Das Universum: Ein Zusammenspiel von Leben
- Sunrise 4/1978
Wenn wir zum sternenübersäten Nachthimmel emporblicken, so haben wir manchmal das Gefühl, als würden wir uns aus unserem Inneren ausdehnen, als wäre ein Teil von uns mit jenen entfernten Lichtwesen verbunden. Mir scheint, solche Reaktionen wären unmöglich, wenn nicht alle Teile des Kosmos in ihrem innersten Wesen irgendwie grundlegend miteinander verbunden wären. Diese Vorstellung von der Einheit hinter der augenscheinlichen Vielfältigkeit der Welt hat in vielen alten und modernen Gedankensystemen Ausdruck gefunden, die versuchen, die Beziehung der Teile des Universums untereinander und zum Ganzen zu erklären. Im Westen haben zum Beispiel Philosophen von der Leiter des Lebens und von der großen Kette des Seins gesprochen; beides sind bildliche Ausdrücke, die das Universum als eine abgestufte Reihenfolge von miteinander verbundenen Leben beschreiben, die vom winzig Kleinen bis zum Unermeßlichen und vom Materiellsten bis zum Spirituellsten sich erstreckt. Die Theosophen halten es für zweckmäßig, den Kosmos als eine Reihe von Hierarchien zu betrachten. Diese Bezeichnung besagt, daß jede Einheit, die in der Natur gefunden wird, ein Lebewesen ist, das aus vielen kleineren Leben zusammengesetzt ist, und umgekehrt, daß eine jede solche Einheit dazu beiträgt, eine größere Wesenheit zu bilden.
Der menschliche Körper ist ein gutes Beispiel für eine solche Hierarchie. Das Fundament des menschlichen Körpers ist aus Zellen aufgebaut, die in Organen und in anderen Gefügen zu Gruppen zusammengeschlossen sind, die gemeinsam das Ganze bilden. Wie die Wissenschaftler inzwischen entdeckt haben, ist jede Zelle ein bewußtes Leben, das in individueller Weise reagiert und seinen eigenen, bestimmten magnetischen oder Schwingungscharakter hat. Auch die Organe haben ihre eigene Wesensart und drücken außerdem den Zellen, die sie aufbauen, ihren Schwingungs- oder magnetischen Stempel auf. Über alles im Inneren dominiert jedoch die Beschaffenheit des Bewußtseins, das die Gesamtstruktur durchdringt. In diesem Falle ist es das Bewußtsein eines bestimmten Menschen. Während so jede Wesenheit im Universum für sich selbst ein Individuum ist, beeinflußt sie gleichzeitig alles um sich herum und wird ebenso von allem, was um sie ist, beeinflußt. Von dieser Perspektive aus gesehen besteht der Kosmos aus einer Serie miteinander verketteter Leben oder Bewußtseinszentren.
Diesen Begriff können wir auch auf die Erde übertragen, die ebenfalls von individuellen Leben, wie den Mineralen, Pflanzen, Tieren und den Menschen, gebildet wird. Hier ist es leichter, die Individualität der verschiedenen untergeordneten Wesen zu erkennen, als den Einfluß festzustellen, den der Erdmagnetismus oder die Schwingungsgleichheit auf sie ausüben. Doch die Erde muß die Elemente, die sie zusammensetzen, stark beeinflussen, denn selbst die Naturerscheinungen wie Tag und Nacht, die Jahreszeiten, die klimatischen und atmosphärischen Schwankungen beeinflussen unser Leben stark. Obwohl wir die physischen Wirkungen solcher Zyklen wahrnehmen, fangen die Wissenschaftler erst an, das Energieverhältnis oder die magnetischen Beziehungen zwischen dem Planeten als ein Ganzes und seinen einzelnen Teilen zu erforschen.
Wenn wir unsere Perspektive noch erweitern, dann kann die Erde als ein Organ im Sonnensystem betrachtet werden. Die moderne astronomische Forschung hat festgestellt, daß der von der Sonne ausgehende Strom von Partikeln und Energien so dicht ist, daß die Erde sich in gewisser Hinsicht im Körper der Sonne befindet. Das gleiche Prinzip des hierarchischen Aufbaus kann somit durch analoge Schlußfolgerungen auf atomare und subatomare wie auch auf übergalaktische Bereiche angewendet werden; denn wo können wir feststellen, daß wir die äußerste Grenze erreicht haben, jenseits welcher nichts mehr existieren kann? Wir können höchstens die Grenzen des menschlichen Verstandes und der Imagination erreichen und feststellen, daß jenseits davon das Unbekannte oder das Unendliche liegt. Wenn wir uns die Sternhaufen der Milchstraßen als Moleküle in einer kosmischen Substanz vorstellen, dann erkennen wir die Relativität unserer menschlichen Perspektive. Eine solche Betrachtung macht bescheiden und erhebt zugleich, denn während wir einerseits zum Nichts zusammenzuschrumpfen scheinen, sehen wir andererseits, daß wir selbst Universen sind, die Heere von kleineren Leben beherbergen.
Bis hierher haben wir uns auf die physischen Körper konzentriert, die wir in der Natur sehen - den Körper des Menschen, die Erde oder das Atom -, weil sie uns in der täglichen Erfahrung am meisten vertraut sind. Wir sehen jedoch, daß der Mensch auf vielen verschiedenen Ebenen tätig ist, die nicht zu seinem Körper gehören. Der Körper dient hauptsächlich als ein Vehikel oder als Brennpunkt, damit der Mensch seine mentalen, emotionalen und spirituellen Fähigkeiten in der physischen Welt zum Ausdruck bringen kann. Es ist einleuchtend, daß unser wirkliches Selbst in unseren mehr spirituellen Aspekten wohnt, denn wir behalten das Gefühl unserer Wesenseinheit (daß wir wir sind) auch dann, wenn in unserem Körper, ja sogar in unseren Gefühlen und in unserem Denken Veränderungen stattfinden. Genauso kann auch alles im Universum - vom Atom bis zur Übergalaxie - ein aus vielen Schichten bestehendes Wesen sein: ein Bewußtseinspunkt oder eine Individualität, der oder die sich auf verschiedenen Ebenen zum Ausdruck bringt; die für uns unsichtbaren Welten dabei eingeschlossen. Dieses Bild von anderen Ebenen der Materie und des Bewußtseins jenseits des Wahrnehmbaren deutet darauf hin, daß alles in der Natur mit bewußtem Leben auf verschiedenen Stufen angefüllt ist, auch wenn wir es mit unseren gegenwärtigen Sinnesorganen nicht wahrnehmen können.
Der wirkliche Wert dieser Ideen liegt für uns darin, daß sie Licht auf die Beschaffenheit des Weltalls werfen und auf unseren Platz, den wir darin einnehmen. Wir neigen oft dazu, das Universum als einen Behälter des Lebens oder als einen Bereich darzustellen, in dem das Leben in abgegrenzten Gebieten existiert. Wenn das Universum jedoch aus Lebewesen zusammengesetzt ist, dann ist es diese Lebewesen, genauso wie der menschliche Körper von lebenden Einheiten aufgebaut ist, die der Körper sind. Und doch sind der Mensch und diese kleineren Leben paradoxerweise alle selbst individuelle Wesenheiten. Deshalb kann man den Kosmos auch als Aggregat der Hierarchien oder Gruppen von Leben, die ihn bilden, betrachten. Indem der Mensch zu einer Darstellung von Bewußtsein gemacht wird, der von unzähligen anderen, auf verschiedenen Entwicklungsstufen befindlichen Ausdrucksweisen umgeben ist, erhält man ein lebendiges Bild von unserem galaktischen Heim.
Der Begriff der Hierarchien enthüllt auch das Miteinanderverbundensein aller Dinge, ihre essentielle Einheit als Ausdrucksformen des Universalen Lebens und Geistes. Wenn alle Dinge durch die kleineren Leben, die sie zusammensetzen, beeinflußt werden und diese beeinflussen, und desgleichen die größeren Leben, die sie zusammensetzen, dann haben die menschlichen Handlungen einen weitreichenden Einfluß auf alles um den Menschen herum, angefangen bei den Zellen bis hinauf zum Sonnensystem - den Menschen natürlich eingeschlossen. Deshalb ist Bruderschaft nicht etwas, das erreicht werden muß, sie ist vielmehr eine Tatsache, die in der fundamentalsten Struktur des Universums verankert ist: sie muß nur erkannt werden.
Diese außerordentlich enge Verbindung unter allen lebenden Dingen macht es klar, daß wahre Ethik keine willkürlich aufgestellte Regel ist, die für nützliche Zwecke oder aus anderen Gründen aufgestellt wurde, sondern daß Ethik ein Ausdruck der Struktur des Universums ist und im menschlichen Leben und Verhalten Geltung hat. Von diesem Standpunkt aus betrachtet kommen die Leiden und Verwirrungen in der Welt nicht von der angeborenen Verderbtheit oder als göttliche Strafe, sondern von der Unfähigkeit oder der Ablehnung des Menschen, sich dem Wirken der Natur, das heißt den Betätigungen jener Wesen, die die Erde und das Sonnensystem sind, anzupassen. Genauso wie die Zellen, wenn sie die festgelegten Vorgänge stören, damit verursachen, daß der gesamte Körper üble Wirkungen erleidet, genauso bringt der Mensch, wie eine widerspenstige Zelle, die verschiedenen Sphären der Erde in Aufruhr, wenn er nicht mit den vom Organismus geforderten Prozessen, zu dem er gehört, zusammenarbeitet. Die physische Seite dieser Idee wird unter dem Namen Ökologie gemeinverständlich dargestellt, während die mentalen und psychologischen Konsequenzen erst noch in weiten Kreisen anerkannt werden müssen.
Das Erkennen von Bruderschaft als eine Tatsache in der Natur gibt die wissenschaftliche Grundlage für jene universalen ethischen Richtlinien, die in allen Kulturen der Welt gefunden werden. Von gleicher Wichtigkeit ist es jedoch zu begreifen, daß diese Einheit nicht nur in einer gegenseitigen physischen Abhängigkeit wurzelt. Die komplizierten sichtbaren gegenseitigen Beziehungen in der Natur widerspiegeln eine Einheit von Bewußtsein oder Geist, die allen materiellen Ausdrucksformen zugrunde liegt, denn das gleiche universale Bewußtsein bildet den zentralen Kern jeder Wesenheit, vom Atom bis zum Stern.