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Gefährten der Sterne

"Er, der seinen Platz kennt, kommt," sagen die Götter.

Oh, Du Reiner, nimm Deinen Thron ein in der Barke von Re [der Sonne]

und segle durch den Himmel ... Segle Du mit den unzerstörbaren

Sternen, segle Du mit den unermüdlichen Sternen.

- Pyramidentext (ägyptisch, ca. 2400 v. Chr.)

 

 

 

Angenommen, durch eine wundersame Zauberkraft würde uns eine tiefe Einsicht gewährt, wer wir wirklich sind. Einen Moment lang sähen wir in einer Gesamtvision unsere äonenlange Erfahrung im Bereich dieses Universums, seit es und wir aus der Dunkelheit der kosmischen Ruhe in das Licht eines weiteren Weltzyklus in Erscheinung traten. Angenommen, wir hätten einen Augenblick vollständiger Klarheit, und wir wären allwissend und könnten alles wahrnehmen wie Siddhârtha unter dem Bodhi-Baum oder wie Arjuna, als Krishna ihm seine göttliche Form offenbarte, und so wie die Glückseligen im Paradies, als Allah die Schleier beiseite zog, die seine ehrfurchtgebietende Größe bedeckten. Was für ein transzendentales Ereignis - nie wieder würden wir die Erhabenheit unseres Ursprungs und das, was wir wirklich sind, anzweifeln. Wir sind nicht Körper, nicht einmal Seelen, sondern dimensionslose göttliche Bewußtseins-Punkte, die während vieler Zyklen beliebige Formen annehmen, die gerade für die jeweilige Stufe unserer Evolution als zweckmäßig erachtet werden. Was aber noch wichtiger ist, wir würden uns als das erkennen, was wir auch in unserem jetzigen Zustand sind, unvergänglich und von Dauer wie die Sterne - Überlebende von Millionen Toden und doch einer Zukunft entgegengehend, die unbeschreiblich verheißungsvoll ist. Doch jetzt sind wir noch Menschen, und wie glanzvoll die Erleuchtung auch ist, sie muß vergehen; das ist gut so, denn wir könnten sie nicht festhalten. In der Tat, wenn sie von Dauer wäre, würde sie alles vernichten, was unter ihr steht, so machtvoll ist der Magnetismus der Wahrheit.

Solche Augenblicke des klaren Erkennens liegen vielleicht völlig außerhalb der Möglichkeiten, die den meisten von uns offenstehen, aber sind sie Wirklichkeit? Haben wir nicht alle in Träumen oder selbst bei gewöhnlichen Ereignissen Andeutungen erlebt, in denen uns unsterbliche Dinge offenbar wurden; Intuitionen, die in unserem Leben eine dynamische Änderung hervorrufen könnten, wenn wir sie befolgen würden? Wenn das Bewußtsein auch nur für den Bruchteil einer Sekunde mit dem Licht der Wahrheit erweckt wird, zieht sich sein strahlender Glanz nie mehr vollständig zurück, sondern dringt unauffällig, größtenteils unbemerkt in unser tägliches Selbst ein. Doch hin und wieder wird das Licht intensiver empfunden, und dann erwacht die alte Sehnsucht erneut: die Suche wieder aufzunehmen, die Schulung und Übung der Selbstbeherrschung, die das höhere Leben fordert, bewußt zu betreiben. In unseren Entscheidungskrisen sind und müssen wir allein sein, und dennoch sind wir paradoxerweise nie allein, denn wir werden sowohl von allen jenen, die in vergangenen Zeitaltern bestrebt waren, diesen Weg zu gehen und ihn auch gefunden haben, als auch von allen, die jetzt leben und aus tiefster Sehnsucht in ihrem Herzen dem mystischen Ruf Beachtung schenken, gestützt und gestärkt.

Viele haben den anstrengenden, nach oben führenden Weg hinter sich gebracht; sie kennen die Gefahren, die am Wege lauern, aber auch die Selbsterleuchtung, die ihnen durch andauernde Reinheit und bewiesene Unbescholtenheit als Belohnung zuteil wurde. Das sind die "zweimal Geborenen", die eine geistige Erneuerung, eine "zweite Geburt" erfahren haben, die "das Leid gelitten [und] aus Menschen zu Göttern wurden", wie es in den orphischen Mysterien ausgedrückt ist. Da wir davon überzeugt sind, daß Tausende von Männern und Frauen heute zutiefst danach streben, ein Leben zu führen, das mit den intuitiven Eingebungen ihres besseren Selbst übereinstimmt, haben wir für diese Sonderausgabe gerade dieses Thema der spirituellen Wiedergeburt gewählt.

Wo eine geistige Erneuerung, eine Regenerierung von innen heraus stattfindet, müssen offensichtlich viele Vorgänge des "Sterbens" vorausgegangen sein; wiederholt mußte all das, was von geringerem Wert ist, abgeworfen werden, damit das Größere entstehen kann. Es überrascht daher nicht, daß bei den Einführungsriten vieler Völker der Tod und die Reise der Seele in das Jenseits eine ausschlaggebende Rolle spielt. Geht man von der schlichten Tatsache aus, daß die Wege, die unser Bewußtsein während des Schlafs und nach dem physischen Tod automatisch einschlägt, genau die gleichen sind, die der Neophyt bei der Einweihung bewußt beschreiten muß, so ist das nur eine logische Folgerung. Es ist, als ob die Natur uns in aller Stille für die Erfahrungen üben ließe, die wir zwischen den Planeten und der Sonne schließlich einmal ohne Hilfe und mit voller Kenntnis über jede Einzelheit des Weges durchmachen müssen. Gleichzeitig findet in uns das allmähliche Erwachen unserer planetarischen und solaren Bestandteile statt, die im Bewußtsein - nicht physisch - während des Durchgangs durch die himmlischen Sphären Resonanz finden. Es verwundert daher keineswegs, daß die alten Kulturen in ihren Lehren und ihrem Glauben davon ausgingen, daß die Geheimnisse des Todes nicht nur ein größeres Verständnis für das irdische Leben bieten, sondern sich gleichfalls auf das Universum beziehen.

Wer sich die Mühe gemacht hat, etwas in den Heiligen Schriften der Welt zu blättern, wird über die falschen Angaben, die heute verbreitet sind, entsetzt sein. Zu viele Menschen werden von glänzenden Angeboten für Astral-Reisen gefesselt, für schnelle und leichte Methoden, um ein planetarisches und kosmisches Bewußtsein zu erlangen. Sie werden nicht davor gewarnt, daß viele Jahre - in der Tat viele Leben - der inneren Vorbereitung erforderlich sind, um den gesamten Bereich der spirituellen, mentalen und psychischen Bewußtseinsebenen, sowohl in der eigenen Natur als auch im Kosmos, bemeistern zu können. Noch weniger wird über das Motiv gesagt, das unsere Gedanken und Taten entscheidend beeinflußt.

In den echten Vorbereitungsschulen wird eine andere Methode angewandt, denn was die Selbst-Überwindung anbelangt, so hat es nie einen abgekürzten Weg gegeben, und es wird auch nie einen geben. In erster Linie kommt es auf die Reinigung des Körpers und des Geistes an, danach folgt die erforderliche Selbst-Disziplin und dann die Einweisung in die inneren Gesetze, die den Menschen und die Welt, in der er lebt, regieren. Und zuletzt, erst nach dem "Tod" seiner irdischen Elemente, wird dem Schüler gestattet, sich der entscheidenden Prüfung zu unterziehen; nun folgt der "Abstieg in die Hölle", sowohl in die Unterwelt seiner elementalen Natur wie auch in die Unterwelt der Erde, in der er stark und rein genug sein muß, um dem ihn herabziehenden Gewicht der Materie per se zu widerstehen und gleichzeitig genügend Mitleid zu empfinden, um seine ganze Wärme und sein ganzes Licht mit anderen teilen zu wollen. Wenn er erfolgreich ist, dann erhebt er sich und erfährt die mystische Vereinigung mit seinem inneren Gott, seiner solaren Wesenheit, endlich "Zuhause" unter den Sternen - bis der Ruf kommt, den Weg zurückzugehen und erneut unter seinen Mitmenschen zu arbeiten.

Ein anderer Grund, dieses Thema aufzugreifen, liegt darin, zu zeigen, daß in dem menschlichen Herzen eine starke Sehnsucht vorhanden ist, um besonders in dieser Zeit der zerschlagenen Ideale eine absolute Gewißheit zu erlangen, daß in unserem Leben eine spirituelle Realität existiert und daß jeder von uns die Möglichkeit hat, sich irgendwann einmal mit der göttlichen Quelle des Seins zu vereinigen. Von frühester Zeit an haben sich alle Völker danach gesehnt, indem sie einem Unbekannten Gott Ehrfurcht erwiesen, dem sie vielerlei Namen gaben, wie Allvater, Großer Geist, der Alte der Tage oder der Allerhöchste. Ganz gleich, welche Vorstellung gewählt wird, diese kosmische Wesenheit hat auch einen irdischen Vertreter: Der Namenlose; er, der niemals schläft, dessen wachsames Auge immer bereit ist in schützender Sorge für die Menschheit und für die Unversehrtheit der Lebewesen, die unseren lebenden Planeten ausmachen; er, von dem jene mitleidsvollen und belebenden Impulse ausgehen, die die Seele nähren, und der die Menschheit dazu anhält, sich in dem evolutionären Strom vorwärts zu bewegen. Als Baum dargestellt, sind von seinen Zweigen die vielen Erlöser und Hierophanten in der Weltgeschichte hervorgegangen, wobei jeder dieselbe erleuchtende Botschaft weitergab. Er ist auch als das Wunderbare Wesen, der Initiator, das Große Opfer bekannt.

Denn an der Schwelle des LICHTS sitzend, blickt er in dieses, aus dem Kreise der Dunkelheit, den er nicht überschreiten will; noch will er seinen Posten verlassen vor dem letzten Tag dieses Lebenszyklus. Warum bleibt der einsame Wächter auf seinem selbstgewählten Posten? Warum sitzt er an der Quelle der ursprünglichen Weisheit, von der er nicht mehr trinkt, weil es für ihn nichts mehr zu lernen gibt, was er nicht schon wüßte - fürwahr, weder auf dieser Erde noch im Himmel? Weil die einsamen Pilger mit wunden Füßen auf ihrer Rückreise in ihre "Heimat" bis zum letzten Augenblick niemals sicher sind, ihren Weg in dieser grenzenlosen Wüste der Täuschung und Materie, Erden-Leben genannt, zu verlieren. Weil er gerne den Weg zu dieser Region der Freiheit und des Lichts, aus der er sich freiwillig verbannt hat, zeigen würde, ... Weil er, kurz gesagt, sich selbst für das Wohl der Menschheit geopfert hat, ...

- H. P. Blavatsky, Die Geheimlehre, I, 228-229

Bedarf es noch mehr der Worte? Gewiß, der leuchtende Faden des Mitleids verbindet den Geringsten von uns mit dem Namenlosen. Wundersam sind in der Tat die Kräfte des menschlichen Geistes: der Wille, emporzustreben und gegen unüberwindliche Widerwärtigkeiten mit Erfolg anzukämpfen, und die spontane Hingabe rücksichtsvoller Herzen. Das sind die Kennzeichen unserer reifenden Individualität: Eigenschaften, die, wenn sie viele Leben lang gepflegt wurden, uns schließlich bereit machen, den heiligen Weg zu betreten. Eines Tages wird dann unser höheres Selbst als Gefährte der unermüdlichen Sterne seinen Platz unter den Unsterblichen beanspruchen, den Himmel im Sonnenschiff durchquerend, das es sich selbst gebaut hat - verklärt, ein Segen für die gesamte Menschheit.