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Die Musik und die menschliche Seele

Wirkliche Kunst wird aus einem schöpferischen Impuls geboren, der den innersten Tiefen des Künstlers entströmt und mit der Echtheit, Wahrheit und all der inneren Stärke zum Ausdruck kommt, wie sie der Künstler aufbieten kann. Sie wirkt auf verschiedenen Ebenen, nicht allein auf der emotionalen, weil die Wirkung aus dem "Kern der geistigen Energie" strömt. Da die Kunst in erster Linie anregen und nicht belehren soll, läßt sich ihr innerstes Wesen auch nicht logisch analysieren. In ähnlicher Weise ist dieser Kern die zwingende Kraft im Herzen aller echten Mythen, und in dem Maße, wie wir uns mit deren Symbolik identifizieren, wird uns auch ihre Bedeutung offenbar werden. Sehr beeindruckend ist die Mythe vom Abstieg der menschlichen Seele in das materielle Leben und von ihrer Rückkehr in den ursprünglichen Zustand, bereichert durch das Bewußtsein ihrer inneren spirituellen Beschaffenheit.

Ein Dichter sagt, die Seele "kommt aus fernen, dahinziehenden Wolken himmlischer Herrlichkeit", und viele Komponisten waren bestrebt, uns mit ihrer Vorstellung oder Empfindung zu inspirieren, das irdische Leben sei ein Läuterungsprozeß. In welchem persönlichen Stil sie ihre Musik auch ausdrücken, es ist immer der gleiche Vorgang: Die Seele verläßt ihren anfänglichen Zustand der ursprünglichen, aber unbewußten Reinheit, sie berauscht sich an der Eigen- oder Selbstliebe und erhebt sich dann aus dem Stofflichen, in dem sie gefangen war. Drei Komponisten haben dieses Motiv auf ihre eigene, sehr individuelle Art behandelt: Mozart, Wagner und Bach.

bild_sunrise_31978_s111_1Mozart übernahm die Ideen von einigen Aufgeklärteren der europäischen Hofkreise seiner Zeit, die durch die Unruhen, die von den Illuminaten ausgingen, angeregt worden waren. Es waren teilweise halbgeheime oder im Verborgenen tätige Gruppen hingebungsvoller Menschen, die eine jahrhundertealte Tradition über die Vervollkommnung des inneren Menschen weitergaben. Mozart schrieb seine Oper Die Zauberflöte in Anlehnung an die Freimaurerei. Das Wiederaufleben dieses Lehrsystems ging auf verschiedene Einflüsse in Westeuropa zurück. Diese Wiederbelebung war besonders auf Cagliostro zurückzuführen, der die Logen des "Großen Orients" gründete, in welchen er gewisse Prinzipien zusammenfaßte, von denen er behauptete, daß er sie von seinen eigenen ungenannten Lehrern empfangen hatte. Diese geheimnisvolle Gestalt erscheint in der Oper in der Rolle des Sarastro, Hohepriester von Osiris und Großer Hierophant oder Hauptinterpret heiliger Mysterien des geheimen Wissens über Kosmos und Mensch. Kritiker, die nur die Musik allein beurteilen, preisen das musikalische Werk, beklagen aber die "kindische" Handlung, die sie sogar "banal" nennen. Es entgeht ihnen jedoch dabei der Reichtum an freimaurerischen Symbolen, mit denen der Text angefüllt ist. Die Feierlichkeit der Einweihungsszene wird jedem offenbar, der bereit ist, deren Bedeutung zu ergründen, und die Wirkung ist nicht nur auf die herrliche Musik zurückzuführen, sondern auch auf die philosophischen Gedanken, besonders die "Hochzeit" des höheren und des niederen Selbst im Menschen.

Bildtext: Mozart.

In seiner Oper Tristan und Isolde, deren Handlung auf einer alten keltischen Sage beruht, verwendete Wagner seine buddhistischen Vorstellungen, die er sich vor allem aus den Werken Schopenhauers angeeignet hatte. Dieser deutsche Philosoph hatte die damals neuen Übersetzungen der indischen Schriften aus dem Sanskrit begeistert in sich aufgenommen. Den Mittelpunkt der Oper bilden zwei Hauptthemen. Das erste Thema ist die Seligkeit, wenn 'Nirvana' erreicht wird, was hier mehr im Verschmelzen der Seelen in einem zukünftigen Erdenleben denn als irdische Vereinigung in diesem Leben dargestellt wird. Dem langen Dialog im zweiten Akt, der als trocken, metaphysisch und "langatmig" kritisiert wurde, liegt dieser Gedanke zugrunde. Das zweite Thema, das ebenfalls den Dialog des zweiten Aktes bestimmt, zeigt den großen Unterschied zwischen den idealen oder geistigen und den materiellen Welten.

Das Thema der 'Reinigung der Seele' gestaltet er jedoch ausführlich in seinen Opern Lohengrin und Parsifal. Lohengrin hat etwas von der Atmosphäre der Geschichte vom Heiligen Gral, einem vorchristlichen Mythos, der schon im 9. Jahrhundert, endgültig aber zwischen dem 11. und dem 15. Jahrhundert vom Christentum absorbiert wurde. Der Gral verleiht sowohl den ihm ergebenen Gefolgsleuten als auch den jungen Aspiranten, die danach streben, sich ihnen anzuschließen, spirituelle Erleuchtung. Die "Segnungen", die er auf alle ausströmt, sind mehr göttliche als materielle Nahrung, obgleich die Namen von Früchten und ähnlichen Dingen verwendet werden; das sind symbolische Darstellungen, die man auch in alten Kulturen vielfach antrifft.

In der Ouvertüre zu dieser Oper ist das Herabkommen des Grals von seiner Höhe und sein Wiederaufstieg in einem charakteristischen Motiv in leuchtenden Klängen von Saiteninstrumenten und den höchsten Tönen der Flöte zu hören. Diese Musik ist mit dem Schwanenmotiv, dem Symbol des Gralsritters Lohengrin, eng verbunden. Der Vogel erinnert uns an Kala Hansa, den "Schwan der Zeit" der Hindu, der auf den Wassern des Geistes dahinzieht oder über sie hinweg in das Unbekannte fliegt.

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Im Parsifal hat Wagner das Thema des Kandidaten aufgenommen, der sich verpflichtet, auf seinem täglichen Lebenswege sich zu schulen, um aus dem Herzen seines essentiellen Selbst seine wahren menschlichen Qualitäten zu entwickeln. Das wird dadurch dargestellt, daß die Hauptfigur ihren "wirklichen Namen" erfährt und alles, was damit zusammenhängt. Als junger "reiner Tor" kommt Parsifal zur Gralsburg, wo er den Ritter Amfortas, der den Vorsitz hat, in heftiger Pein sieht. Parsifal versagt bei der Probe, weil sein menschliches Mitgefühl zu schwach ist und er nicht nach der Ursache des Leidens fragt. Nach vielen Schicksalsschlägen, durch die Parsifal Mitleid, Verständnis und Weisheit entwickelt, kommt er wieder zurück zu der Burg, und diesmal hat er Erfolg. Dann ergießt der Heilige Gral seine Belohnung in Form von Segnungen für alle.

Die rhythmische Folge des Fortgehens und Heimkommens, von Weggang und Rückkehr, ist wie der kosmische Vorgang des Aus- und Einatmens zahlloser universaler Wesenheiten; alle bewegen und entwickeln sich im zyklischen Reifen ihrer inneren Fähigkeit. Wenn auch die Musik und die Art, wie Wagner den Mythos der menschlichen Seele und ihrer Reise durch das Leben erfaßt und übertragen hat, hervorragend sind, so steht er dennoch damit nicht allein da. Sein Werk, das Leitmotiv von Hauptfigur und Handlung in ein nahtloses Gewebe zu verarbeiten, wäre unmöglich gewesen, wenn es die früheren Leistungen von Johann Sebastian Bach, die Fuge, nicht gegeben hätte, in deren Bereich das ununterbrochene Tragen der musikalischen Themen in vielen Stimmen verschmolzen wird.

Da ist zum Beispiel Bachs großartige unvollendete Komposition, die posthum von seinem Sohn Karl Philipp Emanuel als "Die Kunst der Fuge" veröffentlicht wurde. Sie setzt sich aus einer fortlaufenden Serie von Fugen zusammen, über dasselbe musikalische Thema, in freier Partitur geschrieben, wobei jeder Stimme ihr eigenes Notensystem oder ihr eigener Notenschlüssel gegeben ist. Karl Philipp Emanuel selbst dachte - und inzwischen stimmten die meisten Musiker mit ihm darin überein -, daß die Komposition lediglich als eine intellektuelle Übung gedacht gewesen war, um zu demonstrieren, was getan werden könnte, um fugale Stimmen in verschiedener Weise zu verschmelzen; eine sinnreiche Erfindung des Komponisten wurde zu einer Glanzleistung der Musikwissenschaft. Das heißt mit anderen Worten, "Die Kunst der Fuge", wie sie K. P. E. nannte, konnte nicht gespielt werden, da sie nur eine Illustration abstrakter Ideen von fugaler Struktur war und dabei niemals beabsichtigt war, daß sie etwas anderes als Theorie sein sollte.

Der große deutsche Musikgelehrte des 19. Jahrhunderts, Nottebohm, war jedoch anderer Meinung, und Sir Donald Tovey und ein paar andere Zeitgenossen haben seither gezeigt, daß das Werk wirklich spielbare Musik von hohem geistigen Gehalt ist. Das dritte Thema der abschließenden Fuge leitet vier Motive ein, aber sie blieb unvollständig. K. P. E. schrieb über die letzten Takte in der Berliner Original-Ausgabe: "Der Komponist starb an der Stelle der Fuge, wo der Name BACH als Gegenmotiv durchgeführt wird." In der damaligen Notenschrift schrieb man B-A-C-H folgendermaßen: B-H durch Vorzeichen erniedrigt, A, C und H normal, ohne Vorzeichen. Dies ist der erste und einzige Fall, daß Bach seinen Namen in Fugenschrift benützte, obgleich sie seitdem von anderen Komponisten oft verwendet wurde und jetzt durchaus gebräuchlich ist. Das erste Thema erstreckt sich über 100 Takte und darauf folgt das zweite. Da es in G-Moll schließt, erscheint BACH als das dritte Thema. Der Komponist kehrt seinen Namen in diesem Fragment um; an der Stelle, wo er beginnt alle drei Themen zusammenzuführen, bricht es ab. Er hatte offensichtlich keine Zeit mehr.

Als er jedoch blind auf dem Totenbett lag, diktierte Bach seinem Schwiegersohn Altnikol einen Choral, der der "Kunst der Fuge" bei der ersten Ausgabe als dazugehöriger Teil angefügt wurde. Dieser glückliche Umstand bewahrte den Choral vor der Vergessenheit, und meiner Meinung nach strömt er genau die Atmosphäre aus, in der der Hauptteil der Komposition geendet hätte. Er strahlt einen Glanz aus, der auf den Aufstieg des gereinigten Bewußtseins zum Ursprung hinweist, von dem es in unsere Welt gekommen ist. Bedeutsam ist, daß die unvollendete letzte Fuge eine Umkehrung des BACH-Themas gehabt hätte, was auf die Mahnung des Apostel Paulus hindeutet: "Leget den alten Menschen ab und leget den neuen Menschen an!" Das ist die Umkehr oder die Absorption des persönlichen, vergänglichen Wesens in die bleibende Individualität, so als wäre 'Johann Sebastian' nur die persona oder die Maske für das eigentliche Wesen gewesen, von dem die inspirierenden Harmonien kamen.

Bachs Musik ist von einem mystischen Element durchdrungen, das sie von den vielen durchschnittlichen Kontrapunktübungen unterscheidet. In seinen großartigsten Kompositionen sollte der Aufbau verborgen bleiben, so wie die Stahlträger in modernen Gebäuden. Die Musik war mehr als das Gerüst, wie Pablo Casals vor vielen Jahren zu beweisen versuchte, als er sämtliche unbegleiteten Cello-Suiten in gesammelten Tonaufnahmen vorführte. Auf diese Weise, sagte er, hoffe er, Bach vor den Pedanten zu retten.

Die Eingebungen des Komponisten müssen aus bestimmten religiösen Strömungen seiner Zeit, zu denen er sich hingezogen fühlte, herrühren. Es waren besonders die Schriften und veröffentlichten Predigten von Johannes Tauler. Dieser deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts war zusammen mit Meister Eckehart der führende Mann der "Freunde Gottes". Das war eine Bewegung von Geistlichen und Laien, die die "Liebe zu Gott" in den Vordergrund und die ethische Seite des christlichen Lebens über die mehr dogmatische stellten. Sie waren praktische Mystiker und gaben Gedanken weiter, die aus weit zurückliegenden Quellen stammten, wie zum Beispiel von Origenes, dem frühen Kirchenvater, und von anderen Persönlichkeiten, die aus dem Dunkel des frühen Mittelalters in Europa herausragten wie Berggipfel über den Wolken.

Die Lehre von der Geburt eines unentwickelten Christus-Elementes in der Seele jedes menschlichen Wesens war für Tauler von ebenso großer Bedeutung wie für Eckehart und die weit späteren Platoniker von Cambridge. Für sie war die Seele ein Mikrokosmos im Makrokosmos, in dem alles lebt, sich bewegt und getragen wird. Sie betrachteten das menschliche Wesen als eine Zusammensetzung aus einem tierischen oder materiellen Aspekt, einer vernunftbegabten Seite und einer im Wesen gottähnlichen Person.

Die Schriften von Richard von St. Victor waren die Freude Taulers, und ihr Einfluß muß auch auf Bach stark eingewirkt haben, denn folgende Äußerung Richards ist das eigentliche Herz der Musik und im besonderen, so ist anzunehmen, der "Kunst der Fuge":

Laßt jeden, der danach dürstet, seinen Gott zu sehen, seinen Spiegel putzen, seinen Geist reinigen, und wenn er dann seinen Spiegel geputzt und lange und sorgfältig in ihn hineingesehen hat, dann beginnt ein Glanz göttlichen Lichtes durch den Spiegel auf ihn zu scheinen, und ein bestimmter ungeheurer Strahl einer ungewöhnlichen Vision taucht vor seinen Augen auf ... Vom Anblick dieses Lichtes, das er mit Erstaunen in sich erschaut, wird das Gemüt mächtig entzündet und erhoben, so daß er das Licht sieht, das über ihm ist.

Die Musik ist ein feines, gehaltvolles Verständigungsmittel, das naturgemäß auf vielerlei Weise gedeutet werden kann, je nachdem wer sie auslegt und je nach der Anlage seiner Gedanken und seines kulturellen Erbes. Sehr fromme Naturen, gleich welcher religiösen Richtung sie angehören, werden sich auf die Musik der Sphären "einstellen" und tief in ihrem Innern die ergreifende Berührung des äußeren Selbst mit der inneren Seele oder dem Geist erfahren. Musik kennt die Grenzen, die wir mit unseren vielen Sprachen und Mundarten errichtet haben, nicht. Sie überspringt alle kulturellen Schablonen und übermittelt ihre Botschaft ohne Rücksicht auf das geistige Prisma, das die Wirkungen färbt. Obwohl nicht zwei Menschen genau die gleichen Reaktionen erleben, finden die Wirkungen doch statt, ob es nun ein Widerhall rhythmischer Art in den niederen Teilen unserer Konstitution ist oder ob es die Tiefen unserer Seele oder des Geistes sind, die so berührt werden - man kann es nicht mit Worten ausdrücken. Vielleicht ist die Art der Analyse, die vielfach die Grundlage für die veröffentlichte Musikkritik bildet, unzureichend, weil sie ein Erlebnis rational zu erklären versucht, das sich einer vernunftmäßigen Erklärung entzieht.

Musikalische Kompositionen, die nur die Kinder unseres Gehirnverstandes sind und nicht aus dem Keim der Inspiration in unserer Seele geboren wurden, sind leer und werden sicher vergessen werden. Jene Werke aber, die aus dem wahren Wesen des Menschen geboren wurden, überdauern jeden Wechsel der Ansichten, die den Unterschied der Generationen kennzeichnen. Die Seele, die mit unbegrenzten schöpferischen Fähigkeiten ausgestattet ist, wird immer wieder ihre eigenen höchsten Inspirationen ohne Rücksicht auf Zeit und Umgebung zum Ausdruck kommen lassen.