Die Lichtquelle aller Wesen
- Sunrise 1/1983
Vieles, was heute Allgemeinwissen ist, wird eines Tages abgelegt werden, während manches, was jetzt unbeachtet bleibt, beachtet werden wird. Das gilt vor allem für die inneren Werte, die kausalen Einflüsse im Leben. In dem EINEN ist jedes Wesen ein Licht, ein Gedanke im universalen Geist, dynamisch, lebendig und der Entwicklung unterworfen, dem ewigen Werden.
Die Welt ist ein geordneter Kosmos, in dem Maß und Gesetz herrschen - wobei zwei voneinander abhängige Aspekte klar zu unterscheiden sind: Bewußtsein und Materie. Die Bewußtseinsseite ist eine unendlich große Ansammlung monadischer Zentren, die auf dem Wege ist, ihre Evolutionäre Reise zu erfüllen. Die materielle Seite ist die Schule, das Entwicklungsfeld für diese spirituellen Funken. Beide Teile sind Aspekte des EINEN, alles durchdringend und ewig, und beide benötigen einander. Johannes Kepler (1571-1630) sah die Welt als das physische Bild Gottes, während Spinoza (1632-1677) sagte, daß jedes Stäubchen lebt. Seine Worte weisen darauf hin, daß göttliches Bewußtsein die Basis aller Dinge ist, und Materie der Schatten des Geistes und der Träger des Werdens. Weiterhin sagt er: "Alle Dinge sind Daseinsformen einer einzigen, ewigen, unbegrenzten Substanz, außer der es kein Sein gibt und keinen Gott. Das bedeutet, daß das geoffenbarte und für uns sichtbare Universum ein integrierender und wesentlicher, zu einem Ganzen gehörender Teil ist. Es ist die "Manifestation" der Neuplatoniker, die sich vorstellen, daß die spirituelle Essenz - die göttliche Monade - aus dem Unendlichen emaniert, ohne jemals ihre Quelle zu verlassen.
Die Neuplatoniker und andere große Menschen erkannten, daß Materie Leben, und alles Leben Bewußtsein ist. Bewußtsein ist die Wurzel aller Dinge und von gleicher Ausdehnung wie der Raum. Als menschliche Wesen, die in dieser physischen Welt leben, sind wir, jeder einzelne, ein "Ereignis": Ein Bündel von Kräften, von unterschiedlichen Graden der Ätherhaftigkeit oder Stofflichkeit, immer im Werden begriffen, uns entwickelnd, wachsend, sind wir auf allen Ebenen unserer Hierarchie tätig. In uns lebt ein Gott, zeitlos, ungeboren, unsterblich. Wir sind als kleine Welt ein Ausdruck der großen Welt und repräsentieren alles in ihr. Es war keine bloße Behauptung, wenn die Mystiker erklärten, daß der Mensch ein "Sohn des Unendlichen" ist. Für sie war die spirituelle Seele das Wichtigste. Es war die "All-Liebe", der Urgrund allen Seins, aus dem alles hervorgeht und in den schließlich alles wieder zurückkehrt, wenn nach Äonen die Entwicklung beendet ist.
Die Wissenschaft beantwortet die Frage, wie das Universum arbeitet. Sie sammelt Wissen, ordnet es und stuft es ein, aber sie erklärt nicht, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Das gehört in den Bereich der Philosophie. Der Wissenschaft und Philosophie muß das religiöse (nicht sektiererische) Denken hinzugefügt werden, wenn wir uns ein echtes Bild von Gott, der Welt und dem Menschen machen wollen. In diesem Zeitalter der Elektronenmikroskope, der Nuklearphysik und der Raumforschung sind wir geneigt, die Lebensfunktionen als etwas Getrenntes zu betrachten, anstatt als universales Leben; wir studieren Verhaltenswissenschaft, anstatt Intuition zu entwickeln. Auf dieses Weise zergliedern wir die Oberfläche des Lebens, die uns trotzdem immer wieder staunen läßt, während die Verbindungsfäden, die zum Ganzen führen, immer dünner werden. Werner Heisenberg schrieb in seinem Werk: Der Teil und das Ganze:
Die Naturwissenschaften sehen ihre Aufgabe darin, im geoffenbarten Weltall die Gesetze zu ergründen, Phänomene zu beobachten, um das Ergebnis anderen mitzuteilen, damit sie es kontrollieren können. Gegeben sind für sie nur Objekte der Wahrnehmung. ... Das Forschen und das Suchen geschieht ohne Wertung, es sind lediglich Fakten.
Er fügt jedoch hinzu:
In der Naturwissenschaft, die auch die lebendigen Organismen mit umfaßt, muß das Bewußtsein einen Platz haben, weil es zur Wirklichkeit gehört. ... Das eigentliche Problem lautet: Wie kann der Teil der Wirklichkeit, der mit Bewußtsein anfängt, mit jenem anderen zusammenpassen, der von Physik und Chemie beschrieben wird?
Weiterhin fragen wir: Wie kann es unbelebte, tote Materie in einem lebendigen Kosmos geben, in dem selbst das geringfügigste Molekül ein Dynamo voll innerer Kraft ist? Andere Wissenschaftler sind zu dem Schluß gekommen, daß alles Bewußtsein ist.
In jeder Hierarchie bemüht sich das Leben um Vervollkommnung. Wir Menschen wachsen durch Widerstand. Wir werden durch den Alltag herausgefordert und müssen, indem wir unserer inneren Empfindung folgen, nach der letzten Wahrheit suchen, die wir in unserem Innersten sind. Was hindert uns daran, im Kampf um das Licht immer ein positives, förderndes Element zu sein? Nur unsere niederere Natur! Da wir göttliche Funken vom kosmischen Feuer sind, ist demnach etwas in uns, das uns veranlassen kann, aus einer grundsätzlichen Einstellung heraus zu handeln, die nicht nur Ethik im eigenen Leben verlangt, sondern auch die ethischen Komponente im Kosmos erkennt und akzeptiert. Sollte ein Wandel der inneren Haltung stattfinden, der schon seine Schatten vorauswirft, eine Wiedergeburt des klassischen Altertums, ein Wechsel vom rein Phänomenalen zum Ursächlichen, so geschähe das nicht zum ersten Mal. Das Weltbild hat sich wiederholt verändert, und wird sich weiterhin ändern. Der Mensch, als ein Teil des Ganzen, ist nicht nur ein Nachahmer einer schon fertig gestalteten Welt oder eines göttlichen Gedankens. Er ist ein Schöpfer und Ausführender im Vorgang des ewigen Wachstums der Welt, daher gleichzeitig Gehilfe und Schüler. Hier auf dieser materiellen Ebene erfüllen sich die Geschicke. Hier lösen sich Ursachen und Wirkungen auf. Hier schaffen wir unsere Feinde, hier finden wir unsere Tore zum Licht. Hier gibt es kein sinnloses Walten der Natur, keinen Fatalismus, auch keinen rächenden oder belohnenden Gott. Kein Ding entstand jemals aus dem Nichts. Selbst der erste Lebensfunke nach einer Weltennacht, beim Heraufdämmern eines neuen Weltentages, ist die Wirkung einer früheren Ursache. Sowohl die Zukunft als auch die Vergangenheit werden in der Gegenwart lebendig, denn das Eine Leben, das Eine Bewußtsein ist eng mit dem Einen Gesetz verbunden: Karma.
Was bedeutet es, wenn wir schwierige innere Kämpfe zu bestehen haben? Wir sollten uns bemühen, Gleichmut zu bewahren, Größe und Seelenstärke zu gewinnen. Wir sollten uns niemals von der Tragik unseres eigenen Schicksals überwältigen lassen. Welcher Mensch ist frei von Leid? Wir sollten immer daran denken, daß die gesamte Schöpfung mit uns voranschreitet, sie leidet mit uns. Wir sollten auch wissen, daß es eine Seelenstärke gibt, eine geistige Kraft, die den Menschen weit über alle Unannehmlichkeiten des täglichen Lebens hinaushebt. Ein nie versagendes Heilmittel ist, sich in das unsterbliche spirituelle Selbst zu erheben. Größere Kraft erhält derjenige, der die karmischen Wirkungen bejahen kann und, wie Nietzsche es ausdrückt: "sich mit dem Schicksal aussöhnen kann." Wir können annehmen, was auf uns zukommt, weil uns nichts zustoßen kann, was nicht zu uns gehört.
Jeder Schicksalsschlag, der uns auf den verschiedenen Ebenen unseres Daseins erschüttert, befreit uns von alten Fesseln. Wir können nicht wissen, wieviele Menschenkinder mit ihrer Stärke und Schwäche schon vor uns gekämpft und gelitten haben und um Verständnis bemüht waren, so wie wir heute. Wir wissen nicht, wieviele im Lebenskampf zerbrochen sind und wieviele ihn siegreich überstanden haben; aber wir wissen, stärker als alle Schicksalsschläge ist der Wille, sie zu überwinden. Die Gegenwart ist der Anfang der Zukunft. Laßt uns jeden Augenblick nutzen: Er ist voller Bedeutung. Vor uns liegt die Ewigkeit. Während wir persönliches Leid ertragen, können wir vielleicht über das Unabänderliche lächeln.
Seit Anbeginn der Welt setzen wir uns mit einem sich entfaltenden Wesen auseinander, einem monadischen Strahl, der in zwei gegensätzliche Teile gespalten ist: In die physische Erscheinung und in seinen spirituellen Urgrund. Alle lebenden Globen, alle Menschen sind Manifestationen, durch die das spirituelle Bewußtsein wirkt. Alle Evolution ist ein Entfalten verborgener Fähigkeiten und unbegrenzten inneren Lebens. Im Mittelpunkt des Geschehens steht der Mensch. Er entsteht, wächst, reift von Form zu Form, und der Endpunkt ist nicht der Tod, sondern das Leben, das sich ewig verjüngt und vervollkommnet. Die Dualität, die wir sehen, ist eine Täuschung, die zur Manifestation gehört. In Wirklichkeit gilt: "Ich und der Vater sind eins."
Weisheit ist Wissen, verbunden mit Liebe. Nur ein solches Wissen kann Täuschung und Irrtum durchdringen. Weisheit spricht nicht von Dualität, vom Standpunkt des "Ich bin anders", sondern vom Bewußtsein eines allumfassenden "Ich" - des ewigen Trägers des Einen Lebens. Wir können es göttlich nennen, wir können es auch Liebe nennen als ein kosmisches Prinzip. Es ist eine Kraft, die die Welt durchdringt, denn sie stammt aus der Lichtquelle aller Wesen.