheiden als die ganze weiße Rasse.
Die folgenden Angaben aus Kenneth Macgowans Buch bestätigen diese Tatsache. Nach N. C. Nelson haben sich in Amerika ca. 160 verschiedene Sprachstämme und 1200 und mehr Dialekte entwickelt. Alfred Kroeber behauptet, daß Nord- und Südamerika "... mehr einheimische Sprachfamilien aufweisen als die ganze übrige Welt." Edgar Howard sagt, daß "... die Sprachen der Neuen Welt, außer der Eskimo Sprache keine erwiesene Verwandtschaft mit den Sprachen der alten Welt aufweisen."
Stellen Sie sich vor! Wir sollen glauben, daß alle diese ungeheuer verschiedenen Völker über die Bering Straße zwischen der letzten Eiszeit vor 10-20000 Jahren und der Ankunft der Algonkin Indianer 1000 bis 500 v. Chr. einwanderten. Man sagt uns, daß sie in Asien oder woher sie auch kamen, keine Sprachreste hinterließen, die irgendeine Ähnlichkeit mit den Sprachen, die sie hier sprechen, aufweisen. Weiterhin sagt man uns, daß sie sich auf dem Wege in die Neue Welt nicht miteinander im beträchtlichen Umfange vermischt haben konnten, denn sonst würden sich die 150 und mehr Sprachstämme in weitaus größerem Maße verschmolzen haben. Es ist schwierig, größere Unterschiede zu finden. Nach der Theorie jedoch behielten alle diese Völker ihre Individualität, wobei sie aus denselben allgemeinen Landgebieten kamen (ohne eine Spur zu hinterlassen), dieselbe Landbrücke überschritten und denselben langen Treck entlang des amerikanischen Kontinents durchführten. Trotzdem finden wir im Heritage Book of Indians (1961) die Feststellung, daß die Theorie der Wanderungen über die Bering Straße so allgemein von Fachleuten heute anerkannt ist, daß sie kaum weiterhin als Theorie betrachtet wird, sondern eine feste Tatsache darstellt!
Bildtext: Maya Hyroglyphen aus dem "Dresdner Codex".
Da ist noch mehr. Auf dem amerikanischen Kontinent fand man bislang 15 verschiedene Zivilisationen. Eine davon, die Maya Zivilisation baute über 4000 Tempelstädte aus Stein, eine andere in Peru baute eine gepflasterte Straße 8 m breit und in einer Länge von 6500 km über Berge hinweg, über Flüsse und durch Wüsten mit Tunnels und Hängebrücken, Meilensteine, Rasthausern und Posten, welche die Teile eines Reiches zusammenhielten, das größer als Europa mit Ausschluß von Deutschland und Rußland war. Zu der Zeit der Eroberung umfaßte der Aztekische Bund 10-15 Millionen Menschen verschiedener Volksstämme und Sprachen. Groß Mexiko City muß eine Million Einwohner gehabt haben. - Zu derselben Zeit war die Bevölkerungszahl in Spanien nur ca. viereinhalb Millionen und London war eine Stadt von 120000 Einwohnern.
Doch die meisten der größeren mexikanischen Bauten stammen aus der Zeit vor der aztekischen Zivilisation. Die zapotekische Stadt Monte Albán geht z. B. auf das Jahr 600 v. Chr. oder früher zurück. Diese alten Baumeister gestalteten einen Berg um, nivellierten die Spitze und schnitten Terrassen, Strassen und Plätze in die Bergseiten bis zur ebenen Erde. 300 m über der Talebene befand sich ein Tempel ohne Dach von 300 m Länge. Waffen wurden in den Gräbern nicht gefunden. Mönche nannten das Zeitalter, in welchem diese Bauten entstanden den "Zapotekischen Frieden", ein Frieden, der 1000 Jahre andauerte. Die massiven Pyramiden und das Observatorium des Monte Albán wurden nach den Worten von Helen Augur erbaut, um "den Menschen in die Vereinigung mit der Gottheit zu erheben." Man schätzt, daß noch über 2500 Stellen in Mexiko existieren, die noch zu erforschen sind.
Die großen Zeitalter der mexikanischen, Maya und peruanischen Kulturen geben uns insofern ein Rätsel auf, als mehrere Blütezeiten sich über lange zurückliegende Zeiträume erstreckten. Die Leistungen, welche diese Amerikaner im Altertum vollbrachten, sind so umfangreich, daß es unmöglich ist, sie im Einzelnen zu beschreiben. Die Feststellung möge genügen, daß sie alles das entwickelt hatten, was wir heute so schätzen. Die Kunstwerke waren hervorragend: Töpferei, Metallarbeiten jeder Art, Edelsteine, die so fein ziseliert waren, daß man ein Vergrößerungsglas bräuchte, um sie ganz erkennen zu können. Peruanische Webereierzeugnisse sind nirgends in der Welt je übertroffen worden. In den Wissenschaften war ihre Kenntnis in der Astronomie erstaunlich. Auch ihre Fähigkeiten mit grossen Steinblöcken umzugehen, sie kunstvoll zu formen und zu transportieren, waren hervorragend. Der Maya Kalender war etwas genauer als es der unsrige ist. In Peru beförderten Bewässerungskanäle Wasser über Hunderte von Kilometern und machten eine Wüste fruchtbar. Sogar vor dem Zeitalter der Inkas besaßen die Chimus eine beträchtliche medizinische Kenntnis. Sie waren imstande innere Organe und Augen zu entfernen, Schädelbohrungen durchzuführen, also beschädigte Teile des Schädels mit Silber oder anderen Platten mit Erfolg zu ersetzen. Goldbrücken sind entdeckt worden, so daß Zahnheilkunde daher bekannt gewesen sein muß. Fast alle unsere auf natürlicher Grundlage beruhenden Arzneimittel wurden von den Völkern in Mittel- und Südamerika verwendet. Hätte ihre Literatur den priesterlichen Fanatismus überlebt, wären wir vielleicht jetzt imstande einige der Krankheiten zu heilen, die uns noch rätselhaft sind. Es wurde jede Art Religion außer Atheismus ausgeübt. Wie immer ihr Glauben auch in den Anfängen war, entwickelte sich dieser ins Spektakuläre und Farbenfreudige, wenn auch vielfach mit Grausamkeiten verbunden. Dies steht jedoch in keinem Vergleich zu der Grausamkeit und der Habgier ihrer späteren Unterdrücker, die Zehntausende ermordeten oder zu Sklaven machten.
In vieler Hinsicht war die Maya Sprache ihre beste Leistung. Seltsamerweise bestand diese bereits in perfekter Form ohne vorher ältere Entwicklungsstufen durchzumachen. Sie konnte noch nicht entziffert werden. Dies bereitet große Schwierigkeiten, denn leider wurden die meisten ihrer Werke zerstört. Ähnlich der Maya Kultur, setzte sich das Azteken Reich aus vielen Volksstämmen und Sprachen zusammen. Sie hatten jedoch eine Schriftsprache und ihren Codex, um ihre Wissenschaften, ihre Geschichte, Religion und die Dinge des Alltagslebens aufzuzeichnen, wenn auch die Spanier das meiste davon ebenfalls vernichteten. Wann und wo sie die Entdeckung machten Papier herzustellen, es zu beschriften, es in Buchform zu binden, ist ein Geheimnis, und zwar ein sehr altes, denn ihre Werke sprechen von Ereignissen, die lange vor der Ankunft der Azteken in Mexiko stattfanden. In Peru bestand gleichfalls eine Mannigfaltigkeit von Dialekten. Dort erfanden die Inkas eine einheitliche Sprache (Quechua), die als Umgangssprache diente. Diese flexible und ausdrucksvolle Sprache wird noch heute von vielen Indianern in diesem Gebiet gesprochen. Soweit wir wissen, schrieben die Inkas ihre Geschichte nicht nieder, sondern verwahrten sie in der Form von Quipus, geknoteten Schnüren, sowie in ihren Vasenmalereien.
Diese Ausführungen über die Leistungen der Amerikaner des Altertums sollen dazu dienen das hohe kulturelle Niveau aufzuzeigen, das sie erreichten. Als die Spanier an den Küsten landeten fanden sie Zivilisationen, die in vieler Hinsicht ihrer eigenen überlegen waren. Doch bestanden vor den Kulturen der Inkas und Azteken, die Pizarro und Cortez vernichtete, noch ältere Epochen, deren Leistungen noch gewaltiger waren. Welche unvorstellbaren Zeitalter waren erforderlich, um alle diese komplizierten Sprachen zu entwickeln und diese Vielzahl der Künste und handwerklichen Geschicklichkeiten zu erwerben und zu vervollständigen? Wie viele goldene Zeitalter mögen uns noch unbekannt sein, die sich Tausende von Jahren zurückerstrecken? Kann sich dieser Glanz und diese Mannigfaltigkeit aus einigen wenigen Wanderungen über die Bering Straße entwickelt haben? Oder lagen andere zwingende Faktoren vor?
(Schluß folgt im nächsten Heft)
Fußnoten
1. Kulturen des alten Amerikas von A. Hyatt und Ruth Verrill. Herr Verrill verbrachte sein ganzes Leben mit der Untersuchung der amerikanischen Altertümer, und seine Ansichten sind erfreulich unorthodox und offen. Dasselbe kann man von Kenneth Macgowans Werk Early Man in the New World (Frühe Menschheit in der Neuen Welt) behaupten. [back]