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Gespräche am runden Tisch: Mehr über das Wort Theosophie, seine Quellen und seine Anwendung

Vorsitzender: Bevor wir mit unserer Diskussion über die Quellen der Theosophie fortfahren, möchte ich gern zur Vorbereitung unserer Wiederaufnahme mit der zweiten Definition des Wörterbuches, die die "moderne Schule" betrifft, ein weiteres Fundament des Denkens legen. Damit meinen die Gewährsleute Websters wahrscheinlich die verschiedenen Organisationen, die seit 1875, als H. P. Blavatsky eine Gesellschaft gründete und dabei die Bezeichnung theosophisch benützte, entstanden sind.

Wenn man den Hintergrund und die Entwicklung der verschiedenen religiösen Philosophien der Vergangenheit betrachtet, so ist es interessant zu beobachten, daß die Wiedergaben ihrer Anhänger immer wieder in der gleichen Weise zum Ausdruck kommen. Es erscheint ein Bote - ein Christus oder ein Buddha, ein Konfuzius, Zoroaster oder Krishna - der von wenigen willkommen geheissen wird, während seine Botschaft entweder unbeachtet bleibt, oder als falsch und für die bestehenden Verhältnisse gefährlich erklärt wird. Er verschwindet wieder und seine direkten 'Schüler' oder jene der nachfolgenden Generationen, in denen wenigstens einige Erkenntnis hinsichtlich seiner Lehre wachgerufen wurde, fangen an eine 'Organisation' zu gründen, - die 'heiligen Worte' werden niedergeschrieben, Stätten der Verehrung werden errichtet, Sakramente werden als Mittel zur Erlösung benützt und die einst lebendige Botschaft wird zu einem Glaubensbekenntnis. Zukünftige, hauptsächlich durch die äußeren Formen geleitete Gläubige, sind bald unter sich selbst uneinig und in kurzer Zeit spaltet sich der ursprüngliche Kern der 'neuen Offenbarung'.

Typisch für die menschliche Natur, finden wir auf der einen Seite die Ultrakonservativen, die streng an dem 'Buchstaben' der Lehre hängen und darauf bestehen, daß ihre Auslegung die einzige und letztlich autorisierte ist, während auf der anderen Seite, und ihnen diametral entgegengesetzt, die Ultraliberalen stehen, die, in ihrem Eifer jede Einschränkung zu beseitigen, jeden Sinn für ein richtiges Verhältnis verlieren, ihre Werte durcheinander bringen und oft zum Schluß schwarz als weiß und falsch als richtig ansehen. Zwischen diesen beiden Extremen stehen jene, die sich standhaft bemühen, bei ihrer Anstrengung, die Botschaft auszulegen und hinter dem Formellen und Überlieferten das göttliche Muster wieder zu entdecken, dem 'Mittelweg' zu folgen.

Das ist nichts Ungewöhnliches, denn es zeigt sich auf jedem Gebiet menschlicher Erfahrung: im Geschäftsleben, in der Erziehung, im gegenseitigen Umgang und auch in nationalen und internationalen Angelegenheiten. So verhielt es sich auch mit Theosophie in ihren früheren Formen, und so verhält es sich auch heute hinsichtlich ihrer modernen Ausdrucksweisen, wo die Trennungslinien jetzt ziemlich deutlich werden. Wir sprechen hier von Eigenschaften, die sich über alle von Menschen errichtete Schranken hinwegsetzen, denn in jeder Organisation sind alle drei Arten Anhänger in Abstufungen zu finden. Hoffentlich wird es immer genügend Menschen geben, die sich, ob sie nun der einen oder anderen, oder keiner Organisation angehören, bemühen werden, ein Wissen über die ursprüngliche theosophia oder Gottweisheit lebendig zu erhalten - nicht dadurch, daß sie danach trachten den strengen Verpflichtungen des Lebens zu entrinnen, sondern durch intelligente und praktische Anwendung seiner grundlegenden Prinzipien auf die immer größer werdenden Nöte der Menschen.

 

Jane: Aber wie kann man wissen, was wahr ist und was nicht? Ich habe in letzter Zeit alle möglichen Bücher gelesen, und das ist sehr verwirrend. Viele der Ideen erschienen mir wie alte Freunde, obgleich sie mir neu waren, aber ich fand auch andere Dinge, die mir gar nicht gefielen.

Vorsitzender: Unglücklicherweise sind heute mehrere Auslegungen von Theosophie verbreitet und es ist nicht einfach zu unterscheiden was wahr und was falsch ist. Wenn sich jemand ernstlich dafür interessiert, die von dem Gründer der modernen Schule gegebene reine Lehre herauszuschälen, so sollte er sich unmittelbar an die Quelle wenden und sich mit den von H. P. Blavatsky umrissenen grundlegenden Prinzipien vertraut machen. Auf diese Weise wird er Grundlagen haben, mit deren Hilfe er jede spätere Anwendung prüfen kann.

 

Elmer: Sie sagen die "reine Lehre". Bedeutet das, daß Theosophie besondere Lehrsätze hat, die man glauben muß? Oder kann man das entnehmen und auswählen, was einem gefällt und das Übrige unbeachtet lassen?

Vorsitzender: Es freut mich, daß Sie das zur Sprache bringen, denn Frau Blavatsky stellt in all ihren Schriften klar, daß es absolut kein Glaubensbekenntnis oder keine Glaubensformel, keine Reihe von Dogmen geben sollte, die man annehmen muß. Es steht jedem einzelnen gänzlich frei, das auszuwählen, was ihm zusagt. Wenn wir mit der gleichen Göttlichen Intelligenz, die den Kosmos hervorbrachte, verwurzelt sind, dann haben wir nicht nur das Vorrecht, sondern es wird von uns erwartet, daß wir unserem eigenen Charakter entsprechend wachsen und uns entwickeln und nicht in Übereinstimmung mit dem eines andern. Wir sollten uns unter gar keinen Umständen durch den intellektuellen, moralischen, oder auch spirituellen Druck von irgend etwas anderem als unserem eigenen inneren 'Gefühl' gebunden fühlen. Alles, was wir auf irgendeinem Gedankenfeld lesen oder hören, sollte immer durch unser eigenes höchstes Urteilsvermögen geprüft werden. Wenn es in unserem Innern eine Glocke anschlägt, so ist es für uns, wenigstens im Augenblick und bis wir eine größere Facette der Wahrheit sehen, wahr. Wenn nicht, so können wir es ebensogut beiseite legen. Es kann sein, daß wir etwas zurückweisen, das sich später von wesentlichem Wert erweisen wird; wenn es aber im Augenblick nicht richtig zu sein scheint, so sind wir entweder nicht reif dafür, oder jene besondere Wahrheit wird uns vielleicht in Zukunft mehr Gutes tun, das anhält.

 

Dan: Aber es muß doch irgendwelche bestimmte Lehren geben, die zur Theosophie gehören, oder nicht? Oder ist Theosophie nur eine Art philanthropischen Bestrebens, wie die Bemühung um bessere Zustände und dergleichen?

Vorsitzender: Nein, wahre Theosophie ist nicht einfach eine unbestimmte Bezeichnung für eine Psychologie, die Gutes tun will, ohne Beziehung zum Menschen und seinen ihn drückenden Wunsch zu wissen, wer er ist und welche Rolle er letzten Endes auf Erden spielt. Da der Grund für ihre Entstehung 'Liebe zur Menschheit' war, ist sie dennoch ohne Zweifel eine 'philanthropische' Bemühung, im wahrsten Sinne des Wortes.

Ist sie dann eine Religion, oder vielleicht eine neue Art Philosophie? In Wirklichkeit ist sie keines von beiden und doch beides, und wenn wir...

 

Marie: Entschuldigen Sie, aber ich habe irgendwo gelesen, daß Theosophie die Mutter aller Religionen und Philosophien genannt wurde, da angenommen wurde, daß sie alle einer gemeinsamen Quelle entsprangen.

Fred: Das knüpft daran an, worüber wir das letzte Mal sprachen,1 daß es einen 'goldenen Faden' der alten Weisheit gibt, der alle Religionen verbindet. Wenn das der Fall ist, dann erhebt sich die Frage, wo kam diese alte Weisheit her?

Jane: Ich glaube, das geht für mich etwas zu weit. Ich würde lieber zu Webster zurückkehren und diese verschiedenen Ideen zu seinen Erklärungen in Beziehung bringen. Ich weiß, daß das Wort aus dem Griechischen stammt und "göttliche Weisheit oder Erkenntnis" bedeutet, aber ich glaube, ich kann mich nicht mehr erinnern, was er darüber sagt.

Vorsitzender: Das ist natürlich. Offen gestanden, diese Definitionen wollte ich schon längst vorlesen, aber wir sind so schnell von einem Gedanken zum andern geeilt, daß ich davon abgekommen bin. Hier sind sie, entnommen aus meiner Ausgabe von Webster's New Collegiate Dictionary aus dem Jahre 1956

1. Angebliches Wissen über Gott und die Welt in ihrer Beziehung zu Gott, das durch unmittelbare mystische Einsicht, durch philosophische Spekulation, oder durch die Vereinigung von beiden erlangt wird.

2. (häufig groß geschrieben) Die Lehren und Überzeugungen einer neueren Schule oder Sekte, die in der Hauptsache buddhistischen und brahmanischen Theorien folgt, besonders indem sie eine pantheistische Evolution und die Lehre von der Reinkarnation lehrt.

Abschnitt 1, den wir, wie Sie sich erinnern werden, bei unserem letzten Zusammensein erklärten, bezieht sich auf die Theosophie mit einem kleinen t, wie sie in den vorhergegangenen Jahrhunderten in verschiedenster Weise Ausdruck fand. Wenn wir ihn jetzt in einfachen Worten umschreiben, können wir sehen, wie universal er auf jedes religiöse oder philosophische System anwendbar ist, bei dem der Hauptgedanke von der Gottheit als Quelle und Ursprung aller Wesen und Dinge vorherrscht:

theosophia oder Wissen, das das Göttliche betrifft, die Bestrebungen und die Art des Vorgehens, wie es versucht, sich selbst in einem Menschen zu verkörpern und daher auch in jedem kleinsten Teil, die menschlichen Wesen eingeschlossen. Solches Wissen wird entweder durch direkte spirituelle Einsicht, durch Studium oder philosophische Betrachtung, oder durch eine vorteilhafte Verschmelzung des Gemütes mit der Intuition erlangt.

 

Betty: Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend jemand von uns diese Stufe der Erleuchtung in absehbarer Zeit erreichen wird.

Jack: Vielleicht war deshalb die Reinkarnation unter vielen alten Völkern so populär, weil sie offensichtlich erkannten, daß mehr als ein Leben notwendig sein würde, um das Ziel zu erreichen.

Vorsitzender: Das ist ausgezeichnet, Jack. Natürlich wird von keinem von uns erwartet, daß er in einem einzigen Leben soweit fortschreitet. Das würde so der Vernunft widersprechen, als erwartete man, daß der Erstklässler sogleich die Aufnahmeprüfungen an einer Universität macht. Trotzdem ist, wie es uns durch Johannes ins Gedächtnis gerufen wird, "das Licht" in jedem Menschen, und eines Tages werden wir uns selbst das Schauen "göttlicher Dinge" verdient haben. Mittlerweile können wir Mut fassen, denn selbst während der verhältnismäßig kurzen Zeitspanne überlieferter Geschichte, hat es jene großen und edlen Seelen gegeben, die genügend weiter fortgeschritten waren als die übrigen von uns, um es zu wagen die Höhen zu erklimmen. Wahrscheinlich sind sie viele, viele Leben lang den einsamen Pfad der Selbstdisziplin, der Selbstbemeisterung und Selbsterleuchtung gewandert, um schließlich die Kreuzigung ihrer irdischen Natur zu erleiden, damit der Innere Gott in ihren Seelen zur größeren Geburt gelangen konnte. Von dieser Art waren die Leiter und Führer der Menschheit, die lange Reihe der Erlöser und Christusse, die, nachdem sie ihre heilige Erfahrung, ihre "Vision" gehabt haben, mit anderen teilten und dabei im spirituellen und psychologischen Schicksal der Völker, unter denen sie lebten, große Veränderungen brachten.

Sie kamen nicht, um eine neue Sammlung von Wahrheiten zu enthüllen, oder gar eine neue Religion zu gründen. Wie H. P. Blavatsky in ihrer Geheimlehre sagt, die nebenbei gesagt von vielen als die Hauptquelle für die moderne Theosophie betrachtet wird, waren alle diese sogenannten Religionsgründer

Überlieferer, keine schöpferisch tätigen Lehrer. Sie waren die Urheber neuer Formen und Interpretationen, während die Wahrheiten, auf denen ihre Lehren beruhten, so alt wie die Menschheit waren.

- I. XXXVII

 

Dan: Das leuchtet mir ein. Wenn meine Logik stimmt, dann müßten sie in ihren Grundlehren natürlicherweise alle dasselbe lehren, denn wenn sie wirklich, sozusagen ihren 'Moment der Wahrheit' erlebten, müßten sie alle mit derselben göttlichen Quelle in Berührung gekommen sein.

Vorsitzender: Das ist gut ausgedrückt, Dan. Deshalb entdecken wir, wenn wir die Weltreligionen und die mystischen und philosophischen Systeme der verschiedenen Rassen ansehen und dabei zum Wesentlichen vordringen, daß sie alle dasselbe sagen. Wir vergessen zuweilen, daß unser Wissen auf die nur fünf- bis sechstausend Jahre zurückreichende Geschichte unserer Rasse beschränkt ist, während die Überlieferungen vieler alter Völker Hunderttausende von Jahren zurückreichen und jede von ihnen auf eine archaische "Weisheitsreligion" als die ununterbrochene Quelle der Wahrheit, aus der alles menschliche Wissen geschöpft wurde hinweist. Sie ist so alt, daß ihr Ursprung nicht festgestellt werden kann, aber ihre Existenz wird durch die periodische Inkarnation von Menschen bestätigt, deren erhabene spirituelle Größe sie zu inspirierten Führern fortschreitender Zivilisationen machte.

 

Jane: Aber die Weisheitsreligion wurde in jenen weit zurückliegenden Zeiten sicherlich nicht Theosophie genannt.

Vorsitzender: Natürlich nicht. Namen sind vollkommen nebensächlich, denn die Wahrheit nimmt alle und jeden Namen an, das hängt von einer Menge Ursachen ab. Die verschiedenen Völker verlangen eben zu verschiedenen Zeiten nach verschiedenen Arten der Führung. Einmal finden wir die Betonung auf die Erbauung oder auf die Religion gelegt, wie bei den ersten Christen, mit der dringenden Aufforderung, nach dem 'Christus-Bewußtsein' oder nach der 'mystischen Vereinigung' mit dem Vater im Innern zu streben. Ein andermal schiebt sich die philosophische Seite von des Menschen vielseitiger Natur zum Studium hervor, wie zur Zeit Platos, oder wie im alten Indien und Ägypten und bei anderen Völkern jener Zeit. Dann wiederum haben wir Zeiten, in denen die Wissenschaft mit einer ausgedehnten Erfahrung über die Naturgesetze in den Vordergrund tritt. Aber immer, ob allgemein geachtet oder eine Zeit lang 'verborgen', die Wahrheit ist für alle da, die sich ihrer würdig erweisen.

Ehe wir den zweiten Teil unserer Definition hernehmen, möchte ich noch etwas sagen, wenn es Ihnen recht ist. Vorhin hätte jemand gern gewußt, ob Theosophie ein Lehrsystem einschließt. Wenn wir uns an Die Geheimlehre wenden, sehen wir sofort, daß sie tatsächlich eine systematische Darlegung philosophischer Prinzipien umfaßt, - die von der "Weisheits-Lehre" des Altertums abgeleitet sind - die die "Geburt der Welten und der Menschen" durch viele Runden der Erfahrung beschreiben. Aber wie der Autor wiederholt sagt, war sie selbst nur der Übermittler. Sie brachte nichts Neues. Ihre Aufgabe war, das Scheinwerferlicht des Interesses auf diesen unter dem verwickelten Gewebe mystischer und religiöser Kenntnis vergangener Zivilisationen verborgenen Schatz der "Weisheit" zu lenken.

 

Elmer: Gründete sie aus diesem Grunde die Theosophische Gesellschaft, oder hatte sie andere Ziele im Sinn?

Marie: Wie ich die Sache verstehe, versuchte sie eine Bruderschaft unter den verschiedenen Rassen zu errichten, aber ich vermute, die Zeiten waren gegen sie.

Vorsitzender: In geistigen Dingen können wir Erfolg oder Fehlschlag nicht nach allgemeinen Regeln messen. Trotz der beständigen Drohung eines weltumspannenden Krieges hat die Idee der Bruderschaft überall im Bewußtsein der Völker Fuß gefaßt und das ist ein gewaltiger Fortschritt. Wenn auch der ursprünglich zugrunde liegende Zweck der war, das alte Wissen hinsichtlich des Aufbaus und der Tätigkeit der physischen und göttlichen Natur zu verbreiten, so war ihr Hauptziel doch, jene Männer und Frauen, die bereit waren sich der Ausführung des von Ihnen erwähnten Ideals zu widmen, zu einem Kern zusammenzufassen. Und da wahre Bruderschaft universal sein muß, - ohne Rücksicht auf äußerliche Unterschiede der Farbe, der Rasse oder des Glaubens - konnte das natürlich nicht ohne irgendwelche Brücken gegenseitigen Verstehens erreicht werden, die zwischen den vielen verschiedenen Völkern jeden Kontinentes errichtet werden mußten. Deshalb wurde ein vorurteilsfreies Studium aller alten und modernen Religionen, Philosophien und Wissenschaften gemeinsam mit einer Erforschung der inneren Konstitution des Menschen und seiner Beziehung zu den höheren und niederen Bewußtseinsbereichen angeregt.

Das ist ein umfassendes Programm, und da die menschliche Natur so ist wie sie ist, wurden die ursprünglichen Ziele nicht erreicht. Doch abgesehen davon, wieder einmal wurde eine Fackel hochgehalten. Es kann Jahrhunderte dauern, bis eine erleuchtete Bruderschaft der Nationen Wirklichkeit wird, aber in dem wachsenden Begreifen, daß alle Menschen nicht nur der Gestalt nach Brüder sind, sondern daß jede religiöse Wahrheit (nicht jedes Dogma) aus einer unzerstörbaren Quelle gespeist wird, ist der Fortschritt klar ersichtlich.

Nun wollen wir diese zweite Definition Websters sorgfältig betrachten. Sie ist erstens insofern irreführend, als jene moderne Theosophie, wie sie von Frau Blavatsky verkündet wurde, nicht beabsichtigte, sich ausschließlich mit "buddhistischen und brahmanischen Theorien" zu befassen. Selbst eine oberflächliche Prüfung ihrer Schriften zeigt, daß sie die heiligen Überlieferungen und Schriften aller Länder benützte, um deren Ursprung aus der Einen Immerdauernden Weisheit klar zu legen. Die Sagen und die Mythologien der skandinavischen Edda, die "jüdische Theosophie" der Kabbalah, die Lehren und Vorschriften von Pythagoras und Plato, von Ammonius Sakkas und den Neuplatonikern, wie auch die Schriften von Laotse und Konfuzius in China werden alle zusammen mit dem Christentum, dem Buddhismus und der Philosophie der Upanishaden und der Bhagavad-Gîtâ diskutiert.

 

Betty: Wie erklären Sie die Anwendung so vieler östlicher Ausdrücke in ihren Büchern? Mir scheint, diese Ideen hätten auch einfacher ausgedrückt werden können. Doch, eben während ich das sage, frage ich mich, welches englische Wort könnten wir an Stelle von Karma benützen!

Vorsitzender: Das ist es. Manche Verfasser späterer Zeit sind vielleicht in der Anwendung ungewohnter Terminologie zu weit gegangen, was ratsam sein mag, wenn man eine technische Darlegung schreibt. Aber für einführende Literatur erscheint das nicht notwendig. Es gibt Fälle, in denen der Gebrauch einer technischen Sprache notwendig ist. So benützt zum Beispiel die Wissenschaft in allen ihren Zweigen hunderte technischer Ausdrücke, von denen viele griechischen Ursprungs sind, und die ihren Spezialisten sofort Aufschluß geben, dem Laien aber sehr wenig bedeuten.

Sie erwähnen Karma. Dazu wäre zu sagen, daß, als Frau Blavatsky ihre Bücher schrieb, es weder im Englischen noch in irgendeiner unserer modernen europäischen Sprachen ein Wort gab, das den Sinn der Bedeutung dieses einen Sanskritausdrucks in sich einschließt oder enthält (und das gilt auch heute noch). Als daher das Wort Karma mit seinen philosophischen Folgerungen im Westen eingeführt wurde, wurde es so unentbehrlich, daß es bald genauso in unsere Sprache aufgenommen wurde, wie tausend andere fremde Ausdrücke.

Wie Sie wissen bedeutet Karma buchstäblich 'Handlung', mit der gleichzeitigen Bedeutung, daß jeder einzelne Gedanke und jede Tat seine, beziehungsweise ihre, entsprechende Reaktion in sich einschließt. Wenn wir dieses gleiche Gesetz von Ursache und Wirkung auf die ethischen und spirituellen Gebiete genauso anwenden wie auf die physischen, dann können wir sehen, welch verwickeltes Geflecht von Tätigkeit und Reaktion wir während unserer langen Vergangenheit geschaffen haben müssen; ein Gewebe von Wirkungen, das die Grundlage für unser gegenwärtiges 'Geschick' in diesem Leben bildet, wobei Karma uns, wenn wir ihm mit Verstand begegnen, helfen wird, eine bessere Zukunft aufzubauen.

Wir könnten natürlich sagen, Karma bedeutet genau das, was Paulus meinte, als er an die Galater schrieb Gott läßt sich nicht spotten und der Mensch wird ernten, was er sät. Aber Sie sehen wieviele Worte wir gebraucht haben, wo das eine Wort Karma, wenn richtig verstanden, das alles und noch mehr ausdrückt.

 

Jack: Ich sehe, daß einige dieser Ausdrücke sehr hilfreich sind. Aber was meint Webster, wenn er sagt, die moderne Theosophie lehrt eine Art "pantheistische Evolution"?

Paul: Wenn man sagt, jemand sei ein Pantheist, dann bedeutet das, daß er nicht an ein Höchstes Wesen glaubt, sondern viele Götter anbetet.

Vorsitzender: Hier haben wir wiederum eine Erklärung, aber eine aus zweiter Hand, die nicht die wirkliche Bedeutung des Ausdrucks bezeichnet. Unglücklicherweise haben wir im Westen die Gewohnheit, jeden Begriff geringschätzig zu behandeln, der nicht sogleich zu unserer Vorstellung, wie wir sie lieben, paßt. Das Wort selbst stammt ebenfalls aus dem Griechischen - pan + theos, oder "ganz und gar göttlich" - und bedeutete ursprünglich, daß alles der Gottheit entsprang. Wir haben indessen Gott soviele Jahrhunderte lang außerhalb von uns und getrennt von uns dargestellt, daß von jedem Glauben, der darauf hinweist, daß die Gottheit die Quelle aller Wesen und Dinge ist, gesagt wird, daß er "nach Pantheismus schmecke". Deshalb wird er mit Mißfallen betrachtet, weil vom Pantheismus fälschlicherweise angenommen wird, er bedeute: alles ist Gott - welche Lästerung zu sagen, daß ein Stein oder ein Pferd, oder selbst ein Mensch Gott ist!

Wenn wir uns aber unter dem Ausdruck "pantheistische Evolution" eine auf der Voraussetzung begründete Evolution vorstellen, daß jeder Punkt im Raum, was jeden Bewohner in unserem Sonnensystem, vom Atom bis zum Stern, und in den Myriaden Sonnensystemen unserer Milchstraße und jenseits derselben einschließt, ein Ausdruck der Gottheit ist, weil er einen Teil davon in sich einschließt, dann hat Theosophie, wie ich es verstehe, diese Art "Pantheismus" die ganzen Jahrhunderte hindurch bestätigt. Das würde natürlich gleichzeitig die Idee einschließen, daß sich alle diese Lebewesen beständig wieder erneuern, ganz gleich wo sie evolutionär stehen, indem sie ein Vehikel oder einen Körper nach dem andern benützen, damit der 'Gottesfunke' im Innern, der jene Anzahl Vehikel beseelt, wachsen, sich entwickeln und durch diese Erfahrung fortschreiten kann. Beim menschlichen Reich wird diese Art zyklischer Wiederkehr Reinkarnation genannt, was natürlich bedeutet, daß die menschliche Seele in einen menschlichen Körper eintritt und ihn belebt.

 

Jane: Ich freue mich sehr, daß Sie das sagen, denn die Reinkarnation sprach mich in den Büchern die ich las am meisten an. Das mag daher kommen, weil ich schon von Kindheit an davon überzeugt war, seit mir ein sehr guter Freund meines Vaters, der, nebenbei gesagt, Geistlicher war, davon erzählte. Als ich sieben oder acht Jahre alt war, nahm er mich eines Sonntags nach dem Mittagessen zu einem Spaziergang am Fluß entlang mit. Es war Herbst und die Bäume leuchteten wie flüssiges Gold. Er sagte, er möchte gern, daß ich mich immer wieder daran erinnere, wie schön sie gerade dann sind ehe sie zu sterben scheinen, denn sie sterben nicht wirklich, sondern verlieren nur für eine Weile ihre Blätter, damit sie ausruhen und im Frühling neue treiben können. Vielleicht hätte er keinen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, wenn er nicht einige Wochen später plötzlich gestorben wäre. Eine Zeit lang war ich tief bekümmert. Dann erinnerte ich mich seiner Worte und sie trösteten mich in wunderbarer Weise. Seitdem fühlte ich immer mehr die Gewißheit in mir wachsen, daß der Tod nicht das Ende für die Liebe und Sympathie und alle jene unwägbaren Dinge bedeuten kann, die einen so wirklichen Teil des Lebens bilden.

Tom: Hat nicht der größere Teil der Bevölkerung der Erde immer an irgendeine Form von Wiedergeburt geglaubt? Ich nehme an, daß viele von ihnen eine Art Seelenwanderung lehrten, doch halte ich das tatsächlich für eine Verzerrung der ursprünglichen Lehre, denn wie könnte die menschliche Seele in einem Tier inkarnieren? Mir scheint, wenn die Upanishaden und gelegentlich auch Plato sagen, daß ein Mensch als Leopard oder Tiger, oder als ein Pferd wiedergeboren werden kann, sie in Wirklichkeit meinen, wenn die Seele von gewissen tierischen Neigungen erfüllt ist, diese, wenn sie nicht bemeistert werden, dazu neigen, sie in folgenden Leben niederzuhalten.

Vorsitzender: Ich bin geneigt Ihnen zuzustimmen, obgleich ich glaube, daß es dabei noch andere Gesichtspunkte gibt, wir aber jetzt nicht die Zeit haben uns damit zu befassen: Gleiches zieht Gleiches an, und da die menschliche Seele an Qualität und Erfahrung innerlich so viel weiter entwickelt ist als das Tier, könnte sie nicht in einem Tierkörper inkarnieren. Ich würde einer solch lächerlichen Idee keinen Glauben schenken, sondern würde lieber an der einst universal angenommenen alten Vorstellung festhalten, daß wir nach einer bestimmten Zeit der Erneuerung und spirituellen Erfrischung periodisch als Menschen zur Erde zurückkehren, um unser Suchen nach selbstbewußter Vereinigung mit unserer göttlichen Quelle fortzusetzen.

 

Jack: Es ist erstaunlich, wieviele Leute heute in aller Stille zu dieser Vorstellung gelangen - Geschäftsleute, von denen man nicht vermuten würde, daß sie solche Gedanken haben.

Vorsitzender: Ich habe schon lange den Eindruck, wenn diese einst in der christlichen Lehre enthaltene Lehre von der Wiedergeburt der Seele wieder eingegliedert werden würde, es einen mächtigen Einfluß auf die westliche Psychologie und damit auf die Verhältnisse in der Welt ausüben würde. Wenn der Grundsatz der Reinkarnation auf positive Weise mit ihrer Schwesterlehre von Karma verbunden würde, daß wir, wie wir auch auf dem Felde unseres Charakters säen, eines Tages die Frucht dieser Saat ernten werden, so würden die Männer und Frauen überall begreifen, daß sie keine "elenden Sünder", sondern in der Essenz buchstäblich "Götter" sind, deren zukünftiges Schicksal sie selbst schaffen und das deshalb voll glänzender Verheissung ist, weil nichts unerreichbar sein wird.

Es könnte sein, daß dieses System archaischer Wahrheiten in diesem zwanzigsten Jahrhundert eine neue Gelegenheit haben wird, sowohl die sich an den Buchstaben klammernden als auch die phantasievollen Schwärmer zu überrennen. Vielleicht wird es dann die esoterische Philosophie der Vergangenheit genannt, aber es wird mehr sein als das. Es wird die Inspiration des Göttlichen für den Menschen sein, die er erhielt als er Mensch wurde, die Inspiration, die immer noch schlummernd in der Brust eines jeden Menschen liegt. Das ist es, worauf sich der Meister Jesus bezog, als er sagte "Nicht ich, sondern der Vater im Innern tut diese Dinge"; und was der Psalmist im Sinne hatte, als er sang: "Ja, obgleich ich im Tal der Schatten des Todes wandle... Du bist bei mir."

Das ist vielleicht ein gutes Zitat, zum Abschluß des heutigen Tages.

Fußnoten

1. Siehe Gespräche am runden Tisch, "Die Quellen für das Wort Theosophie", Sunrise-Artikelserie 5. Jg., Heft 5/1961 [back]