An uns selbst glauben
- Sunrise 2/1983 Sonderheft: Der stille, schmale Pfad
Vor geraumer Zeit sprachen einige von uns miteinander, und ein junger Mann aus Jamaika fragte: "Wie kann man ein besserer Mensch werden?" Er sagte: "Wenn wir uns umschauen und auch die Berichte über die Menschen vergangener Zeiten studieren, dann sehen wir überall Krieg, Mord und Grausamkeit. Es scheint, als sei der Mensch dazu verurteilt, sich selbst zu zerstören, ein Opfer der dunklen und selbstsüchtigen Mächte des Lebens zu werden. Wann hören wir je etwas von positiven Dingen?" Er fuhr fort, sich über sein Leben zu beklagen und über den Konkurrenzkampf, den er bereits in der Schule erlebt hatte. "Aber". fügte er hinzu, "eines Tages fragte ich einen Freund, wie er es fertig bringe, so friedfertig und ruhig zu sein, und dieser antwortete: >Weil ich gelernt habe, an mich selbst zu glauben.< Das war für mich ein ganz neuer Gedanke, und ich fing an, viele Dinge anders zu betrachten."
Uns selbst, unser gesamtes Wesen zu akzeptieren, und immer wieder zu versuchen, die innere Wirklichkeit zu entdecken, ohne sich damit abzuquälen wie jemand anderer zu sein, oder was noch schlimmer ist, ohne jemanden übertreffen zu wollen, das ist ein guter Ausgangspunkt. Fest steht, daß das Wettbewerbsdenken alle gesunden, vernünftigen Grenzen überschritten hat. Bei dem Bestreben, voranzukommen, sind manche Leute bereit, andere Leute mit Füßen zu treten, um ihr Ziel zu erreichen. Eine derartige Einstellung beraubt den Menschen seiner angeborenen Würde und verleugnet die moralischen und ethischen Grundsätze, die zum Menschsein gehören.
"Wie ein Mensch in seinem Herzen denkt, so ist er." Wir sind, was wir denken; wir sind aber auch, was wir zu sein glauben. Deshalb können wir das sein, von dem wir wissen, daß wir es tief in unserem Inneren sind, denn in uns ist die gesamte Weisheit des Universums. Wir können einen anderen Menschen nicht überzeugen, aber es ist jede Mühe wert, zu versuchen, uns selbst zu überzeugen, daß das Leben in dem Maße positiv und hoffnungsvoll ist, wie wir versuchen, es so zu gestalten. Was immer wir denken und wie sehr wir innerlich auch versuchen, die Tatsache abzustreiten oder zu ignorieren, wir suchen in erster Linie die Würde zu finden und letzten Endes auch zu verkörpern, die wir in unserem höchsten Teil sind, und den Weg zu unserer inneren Sonne zu verstehen und ihm zu folgen. Das Wunderbare bei dieser Suche ist, daß jeder sein eigener Pfad ist, während er danach strebt, diese spirituelle Bestimmung zu erfüllen, die uns allen gemeinsam ist. Haben Sie jemals den Weg des Sonnenlichts auf dem Meer beobachtet, wenn die Sonne langsam untergeht? Das Phänomen weist auf diese sonderbare Wahrheit hin: Wenn man am Strand entlanggeht, so entdeckt man, daß der Lichtstreifen auf uns zuläuft und uns folgt wenn man weitergeht, aber jeder sieht denselben goldenen Streifen von der Stelle aus, wo er gerade steht.
Was für ein stärkender Gedanke, daß das Sonnenlicht der Wahrheit in uns ist, und daß wir in jedem Augenblick die Kraft der Göttlichkeit bitten können, in unser Leben einzutreten und dadurch unsere Gedanken und Taten zu veredeln. Aus zahlreichen Beispielen vom inneren menschlichen Sieg können wir lernen, daß keine Last zu schwer ist, wenn wir die richtige Haltung bewahren, auch wenn wir dabei oft versagen. Die Einwirkungen und Forderungen der menschlichen Gesellschaft geben uns manchmal das Gefühl, daß wir uns wie eine Ameise vorkommen, die zerdrückt zu werden droht, aber, wie jemand richtig bemerkte: "Was ist daran nicht in Ordnung, einer Ameise zu gleichen? Eine Ameise kann eine Last tragen, die um das Vielfache schwerer ist, als sie selbst." Jeder von uns besitzt im Inneren eine Größe, die weit über das hinausgeht, was uns oder um uns geschieht, und außerdem besitzen wir einen unbezwingbaren Geist, den niemand zerstören kann.
Ganz unerwartet ereignen sich auf unserem Lebensweg Dinge, die den Glauben an das Gute in der Menschheit bestärken. Vor einiger Zeit bezeichnete ein Fernsehkommentator Mitleid, Rechtschaffenheit, Demut und Selbstlosigkeit als Eigenschaften wahrer Größe. Seine Worte fesselten durch ihre Einfachheit und durch ihren Optimismus. Er berichtete von einem blinden Schreiner, der mit Hilfe des Tastsinns seiner Hand wunderbare Arbeiten herstellt, den besten vergleichbar. Das verlangt Ausdauer, Optimismus und die rechte Haltung sich selbst gegenüber. Der Kommentator schloß mit dem Gedanken, daß Größe wenig oder gar nichts mit der gesellschaftlichen Stellung zu tun hat. Es gibt schlechte Menschen, die im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen, und es gibt große Menschen - groß durch das, was sie innerlich sind -, die der Welt möglicherweise nie bekannt werden. Diese Stillen mit ihrem inneren Adel und ihrer Standhaftigkeit sind die wahren Helden.