Alter Wein in neuen Schläuchen
- Sunrise 3/1983
Literatur-Reihe in Verbindung mit der Geheimlehre
Es ist ermutigend, daß für die alten spirituellen Überlieferungen heute immer mehr Verständnis gezeigt wird, was in den Veröffentlichungen vieler neuer Studien über die verschiedenen Formen des religiösen und philosophischen Erbes der Menschheit zu ersehen ist. Ebenso wichtig für ein erneutes Kennenlernen der alten Weisheit sind die Bemühungen, wertvolle Übersetzungen von Originalquellen und Schriften früherer Gelehrter neu zu drucken. Wizards Bookshelf in San Diego, Kalifornien, ist der Herausgeber einer hervorragenden Reihe von Büchern, die in H. P. Blavatskys Geheimlehre zitiert werden. Diese Nachdrucke werden hauptsächlich deshalb herausgegeben, um zu zeigen, daß die Lehren über die okkulte Bedeutung der Mythen und Symbole wie ein "Faden" in den Heiligen Schriften der ganzen Welt enthalten sind. Die 1888 veröffentlichte Geheimlehre liefert aus einer Vielzahl von Quellen die Beweise für diese These. Seit ihrer Veröffentlichung sind jedoch die meisten der dort zitierten Werke selten geworden und schwer zu erhalten. Vor mehreren Jahren regte Richard Robb, der Gründer von Wizards Bookshelf die Secret Doctrine reference Series (eine Literatur-Reihe in Verbindung mit der Geheimlehre) an, weil er erkannte, daß es notwendig ist, daß diese Bücher wieder erhältlich sind. Diese Reihe, die Schriften der Überlieferungen des Hermes, der Perser, der Chaldäer, der Hindu, der Chinesen, der Griechen, der Kabbalisten, der Mayas und der Freimaurer umfaßt, ist von all jenen dankbar aufgenommen worden, denen daran liegt, daß künftige Generationen zu den theosophischen Quellen Zugang haben können. Die Besprechung einiger repräsentativer Titel soll einen Begriff vom Umfang und der Art der Bücher-Reihe zeigen.
Ancient Fragments (Alte Fragmente), übersetzt und zusammengestellt von Isaac Preston Cory (1802-1842), ist eine Sammlung von Fragmenten von 65 Autoren, die meist phönizischen, chaldäischen und ägyptischen Ursprung haben. Darunter sind mehrere Artikel, die anderswo nur als Manuskript vorhanden sind. Für den modernen Leser sind die chaldäischen Fragmente von Beros(s)us wegen ihrer Parallelen zum Alten Testament besonders interessant. Eine Erzählung berichtet von Xisuthrus, der von Gott Cronus vor einer Flut gewarnt wird, die die Menschheit vernichten werde. Es wird ihm befohlen, ein Schiff zu bauen und
alle Freunde und Verwandten mit hineinzunehmen und alles an Bord zu schaffen, was zur Erhaltung des Lebens notwendig ist - auch alle Tierarten, Vögel und Vierbeiner - und sich dann furchtlos der Tiefe anzuvertrauen. - S. 23
Xisuthrus gehorcht der göttlichen Weisung, und die Flut kommt wie vorhergesagt.
Nachdem die Erde überflutet worden war und das Wasser nach geraumer Zeit wieder zurückging, sandte Xisuthrus vom Schiff Vögel aus, die, nachdem sie kein Futter und keinen Platz fanden, um sich auszuruhen, wieder zu ihm zurückkehrten. Nach einigen Tagen ließ er sie zum zweiten Mal ausfliegen, und nun kamen sie mit schlammbedeckten Füßen zurück. Er machte einen dritten Versuch mit diesen Vögeln, aber sie kamen nicht mehr zurück. Daraus schloß er, daß Land aus dem Wasser aufgetaucht war. Er öffnete deshalb eine Luke des Schiffes und sah, daß es an einem Felsvorsprung gestrandet war... - S. 23-24
In anderen Berichten schildert Beros(s)us die chaldäische Version der Geschichte vom Turmbau zu Babel, von der Zerstörung des Tempels in Jerusalem und von der babylonischen Gefangenschaft der Juden.
Thomas Taylor (1758-1835) war ein englischer Platoniker, dessen glühende Begeisterung für die griechische Religion ihn von anderen klassischen Gelehrten seiner Zeit unterschied (siehe Sunrise Aug. / Sept. 1981, englische Ausgabe). Seine Eleusinian and Bacchic Mysteries (Eleusinische und Bacchische Mysterien) erklären die heiligen Einweihungsriten der Griechen als symbolische Darstellungen der Seelenreise innerhalb und außerhalb der irdischen Gefilde. In enger Anlehnung an die neuplatonischen Denker, wie Proclus, Plotinus und Olympiodorus, verbindet Taylor die "Kleineren Mysterien" mit dem "Elend der dem Körper unterworfenen Seele." Er vergleicht den Abstieg der Proserpina (Persephone) in die Unterwelt, die in den kleineren Mysterien stattfindet, mit dem Abstieg der Seele in die Inkarnation. Die nachfolgenden "Größeren Mysterien" führen zur Erfahrung der "Epopteia" (Empfang der Erleuchtung), in der die Seele die göttlichen Bereiche betritt und mit den Göttern verkehrt. Taylor vergleicht Bacchus oder Dionysius, die Hauptfigur in diesen Riten, mit der unzerstörbaren Intelligenz, der Sonnen-Essenz des Initianden.
Eine weitere Ergänzung zu dieser Reihe ist die Anugîtâ, ein Text aus Indiens großem Epos, dem Mahâbhârata. Als Anhang zur besser bekannten Bhagavad-Gîtâ behandelt die Anugîtâ dasselbe Thema: die Befreiung von den Fesseln der Illusion durch Selbstbeherrschung und durch Verzicht auf die Früchte der Handlung. Die Anugîtâ beginnt mit einem Dialog zwischen Krishna und Arjuna, den Helden der Bhagavad-Gîtâ, und stellt dann die hinduistische Psychophysiologie detailliert vor. Dieser Abschnitt ist eine Zusammenfassung von Belehrungen über die menschliche Konstitution, die auf den Lehren von den drei Eigenschaften (Gunas), von den fünf Lebenswinden und von den körperlichen Organen als "Opferpriester" basiert. Das Buch schließt mit mehreren Kapiteln, die Brahman, dem Gott der gesamten Schöpfung, gewidmet sind, und in denen eingehend über die Mittel berichtet wird, mit denen man Frieden durch Vereinigung mit dem unsterblichen, unveränderlichen Selbst erlangen kann.
Ein weiteres interessantes Buch ist Mythical Monsters (Mythische Monster) von Charles Gould. Es ist eine gelehrte Untersuchung über Drachen, Einhörner, Seeschlangen und andere derartige Wesen in der alten Literatur. Der Autor, ein Geologe des 19. Jahrhunderts, bringt diese "legendären" Wesen mit heute ausgestorbenen Arten in Verbindung, die sehr wahrscheinlich mit dem frühen Menschen existiert haben. Gould forschte in China und erhielt aus der dortigen klassischen Literatur umfangreiche Hilfe für seine Argumente.
Wenn auch jedes Buch aus dieser Reihe an und für sich Beachtung verdient, so ist die Reihe als Ganzes gesehen besonders wertvoll, weil sie Aufschluß über die Verwandtschaft unter den Grundideen verschiedener alter Schriften gibt. Zusätzlich zu den oben erwähnten Büchern enthält diese Reihe noch die hermetische Überlieferung, den Divine Pymander (Everard Übersetzung) / Der göttliche Pymander. Die alte amerikanische Esoterik wird in Sacred Mvsteries among the Mayas and Quiches (Heilige Mysterien der Mayas und Quiches) beschrieben, und eine Übersetzung des Zohar übermittelt den Geist kabbalistischer Betrachtungen. Der Desatir enthüllt die alte persische Kosmologie. Weitere Titel ergänzen unser Wissen über diese und andere Aspekte der Alten Weisheit. Will man die Lehren, die in diesen Büchern enthalten sind, in sich aufnehmen, so ist das eine große und überwältigende Aufgabe. Aber wenn man immer weiter in sie eindringt, verschwinden allmählich die äußeren Widersprüche, um einer tieferen Harmonie Platz zu machen. Besonders wenn man gleichzeitig Die Geheimlehre liest, bestätigen die vergleichenden Studien und Analysen der Bücher dieser Reihe Blavatskys fundamentale Prämissen, daß zu allen Zeiten und an allen Orten wenige Mutige, zu ihrer Arbeit durch den mitleidsvollen Drang inspiriert, ihre Mitmenschen zu erleuchten, den Weg der Wahrheit gegangen sind.