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Die Grundlagen der Theosophie

F. E. P.: Einige von uns möchten zusammenkommen, um sich über verschiedene religiöse Gesichtspunkte zu unterhalten. Wir beabsichtigen dabei, uns mehr Verständnis und Toleranz anderen Glauben gegenüber als dem christlichen anzueignen. Durch Lesen des SUNRISE ersehen wir, daß Ihre Tätigkeit ein Studium alter und moderner Religionen einschließt. Daher schlugen einige aus der Gruppe einen Abend mit dem Thema Theosophie vor. Nun möchten wir gerne wissen, ob Sie uns etwas darüber sagen könnten.

Herausgeber: Ich werde mich gern mit Ihnen über einige Gedanken in dieser Hinsicht unterhalten, nur sollten Sie sich von vornherein darüber im klaren sein, daß weit mehr dahintersteht,1 als die modernen Bezeichnungen, die heute als Theosophie gelten, ausdrücken. Sie schließt einige sehr umfassende Ideen in sich ein. Darf ich fragen, ob jemand von Ihnen sich überhaupt schon damit beschäftigt hat?

 

A. R.: Sehr wenig, obschon wir wissen, daß es ein griechisches Wort ist und "Wissen über Gott" oder "göttliche Weisheit" bedeutet.

Herausgeber: Das ist richtig, aber es bedeutet nicht, daß die Anhänger der Theosophie alles über Gott wissen oder im Besitze göttlicher Weisheit sind! Das wäre genau so absurd, wie die Behauptung, daß jeder Christ automatisch den Christos verkörpert, weil er von den Lehren des Meisters Jesus begeistert ist!

 

F. E. P.: Ja, natürlich; aber wir möchten ernstlich etwas über die verschiedenen religiösen Auffassungen von Leuten erfahren, die außerhalb der Ära des Christentums stehen.

Herausgeber: Dazu möchte ich sagen, daß manche Theosophie nicht als eine Religion betrachten, weil es in ihr weder Dogmen, noch Glaubensbekenntnisse noch einen Kult gibt, deren Annahmen von den Anhängern erwartet wird. Da ihre Grundprinzipien andererseits eine Darlegung der den Kosmos und den Menschen betreffenden Naturgesetze darstellt, könnte man sagen, daß die ursprüngliche Theosophie oder die theosophia im reinsten Sinne des Wortes Religion an sich ist. Glauben Sie aber nicht, daß ich sagen will, daß die theosophischen Begriffe die ganze Wahrheit in sich fassen! Weit davon entfernt, denn kein noch so ausgezeichneter Geist könnte die vollkommene Wahrheit übermitteln und noch weniger der Empfänger der absoluten Wahrheit sein.

 

F. E. P.: Ich ersehe daraus, daß sie keine Religion im orthodoxen Sinne ist, sondern als eine religiöse Philosophie betrachtet werden könnte.

A. R.: Oder vielleicht als eine philosophische Religion?

Herausgeber: Warum nicht beides mit wissenschaftlicher Übertönung? Tatsächlich ist sie weder Wissenschaft, noch Religion oder Philosophie, sondern vielmehr eine Synthese oder eine Gedankenverbindung, welche diese alle in einem zusammenfassenden Ausdruck vereinigt.

 

F. E. P.: Dann stellen Sie keine Religion über eine andere?

Herausgeber: Das ist richtig. Unser Interesse gilt allen Menschen jeden Glaubens und jeder Rasse, und unsere Anstrengungen sind darauf gerichtet, ein fruchtbareres Einvernehmen unter den Menschen aller Nationen zustandezubringen. Wir stellen überhaupt keine Religion über alle anderen, denn Jahre des Studiums und des Nachdenkens haben uns überzeugt, daß jede spirituelle "Offenbarung", einschließlich der begeisternden philosophischen Lehren des Ostens und des Westens einer gemeinsamen Quelle entsprangen. Deshalb sind die Prinzipien rechten Denkens und rechten Handelns immer dieselben, wo immer wir sie finden, obgleich die Anwendung jener Prinzipien sehr unterschiedlich ist. Wenn wir daher über christliche Ideen sprechen, so hoffen wir, daß der Austausch der Gedanken eine tiefere Würdigung des christlichen Glauben zustandebringen wird. Wenn wir einen Artikel über den Buddhismus oder über die Vorschriften des Koran oder vielleicht über die Bhagavad-Gîtâ der Hindus drucken, dann vertrauen wir darauf, daß nicht nur die jeweiligen Anhänger, sondern unsere Leser im allgemeinen durch diese heiligen Schriften vermehrtes Verständnis und Anregung finden. Wo immer wir können versuchen wir, auf die lebendigen Prinzipien hinzuweisen, die hinter der konfessionellen Betrachtungsweise liegen, die in manchen östlichen Darstellungen ebenso dogmatisch wie die unsrigen im Westen sind.

 

F. E. P.: Unsere Gruppe ist allgemein sehr daran interessiert Fragen zu stellen und individuelle Antworten zu erhalten. Aus diesem Grunde möchte ich gern den Mitgliedern der Gruppe die Haupttheorien der Theosophie erklären. Ich nehme an, sie hat gewisse fest umrissene Lehrsätze.

Herausgeber: Ja, sie hat tatsächlich drei fundamentale Lehrsätze, die den Rahmen für ein ziemlich ausgedehntes System philosophischer Begriffe bilden. Sie werden sehen, daß sie in ihren tieferen Bereichen ziemlich technisch wird, aber die grundlegenden Elemente der Philosophie sind ganz und gar nicht schwer zu erfassen. Jedes Kind kann zum Beispiel verstehen, daß es eine höhere und eine niedere Natur hat, und daß der höhere Teil seine Verbindung mit allem, was schön und wahr im Leben ist darstellt. Außerdem haben die meisten Kinder keine Furcht vor dem Tode, wenn wir Erwachsene sie nicht anders belehren, und glauben ganz natürlich, daß sie wiedergeboren werden, genau wie sie diesmal geboren wurden. Aber damit können wir uns später befassen.

Jetzt wollen wir uns dem zuwenden, was man die drei Grundsteine nennt, auf welchen die ganze Theosophie ruht. Der erste gibt ein Bild von einer grenzenlosen Unendlichkeit des Raumes, in der wir und das ganze Universum wurzeln. Ehe irgend etwas existierte war jenes Grenzenlose - das TAT der Upanishaden, die eine absolute Wirklichkeit. Manche nannten es die wurzellose Wurzel oder das Ungeoffenbarte, die Quelle aller Manifestation. Andere nannten es die ursachlose Ursache von "allem das war, ist, oder sein wird." Es ist der "Große Atem" der Hindu-Kosmogonie; die Dunkelheit auf dem Antlitz der Tiefe der Hebräer, welche erst Licht wurde, nachdem der "Atem" oder "der Geist" der Elohim, die Wasser des Raumes beseelte; es ist die gähnende Leere der skandinavischen Edda, aus welcher die neun Welten hervorgingen, in denen Götter, Menschen und alle Geschöpfe Wohnung finden konnten; aus dem Ain Soph oder dem "Unbegrenzbaren" der Kabbala kamen die zehn Sephiroth der Welten und Menschen.

Ehe wir den zweiten Lehrsatz aufnehmen, möchte ich noch hinzufügen, daß die Buddhisten an das Grenzenlose als eine "Leere" dachten, während die Griechen es als eine "Fülle" oder ein Pleroma ansahen: Als Raum, der bereit ist, die noch latenten Impulse des Lebens zu empfangen; die Arena für die kommende Tätigkeit von Geist und Materie, die noch nicht differenziert sind. Blavatsky faßt alle diese verschiedenen Begriffe so zusammen: "Das Universum war noch im göttlichen Gedanken und göttlichen Busen verborgen."

Daraus können wir ersehen, daß zahlreiche alte Überlieferungen versuchen das Unbeschreibbare zu enthüllen, jede in ihrer eigenen Ausdrucksweise, indem sie versuchen das Bühnenbild für ihre jeweiligen Menschen so zu gestalten, daß sie das abspielende Drama der Natur, in dem sich das Eine zum Vielen entfaltet verstehen.

Der zweite Lehrsatz betrachtet diesen grenzenlosen Raum als den "Spielplatz zahlloser Universen" - sich manifestierender Sterne, deren Erscheinen und Verschwinden wie die Ebbe und Flut der kosmischen Gezeiten ist, das "Ausatmen" und "Einatmen" des Großen Atems - die Tage und Nächte Brahmas. Einfach ausgedrückt, die göttliche Intelligenz sendet periodisch verschiedene Aspekte von sich selbst aus und jene Aspekte sind "Universen" oder "Funken der Ewigkeit" mit verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten, die während der endlosen Zeit kommen und gehen, kommen und gehen und bei jedem neuen Zyklus der Tätigkeit das gewaltige Heer kleinerer "Funken" - von Göttern hinab zum Menschen und von diesem zum Atom - von sich aussenden, bis die volle Zahl der Naturreiche in die Manifestation "ausgeatmet" ist.

Der dritte Lehrsatz betrachtet jedes Atom im Raum als einen "Gottesfunken" und als solchen in Essenz mit jedem anderen "Funken der Ewigkeit" identisch. Ferner legt er dar, daß der Mensch auf Grund seines göttlichen Ursprungs und der Notwendigkeit des Wachstums die Pflicht und die Verantwortung hat, eine ausgedehnte Pilgerschaft anzutreten, mit dem Ziel, (nach vielen Kreisläufen der Erfahrung) selbstbewußt zu werden wie die Göttliche Intelligenz, die ihm Geburt verlieh.

Das ist nun ein mächtiges Bild, und Sie möchten ohne Zweifel gerne wissen, wie das alles hier und jetzt zu uns und zum Leben, wie wir es als verantwortungsvolle Bürger zu leben haben, in Beziehung steht.

 

F. E. P.: Ja das habe ich auch gedacht. Den Umriß der Theorie verstehe ich im allgemeinen, wenigsten glaube ich ihn zu verstehen. Aber die Lücke in meiner Schlußfolgerung zeigt sich, wenn ich versuche mir den modus operandi dieser Pilgerschaft, von der Sie sprechen, vorzustellen; wie wir letzten Endes spirituell genug werden, um uns mit Gott zu vereinen?

Herausgeber: Das soll heißen, 'Gott' mehr vom kosmischen als vom persönlichen Gesichtspunkt aus betrachten.

 

F. E. P.: Ja, ganz bestimmt, ich halte überhaupt nicht viel von der Idee des persönlichen Gottes.

Herausgeber: Sie möchten wissen, welche mittelbaren Schritte wir tun müssen, damit wir schließlich wie der verlorene Sohn im Gleichnis zu unserem Vater im Innern zurückkehren?

 

F. E. P.: Darum dreht es sich. Ich denke, wir Menschen scheinen spirituell ziemlich unentwickelt zu sein, und ich versuchte mir im Geiste irgendeine Methode, vorzustellen, die uns logischerweise zum Ziele oder wenigstens in die rechte Richtung führen würde.

Herausgeber: Ich will versuchen, das alles auf eine mehr vertrautere Ebene herabzubringen. Um die richtige Verbindung herzustellen muß ich zu dem ersten Lehrsatz zurückkehren: zu der "Ursachlosen Ursache," die gerade in dem Augenblick, in dem die Dunkelheit zum Licht ward, die erste Ursache in Bewegung setzt, die erste Handlung, die ihrerseits die erste Wirkung, die erste Reaktion erzeugt. Wo immer wir hinsehen, finden wir einen Prozeß, einen grundlegenden Vorgang in der Natur: jede Ursache kehrt letzten Endes als eine Wirkung zu sich selbst zurück - nicht in einem geschlossenen Kreis, sondern immer in Spiralform.

 

A. R.: Ähnlich wie das Schneckengewinde oder das spiralförmige Gewinde einer Schraube? Ich hätte mir das nie so vorgestellt, aber es ist ziemlich hilfreich.

Herausgeber: Ja, das ist ein gutes Beispiel. Wir wollen nicht vergessen, wird der göttliche Impuls von einem zukünftigen Universum einmal gefühlt, die Bipolarität dann in Tätigkeit tritt: Ebbe und Flut, Tag und Nacht, Geburt und Tod, Geist und Materie.

Wir wollen nun einer der Familien von Gottesfunken folgen, sagen wir der menschlichen Lebenswoge: wir sehen, wie wir den materiellen Bogen herabsteigen und anscheinend nicht gewahr werden, daß wir mit jeder Windung der Spirale immer schwerere "Röcke aus Fellen" anlegen, bis wir schließlich in unserer Entwicklung die Stufe erreichen, auf der wir bereit sind, von der Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Von diesem Punkt an finden wir, wie die Allegorie in der Genesis es übermittelt, zusammen mit der Entdeckung, daß wir jetzt Mann und Frau, zwei getrennte Geschlechter sind, daß wir ein eigenes Gemüt und einen eigenen Willen haben. Wir sind keine Kinder mehr, die unschuldig die Zeit verträumen, sondern selbstbewußte Menschen, fähig zu denken und zu fühlen und mit der Verantwortlichkeit der Wahl zwischen Recht und Unrecht ausgestattet. So tauchen wir tiefer und tiefer in die Erfahrung bis wir die niederste materielle Windung der Spirale erreichen. Mit wachsender Erkenntnis unserer eigenen göttlichen Möglichkeiten beginnen wir dann vorsätzlich den langen langsamen Aufstieg auf dem Bogen des Geistes -so genannt, weil wir während der Runden dieses Emporklimmens nach und nach unsere materiellen Körper oder "Röcke aus Fellen" ablegen und die "Rüstung aus Licht" anlegen, um die biblischen Ausdrücke zu gebrauchen. Dieser große Zyklus dauert viele Millionen Jahre. (Die Radioaktivität, die wir in der Natur beobachten, ist ein Teil dieses Prozesses der Entmaterialisierung und schließlich Spiritualisierung jedes Partikels der sogenannten Materie.)

 

F. E. P.: Ich habe einige Schwierigkeit, Ihnen in allem zu folgen. Was ich wirklich herausfinden möchte, ist der modus operandi, - ich weiß es auf keine bessere Weise auszudrücken - die Art und Weise des Geschehens, die angewandt wird, um uns dahin zu führen, wohin wir vermutlich gehen sollen.

Herausgeber: Wie vollführen wir diese ausgedehnte Pilgerschaft? Auf die einzige Art und Weise, die die Natur für alle ihre Reiche vorgesehen hat: durch einen beständigen Prozeß der Erneuerung, der Wiedergeburt, der Wiederverkörperung, die im Falle des Menschen eine zyklische Rückkehr der menschlichen Seele auf die Erde in Körper aus Fleisch, sozusagen in Tempel des Lernens bedeutet. Auf diese Weise können wir Klasse um Klasse in der Schule des Lebens den Resultaten unserer Vergangenheit gegenüberstehen und auf diese Weise die Lektionen sicherer lernen, von denen Gott oder der Vater möchte, daß wir sie bemeistern. Wie gesagt beschränkt sich diese Methode der wiederholten Einkörperungen keineswegs auf das menschliche Reich; sie ist auch in allen Hierarchien über und unter uns wirksam. Überall, durch die grenzenlosen Bereiche des galaktischen Raumes bis zu der unendlich kleinen Welt des Atoms und seiner Elemente gilt nur ein erhabener Zweck: jedem lebenden Partikel oder Gottesfunken eine Gelegenheit zu geben, sich zu entwickeln, sein eigenes essentielles charakteristisches Kennzeichen aus seinem Innern zu entfalten - welches für es oder ihn selbst noch einzig in seiner Art und weil der kosmischen göttlichen Essenz entsprungen, mit dem pulsierenden Herzen des Universums eins ist.

Das ist einfach und kurz die Geschichte von der Evolution, wie sie die theosophische Philosophie betrachtet: die Geburt und Entwicklung empfindender Wesen aus dem Verborgenen zur Tätigkeit durch das Ausatmen des Höchsten. Wenn wir diesem Weg bis an sein Ende folgen könnten, wie ihm die Erlöser aller Zeiten gefolgt sind, würden wir verstehen, daß schließlich auch wir auf die Früchte dieser Errungenschaft verzichten müssen. Selbst der Göttliche Geist verzichtete vor Äonen auf seinen glorreichen Fortschritt, indem er einen Teil von sich opferte, damit wir und alle lebenden Wesen überall die Verantwortung des Wachstums auf der großartigen Spirale der Evolution auf sich nehmen könnten, bis vollständige und vollkommene Selbsterkenntnis erlangt ist. Wenn diese Zeit kommt, werden wir Gott erkennen.

 

F. E. P.: Wollten Sie sagen, daß jedermann die theosophischen Lehren studieren müßte?

Herausgeber: Daran denken wir mit den Schriften des SUNRISE am wenigsten. Sie können das absolute sichere Gefühl haben, daß keine Anstrengung gemacht wird, irgend jemand zu beeinflußen eine besondere Religion zu studieren, sei es das Christentum, der Buddhismus, Theosophie oder der Sufismus. In dem Augenblick, in dem man versucht, für einen besonderen Zweig der Wahrheit Propaganda zu treiben, verliert sie an Lebenswahrheit. Andererseits müssen wir unbedingt zum vergleichenden Studium aller Religionen ermutigen.

 

F. E. P.: Damit stimme ich überein. Wie jemand sagte: "Niemand kann andere bekehren; die Leute bekehren sich selbst, weil sie für eine Idee bereit sind."

Herausgeber: Sie haben ganz recht, und wenn es darauf ankommt Seelen für das Reich Gottes oder für irgendeinen Glauben zu gewinnen, - nun ich denke, niemand kann die Seele eines anderen Menschen retten.

 

A. R.: Er kann im besten Falle ein Beispiel oder einen Impuls geben.

Herausgeber: Meiner Meinung nach ist es nicht nur nutzlos, sondern geradezu falsch zu versuchen, sich in das Innenleben eines anderen Menschen einzumischen.

 

A. R.: Würden Sie irgendwelche Bücher oder vielleicht einen Unterrichtskurs empfehlen, damit sich ein einzelner, wenn er wollte, in einer mehr oder weniger systematischen Weise mit dem Gegenstand befassen kann?

Herausgeber: Bücher stehen natürlich zur Verfügung, aber wir zögern, irgendeinen Studiumskurs zu empfehlen. Es gibt eines, das wir bei jeder Forschungsarbeit empfehlen, und zwar: Wenden Sie sich an die ursprünglichen Quellen; wenn es sich um Theosophie handelt, studieren Sie die Werke von H. P. Blavatsky und besonders ihre Geheimlehre. In diesem Zusammenhang finde ich es ebenfalls wichtig, Sie davor zu warnen, daß Sie durch irgendwelche spätere Erklärungen irregeführt werden, die unter dem Namen Theosophie herauskamen, denn diese sind von der ursprünglichen Darlegung so weit entfernt, wie der schmutzige Boden des Flusses von dem reinen Strom an seiner Quelle. Ich erwähne dies, damit Sie auf der Hut sind und nicht ohne es gewahr zu werden zu einer rein intellektuellen und psychischen Annäherung an die Sache verleitet werden, die gewisse Autoren eine Zeit lang sehr betonten. Glücklicherweise ist unter den wahrhaften Schülern eine weiter verbreitete Erkenntnis im Umlauf, daß Moralphilosophie die einzige dauernde Grundlage für einen wahren Fortschritt bildet und nicht Phänomene und Intellektualismus.

 

A. R.: Das ist für mich interessant, denn ich bin Leuten begegnet, die vor Theosophie zurückscheuten, weil sie sie für einen Kult hielten. Andererseits habe ich andere gefunden, die hohe Achtung vor ihren Grundsätzen haben, wenn sie auch im allgemeinen nicht an ihrer organisatorischen Seite interessiert sind. Ich dachte, daß vielleicht die Wissenschaftler helfen durch ihre Entdeckungen im Raum das Vorurteil gegen diese Studien zu zerstören.

Herausgeber: Sie mögen nicht Unrecht haben. Tatsächlich weiß ich von zuverlässigen Quellen, daß man in manchen wissenschaftlichen Kreisen plant oder sich mit dem Projekt befaßt, authentische okkulte Literatur zu prüfen, um zu sehen, ob in bezug auf die äußerst geheimnisvollen 'intelligenten' Kräfte, die anscheinend gewisse Aspekte der physischen Natur beherrschen, irgendwelche Lösungen gefunden werden können.

 

A. R.: Ich kenne jemand, der sich am Rande mit einem solchen Projekt befaßt, aber mir scheint, er nähert sich ihm auf eine recht nüchterne Weise, so, als befasse er sich mit einem Problem im Laboratorium. Er sammelt Bücher, aber er stellt nicht viele Fragen. Vielleicht stellt er welche, ich höre sie nur nicht. Ich kenne ihn nicht besonders gut; habe ihn geschäftlich kennen gelernt.

Herausgeber: Ich habe das Gefühl, daß die Zeit kommt, vielleicht nicht solange ich lebe, aber möglicherweise solange Sie leben, in der die verlorenen Mysterien des Altertums, auf die in der Geheimlehre und in ihren "Stanzen des Dzyan" hingewiesen wird, - welche die Schöpfung oder die "Geburt von Welten" und ihre Verwandtschaft mit des Menschen eigenem Ursprung und seiner evolutionären Bestimmung beschreiben - als eine umfassende Grundlage für eine neue Annäherung an erleuchtetes Weltdenken erkannt werden. Ob dies schließlich eine religiöse, wissenschaftliche oder philosophische Form annimmt, ist unmöglich vorauszusagen. Tatsache in dieser Hinsicht ist, daß die Bibliotheken und Universitäten der ganzen Vereinigten Staaten und vieler anderer Länder der Welt die Geheimlehre in ihren Regalen haben, und ich bin sicher, daß diese Bücher auch gelesen werden. Ich persönlich würde ganz und gar nicht überrascht sein, zu finden, daß die Wissenschaft den Weg nach und nach vorbereitet. Selbst heute gibt es auf den höchsten Ebenen der Forschung jene, die entdecken, daß manche von Blavatskys Erklärungen - über das Atom und über die Natur des Magnetismus, der Elektrizität, der Gravitation und der Sonnenkraft - als echte wissenschaftliche Tatsachen bewiesen sind. Sie verkündete diese nicht als Prophezeiungen, sondern schrieb ihre Werke einfach als einen Teil der Wahrheiten in bezug auf die natürlichen Gesetze des Universums und des Menschen - Wahrheiten, die zum Teil oder im Ganzen in der einen oder anderen Form im Kern jedes wahren spirituellen Ausdrucks gefunden werden können.

 

A. R.: Das leuchtet mir ein, denn ich habe beruflich zu einem Ingenieur- und Fabrikunternehmen Beziehungen, das Teleskope für Universitäten und Kameras für Satelliten etc. herstellt, und wenn auch meine persönlichen Verbindungen begrenzt sind, (da ich kein Ingenieur bin) bekräftigen sie vieles von dem, was Sie sagten. Es wird über nichts offen gesprochen, aber man zieht eben seine Schlüsse.

Herausgeber: Je stiller diese Art Forschung in den tieferen Bereichen des Kosmos (und der inneren Konstitution des Menschen) vor sich geht, desto besser wird es sein. Eines Tages, wenn die Zeit reif ist, werden wir ihre Ausstrahlungen auf die Atmosphäre der internationalen Beziehungen erkennen.

Übrigens ist jemand von Ihnen mit der Bhagavad-Gîtâ vertraut?

 

A. R.: Ja, ich habe die mehr oder weniger geltenden philosophischen Ideen studiert wie sie in jenen Veröffentlichungen dargeboten werden, die die Hauptreligionen vertreten. Ich habe auch ziemlich viel über Yoga gelesen und bin durch die neuerlichen Experimente in Telepathie und ESP verwirrt worden. Mein Interesse wurde durch gewisse persönliche Erfahrungen erweckt. Außerdem habe ich ausgiebig in den Werken von Gurdjieff, Ouspensky und einer Anzahl anderer gelesen. So dachte ich, ich müßte doch eigentlich Theosophie studieren und in ihr etwas darüber finden.

Herausgeber: Wenn ich offen sein darf, ich sehe hier einige Gefahrenpunkte.

 

A. R.: Was meinen Sie?

Herausgeber: Wenn ein aufrichtiger Sucher mit einem forschenden Geist wie Sie sich aufmacht die Wahrheit zu finden, ist er gewöhnlich so sehr darauf bedacht, daß er oft von einer Anzahl Halbwahrheiten gefangengenommen wird, die tatsächlich gefährlicher sind, als vollkommene Unwahrheiten. Er findet so viele Gedanken, die ihn ansprechen, daß es für ihn schwierig ist, den Weizen von der Spreu zu scheiden. Es ereignet sich dann folgendes: Wenn der persönliche Ehrgeiz eines Autors in seine Vorstellung eingeht, weicht das, was ursprünglich einer richtigen Gedankenrichtung gefolgt sein mag, in trügerische Nebenwege ab, welche ihrerseits oft in Sackgassen führen. Das Grundproblem ist fast immer der Mangel an echter innerer Demut auf Seiten des Erklärers. Die wirklichen Wahrheiten über das Universum und unseren Planeten im kosmischen System werden ihren reinsten Ausdruck nur durch den bescheidensten und selbstlosesten Menschen finden: In dem Augenblick, in dem der Egoist der Meister wird und sein Bewußtsein der Diener, weicht der Schreiber vom Gegenstand ab und wir haben den Blinden der den Blinden führt.

 

A. R.: Von den Ideen in den Büchern, die ich erwähnte, würde ich sagen, daß ich sehr wenig angenommen habe. Andererseits habe ich auch wenige von diesen Ideen zurückgewiesen. Ich nehme sie weder an, noch lehne ich sie ab.

Herausgeber: Halten Sie Ihr Gemüt offen, bis Sie sicher sind. Sie verstehen natürlich, daß ich auf Gefahren im allgemeinen hingewiesen habe und nicht speziell zu Ihnen spreche. Ich versuche ein Bild von den Möglichkeiten zu geben, gegen die man auf der Hut sein muß.

Sie erwähnten Yoga. Dieser ist für viele wirklich schwierig: Wie unterscheidet man zwischen dem wirklich spirituellen Yoga und den vielen niederen Arten? Der Yoga, wie er in den Zeitschriften und im Fernsehen angepriesen wird, ist gewöhnlich nichts anderes als Hatha-Yoga in verschiedenen Verkleidungen. Es wird behauptet, daß er vollkommen unschädlich sei, aber im Grunde ist er schädlich, weil seine Ausführung ohne eine richtige Kenntnis von der Gesamtkonstitution des Menschen zu ernster Gleichgewichtsstörung führen kann. Die meisten Menschen haben nicht den geringsten Begriff in was sie hineingeraten, besonders wir im Westen, die wir in diesen Dingen so naiv sind. Sie erkennen nicht, daß solche Übungen, wenn sie ohne Wissen und mit einiger Regelmäßigkeit ausgeführt werden, einen Teil der inneren Prinzipien ihrer Natur im direkten Verhältnis so schwächen können, wie das physische und psychische Prinzip gestärkt werden.

Es gibt einen wahren Yoga - das Wort bedeutet "Vereinigung" - für den jede Religion in seiner Reinheit eintritt; es ist der "königliche Yoga," der die göttliche Essenz innerhalb der Seele auf eine natürliche und harmonische Weise entfaltet. Wenn immer der Christ durch ernstes Gebet und Aspiration nach Vereinigung mit seinem Gott strebt, übt er wahren Yoga aus. Und eines Tages, wenn er alle die niederen Elemente auf den Stand des Christos in ihm erfolgreich erhoben hat, wird er die Vereinigung oder das Einssein der höchsten Eigenschaft seiner Seele mit dem inneren Vater erfahren. Darauf bezog sich der Meister Jesus, als er seinen Jüngern sagte, daß sie die Werke, die er tat und selbst noch "größere Werke" ebenfalls tun könnten; denn wie er sagte, war es "der Vater, der in ihm wohnt, der diese Werke tut": der Funke göttlicher Intelligenz - in uns latent, in ihm vollkommener geoffenbart. In jenen wenigen Ausdrücken zeigte er seinen Anhängern das glänzende Panorama der evolutionären Reise der Seele ihrem Schöpfer entgegen.

 

F. E. P.: Das orthodoxe Christentum betont die Einmaligkeit des Christus, indessen scheint dieser Gesichtspunkt die Verallgemeinerung des Christus zu bedeuten. Was ich meine ist, daß der christliche Gesichtspunkt sehr begrenzt und exklusiv ist: "Es gibt keine Erlösung, denn durch mich"; während die theosophische Philosophie einzuschließen scheint, daß wir uns alle selbst erlösen können.

Herausgeber: Ich glaube das ist, wenn richtig ausgelegt, was Jesus lehrte: Nur durch das Christuselement, an dem wir alle teilhaben (nicht durch den Jesusteil) ist eine Erlösung möglich. Er bezeichnete sich selbst als ein Symbol dessen, zu dem alle Menschen heranwachsen können, und zwar nicht in einem exklusiven Sinne, sondern als ein universales Beispiel für die göttlichen Möglichkeiten, die jeder Mensch eines Tages entfalten kann. Ist das in Wirklichkeit nicht das nämliche, was jeder große Lehrer oder Heiland getan hat: Buddha, Krishna, Zoroaster, Lao-Tse? Hat nicht jeder mit verschiedenen Worten dasselbe gesagt? "Welchen Weg die Menschheit auch wählt, dieser Weg ist der Meine," wie die Bhagavad-Gîtâ es ausdrückt.

 

F. E. P.: Genau das glaube ich auch. Es ist einer der Gründe, warum ich anfing andere Religionen zu studieren, denn ich hoffte, daß der sehr beschränkte Gesichtspunkt, in dem ich erzogen wurde, erweitert werden könnte, wenn ich lernte wie Menschen, die einen anderen Glauben haben, über Gott denken.

Herausgeber: Sie werden verstehen, daß ich weder daran interessiert noch darauf bedacht bin, zu lange bei den rein buchstäblichen Aspekten der Religion zu verweilen. Aber ich heiße jede aufrichtige Frage willkommen, denn selbst der dürftigste Ausdruck kann immer in seiner tieferen Bedeutung betrachtet und von diesem erweiterten Standpunkt aus behandelt werden.

 

A. R.: Ich glaube, das ist ein wichtiges und sehr hilfreiches Prinzip.

Herausgeber: Haben Sie bemerkt, daß wir uns schon über zwei Stunden unterhalten? Wir haben kaum den Saum des Gegenstandes berührt, und es blieben ohne Zweifel viele Fragen unbeantwortet. Aber ehe Sie gehen, möchte ich gerne eine Frage klären, um die natürliche Grundlage der Beziehung klar zu legen, die zwischen den Individuen besteht. Das ist für mich eine der schönsten und praktischsten Anwendungen dieser alten Begriffe auf unser Alltagsleben. Sie haben begriffen, daß es in der Konstitution des Menschen etwas gibt, daß weit über seinen physischen Aufbau, sein Gemüt oder über die Gemütsbewegungen hinausreicht und das der innere Erkenner genannt werden könnte. Es gehört dem intuitiven Teil seiner Konstitution an, der wenn er wächst, augenblickliche Einsicht oder Erkenntnis hat.

Wenn nun eine Person einer anderen eine aufrichtige Frage stellt, die, wir wollen sagen in ihrem bescheidenem Wunsch zu helfen genau so ernst und ohne einen Gedanken ihre Fähigkeiten zur Schau zu stellen ist, dann wird jener Fragesteller automatisch die genaue Antwort wachrufen, die er braucht. Das erfolgt zuverläßig, denn in den natürlichen Bewegungen des Bewußtseins ereignet sich nichts zufällig. Zwischen den Individuen findet ein beständiger Austausch statt, wie unbewußt dieser auch erfolgt: entweder haben wir anderen etwas zu geben, das nur wir geben können, oder diese haben etwas zu bieten, das nur sie geben können - es mag nur ein Lächeln oder eine Geste sein, doch es oder sie ist von Bedeutung. Wir dürfen nicht vergessen, daß jeder von uns seit Millionen von Jahren unzählbare Ursachen in Bewegung gesetzt hat und nun in Leben um Leben ihre Wirkungen erntet.

Was wir brauchen, ist mehr Vertrauen - Vertrauen in unsere höheren Möglichkeiten. Sie erinnern sich an die Erwiderung des Meisters als die Jünger betrübt zu ihm kamen, weil die Zeit für die Kreuzigung nahe war: Macht euch keine Gedanken, was ihr sagen werdet, wenn sie euch vor den Richter führen, denn in dieser Stunde wird euch gegeben werden, was ihr sagen sollt. Darin ist nichts Fantastisches. Es bedeutet nicht, daß sich das Gute Gesetz herabbeugt und euch ins Ohr flüstert. Es bedeutet jedoch, daß wir, wenn wir ganz und gar aufrichtig sind, wissen werden, was wir sagen oder tun sollen. Es wird das Verständnis und genügend Unterscheidung kommen, um richtig zu antworten, innerhalb der Grenzen unserer Erfahrung. In dem Maße, in dem unser Verständnis wächst, wird unsere Kraft zu antworten wachsen. Und nun müssen wir schließen.

 

F. E. P.: Wir möchten Ihnen danken, daß Sie sich die Zeit genommen haben, uns diese Ideen zu erklären. Wenn es nicht zuviel verlangt ist, könnten wir dann an irgendeinem Wochenend wiederkommen? Sie wissen, es blieb ziemlich viel ungeklärt - eine Menge unbeantworteter Punkte, über die zumindest ich gerne mehr hören möchte.

Herausgeber: Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie einen Nachmittag frei haben, und wir wollen sehen, was sich tun läßt. Bis dahin viel Glück bei Ihren Forschungen.

Fußnoten

1. Siehe Gespräche am runden Tisch: "Die Quellen für das Wort Theosophie", Sunrise-Artikelserie 5. Jahrg., Heft 5, 6/1961 [back]