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Die Eklektische Schule von Alexandrien

Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, daß es in der Mitte des letzten Jahrhunderts in England und auf dem Kontinent, wie auch in Amerika Leute gab, die ernstlich bemüht waren, das Wissen über das alte Gedankensystem, das von gewissen Alexandrinern in den ersten Jahrhunderten der christlichen Ära verbreitet wurde, wieder zu erneuern. Zu diesen gehörte Alexander Wilder M. D., der 1823 in Verona, Provinz Oneida im Staate New York, geboren wurde - ein Mann von beachtlicher Vielseitigkeit: Schriftsetzer, Berichterstatter, Professor der Physiologie, Verleger und Schriftsteller, aber am meisten geschätzt als ein Anhänger der Lehren Platos.

In einem 1869 in Albany im Staate New York veröffentlichten Artikel mit dem Titel "Neuplatonismus und Alchimie" skizziert Dr. Wilder die grundlegenden Begriffe der eklektischen Schule, deren Anhänger später als Neuplatoniker bekannt wurden. Während gewöhnlich Plotin (205 n. Chr. in Lykopolis in Ägypten geboren) als Gründer des neuplatonischen Systems betrachtet wird, war in Wirklichkeit sein Lehrer Ammonius Sakkas der inspirierende Genius der Schule.

Wir drucken unten den Hauptteil aus Dr. Wilders Artikel ab. - Herausgeber

 

 

 

Ammonius Sakkas nannte sich selbst und seine Schüler Philaletheier oder "Wahrheitsliebende." Zuweilen wurden sie auch Analogetiker genannt, weil sie alle heiligen Legenden, Erzählungen, Mythen und Mysterien nach dem Grundsatz oder dem Prinzip der Analogie auslegten, so daß sie Ereignisse, die berichtet wurden, als hätten sie in der äußeren Welt stattgefunden, als den Ausdruck von Tätigkeiten und Erfahrungen der menschlichen Seele betrachteten. Gewöhnlich bezeichnete man sie jedoch als Neuplatoniker, und unter diesem Namen sind sie auch allgemein bekannt.

Die Schriftsteller haben die Entwicklung des eklektisch theosophischen Systems zeitlich allgemein in das dritte Jahrhundert der christlichen Ära verlegt. Es scheint aber viel älteren Ursprungs zu sein und wird von Diogenes Laertius bis zu einem ägyptischen Propheten oder Priester mit Namen Pot-Amun1, der in den ersten Anfängen der Dynastie der Ptolomäer lebte, zurückverfolgt.

Der Errichtung des mazedonischen Königreiches in Ägypten folgte die Eröffnung wissenschaftlicher und philosophischer Schulen in der neuen Hauptstadt. Alexandrien wurde bald als die Metropole der Literatur gefeiert; jeder Glaube und jede Sekte waren dort vertreten. Zwischen den Weisen Baktriens und Oberindiens und den Philosophen des Westens fand immer ein Gedankenaustausch statt. Die Eroberungen Alexanders, Seleukos und der Römer verstärkten die Bekanntschaft. Die Gelehrten strömten nun nach Alexandrien. Die Platoniker scheinen die zahlreichsten gewesen zu sein und scheinen sich am längsten behauptet zu haben. Unter Philadelphus wurde auch der Judaismus dort eingeführt und die hellenischen Lehrer wurden die Rivalen des Rabbinerkollegiums von Babylon. Buddhistische, vedantistische und magische Systeme wurden neben den Philosophien Griechenlands ausgelegt. Es war nicht erstaunlich, daß tiefer denkende Menschen meinten, daß der Wortstreit aufhören sollte und es für möglich hielten, aus den verschiedenen Lehren ein harmonisches Ganzes herauszubilden.

Der große Lehrer Ammonius Sakkas, der dazu berufen zu sein schien, die verschiedenen Systeme in Einklang zu bringen, war in Alexandrien als der Sohn christlicher Eltern geboren. Trotzdem hielt er engen Kontakt mit den Anhängern der Staatsreligion des Reiches. Er war ein Mann von seltener Gelehrsamkeit und Begabung, untadelhaftem Leben und liebenswürdigem Charakter. Seine fast übermenschliche Fassungskraft und viele Vortrefflichkeiten gewannen ihm den Titel eines theodidaktos oder "von Gott gelehrt;" aber er folgte dem bescheidenen Beispiel des Pythagoras und nahm nur den Titel eines philaletheier oder "Wahrheitsliebenden" an.

Das erste, was Ammonius lehrte, war das Bestehen eines ursprünglichen theosophisches Systems, das anfangs in allen Ländern gleich war. Sein Ziel und Zweck war, alle Sekten und Völker unter diesem gemeinsamen Glauben zu versöhnen, sie zu bewegen, ihren Zank und Streit beiseite zu legen und sich als eine Familie, als Kinder einer gemeinsamen Mutter zu vereinen.

Der Kirchenhistoriker Mosheim sagt, Ammonius lehrte, daß

die Religion der Menge Hand in Hand mit der Philosophie ging und mit dieser das Schicksal teilte, nach und nach durch bloße menschliche Begriffe, Aberglauben und Lügen verdorben und verdunkelt zu werden: daß sie deshalb durch Entfernung dieses Unrats und durch Auslegung nach philosophischen Prinzipien auf ihre ursprüngliche Reinheit zurückgeführt werden sollte: und daß alles, was Christus im Sinn hatte, war, die Weisheit der Alten in ihrer ursprünglichen Unverfälschtheit wieder herzustellen und wieder einzusetzen - den allgemein vorherrschenden Aberglauben in seine Grenzen zurückzuweisen - und die verschiedenen Irrtümer, die ihren Weg in die verschiedenen volkstümlichen Religionen gefunden hatten, zum Teil zu korrigieren und zum Teil auszurotten.

Ammonius erklärte, daß das als Weisheit bezeichnete Lehrsystem und moralische Leben in den Büchern von Thoth oder Hermes Trismegistus gelehrt wurde, aus welchen Pythagoras wie auch Plato ihre Philosophie ableiteten. Hauptsächlich wurden sie von ihm mit den Lehren der Weisen des fernen Ostens als identisch betrachtet. Die indischen Schriftsteller behaupten, daß die Yadus oder der heilige Stamm unter der Regierung von König Kansa Indien verließen, nach dem Westen auswanderten und die vier Veden mitnahmen. Gewiß bestand eine große Ähnlichkeit zwischen den Lehren und den religiösen Bräuchen der Ägypter und der Buddhisten im Osten; aber ob die hermetischen Bücher und die vier Veden in irgendeinem Sinne identisch waren, weiß man nicht.

Es ist jedoch gewiß, daß es in jedem alten Lande, das Anspruch auf Zivilisation erhob, eine esoterische Lehre gab und jene, die sich ihrer Erhaltung weihten, anfänglich als Weise oder weise Männer bezeichnet wurden. Pythagoras nannte dieses System Gnosis ton onton oder "Wissen über Dinge, die sind." Die alten Lehrer, die Weisen Indiens, die Magier Persiens und Babyloniens, die Seher und Propheten Israels, die Hierophanten Ägyptens und Arabiens und die Philosophen Griechenlands und des Westens schlossen alles, was sie im wesentlichen als göttlich betrachteten, in die edle Bezeichnung Weisheit ein, wobei sie einen Teil davon als esoterisch, den anderen als exoterisch klassifizierten. Die hebräischen Rabbis nannten die äußeren oder weltlichen Teile die Merkavah, als den Körper oder das Vehikel, welches die höheren Erkenntnisse enthielt. In diesem Vehikel waren Theologie, gottesdienstliche Handlungen, Weissagung, Musik, Astronomie, die Kunst des Heilens, Ethik und Regierungskunst alle zusammengefaßt.

So fand Ammonius sein Werk für sich vorbereitet. Seine tiefe spirituelle Intuition, seine umfassende Gelehrsamkeit, seine Vertrautheit mit den christlichen Vätern Pantaenus, Clemens und Athenagoras und mit den gelehrtesten Philosophen seiner Zeit, das alles hatte ihn für die Arbeit, die er so gründlich durchführte, tauglich gemacht. Es gelang ihm, die Aufmerksamkeit der größten Gelehrten und im Staatsdienst stehenden Männer des römischen Reiches, die wenig geneigt waren, ihre Zeit mit dialektischen Studien oder abergläubischen Bräuchen zu verschwenden, für seine Ansichten zu gewinnen. Die Resultate seines Wirkens sind heute in jedem Lande der christlichen Welt zu sehen; jedes bekannte Lehrsystem trägt jetzt den Stempel seiner bildenden Hand. Jede alte Philosophie hatte unter den später folgenden ihre Anhänger; und selbst der Judaismus, die älteste unter ihnen allen, hat Veränderungen erfahren, die von dem "von Gott Gelehrten" Alexandriens angeregt wurden.

Wie Orpheus, Pythagoras, Konfuzius, Sokrates und Jesus hinterließ auch Ammonius nichts Schriftliches. Statt dessen schärfte er seinen Zuhörern ethische Wahrheiten ein, während er seine bedeutsameren Lehren Menschen mitteilte, die entsprechend belehrt und geschult waren und die zur Geheimhaltung verpflichtet wurden, wie es vorher durch Zoroaster, Pythagoras und in den Mysterien geschah. Außer einigen Abhandlungen seiner Schüler haben wir nur die Erklärungen seiner Widersacher, aus denen zu entnehmen ist, was er wirklich lehrte.

Das ist jedoch gegenüber der allgemeinen Regel keine Ausnahme. Der ältere Kult, der in den Mysterien bis zu einem gewissen Grade bewahrt wurde, forderte von dem Neophyten oder Neuling einen Eid, was er gelernt hatte, nicht auszuplaudern. Der große Pythagoras teilte seine Lehren in esoterische und exoterische.

Die Essener in Judäa und im Karmelgebirge machten ähnliche Unterschiede und teilten ihre Anhänger in Neophyten, Brüder und die Vollkommenen. Jamblichus sagte, Pythagoras habe eine gewisse Zeit im Karmelgebirge zugebracht. Jesus befolgte denselben Brauch und erklärte seinen Jüngern, ihnen sei es gegeben, die Geheimnisse des Himmelreiches zu erfahren, während es der Menge nicht gegeben sei und er deshalb in Gleichnissen zu ihr spräche, die eine zweifache Bedeutung hätten.

Die Magier des Ostens empfingen Belehrung und Einweihung in den Höhlen und geheimen Logen von Baktrien, und vom Propheten Daniel wird gesagt, daß er durch Nebukadnezar als Rab Mag oder Haupt des gelehrten Ordens eingesetzt wurde. Nach Josephus, Philo und Moses Maimonides möchte es scheinen, daß auch die Hebräer geheime Lehren besaßen. Von Clemens, der in die Eleusinischen Mysterien eingeweiht war, wird gesagt, er erklärte, daß die dort gelehrten Lehren das Ziel aller Belehrung enthielten und von Moses und den Propheten stammten.

Bei einer allgemeinen charakterlichen Ähnlichkeit der alten religiösen und philosophischen Meinungen schien für Ammonius der Kurs, der zu befolgen war, angedeutet zu sein. Von Clemens und Athenagoras in der Kirche und von gelehrten Männern der Synagoge, der Akademie und des Haines ermutigt, vollbrachte Ammonius sein Werk, indem er eine gemeinsame Lehre für alle lehrte. Er brauchte seine Belehrungen nur "mit den alten Säulen des Hermes, die Plato und Pythagoras schon vorher bekannt waren und nach denen sie ihre Philosophie bildeten, übereinstimmend" darzubieten. Da er in der Einleitung zum Evangelium des Johannes dieselben Gedanken fand, nahm er sehr wahrscheinlich an, das Ziel von Jesus sei die Wiederherstellung der großen Weisheitslehre in ihrer ursprünglichen Ganzheit gewesen. Die Erzählungen der Bibel und die Geschichten über die Götter betrachtete er als die Wahrheit erläuternde Allegorien oder falls sie das nicht sind, als zu verschmähende Fabeln. Die Eigentümlichkeit der Philaletheier, ihre Anhänger in Neophyten, Eingeweihte und Meister einzuteilen, kam aus den Mysterien.

Das eklektische System zeigt drei charakteristische Merkmale, nämlich: seine Theorie über die Gottheit, seine Lehre über die menschliche Seele und seine Theurgie. Moderne Schriftsteller haben über die besonderen Ansichten der Neuplatoniker, was diese Gegenstände anbetrifft, geschrieben, haben sie aber selten richtig dargestellt, selbst wenn sie es wollten oder beabsichtigten. Außerdem hat der immense Unterschied in der Art des alten und modernen Lernens die Schüler späterer Jahrhunderte größtenteils untauglich gemacht, die vorherrschenden Elemente der Theosophie der Philaletheier richtig zu erfassen. Die Begeisterung, die heute oft als Frömmigkeit gesehen wird, würde kaum ausreichen, die Begeisterung der alten mystischen Philosophen zu erklären oder ihr irgendwie gleichzukommen.

Die ältere Vorstellung der Neuplatoniker war die von nur einer Höchsten Essenz. Diese ist Diu oder der "Herr des Himmels" der arischen Nationen und identisch mit dem Iao der Chaldäer und Hebräer, dem Jabe der Samariter, dem Tiu oder Tuisco der alten Skandinavier, dem Duw der Briten, dem Zeus der Thrazier und dem Jupiter der Römer. Sie war das eine und höchste Wesen, das Facit, das Eine und Höchste. Aus ihm gingen alle anderen Wesen durch Emanation hervor. In neuerer Zeit scheint man dafür die Theorie von der Evolution aufgestellt zu haben. Vielleicht wird ein größerer Weiser die zwei Hypothesen vereinen.

Alle alten Philosophien enthielten die Lehre, daß theoi - Götter oder Lenker, Engel, Dämonen und andere spirituelle wirkende Kräfte - aus dem Höchsten Wesen emanierten. Ammonius nahm die Lehre der Bücher des Hermes an, daß die Göttliche Weisheit oder Amun aus dem Göttlichen All hervorging; aus dem Schöpfer die untergeordneten spirituellen Wesen; die Welt und ihre Menschen sind die letzten. Das erste ist in dem zweiten enthalten, das erste und das zweite im dritten und so geht es die ganze Reihe hindurch. Damit verwandt ist die Lehre der jüdischen Kabbala von den zehn Sephiroth, welche von den Pharsi oder Pharisäern gelehrt wurde, die sie, wie ihr Sektenname anzudeuten scheint, von den Magiern Persiens entlehnten.

Die Anbetung dieser untergeordneten Wesen bildete den Götzendienst, der den Alten vorgeworfen wurde, eine Beschuldigung, die die Philosophen nicht verdienten, welche nur ein Höchstes Wesen anerkannten und erklärten, die "zugrundeliegende Bedeutung" zu kennen, worunter Engel, Dämonen und Helden zu verstehen waren. Epikur sagte:

Die Götter existieren, aber sie sind nicht das, was die hoi polloi oder die Allgemeinheit annimmt. Nicht der ist ein Ungläubiger oder Atheist, der die Existenz der Götter leugnet, die die Menge anbetet, sondern wer diesen Göttern das zuschreibt, was die Menge von ihnen glaubt.

So waren die Geschichten über Jupiter, die Belagerung von Troja, die Wanderungen des Odysseus, die Abenteuer des Herkules, nur Erzählungen und Fabeln, die eine tief zugrunde liegende Bedeutung hatten. "Alle Menschen sehnen sich nach den Göttern", sagt Homer. Alle alten Gottesverehrung deuten auf die Existenz einer einzigen Theosophie hin, die älter ist als sie. "Der Schlüssel, der eine erklärt, muß alle erklären, sonst kann er nicht der richtige Schlüssel sein."

Die Eklektiker oder Philaletheier nahmen diese Lehren dem Wesen nach an, der Hauptunterschied lag in den Namen. Wie alle alten Weisen lehrten sie, daß alle Wesen und Dinge der Reihenfolge nach oder in aufeinanderfolgenden Abstufungen der Emanation aus der Höchsten Gottheit hervorgingen. Diese Theosophie würde die Erklärung von Paulus erläutern, daß "alle Dinge aus Gott kamen" und auch jene Versicherung von Jesus, daß "das Reich Gottes in uns ist." Es war kein Versuch, das Christentum zu bekämpfen oder das Heidentum wieder aufleben zu lassen, wie Lloyd, Mosheim, Kingsley und andere behaupten, sondern aus allen ihre wertvollsten Schätze herauszuziehen und, damit nicht zufrieden, neue Nachforschungen zu betreiben. Einen Avatar gab es für sie natürlich nicht.

Plotin, in Lykopolis in Ägypten geboren, war der erste große Ausleger des neuplatonischen Systems. Im Jahr 233, als er 28 Jahre alt war, begann er in Alexandrien Plato und Aristoteles zu studieren, und kurz darauf stieß er unerwartet auf das gefeierte Werk von Philostratus das Leben des Apollonius von Tyana und auf die Schriften von Plutarch und Apulejus. Mitten in solchen Studien wurde er mit Ammonius Sakkas bekannt. Die Vorträge jenes großen Lehrers fanden in ihm einen würdigen Zuhörer. Was Plato für Sokrates und der Apostel Johannes für das Haupt des christlichen Glaubens waren, wurde Plotin für den von Gott gelehrten Ammonius. Plotin, Origenes und Longinus haben wir zu verdanken, was über das System der Philaletheier bekannt ist. Sie waren richtig unterrichtet, eingeweiht und mit den inneren Lehren vertraut. Von Origenes ist wenig erhalten. Longinus reiste lange Jahre und nahm schließlich in Palmyra seinen Wohnsitz. Er war eine Zeit lang der Berater der gefeierten Königin Zenobia. Nach der Eroberung der Stadt bemühte sie sich, den Kaiser Aurelianus zu versöhnen, indem sie die Schuld für ihr Handeln Longinus zuschob, der daraufhin getötet wurde.

Der Jude Malek, der allgemein als ausgezeichneter Schriftsteller Porphyrios bekannt ist, war ein Schüler von Plotin und sammelte die Werke seines Meisters. Auch schrieb er verschiedene Abhandlungen, in denen er Teile der Schriften Homers allegorisch auslegte. Jamblichos schrieb ebenfalls ein Werk über die in den Mysterien gelehrten Lehren und auch eine Biographie von Pythagoras. Die letztere ähnelt so sehr dem Leben Jesu, daß sie als eine Travestie angesehen werden kann. Diogenes Laertius und Plutarch erzählen die Geschichte Platos in ähnlicher Weise.

Plotin begleitete, als er neununddreißig Jahre alt war, die Armee des römischen Kaisers Gordian nach dem Osten, um von den Weisen Baktriens und Indiens direkt belehrt zu werden. Doch der Kaiser wurde unterwegs getötet, und der Philosoph kam mit knapper Not mit dem Leben davon. Er kehrte nach Hause zurück und ging dann von dort nach Rom, wo er eine Schule zur Belehrung in Philosophie durch Konversation gründete. Er hatte regen Zulauf von Männern und Frauen jeden Alters und Standes. Der Kaiser und die Kaiserin schätzten ihn sehr, und seine Schüler verehrten ihn fast wie ein höheres Wesen. Einer von ihnen, der Senator Rogentianus, ließ seine Sklaven frei und verzichtete auf seine Würden, um sich der Pflege der Weisheit widmen zu können. Plotin stand in so angesehenem Ruf, daß er beständig zum Vormund von Waisenkindern gewählt und mit der Verwaltung großer Besitztümer betraut wurde. Achtundzwanzig Jahre lebte er in Rom und hatte nicht einen einzigen Feind unter jenen, denen er diente.

Er lehrte, daß die Gnosis, oder Erkenntnis, drei Grade hat - Meinung, Wissen, Erleuchtung. Das System führte, wie zugegeben werden muß, zur höchsten spirituellen Entwicklung. Plutarch sagt:

Der Zweck der ägyptischen Riten und Mysterien war die Erkenntnis des Einen Gottes, der der Herr aller Dinge ist und nur von der Seele wahrgenommen werden kann. Ihre Theosophie hatte zwei Bedeutungen - die eine heilig und symbolisch, die andere volkstümlich und buchstäblich. Die Tiergestalten, von denen ihre Tempel angefüllt waren und von denen angenommen wurde, daß sie angebetet wurden, waren nur so viele Hieroglyphen, wie es göttliche Eigenschaften darzustellen gab.

Diese Mysterien bildeten, nebenbei bemerkt, die Grundlage des eklektischen Systems.

Die menschliche Seele wurde als das Kind oder die Emanation der Gottheit betrachtet; das ganze Bemühen des philaletheiischen Systems war auf die Entwicklung und Vervollkommnung ihrer göttlichen Eigenschaften gerichtet. Plotin lehrte, daß in der Seele ein rückwirkender Impuls, die Liebe, sei, der sie nach innen zu ihrem Ursprung und Mittelpunkt, dem Ewigen Guten, hinziehe. Während der Mensch, der nicht versteht, daß die Seele das Schöne in sich enthält, emsig bemüht sein wird, das Schöne im Äußeren zu erkennen, erkennt es der weise Mensch in sich selbst.

Das Unendliche wird nicht mit dem Verstand erkannt, der unterscheidet und definiert, sondern durch eine höhere Fähigkeit als der Verstand, indem man sich in einen Zustand versetzt, in dem das Individuum sozusagen aufhört, sein endliches Selbst zu sein und sich die göttliche Essenz ihm mitteilt. Die Hilfsmittel, das zu vollbringen, sind: Liebe für das Schöne beim Dichter, Verehrung des Wissens beim Philosophen, Liebe und Gebet beim Frommen.

Plotin erklärte, daß er diese erhabene Ekstase sechsmal erlebte; und Porphyrios versichert, Apollonius von Tyana war viermal auf diese Weise in seinem Innenleben mit der Gottheit vereinigt, während er selbst es einmal war, als er über sechzig Jahre alt war.

Hier eine Übertragung von Platos eigenen Worten:

Das Gebet ist ein heftiges Sichhinwenden der Seele zu Gott; nicht deshalb, um etwas speziell Gutes zu erbitten, sondern um das Gute an sich - um das Universale Höchste Gute. Wir verwechseln oft das Schädliche und Gefährliche mit dem Nützlichen und Wünschenswerten. Deshalb verharre stille in der Gegenwart der Göttlichen, bis sie die Wolken vor deinen Augen entfernen und dich befähigen, durch das von ihnen ausgehende Licht nicht nur zu sehen, was dir gut erscheint, sondern was wirklich gut ist.

Plotin lehrte ebenfalls, daß jeder Mensch den inneren Sinn oder die Fähigkeit besitzt, die man als Intuition oder spirituellen Instinkt bezeichnet, welcher durch richtige Pflege entwickelt wird und befähigt, eine tatsächliche und absolute Wirklichkeit vollkommener wahrzunehmen und vollkommener zu erfassen, als durch die bloße Ausübung der Verstandeskräfte und des äußeren Empfindungsvermögens. Wir beginnen mit dem Instinkt; das Ende ist Allwissenheit. Es ist ein direktes Schauen, so daß der Mensch sozusagen aus sich selbst herausversetzt, göttliche Gedanken denkt, alle Dinge von ihrem höchsten Gesichtspunkt aus sieht und, um einen Ausdruck von Emerson zu gebrauchen, "mit der Weltseele eins wird."

Diese Menschen scheinen die Fähigkeit der Prophezeihung, volkstümlich das "zweite Gesicht" genannt, besessen zu haben. Apollonius sagt folgendes über seinen Besitz dieser Fähigkeit:

Ich kann die Gegenwart und die Zukunft in einem klaren Spiegel sehen. Der Weise braucht nicht auf die Dünste der Erde und auf das Verderben der Luft zu warten, um Seuchen und Fieber vorauszusagen; er muß sie natürlich später als Gott erkennen, aber früher als die Menschen. Die theoi oder Götter sehen die Zukunft; die gewöhnlichen Menschen die Gegenwart; die Weisen, was sich ereignen wird.

Das kann spirituelle Photographie genannt werden. Die Seele ist die Kamera, in der zukünftige, vergangene und gegenwärtige Tatsachen und Ereignisse gleicherweise festgehalten werden, und das Gemüt wird sich deren bewußt. Jenseits unserer begrenzten Alltagswelt ist alles wie ein Tag oder wie ein Zustand - die Vergangenheit und die Zukunft sind in der Gegenwart enthalten.

Sein Biograph Philostratus erklärte, daß Apollonius die Kranken heilte und die Toten auferweckte, und daß zu jener Zeit auch von anderen berichtet wurde, daß sie außergewöhnliche Heilungen vollbrachten. "Was die Brüderschaft besonders auszeichnete", berichtete ein deutscher Schriftsteller, "war ihr wunderbares Wissen über alle die Hilfsmittel der medizinischen Kunst. Sie arbeiteten nicht mit Zaubermitteln, sondern mit Heilkräutern." Vielleicht erwarb ihnen ihre Geschicklichkeit im Heilen oft den Ruf, daß sie Wunder vollbrächten.

Daß diese Mystiker in der medizinischen Kunst bewandert und mit der Kräuterkunde vertraut waren, ist offensichtlich; aber durch die Vernichtung der Alexandrinischen Bibliothek gingen ihre Entdeckungen verloren. Wenn das nicht gekommen wäre, hätte es in der Welt vielleicht eine Eklektische Schule für Medizin gegeben, das Kind des Wissens dieser "weisen Männer aus dem Osten." Statt dessen hinterließen sie eine Alchimie oder mystische Philosophie, deren allegorische Bedeutung spätere Sucher, die die Sachen zu wörtlich nahmen, übersahen und beim Weiterforschen die chemische Wissenschaft ins Dasein riefen.

Jamblichos übertraf die anderen Eklektiker und fügte deren Theosophie noch eine Theurgie hinzu. Er lehrte, daß der Mensch zu einer Vereinigung mit spirituellen und himmlischen Wesen erhoben werden könne und dabei in den Besitz ihres Wissens und ihres Willens und zu der Fähigkeit gelange, wie ein Gott untergeordnete Wesen zu beherrschen. Er scheint mit den Erscheinungen des mesmerischen Trancezustandes und des Hellsehens vollkommen vertraut gewesen zu sein und beschreibt sie sehr genau. Er lehrte, daß die Gottesidee der Seele nicht auf Grund eines Vernunftschlusses eingeprägt wurde, sondern durch eine spirituelle Vorstellung, die ewig und gleichzeitig mit der Seele existiert. Die verschiedenen Grade spiritueller Wesen sind Mittler zwischen Gott und dem Menschen. Deren Vorherwissen erstreckt sich über alles und zeigt sich überall, wo es möglich ist. Sie geben auch in den Stunden, in denen wir wach sind, Winke und verleihen der Seele die Macht einer umfassenden Wahrnehmung der Dinge, die Gabe des Heilens, die Fähigkeit, Künste und neue Wahrheiten zu entdecken. Es gibt verschiedene Grade dieser Inspiration; mancher besitzt sie im höchsten, mancher im mittleren und mancher nur im niedersten Grade.

Proclus war der letzte große Lehrer der Eklektischen Schule. Seine Schriften sind, soweit das möglich ist, gründlicher und sorgfältiger ausgearbeitet als die seiner Vorgänger. Er vervollkommnete die Theurgie des Jamblichos und wie jener das Gebet als ein Mittel zu spirituellem Fortschritt lobt, so lobt er den Glauben. Proclus zufolge bildeten die Lehren des Orpheus den Ursprung des später verbreiteten Systems. Er sagt:

Als Pythagoras in die orphischen Mysterien eingeweiht wurde, lernte er, was Orpheus in geheimnisvollen Allegorien überlieferte; und Plato erhielt dann aus orphischen und pythagoräischen Schriften ein vollkommenes Wissen darüber.

Die Eklektiker wirkten mehrere Jahrhunderte lang und hatten in ihren Reihen die fähigsten und gelehrtesten Menschen ihrer Zeit. Ihre Lehren wurden in Asien und Europa von Heiden und Christen angenommen, und eine Zeit lang schien alles für eine allgemeine Verschmelzung des religiösen Glaubens günstig zu sein. Die Kaiser Alexander Severus und Julian nahmen die Lehren an. Deren überwiegender Einfluß auf religiöse Ideen erregte die Eifersucht der Christen in Alexandrien. Hypatia, die gefeierte Rednerin, Lehrerin des Bischofs Synesius und Tochter des Theon, wurde von dem von einem Geistlichen angeführten Mob überfallen, in eine Kirche geschleppt und brutal ermordet. Die Schule wurde nach Athen verlegt und schließlich durch Justinian geschlossen. Ihre Lehrer zogen sich nach Persien zurück, wo sie viele Schüler fanden.

Der Einfluß dieser großen Lehrer hielt durch alle die folgenden Jahrhunderte an. Im Mittelalter traten zu verschiedenen Zeiten beachtenswerte Männer auf, die die eine oder andere der hauptsächlichsten hermetischen Lehren vertraten. Die Mystiker und Quietisten, Sufis und Theosophen jeden Grades entnahmen freimütig der Schatzkammer, welche die neuplatonischen Philaletheier so freigiebig gefüllt hatten. Emanuel Swedenborg und Jakob Böhme scheinen hierin keine Ausnahmen gewesen zu sein. In der christlichen Welt existiert kaum ein religiöses Glaubensbekenntnis, das dadurch nicht bereichert wurde; und die Literatur hat ihr Wertvollstes von dort abgeleitet.

Wie von Menschen, die ein so veredeltes Lehrsystem vertreten, nicht anders zu erwarten ist, stimmte deren Charakter bestens damit überein. Ihre moralische Haltung wird im folgenden von M. Matter in seiner Abhandlung über den Gnostizismus gut geschildert:

Die dem Menschen von der Gnosis vorgeschriebene Moral entspricht vollkommen seiner Natur. Den Körper mit allem Notwendigen versehen und auf alles Überflüssige zu verzichten; den Geist mit allem nähren, das ihn erleuchten, stärken und ihn gottähnlich machen kann, von dem er das Ebenbild ist; ihn mit Gott eins werden lassen - von dem er eine Emanation ist. Das ist die Moralität des Platonismus und des Christentums.

Welcher Art immer die Fehler der Lehren der Philaletheier sind, die großen zu Grunde liegenden Ideen menschlicher Bruderschaft und Vervollkommnungsfähigkeit müssen allgemein anerkannt werden. Ihr eigentliches Ziel war die vollkommene Aufrichtung des Friedens auf Erden, wie er in den früheren Zeiten bestand und wie es auch sein sollte, an Stelle der Herrschaft des Schwertes, womit sich Jahrhunderte lang Millionen Menschen in todbringenden Kriegen bekämpften und im Namen der Religion ganze Länder und Landstriche entvölkerten.

Fußnoten

1. Dieser Name ist koptisch und bedeutet: jemand, der Amun, dem Gott oder Genius der Weisheit, geweiht ist. [back]