Mit Millionen Universen verbunden
- Sunrise 3/1983
Dies soll ein Plädoyer für eine erweiterte Definition des Lebens sein, das die magische Welt der Legende und Mythe mit dem Panorama der Atome, Menschen und Sterne vereinen will, die die Wissenschaft vor unserem staunenden Auge enthüllt. Es wird behauptet, in der Wissenschaft sei ebensoviel Poesie enthalten wie Wissenschaftliches in der Poesie.
Wenn wir in die Wildnis hinausgehen, deren Majestät und Friede, die harmonische Ausgewogenheit uns ebenso fesseln wie das Wechselspiel der rauschenden Gewässer und des pulsierenden Lebens, dann ist das nur eine Rückkehr zu unseren ursprünglichen Anfängen. Es ist eine innewohnende Erinnerung an eine Zeit, in der wir noch instinktiv mit der Natur lebten. Was ist eigentlich Natur? Eine Ansammlung von Gestein, Pflanzen und Menschen? Eine harmonische Zusammenarbeit vieler Leben? Ein lebendiges Ganzes, von dem alle "Dinge" lebende Teile sind?
Wir haben vor Jahrhunderten die Welt der Götter und Naturgeister für eine Welt verlassen, in der Atome Moleküle bilden, Moleküle Zellen, und Zellen Körper - Körper, die fühlen und denken können. Diese neue Welt braucht keine inspirierenden Seelen oder sie umgebenden Intelligenzen. Das Panorama der Naturreiche hat sich Schritt für Schritt entfaltet: zuerst waren die "Gesetze" der materiellen Verbindung da, dann der organische Aufbau von Materie, aus welcher sich wieder durch größere, komplexere Gesetze, aber auch durch reinen Zufall "Leben" aus dem Leblosen entwickelte. Organismen wuchsen irgendwie aus einem ursprünglichen Gemisch. Von da an bis zur Gegenwart ist alles immer mehr eine Frage einer immer größer werdenden Komplexität geworden, und gleichzeitig wuchs das Wahrnehmungsvermögen, das schließlich im Selbst-Bewußtsein gipfelte: Leben, ein Nebenprodukt der Materie; Bewußtsein, der Sproß des Lebens.
Wenn wir von der Schönheit einer Blume, eines Sonnenuntergangs oder eines leichten Schneegestöbers beeindruckt sind, dann ist das ein genetisches Erinnerungsvermögen, nichts weiter, denn es war nichts weiter. Doch das Herz ist mit einem unbehaglichen Gefühl erfüllt. Sicher gibt es da noch etwas ungeheuer Wichtiges, das man vermißt. Das "Dahinterliegende" peinigt den wißbegierigen, prüfenden Geist. Zu viele Barden haben das unbekannte, lebendige Universum besungen, und auch viele Weise dieser Welt brachten, ihrer inneren Eingebung folgend, zum Ausdruck, daß es in der Natur ebenso viele göttliche Intelligenzen gibt wie Planeten und Partikel - sogar genau so viele.
Wie bemerkenswert, daß die Mythen und Legenden aller Rassen - ganz gleich wie weit sie voneinander entfernt, oder ob sie ganz isoliert sind -, den weiten Himmelsraum in gleicher Weise beschreiben, daß er mit leuchtenden Welten, mit göttlichen Wesen bewohnt ist! Welch ein Zusammentreffen auch, daß in den Mythen die hervorragendsten Menschen unserer Menschheit (zum Glück) von Zeit zu Zeit erschienen sind - Lehrer, Philosophen, Heilande -, und den Menschen an seine unzerstörbare Essenz, die Quelle seines Altruismus, erinnerten, worin auch die Erinnerung an seine evolutionäre Vergangenheit und die Verheißung für seine sich entfaltende Zukunft enthalten sind. Nicht nur die Menschen, sondern alle sichtbaren und unsichtbaren Wesen sind Brüder in einem Wachstumsprozeß, allerdings nicht im Sinne von Stein auf Stein legen, sondern in einem Prozeß, der wohlgeordnet, gesetzmäßig und stufenweise durch Gelegenheiten und Möglichkeiten vor sich geht, die wenn auch verborgen, zu allen Zeiten vorhanden waren. Für die alten Denker stand fest, daß etwas nur von einem entsprechenden Etwas kommen konnte, Leben von Leben, Intelligenz von schlafender oder bisher noch nicht offenbar gewordener Intelligenz.
Und das Gesetz? Was sind Gesetze? Universale Ordnung hängt von ihnen ab: die "einfachste" Geburt kann nur nach diesen Gesetzen vor sich gehen. Doch woher kommt diese Gesetzmäßigkeit, dieser Garant für Harmonie, dieser Einordner der winzigsten Wirkung entsprechend ihrer vorausgegangenen Ursache? Wenn man auf einen grundlegenden Fehler in der Philosophie der modernen Wissenschaft und im jetzigen religiösen Denken hinweisen könnte, dann wäre es ein Fehler, auf diese Frage erschöpfend zu antworten. Ergeben sich die Gesetze zufällig, oder sind sie - wie manche es zum Ausdruck gebracht haben - das Wirken göttlicher Wesen, mit denen und in derem Umkreis wir leben und uns bewegen?
Es ist hier nicht beabsichtigt, philosophische Begründungen anzuführen, aber es muß laut gesagt werden, daß die Definition für Leben erweitert werden muß, denn ist diese erst einmal gegeben, dann kann unser geschäftiges und rastloses Tun zu einer bedeutungsvollen Phase in einem universalen Prozeß werden, durch den sich - im Verlaufe unermeßlicher stellarer Zeiträume - Funken göttlichen Lebens von Elektronen zu Buddhas, zu Sonnen, entfalten können. Eine solche Definition beruht auf Beweismaterial: der Beweis sind die Überlieferungen, das Gedächtnis der Rasse. Sie zerfielen oftmals im Laufe der Zeit oder durch menschliche Unvollkommenheit zu Bruchstücken und damit auch das, was dem Menschen von den Edelsten seines Geschlechts gelehrt wurde. Diese Erinnerung, diese "Märchen" sind Beweise, aber nicht die primitiven Vorstellungen oder abergläubischen Bräuche der Menschen. Aufgrund ihrer echten Universalität trugen sie in sich die Samen, die Symbole einer Kosmogenesis, durch die die Wissenschaft zu ihren großartigen Taten inspiriert werden konnte. Gleichzeitig sprechen sie zu der wahrhaft dürstenden menschlichen Seele und geben einen Überblick über die allgemeine Beschaffenheit des Menschen, der ein natürlicher, integrierter Bestandteil des bewußt zweckmäßigen kosmischen Lebens ist.
Wenn das Universum aus toter Materie besteht, aus der auf diesem Planeten rein zufällig irgendwie "Leben" entstanden ist - wenn es das ist, was wir mit Natur meinen -, dann würde eine solche Natur ohne Unterstützung hilflos versagen. In der Tat, sie würde niemals auch nur die geringste Harmonie erreicht oder beibehalten haben, wenn nicht ursprünglich - von einer inneren Quelle - das göttliche Wort oder der Logos oder der Ton die Atome zu sinnvollen Ausdrucksformen gebündelt, und sie auch, wenn man so will, durch einen unaufhörlichen, beständigen Klang, die "Sphärenmusik", in ihrem Dasein erhalten hätte. Es gibt heute in allen Wissenszweigen viele Menschen, die mit ihren eigenen Worten und auf ihre eigene Weise ebenfalls derartige Gedanken andeuten. Obwohl metaphysisch, liegen sie gar nicht so weit "außerhalb" des Bereiches der Wissenschaft. Sie sind tatsächlich den neuesten Entdeckungen so nahe, daß jemand, der von Natur aus dazu neigt, und den es deshalb zu diesen Überlegungen drängt, zwischen den Astronomen, Physikern und Anthropologen, sozusagen im anderen Raum, eine Musik (mitunter mit Worten) hören kann, die sich aufgrund der unendlichen Mannigfaltigkeit von Kombinationen zu einer Symphonie erweitern kann.
Es nähert sich bestimmt die Zeit, wo uns die neueste Wissenschaft und die reinste und echteste Poesie die größten Wahrheiten mit einer frischen Brise ins Gesicht blasen werden, und wir daran denken, wie wunderbar es ist, mit Millionen Universen verbunden zu sein. Wir werden im Heranwachsen eines Kindes die fortschreitende Inkarnation einer Seele erkennen. Auf Grund dieser größeren Erkenntnis werden wir einander nicht mehr verletzen, sondern vielmehr in großen und edlen Werken mit unseren Brüdern aus allen Reichen und Ländern zusammenarbeiten. Dann wird unsere alte Erde, die so lange die Last unserer ungezügelten Ignoranz zu tragen hatte, wachsen. Sie wird dann nicht mehr wie ein kleiner Planet aussehen, der seine Runden um die Sonne dreht, sondern hell und breit leuchten. Weit entfernte Träume? Vielleicht! Doch andererseits ...